Die Wahrheit in der Fotografie

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OREX
schrieb am 30.04.2014, 16:57 Uhr
Fotografien sind eingefrorene Augenblicke.


Edle Kunst, die augenblicklich
Mit dem Sonnenlichte malt!
O wie ist’s doch recht erquicklich,
Wenn uns mild entgegen strahlt
Eines Freundes Bild in Klarheit,
Hübsch, naturgetreu, voll Wahrheit.


Dieses Kurzgedicht mit dem Titel "Photographie" wurde am 6. Juni 1888 von dem siebenbürgisch-sächsischen Dorfpfarrer Karl Kraft geschrieben. Voller Begeisterung für die, damals noch relativ junge Kunst, die Fotografie, werden verschiedene Vorzüge dieser Kunst (und ich ergänze: dieser Technik) lobend erwähnt. Aufgefallen ist mir das letzte Merkmal: "voll Wahrheit". Diese Worte brachten mich ins Grübeln. Kann man heutzutage, im Zeitalter der digitalen Fotografie, im Zeitalter des Computers, der Aussage eines Fotos noch trauen? Ist das, was auf dem Bild zu sehen ist, auch wirklich ein Abbild der Realität? Lässt es im Kopf des Betrachters auch tatsächlich ein Nachempfinden der Wirklichkeit entstehen? Ist das, was wir sehen, vielleicht eine optische Täuschung oder gar eine bewusste Irreführung, ein Betrug also? Die moderne Technik hat die Welt komplizierter gemacht. Ich will für mich selbst und für den interessierten Leser ein bisschen Klarheit in diese komplizierte Fotowelt bringen. Es gilt die Frage zu beantworten: Wie viel Glauben kann ich dem betrachteten Bild schenken?

Sommer 1970. Ein Ausflug in die Berge. Ich hatte noch meine „Smena 2“, eine einfache russische Kamera mit der Brennweite 40 mm (schon Weitwinkelcharakter, also große Schärfentiefe), Zentralverschluss und sogar Zeitwert „B“. Kenner wissen, dass dieses „B“ vom deutschen „beliebig“ abgeleitet ist und bedeutet: Der Verschluss bleibt solange offen, solange der Finger auf den Auslöseknopf drückt. Und noch eine Besonderheit hatte diese Kamera: Man musste den Film selbst von Hand vordrehen. Dabei war es möglich, dass man einen leeren Platz auf dem Film bekam (zu weit vorgedreht) oder zwei Aufnahmen übereinander machte (Vordrehen vergessen). In der Regel kann einem Menschen, der was Besonderes geleistet hat, nach seinem Ableben ein Denkmal errichtet werden. Ich hatte mir selbst durch Zufall noch in jungen Jahren ein Denkmal errichtet. Das Foto (kann ich leider hier im Forum nicht in den Text einbinden; Mein Kopfprofil wird von der Felsstruktur überlagert) ist doch der Nachweis für die Existenz dieses Denkmals. Mein Kopf im Profil scheint in Stein geformt zu sein. Entstanden ist dieses Bild durch doppelte Belichtung eines Negativs, also „Vordrehen vergessen“. Diese Überlagerung von Bildern wird beim Erstellen von Spielfilmen gewollt und bewusst eingesetzt um zum Beispiel eine gefährliche Szene (über dem Abgrund hängen) oder eine teure Szene (Stadt im Mittelalter) zu filmen. Die so entstandenen Bilder zeigen eine gefälschte Wirklichkeit.

Eine von unseren Sinnen anders empfundene Wirklichkeit als die tatsächlich fotografierte nennt man Illusion oder optische Täuschung. Man stellt zum Beispiel die Kamera auf den Kopf, gibt dem Fußboden das Aussehen der Zimmerdecke und befestigt eventuell noch aufrecht stehend eine Deckenlampe (normal ist es eine Hängelampe). Daneben stellt man einen Menschen und drückt auf den Auslöseknopf. Schon hat man die perfekte Täuschung im Kasten: „Mann geht an der Decke“. So muss wohl auch das Bild eines amerikanischen Fotografen entstanden sein, der die Wirkung von Rauschgift illustrieren wollte: - Eine junge entkleidete Frau geht an der Wand eines Wolkenkratzers hoch. Dieses Bild sah ich vor ein paar Jahren in einer Illustrierten.

