5. September 2002

Geschichten rund um den Handball in Siebenbürgen (XV)

Autogramme für den Marathon-Olympiasieger / Der für Japan startende, koreanische Läufer Sohn Ke Chung zu Besuch bei der rumänischen Elf im Olympiadorf / Dr. Hans Georg (Gerch) Herzogs Erinnerungen an die Spiele 1936 und an die erste Weltmeisterschaft 1938
August 1936. Vor dem Haus im Olympischen Dorf zu Berlin, das sich die rumänische Handball-Nationalmannschaft und die deutsche Wasserball-Mannschaft teilen, erscheint ein kleiner, unscheinbare Asiate. Die beiden Mannschaften spielen gegeneinander Fußball. Der Blick des Asiaten drückt Bewunderung aus, er beobachtet alles und fotografiert. Schließlich verbeugt er sich tief, und in einer Gebärdensprache bittet er Handballer und Fußballer um Autogramme. Hans Georg (Gerch) Herzog erinnert sich noch ganz genau an jene Szene im Olympischen Dorf. Die rumänischen Handballer, die fast alle Siebenbürger Sachsen sind, geben dem jungen Mann die gewünschten Autogramme, und der verabschiedet sich genauso höflich, wie er gekommen ist.
Die rumänische Handball-Mannschaft vor dem Spiel gegen die USA bei den Olympischen Spielen 1936, das 10:3 endet. Oberste Reihe von links: Johann (Oki) Sonntag (HTV- und Handball-Verbands-Funktionär), Hans Georg Herzog, Fritz Halmen, Wilhelm Heidel, Günther Schorsten Wilhelm „Kiri“ Kirschner, (alle Stürmer vom Hermannstädter Turnverein/HTV), Mannschaftsarzt Parvulescu, mittlere Reihe kniend: die drei Läufer (Mittelfeldspieler) Robert Speck, Alfred Höchsmann (beide HTV) und Bruno Holzträger (Mediasch), sitzend: Karl Haffer (Verteidiger), Stefan Zoller (Torwart) und Fritz  Haffer (Verteidiger/alle drei HTV).
Die rumänische Handball-Mannschaft vor dem Spiel gegen die USA bei den Olympischen Spielen 1936, das 10:3 endet. Oberste Reihe von links: Johann (Oki) Sonntag (HTV- und Handball-Verbands-Funktionär), Hans Georg Herzog, Fritz Halmen, Wilhelm Heidel, Günther Schorsten Wilhelm „Kiri“ Kirschner, (alle Stürmer vom Hermannstädter Turnverein/HTV), Mannschaftsarzt Parvulescu, mittlere Reihe kniend: die drei Läufer (Mittelfeldspieler) Robert Speck, Alfred Höchsmann (beide HTV) und Bruno Holzträger (Mediasch), sitzend: Karl Haffer (Verteidiger), Stefan Zoller (Torwart) und Fritz Haffer (Verteidiger/alle drei HTV).

Am 9. August sehen die Handballer ihren Gast unter 100 000 Zuschauern im Olympiastadion wieder. Sie sehen, wie Sohn als erster Marathonläufer das Stadion erreicht und in einer fantastischen Zeit gewinnt. Sohn erringt den Sieg unter dem Namen Kitei Son für Japan. Dass dieser Mann ein Koreaner ist, erfährt Herzog erst viel später. Denn Sohn Ke Chung wird 1988 einen neuen Auftritt bei den Olympischen Spielen haben. Diesmal für sein Land, für Korea. Er trägt als letzter Läufer das olympische Feuer ins Olympiastadion von Seoul. Bei diesem Lauf vollführt Sohn wahre Freudensprünge. Denn erst an diesem Eröffnungstag der 24. Sommerspiele in Seoul ist der Olympiasieger von 1936 an der Endstation Sehnsucht angekommen - mit 52 Jahren Verspätung.

