Die Kurutzen belagern Mediasch anno 1705

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medwescher
schrieb am 01.02.2011, 21:26 Uhr
Am 7. April 1705 bezogen die auch als Kurutzen bekannten ungarischen Aufständischen unter Simon Forgatsch auf der Vogelstange, dem südwestlich von Mediasch gelegenen Berg (oberhalb der heutigen ausgedehnten Friedhöfe und schräg über dem heutigen Bahnhofsgebäude) Stellung. Sie belagerten die Stadt 9 Wochen lang und verschossen aus den Batterien, die sie dort oben aufgestellt hatten, reichlich Geschosse aller Art in die Stadt. Es gibt mindestens zwei verschiedene Dokumente, die eine detallierte Chronik der Belageung enthalten. Akribisch werden dort die gröten Treffer taggenau protokolliert, und auch die bemerkenswertesten Schäden und Verluste von Militär- und Zivilpersonen sind genau beschrieben. An einer Stelle ist der Bericht schwer verständlich, auch enthält er hier eine neue Information, die in der bsiherigen Mediascher Baugeschichte noch nicht aufgetaucht ist. Der Text lautet (die Originalsprache ist weitgehend beibehalten, nur geringfügige orthographische Korrekturen wurden vorgenommen):

„Die 17 dito [das ist im April 1705] ist eine große Stückkugel durch die Schnecke (?) an dem großen Thurn geschoßen, welche auff dem Kirchen Gewölb gefunden worden. Dito. wirdt eine große Stück-Kugel an den großen Thurn neben das kleine Männchen geschossen. D[ie] 20 dito fallen abermahl zwey Bomben herein, eine in die Langgaße in einen Garthen, die andere zu einem Bürger nahmens Christoph Merten, (?) aber ohne sonderbahren Effect. Dito ist eine Karkaß auff das Chorgewölb gefallen, aber keinen Schad verursachet.

"D[ie] 24 dito wirdt abermahl mit einer großen Stückkugel die Mauer an der Schnecken durchschoßen. Itt[em] wird ein Stück Tach (Dach ?) von der Schnecken durch eine Stückkugel weggenommen, welche von einer solchen force gewesen, daß sie nach deme noch durch einen Thurn nahmens den Binder Thurn geflogen und in einem Hoff hinter dem Kirchhoff niedergefallen. Itt[em] eine andere große Stükkugel hat/ an dem Pfeiler am großen Thurn harth angeschlagen. Dito ist eine Bombe in das Beinhauß gefallen undt hatt alle toden Bein herauß geworffen."

Das kleine Männchen, das beinahe von einer Kanonenkugel getroffen wurde, ist der „Turepitz“. Aber was ist mit der „Schnecke am großen Thurn [wohl dem Tramiterturm] gemeint? Und welcher der Kastelltürme war der Binder-Turm? Es wäre interessant zu hören, ob jemand eine Idee hat!
CaptainSmollet
schrieb am 01.02.2011, 21:57 Uhr
Mit Schnecke wird wohl ein Beobachtungsposten gemeint sein.
lucky_271065
schrieb am 02.02.2011, 00:53 Uhr (am 02.02.2011, 01:16 Uhr geändert).
Vielleicht hilft dies ein wenig weiter?

Die Besonderheit besteht vor allem in der Wendeltreppe (dem so genannten ”Schnecken”).

Quelle:

www.filderstadt.de/servlet/PB/menu/1182754_l1/index.html

Und der Binder-Turm müsste nach der Beschreibung irgendwo in der Schusslinie von dem besagten Hügel aus betrachtet hinter dem durchschossenen Kirchendach und vor dem Pfarrgarten stehen. Soweit ich mich an das Mediascher Kirchenkastell erinnere, kommen dafür höchstens zwei Türme in Frage. Evtl der gleich neben dem Geburtshaus von St. L. Roth?
medwescher
schrieb am 02.02.2011, 06:57 Uhr
hallo, lucky, danke für den Hinweis mit der Wendeltreppe, das ist sehr ist sehr interessant. Es könnte der alte Aufgang auf die Orgelempore gemeint sein (1928 abgetragen).

Der Schneider - Turm neben dem St. L. Roth-Haus kann ggf. gemeint sein, wenngleich er etwas abgelegen ist - doch habe ich diese Bezeichnung noch nie gehört. Das "Beinhaus" war vermutlich im Marienturm, der auch in der Schußlinie lag. Aber auch Rathaus- und Glockenturm hätten von der Vogelstange aus "bestrichen" werden können
lucky_271065
schrieb am 03.02.2011, 01:39 Uhr (am 03.02.2011, 01:56 Uhr geändert).
Gerne, Medwescher. Ich bin nur ein wenig Hobby-Historiker. Und habe beim Militär ein wenig über Ballistik gelernt.

Hier noch ein Zitat:

Umgeben wird das Kastell von drei Türmen, ursprünglich waren es mehr, doch wurden sie im Laufe der Zeit abgerissen. Folgen wir der inneren Mauer südwärts, so gelangen wir zum Schneiderturm - wie der Name es vermuten lässt, war die Schneiderzunft der Stadt für dessen Verteidigung zuständig. Das zweigeschossige Gebäude daneben beherbergte bis 1855 das Mediascher Rathaus, weshalb die Einheimischen nebenstehenden Turm auch Rathausturm nennen.

22 Türme umgaben Mediasch

Folgen wir der Ringmauer ostwärts, stoßen wir auf den Marien- oder Folterturm, wie er im Volksmund auch genannt wird. Wahrscheinlich wurden in dem Turm nicht wirklich Menschen gequält. Vielmehr leitet sich der Name wohl aus einem Fresko in der Kapelle ab, das die Marter Mariens zeigte. Der dritte im Turmbunde ist der Seilerturm an der Nordseite der Kastellmauer, den die hiesigen Sachsen in späteren Zeiten als Speckturm nutzten.


Der Binderturm, nach dem Du fragst, könnte natürlich auch einer der (teilweise) abgetragenen Türme sein. Vielleicht der "Schulturm"?

Vom Seilerturm nach Westen folgen die Gebäude der Alten Schule. Sie wurden im Jahre 1713 über älteren Fundamenten aus dem 14. Jahrhundert, auf der nördlichen Innenmauer errichtet und umfassen in ihrer Mitte den fünften Kastellturm, den Schulturm. Er war ein vierstöckiger Flankierungsturm und bildete mit seinem Türl einen dritten Personenzugang zum Kastell. Im Jahre 1888 wurden seine oberen Stockwerke bis zur Höhe der Dächer der neu aufgestockten Schulgebäude abgetragen.

http://members.aon.at/fresh/literatur/kastell.htm

Auf jeden Fall würde ich ihn, nach der Beschreibung der Flugbahn der Kanonenkugel aus Deinem Dokument, am ehesten auf der Nordseite des Kastells suchen. Wo ja auch das schon erwähnte Geburtshaus von St. L. Roth steht. (Die Anhöhe, beim Friedhof - "Vogelstange" - von der aus geschossen wurde, liegt ja ziemlich genau südlich vom Kirchenkastell, habe es mir gerade auf "google maps" nochmals angesehen).

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