Es ist interessant: - Auf älteren Bildern sieht man immer jünger aus! Der Mensch ist mal so geschaffen: Er ist eitel, er will jung und schön sein. Die ersten Fotografien wurden von Malern gemacht. Unzufrieden mit dem Ergebnis dieser ersten Fotos, versuchten sie also, da sie ja Talent zum Zeichnen hatten, die Fotos zu übermalen oder unerwünschte Teile wegzuradieren, wegzukratzen. Die Retusche war geboren. Generationen von Berufsfotografen gebrauchten Radiergummi, ein feines Messer zum Kratzen, Bleistift oder Pinsel mit Tusche zum Nachzeichnen. Da dies ein mühsames Geschäft ist und auch Zeichentalent erfordert, wurden nur die allernotwendigsten Korrekturen gemacht, z.B.: Wimpern oder Lippen nachgezeichnet oder Runzeln entfernt. Seit Ende der 70-er, Anfang der 80-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erleben wir eine stürmische Entwicklung der Elektronik, der Digitaltechnik und somit auch des Computers. Es entstanden außer Hochleistungsrechnern (hohe Rechengeschwindigkeit) auch Speicher mit einer enormen Kapazität. Man ging hin und teilte das Bild in Quadrate ein. Jedes Quadrat wurde nach festgelegten Normen beschrieben. Es wurden folgende wichtige Eigenschaften erfasst: - Helligkeit, Kontrast, Graustufe oder Farbstufe. So ein Quadrat nennt man Pixel. Damit die einzelnen Pixel mit dem freien Auge nicht mehr erkennbar sind, im Gehirn also die Illusion einer Einheit entsteht, müssen die Pixel sehr klein sein, das verlangt aber sehr viel Speicherplatz für ein Bild. Den haben wir ja heutzutage. So ist im Laufe der Zeit die Qualität der digitalen Bilder immer besser geworden: - mehr Pixel pro Bild und mehr Farbstufen bzw. Graustufen. Die Farbabweichungen eines modernen Bildes, wenn es sie gibt, sind in der Regel so minimal, dass sie von Auge und Gehirn nicht mehr erkannt werden. So können wir sagen, das Bild hat natürliche Farben. Diese ganze Entwicklung hat aber auch die Retusche leichter gemacht, so dass man in größerem Stil Bilder korrigieren und sogar radikal verändern kann. In der Filmindustrie wurden sogar riesige extraterrestrische Raumschiffe ins Bild gezaubert. Kann man solchen Bildern noch Glauben schenken?

Von der Entwicklung der Digitalfotografie profitiert insbesondere die Wissenschaft, u.a. die Astronomie (klassische oder insbesondere Radioastronomie), die satellitengestützte Kartografie, Geodäsie, Geologie, Archäologie, Landwirtschaft, die medizinische Forschung und Diagnostik, die pharmazeutische Forschung usw. Es werden in den aufgezählten Bereichen mit Hilfe verschiedener bildgebender Verfahren digitale Bilder des erforschten Objekts erstellt. In den meisten Fällen sind diese Bilder von geringer Aussagekraft, z.B.: Schwarz-weiß-Bilder in der Radioastronomie (bei den Wellenlängen gibt es keine Farbe) oder fast einfarbige Bilder in der satellitengestützten Geologie. Auf diesen Bildern, auf denen der normale Mensch nichts erkennen kann, werden verschiedene Regionen nach vorher exakt festgelegten Eigenschaften mit entsprechenden Farben eingefärbt. Somit ist der Fachmann in der Lage einen Tumor zu lokalisieren oder zu erkennen, ob in einer bestimmten Gegend der Erde Öl vorkommen kann. Diese Bilder wurden manipuliert, aber zum Nutzen und nicht zum Schaden des Menschen.

Zur Desinformation, zum Vertuschen der Wahrheit, zum Verschaffen von Vorteilen zu Lasten Anderer können Bilder geändert werden. Man kann einen Menschen aus einer Gruppe wegzaubern, weil man ihn auf dem Bild einfach nicht drauf haben möchte, aus Antipathie oder weil man seine Anwesenheit zu der Zeit an dem Ort verleugnen will. Ebenso kann man einen Menschen in ein Bild hinein zaubern, egal warum man das tut. Als man den Amerikanern den Vorwurf gemacht hat, die Mondlandung inszeniert zu haben, soll Neil Armstrong (hat als erster Mensch den Mond betreten) gesagt haben: Sollte das ganze eine Inszenierung sein, mit der man die ganze Welt irregeführt hat, so wäre das eine noch größere Leistung als die Mondlandung selbst.

Ich kann eine Blume fotografieren, die auf einem von Leichen übersäten Kriegsschauplatz blüht. Der Betrachter dieses Bildes sieht nur die Schönheit dieser Blume und verleiht in Gedanken auch der Umgebung dieser Blume positive Eigenschaften. Das habe ich bewusst so extrem beschrieben. Man spricht vom Vorgaukeln einer heilen Welt. Abgesehen vom gezeichneten Kontrast, sollen wir uns zu einer positiven Haltung durchringen:

Die erwähnte Blume soll uns eigentlich zeigen, dass die Welt, trotz aller Unzulänglichkeiten schön und das Leben lebenswert ist.

Selbst ein manipuliertes Bild kann, wie wir gesehen haben, von Nutzen sein. Ein mit der Absicht einer Vorteilsverschaffung geändertes Bild ist gefälscht und die Tat an sich, das Fälschen eines Bildes, ist in so einem Fall ein Verbrechen. Es gibt keine Garantie, dass die Bilder, die wir sehen, echt sind. Man muss letztendlich auch den gesunden Menschenverstand bemühen, die Bilder kritisch betrachten und in den meisten Fällen ist der Betrug leicht zu entlarven. Es gilt die alte Weisheit:

Man kann die meisten Leute einmal betrügen, viele Leute mehrmals betrügen, aber nur ein paar Leute immer betrügen.

Freuen wir uns also an einem schönen Foto und lassen wir uns nicht betrügen.

27. Juni 2006

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