7. Wahrung der Eigenständigkeit trotz wechselnder
Staatszugehörigkeit. Eine 850-jährige Geschichte im Überblick
Konrad Gündisch
Die Aussiedler werden im Alltag meist dem Staat zugeordnet, aus dem
sie nach Deutschland gekommen sind: Die sogenannten Russlanddeutschen
werden als "Russen", die Deutschen aus Polen als "Polen",
jene aus Rumänien als "Rumänen" angesehen, bezeichnet
und angesprochen, eine Zuordnung, die die Betroffenen nicht zu Unrecht
verletzt, so wie sie seinerzeit in ihren Herkunftsländern die Gleichsetzung
mit dem nationalsozialistischen Deutschland verletzt hat. Dieser alltägliche
Sprachgebrauch beruht auf der Gleichsetzung von Volkszugehörigkeit
und Staatsangehörigkeit: Begriffe wie Nation und Staat werden dabei
als Synonyme gedeutet, ethnische Unterschiede innerhalb eines Staates
vernachlässigt; oft willkürlich und erst vor wenigen Jahrzehnten
gezogene Staatsgrenzen werden auf die ethnische Zuordnung der unterschiedlichen
Bevölkerungsgruppen eines Landes übertragen.
Diesem politisch-territorialen, sozusagen etatistischen Nationsbegriff
steht jener der Kulturnation entgegen. Er orientiert sich an der gemeinsamen
Abstammung, Sprache, Geschichte und Kultur einer Gruppe, an deren Bewusstsein,
anders, besonders zu sein im Vergleich zu anderen Gruppen; der Begriff
orientiert sich nicht zuletzt an emotionalen Elementen einer sozusagen
"staatslosen" Nation. Die allgemeinsprachliche Gleichsetzung
von Volk und Nation kann in diesem Fall nicht vorgenommen werden, Staat
und Volk sind nicht – bzw. nicht immer und nicht unbedingt – deckungsgleich.
Die Unhaltbarkeit dieser Gleichsetzung von Staaten und Völkern
wird deutlich, wenn wir auf die fast neun Jahrhunderte siebenbürgisch-sächsischer
Geschichte zurückblicken und feststellen, dass dieselbe Gruppe
im Laufe der Jahrhunderte – unter Wahrung ihrer Eigenständigkeit
– sechs verschiedenen Staaten angehört hat:
1. in den drei ersten Jahrhunderten (von der Ansiedlung um die Mitte
des 12. Jahrhunderts bis 1541) zum mittelalterlichen Königreich
Ungarn;
2. anderthalb Jahrhunderte lang (1541–1699) zum autonomen Fürstentum
Siebenbürgen, das unter der Oberherrschaft des Sultans stand und
somit auch zum osmanischen Machtbereich gehörte;
3. mehr als eineinhalb Jahrhunderte (1699–1867) zu Österreich,
im Rahmen der habsburgischen Donaumonarchie, deren Herrscher bis 1806
in der Regel auch Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nation waren;
4. 1848–1849 für kurze Zeit zum revolutionären Ungarn;
nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 für
fünf Jahrzehnte zum ungarischen Teil der habsburgischen Doppelmonarchie;
5. seit 1918 zu Rumänien, an das Siebenbürgen nach dem
Auseinanderbrechen Österreich-Ungarns gefallen war;
6. seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und ganz besonders seit
den siebziger Jahren sind immer mehr Siebenbürger Sachsen auch
in staatsnationalem Sinne Deutsche, denn sie leben – seit Jahrzehnten,
seit Jahren oder auch nur seit Monaten – als Aussiedler bzw. Spätaussiedler
in Deutschland, sind Bundesbürger. Andere leben heute in den Vereinigten
Staaten, in Kanada, auch in Australien und anderen Staaten, in die sie
die Kriegs- und Nachkriegsereignisse oder auch die eigene freie Entscheidung
verschlagen haben.
Trotz der Brüche, die diese wechselvolle Geschichte im rechtlichen
und sozialen Status wie im Selbstverständnis dieser deutschen Bevölkerungsgruppe
im südöstlichen Ostmitteleuropa bedingt hat, sind auch Kontinuitäten
festzustellen, insbesondere die Wahrung der kulturellen Eigenständigkeit
und die Funktion als Mittler und Vermittler zwischen dem westlichen
und östlichen Europa einerseits, zwischen den Völkern und
Kulturen Siebenbürgens andererseits.
Übersicht
7.1 Frühgeschichte Siebenbürgens: Land und Völker
Siebenbürgen (ungarisch Erdély, rumänisch Transilvania,
bzw. Ardeal) wird mit einer natürlichen Festung verglichen, deren
Wälle der Karpatenbogen (Ost- und Südkarpaten, Siebenbürgisches
Erzgebirge), deren Tore aber die Durchbrüche des Samosch, des Mieresch
und des Alt oder Gebirgspässe wie Mesesch, Königstein, Eisernes
Tor, Törzburg, Predeal, Bozau, Oitoz, Borgo und Rodenau bilden.
