7. Juli 2009

Nicht willkommene Flüchtlinge und Vertriebene

Rezension des Buches von Andreas Kossert: "Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945", Siedler Verlag, München, 2. Auflage, 2008, 432 Seiten, 24,95 Euro, ISBN 978-3-88680-861-8.
Am Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg gelangten etwa 14 Millionen Deutsche aus den deutschen Gebieten östlich der Oder und Neiße, aus dem Sudentenland, aus Mähren, der Slowakei, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien später auch aus der Sowjetunion als Flüchtlinge oder Vertriebene nach Deutschland, der überwiegende Teil in die westlichen Besatzungszonen bzw. Westdeutschland. Das Buch ist eine Geschichte der deutschen Vertriebenen. Der Verfasser präsentiert zunächst die Herkunftsgebiete der deutschen Vertriebenen sowie die Ursachen ihrer Vertreibung aus ihren Heimatgebieten. Dabei unterstreicht er, dass sie das größte Opfer für den von Deutschland angezettelten und verlorenen Krieg bringen mussten.

Das Hauptanliegen des Autors ist es zu zeigen, wie die heimatlos gewordenen Ost- und Südostdeutschen von ihren Landsleuten in Deutschland aufgenommen wurden. Seine Untersuchungen führen zum Schluss, dass es eine „kalte Heimat“ war, die die Vertriebenen erwartete. Es war so, dass in dem kriegszerstörten Deutschland die Neuankömmlinge mit Abneigung aufgenommen wurden, dass man sie als zusätzliche Belastung empfand, sie als „Fremde“, „Rucksackdeutschen“ und Hungerleider verpönte. Die Heimatlosen vermissten weitgehend eine allgemeine deutsche Solidarität Die Einheimischen waren nicht bereit oder in der Lage, ihnen zu helfen, mussten sie aber in ihre Häuser und Wohnungen zum Teil durch Zwangszuteilungen aufnehmen. Daraus ergaben sich natürlich Reibereien und das Sozialgefüge Deutschlands wurde auf eine harte Probe gestellt.

Das Flüchtlingsproblem stellte in den Nachkriegsjahren die schwerste Hypothek für die Bundesrepublik dar. Eingliederungsmaßnahmen und ein Lastenausgleich erwiesen sich als notwendig, um den Besitz- und Heimatlosen neue Existenzmöglichkeiten zu schaffen. Kossert unterstreicht, dass der Lastenausgleich zwar eine gigantische sozialpolitische Befriedigungsmaßnahme darstellte, aber keinesfalls eine solidarische Lastenvereilung war, die auch die Einheimischen betraf. Trotzdem rief der Lastenausgleich Neid unter den Einheimischen hervor, die meinten, die Vertriebenen würden bevorzugt. Daraus wuchsen Misstrauen und eine Kluft zwischen den Eingesessenen und den „Zugereisten“. Letztendlich hat der allgemeine Wirtschaftsaufschwung zur Entspannung des Konfliktpotenzials und zur Befriedigung und Integration der Vertriebenen geführt, die selbst einen wichtigen Beitrag zum westdeutschen Wirtschaftswunder geleistet haben.

In einem weiteren Kapitel wird die Entstehung und die Tätigkeit der Vertriebenenverbände dargestellt, wobei deren anfängliche Ablehnung der Oder-Neiße Grenze und die Forderung nach Recht auf Heimat ihnen den Verruf von Revanchisten brachte, den ihnen bis heute ein Teil der nichtbetroffenen deutschen Öffentlichkeit anlastet. Bis heute haben die Vertriebenenverbände nur zum Teil Akzeptanz gefunden und ihre Mitglieder gelten als „Ewiggestrige“, während das allgemeine Wissen über die deutschen Ostgebiete und deren Leistungen sehr mangelhaft ist und einem Großteil der deutschen Bevölkerung nicht bewusst ist.

In der Sowjetzone, der späteren DDR, hingegen wurden die vier Millionen Vertriebenen verschwiegen. Damit beschäftigt sich ein Sonderkapitel des Buches über die „kalte Heimat“. Sie wurden ebenfalls abweisend empfangen. Die Vertreibung wurde offiziell als gerecht betrachtet und als Tabu behandelt, die davon Betroffenen einfach als „Umsiedler“ bezeichnet. In der DDR gab es keinen Lastenausgleich, es wurden bloß Kredite zur Selbsthilfe gewährt. Die vertriebenen Landwirte erhielten aber durch die entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes als „Umsiedler-Neubauern“ ebenfalls Grundbesitz, mit dem sie aber bald in die Kollektivwirtschaften eintreten mussten. Das SED-Regime war bestrebt, die „Umsiedler“ möglichst rasch zu assimilieren und verbot daher eigenständige, landsmannschaftliche Verbände.