Sohns Geschichte ist nur eine von vielen, die der am 7. Juli 1915 im siebenbürgischen Mühlbach geborene Herzog (er ist der Sohn des Parlamentariers Dr. Otto Herzog, der die rumänischen Handballer vor den Spielen in Berlin „einkleidet“ / siehe Folge III) zu erzählen weiß. Draper, der zusammen mit Jesse Owens, Metcalfe und Wykoff die 4x100-Meter-Staffel gewinnt, erzählt Hans Georg Herzog eines Tages, dass die US-Athleten vor den Wettkämpfen nur große Steaks essen. Das täten sie im neuen Jahrhundert nicht mehr, denn heute stehen Kohlenhydrate auf dem Speisezettel der Athleten. Doch damals haben sie auch mit Steaks gesiegt.

Auf der Busfahrt nach Berlin-Zoo debattiert Herzog mit dem Chef der japanischen Fußballmannschaft über Selbstverteidigung. Die hatte Herzog in Form von Boxen und Jiu Jitsu geübt. Doch der Mannschaftschef der Japaner hält von beiden nichts. Dem Sport müsse eine Philosophie und nicht bloß eine Technik, wie das rudimentäre Jiu-Jitsu, zugrunde liegen. Seine Fußballer seien Philosophen, und der Fußballlehrer empfiehlt Herzog, er sollte sich dem Judo mit anderem philosophischen Hintergrund zuwenden. Der Fußballchef und Georg Herzog beschließen, es im Hotelzimmer des Japaners praktisch zu versuchen. Ergebnis: Herzogs Boxhiebe kommen nicht an, der Japaner schultert den Handballer, der im Kleiderschrank landet. Als Herzog den Fußballtrainer zu Fall bringen will, hält sich dieser - wohl der Judo-Philosophie entsprechend - am Hosenboden des Handballers fest. Die Lektion ist damit beendet.

Doch auch an manch andere lustige Begebenheit erinnert sich der ehemalige Rechtsanwalt und Dolmetscher Herzog, der heute in Wien als Rentner lebt. Noch vor den Olympischen Spielen, im Frühjahr 1934, unternimmt der Hermannstädter Turnverein (HTV) eine von Hans Schuschnig hervorragend organisierte Tournee durchs Sudetenland und gewinnt alle sechs Spiele. Die Mannschaft genießt in jedem Spiel die lebhafte Unterstützung der tschechischen Zuschauer. Denn die meinen, sie hätten es mit echten Rumänen zu tun, die ihre ungeliebten deutschen Landsleute in die Schranken weisen. Die Spiele werden in Saatz, Brüx, Dux, Teplitz-Schönau, Aussig und Bodenbach ausgetragen. Im vorletzten Spiel in Aussig erleidet Herzog einen Muskelfaserriss und ist auf dem zweiten Teil der Tournee, die durch Deutschland führt, außer Gefecht. Die sechs Spiele in Deutschland, das erste findet in Pirna statt, gehen alle verloren. Nur im Spiel von Dresden wächst Günther Schorsten über sich hinaus. Er ist bester Mann auf dem Platz, berichtet Herzog, und trägt mit seinen Toren fast zu einem Sieg der Siebenbürger Handballer bei.

Die Spielergebnisse der Tournee durch das Sudetenland und durch Deutschland sind auch beeinflusst von der großen Belastung wegen der dicht aufeinander folgenden Wettkämpfe, wegen der Begrüßungs- und Abschiedsfeste, wegen der herzlichen Gastfreundschaft der Gastgeber und ihrer Familien, sagt Herzog. Auch das kulturelle Begleitprogramm, beginnend mit Prag und fortgesetzt in allen Gastorten und in der Sächsischen Schweiz, beeinflussen die Auftritte der Siebenbürger Spieler. Doch die Mannschaft kommt wegen des großen Kaders gut über die Runden. Saatz, wo das erste Spiel stattfindet, wird für Herzog zu einem der nachhaltigsten sportlichen Erfolgserlebnisse: Als Rechtsverbinder von Willi Kirschner hervorragend eingesetzt, erzielt er binnen weniger Minuten die ersten drei Tore und später ein viertes zum Endstand von 10:4. „Dieser Knalleffekt bedeutete für die ganze Mannschaft, die bis dahin keine internationale Vergleichsmöglichkeit hatte, eine gute Grundlage für unser Selbstvertrauen.“