Fruchtbares Acker- und Weideland, reiche Bodenschätze, u. a. Salz,
Edel- und Buntmetalle, nicht zuletzt eine günstige geographische
Lage am Schnittpunkt west-östlicher und nord-südlicher Verkehrswege
bieten günstige Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung.
Geographische Lage und natürlicher Reichtum bedingen aber auch
– wie bereits kurz umrissen – eine bewegte politische Geschichte sowie
die Koexistenz unterschiedlicher Völker, Religionen und Kulturen
auf relativ kleinem Raum.
Im Altertum war Siebenbürgen seit Mitte des 1. Jahrhunderts v.
Chr. Mittelpunkt einer bis nach Mähren sich ausdehnenden Herrschaftsbildung
der Daker. Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. wurde Dakien zur Provinz
des Römischen Reiches, Teil einer politischen und kulturellen Gemeinschaft,
die weite Teile Europas umfasste und bis heute weiterwirkt.
Als im 3. Jahrhundert die Angriffe der Wandervölker massiv einsetzten,
gab Rom seine exponierte Provinz Dakien auf und zog sich auf die leichter
zu verteidigende Donaulinie zurück. Sieben Jahrhunderte lang drangen
nacheinander germanische, asiatische und slawische Stämme auf ihren
Wegen von Ost nach West, von Nord nach Süd in Siebenbürgen
ein und ließen sich, angezogen auch von den für die Viehzucht
unentbehrlichen Salzvorkommen, für kürzere oder längere
Zeit in Siebenbürgen nieder, u. a. die Goten, Hunnen, Gepiden,
Awaren und Slawen.
Die Magyaren, die sich im 9. Jh. in der Pannonischen Tiefebene niederließen,
nach der Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg (955) endgültig
sesshaft wurden und unter Stephan dem Heiligen einen nach abendländischem
Vorbild organisierten Staat errichteten, haben die Geschichte Siebenbürgens
entscheidend geprägt. Seit dem 10. Jahrhundert rückten sie
etappenweise in das "Land jenseits der Wälder" (Trans-Silvanien,
von Pannonien aus gesehen) vor, das sie seiner Bodenschätze wegen
begehrten und das sie als natürliches Bollwerk gegen die östlichen
Steppenvölker für strategisch wichtig hielten. Im dünnbesiedelten
Land trafen sie auf Petschenegen und Kumanen sowie auf Vorfahren der
Rumänen (weitgehend slavisierte Nachkommen der Daker und Römer),
deren Zahl in den folgenden Jahrhunderten durch natürliche Vermehrung
und Zuwanderung aus den Gebieten südlich der Karpaten stetig angestiegen
war.
Die Magyaren rückten etappenweise in Siebenbürgen vor, Etappen,
die im Gelände an den Spuren eines Schutzsystems festgestellt werden
konnten, das die Ungarn an den jeweiligen Grenzen ihres Reiches
anlegten und das sich auf 10–40 km breite Ödlandstreifen (Verhaue,
ung. gyepü mit Erdburgen und Grenzwächtersiedlungen an den
passierbaren Stellen (den Toren, ung. kapu) stützte. Als Wehrbauern
wurden an diesen Toren sog. Hilfsvölker angesiedelt, u. a. die
Szekler, denen dafür als Gruppe persönliche Freiheit gewährt
wurde.
Übersicht
7.2 Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen
Nach jedem Vorschieben der Grenze blieb das Ödland der alten Verhausäume
frei und fiel an den König. Die Besiedlung dieses sogenannten Königsbodens
war aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen wichtig. Notwendig
erschien es, hier, im Vorfeld der neuerrichteten Verhausäume, eine
kriegstüchtige Bevölkerung anzusiedeln, die zugleich im Stande
sein sollte, das Land durch Rodung urbar zu machen, Ackerbau, Handwerk
und Handel zu treiben, möglichst auch den wachsenden Bedarf an
Salz und Edelmetallen durch Erschließung der Bodenschätze
zu decken.
Diesen Aufgaben waren die Ungarn allein wegen ihrer geringen Bevölkerungszahl
nicht gewachsen, auch die Hilfsvölker wurden rar und der Mangel
an qualifizierten Fachkräften machte sich bald besonders im Bergbau
bemerkbar. Die Ungarn erkannten – wie bereits der Staatsgründer
Stephan seinen Sohn Emmerich ermahnte –, dass einwandernde "Gäste
verschiedene Sprachen und Sitten, verschiedene Lehren und Waffen mit
sich bringen, die alle Reiche und den königlichen Hof schmücken
und erhöhen"
(Übersetzung aus: Die Donauschwaben, 1989; 66).