Die Siebenbürger Sachsen sind zum größten Teil als Spätaussiedler in die Bundesrepublik gekommen, haben geregelte Aufnahmebedingungen vorgefunden und von der „kalten Heimat“ weniger zu spüren bekommen. Sie konnten in Übergangswohnheime und nach relativ kurzer Zeit in Sozialwohnungen untergebracht werden und sich der Sozialleistungen und des allgemeinen Wohlstandes erfreuen und meist auch entsprechende Arbeit finden. Dieser Aspekt wird von Kossert nicht beleuchtet. Zudem überzieht nach meiner Ansicht der Verfasser das Bild von der deutschen „kalten Heimat“.

„Mit den Vertriebenen kam Kirche“ betitelt Kossert ein weiteres Kapitel seines Buches und zeigt darin, dass die kirchliche Landschaft Deutschlands durch den Zuzug von Vertriebenen wie nach der Reformation und dem Dreißigjährigen Krieg verändert wurde. Die zum guten Teil evangelischen oder katholischen Gemeinden und Gebiete verloren durch den Zuzug von Vertriebenen anderer Konfessionen ihre religiöse Einheitlichkeit. Daraus ergaben sich ebenfalls Spannungen. Sogar innerhalb derselben Konfession traten sich Differenzen auf, wenn die Flüchtlinge eine andere Frömmigkeit, andere kirchliche Traditionen und Gebräuche mitbrachten.

Ein Kapitel untersucht den Widerhall von Flucht und Vertreibung in der Literatur und den Medien, wobei festgestellt wird, dass erst in letzter Zeit Film und Dichtung diesem Thema eine erhöhte Aufmerksamkeit schenken.

Wichtig erscheinen uns die Ausführungen über das kulturelle Erbe der Vertriebenen und über das Vermächtnis der verlassenen Kulturlandschaften. Dazu dann die Forderung: „Forschung, Dokumentation, wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte und Kultur des historischen deutschen Ostens müssen Bund, Länder und Kommunen zu ihrer Aufgabe machen. Die letzten Zeitzeugen müssen befragt, aussterbende Dialekte dokumentiert, die Heimatstuben in staatliche Obhut genommen, die Landesmuseen für die jeweiligen Heimatlandschaften besser gefördert und die Patenschaften zu ost- und südostdeutschen Städten, Landkreisen und Regionen gepflegt werden, denn sie belegen, dass es eine deutsche Geschichte jenseits der heutigen Staatsgrenzen im Osten gab. Die Erinnerung daran im kollektiven Gedächtnis der Deutschen wachzuhalten, ist Aufgabe aller deutschen Steuerzahler, denn sie sind mit dem historischen Ostdeutschland und den Deutschen im Osten Europas verbunden, ob sie darauf Wert legen oder nicht.“

In Kosserts Untersuchung werden die Bemühungen der Siebenbürger Sachsen um die Pflege ihres Kulturerbes lobend erwähnt. Es heißt wörtlich: „Die Siebenbürger Sachsen mit ihrer mehr als achthundertjährigen Kultur pflegen einen ganz besonderen Zusammenhalt, in den auch die in der Heimat verbliebenen Siebenbürger eingebunden sind. Ein Kultur- und Dokumentationszentrum mit Siebenbürgischem Museum befindet sich in Schloss Horneck im württembergischen Gundelsheim. Die Siebenbürger unterhalten Blaskapellen sowie Tanz- und Trachtengruppen, aber auch soziale Einrichtungen wie eigene Altersheime und bemühen sich in Siebenbürgen um den Erhalt ihres kulturellen Erbes, wozu vor allem die historischen Stadtarchitekturen von Hermannstadt und Schäßburg gehören sowie die berühmten Kirchenburgen.“ Als „Erfolgsmodell“ wird auch die sächsische Siedlung in Drabenderhöhe genannt. Bei der Aufzählung der südostdeutschen Größen hat der Verfasser leider den Weltraumforscher Hermann Oberth übersehen.

Michael Kroner

Kalte Heimat: Die Geschichte d
Andreas Kossert
Kalte Heimat: Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945

Siedler Verlag
Gebundene Ausgabe
EUR 178,00
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Schlagwörter: Rezension, Flucht und Vertreibung, Integration

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