Im Jahr 1935 kommt es zu weiteren internationalen Begegnungen in Siebenbürgen, erinnert sich Herzog. Die Mannschaft der Technischen Hochschule (TH) München spielt gegen den HTV, gegen den Mediascher und den Kronstädter Turnverein, und gewinnt stets. 1937 spielt der sudetendeutsche Meister Dux in Hermannstadt und Bistritz, aber auch in anderen Städten Siebenbürgens. Die Sudetendeutschen gewinnen alle Spiele. 1937 und 1938 wird der Spielbetrieb in Siebenbürgen durch Handball-Kurse in Deutschland (auch Willi Zacharias nimmt daran teil) positiv beeinflusst. Die Siebenbürger Trainer geben die Erkenntnisse über die Entwicklungen an den HTV und die anderen Vereine weiter, so dass deren Spiel auf bessere technische und taktische Grundlagen gestellt wird.

1940 ist das Jahr des ersten großen Aderlasses für den Siebenbürger Handball. Durch den Anschluss Nordsiebenbürgens an Ungarn werden rund 61 000 Siebenbürger Sachsen und ihre Sportvereine dem Spielbetrieb in Rumänien entzogen. Der Bistritzer Turnverein ist zu dieser Zeit, was die Spielstärke anbelangt, an den HTV herangerückt. Der BTV verdankt das in erster Linie der Lehrtätigkeit von HTV- und Nationalspieler Fritz Halmen. Unter dem Kriegsbeginn leidet der Spielbetrieb zusätzlich. Jetzt werden nur noch Städtemeisterschaften ausgetragen. Die alten Vereine werden von Schülermannschaften vertreten, und die kommen noch immer zu knappen Erfolgen über die rumänischen Mannschaften. So gewinnt der Mediascher Turnverein 1943 mit einem einzigen Tor Vorsprung das Entscheidungsspiel um den Titel gegen Viforul Dacia Bukarest. Parallel zur Landesmeisterschaft trägt die deutsche Volksgruppe Gau-Meisterschaften aus. Herzog steht in einem solchen Spiel in der Mannschaft des Gaues Altreich, praktisch der Turnverein Bukarest, die gegen die Teams der Gaue in Siebenbürgen und Banat antritt. So spielt die Bukarester Mannschaft beispielsweise gegen eine Kronstädter Schülermannschaft unter der Leitung von Wilhelm Zacharias und gegen ein Team des Gaus Reschitza. Meister wird Siebenbürgen vor Reschitza und dem Altreich, erinnert sich Herzog.

Mit dem Krieg beginnt der Niedergang des rumäniendeutschen Handballs. Mit Kriegsende hört er auf als selbstständige Organisationsform zu existieren. Die deutschen Sportler werden bald in verstaatlichten Firmenklubs in rumänischen Mannschaften spielen. Sie werden begehrte und erfolgreiche Klub- und Nationalspieler. Aus der Zeit nach 1944 sind viele enge Verbindungen zwischen diesen entstanden, die auch heute noch lebendig sind. Herzog bedauert, dass ein solcher Zusammenhalt bei seiner Generation nicht mehr zustande gekommen ist. Er führt dies vor allem auf das Verschwinden des Großfeldhandballs zurück, dem seiner Meinung nach die schwedische Spieltaktik und vor allem die „Betonwand-Verteidigung“ den Todesstoß versetzt haben, aber auch wegen der Sorgen nach dem Krieg, dem Kampf um die Existenzgründung nach Kriegsdienst und Heimatverlust.

Doch zurück zu den Olympischen Spielen. Nach der Tournee durch das Sudetenland und Deutschland studiert Herzog in Paris und vom Sommer 1935 bis Herbst 1936 in Berlin. Somit muss er die Reise zu den Spielen erst gar nicht antreten. Er stößt im August zur Handballmannschaft, um am olympischen Turnier teilzunehmen.

Johann Steiner


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli 2002, Seite 13)

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