Um solche Gäste musste mit Zusagen, die sie anlockten, geworben
werden. Das waren im Mittelalter vor allem Grundbesitz – dafür
stand der Königsboden der ehemaligen Verhausäume bereit –
und Privilegien. Diese waren auf alle Fälle jene Rechte, die die
Umworbenen bereits in ihrer Heimat besaßen und "in ihren
Knochen mitbrachten" ("jus ossibus inhaeret", sagte man
damals). Es mussten aber auch Rechte sein, die darüber hinausgingen,
um sie dazu zu bewegen, das Risiko der Siedlung in ein tausende Kilometer
entferntes Gebiet auf sich zu nehmen: Vor allem persönliche Freiheit
und Freizügigkeit waren damals magische Worte, die eine Standeserhöhung
bedeuteten, Sicherheit boten und besseres Fortkommen versprachen. Sie
wurden von den ungarischen Königen zugesagt und 1224 im Freibrief
des Königs Andreas II. schriftlich festgehalten; diese Zusagen
wurden von Ungarn auch über die Jahrhunderte gehalten.
Die Ansiedlung erfolgte bereits unter Geisa II. (1141–1162), der Bauern,
Handwerker, Kaufleute und niedere Adlige (Ministerialen) aus dem Rheinland
und aus Moselfranken, aus Flandern und aus Luxemburg, aus Thüringen
und aus Niedersachsen, aber auch aus anderen Gebieten des Deutschen
Reiches anwerben ließ und ihnen in der Zips, in der heutigen Slowakei,
sowie in Siebenbürgen, in den frei gewordenen Verhausäumen
zwischen Mieresch und Alt, zwischen Samosch und Ostkarpaten "Königsboden"
zugewiesen hat. Ein klar umrissenes Herkunftsgebiet dieser Siedler ist,
da Schriftquellen über diesen Vorgang weitgehend fehlen, nicht
auszumachen und gibt es wohl auch nicht.
Für diese Siedler unterschiedlicher landschaftlicher Herkunft,
die anfangs als "hospites Theutonici" (deutsche Gäste)
oder auch als "Flandrenses" (Flandrer) bezeichnet wurden,
setzte sich die in der ungarischen Kanzlei benutzte Kollektivbezeichnung
"Saxones" (Sachsen) durch, die auch für die deutschen
Siedler in der Zips und die deutschen Bergleute auf dem Balkan (im damals
zu Ungarn gehörenden Bosnien und Kroatien ebenso wie in Serbien
und im Osmanischen Reich) benutzt wurde und offenbar die Inhaber der
Privilegien nach dem alten sächsischen Bergrecht bzw. dem "jus
Theutonicum" (dem deutschen Recht) meinte.
Diese "Siebenbürger Sachsen" haben die ihnen zugewiesenen
Gebiete in kurzer Zeit wirtschaftlich vorangebracht, nicht nur den Boden
nutzbar gemacht und die Agrartechnik verbessert, sondern auch die edelmetallreichen
Gebiete der West- und Ostkarpaten (Siebenbürgisches Erzgebirge,
Rodenauer Berge) und die Salzstöcke im Siebenbürgischen Hochland
erschlossen, Gewerbe und Handel vorangebracht. Bereits 1186 konnte der
ungarische König von den "hospites regis de Ultrasylvas"
(den Gästen des Königs jenseits der Wälder) mit Abgaben
in Höhe von 15.000 Silbermark rechnen (Wagner, 1981; 434–435).
Übersicht
7.3 Leistungen im Mittelalter: Wirtschaft und Türkenabwehr
Die aufstrebende Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen war – wie
die anderen Völker dieses Raumes – durch den Mongolensturm von
1241 einer schweren Belastung ausgesetzt. Die "tatarischen"
Reiter fielen fast gleichzeitig über mehrere Karpatenpässe
in das Land ein, überwanden das alte Grenzschutzsystem fast mühelos,
besiegten das ungarische Ritterheer bei Mohi, verwüsteten ganze
Landstriche. Auf zunächst erfolgreichen Widerstand stießen
sie offenbar nur bei den Sachsen. In der Bergstadt Rodenau, berichtet
ein Zeitgenosse, stellte sich der Stadtrichter Ariscaldus mit "sechshundert
auserlesenen deutschen Bewaffneten" den Mongolen entgegen. Erst
durch eine List, einen vorgetäuschten Rückzug, auf den die
Verteidiger "wie es die deutsche Leidenschaft erfordert",
mit einem siegestrunkenen Vollrausch reagierten, konnte der Ort erobert
werden (Zitat nach: Gündisch, 1998; 45).
Der Mongoleneinfall bewirkte eine Neuorientierung der ungarischen Verteidigungs-
und Wirtschaftspolitik, die nun zunehmend auf die Städte als Bollwerke
gegen fremde Eindringlinge und als Katalysatoren der ökonomischen
Entwicklung setzte. Zu diesem Zweck wurden neue Siedler angeworben,
strategisch und handelspolitisch wichtige Orte durch Privilegien und
Steuervergünstigungen gefördert. Entlang des Karpatenbogens,
vorrangig in der Nähe der Pässe entstand eine Kette deutscher
Handels- und Gewerbezentren wie Bistritz, Kronstadt, Hermannstadt, Mühlbach
und Klausenburg, die sich zu den Bergstädten Rodenau, Offenburg,
Thorenburg und Großschlatten gesellten.
Die Städte, deren Entwicklung unter den ungarischen Königen
Karl I. Robert von Anjou (1308–1342), seinem Sohn Ludwig I. dem Großen
(1342–1382) und unter Sigismund von Luxemburg (1387–1437) konsequent
gefördert wurde, bewirkten den Übergang von der Natural- zur
Geldwirtschaft und bezogen das örtliche Gewerbe wie die Getreide-
und Viehproduktion des Umlandes in den europäischen Warenverkehr
ein. Die erste erhaltene Zunftordnung weist 1376 auf eine fortgeschrittene
Differenzierung des Handwerks hin, die einem Vergleich mit westeuropäischen
Städten durchaus standhält: 25 Gewerbe waren in 19 Zünfte
zusammengeschlossen. Die Städte wurden zu wirtschaftlichen und
kulturellen Mittelpunkten des Landes. Sie übernahmen Verfassungs-
und Rechtsnormen deutscher Städte, zum Teil das Magdeburger und
das Iglauer Stadtrecht, oder arbeiteten bereits 1271 ein eigenes deutsches
"Bergrecht von der Rodenaw" aus.
Die ummauerten Städte waren seit dem Ende des 14. Jahrhunderts
der wirksamste Schutz gegen die wachsende Bedrohung durch die osmanischen
Türken, die 1395 erstmals in Siebenbürgen einfielen. Die Städte
widerstanden auch längeren Belagerungen und behinderten den Vormarsch
größerer Truppenverbände, während die befestigten
Dorfkirchen Schutz gegen kleinere Beutezüge boten.
Mit diesem einzigartigen System der Wehrkirchen und befestigten Städte
fügten sich die Siebenbürger Sachsen in das vielgerühmte
"antemurale Christianitatis" ein, in die Vormauer der Christenheit,
welche die südosteuropäischen Völker gegen die vordringenden
Türken gebildet hatten. Nach dem Fall von Konstantinopel (1453)
konnte der Bürgermeister von Hermannstadt stolz schreiben, seine
Stadt sei nun "nicht allein des Königreichs Ungarn, sondern
auch der ganzen Christenheit Schild und Schirm" (Urkundenbuch 5,
1975; 446–447).
Die osmanische Bedrohung, aber auch die Gefährdung des privilegierten
Rechtsstandes durch den ungarischen Adel bestimmten das städtische
Bürgertum – angeführt von seiner patrizischen Oberschicht
(Gräfen, später Kaufleute, reiche Handwerker und Bergbauunternehmer)
– die Initiative zum politischen Zusammenschluss der deutschen Siedlergemeinschaften
zu ergreifen, die in vier territorial nicht ganz zusammenhängenden
Gebieten lebten (den sogenannten Sieben Stühlen der Hermannstädter
Provinz, den Zwei Stühlen des Kokelgebietes, dem Nösner- und
dem Burzenländer Distrikt). Unter Rückgriff auf die Vorgabe
des Andreanischen Freibriefs von 1224 ("unus sit populus"
– einig sei die Gemeinschaft) wuchsen diese zur Sächsischen Nationsuniversität
(Universitas Saxonum, d. h. Gesamtheit der Sachsen) zusammen, der übergeordneten
politischen, administrativen und gerichtlichen Instanz der freien Deutschen
aus Siebenbürgen, einer Institution, die in manchem den Städtebünden
in Westeuropa ähnlich ist. Der langwierige Prozess fand 1486 seinen
Abschluss.
Es entstand damit ein starkes Gemeinwesen, das sich selbst verwaltete
und dessen Bevölkerung allmählich zu einem Volk deutscher
Muttersprache zusammenwuchs, mit dem eigentümlichen Dialekt einer
Reliktmundart, die dem Luxemburgischen ähnelt, zu einem Volk mit
einer besonderen Rechtsstellung im mittelalterlich-ungarischen, sich
ständisch gliedernden Staat, mit eigenen Bewusstseinsinhalten,
Erfahrungsräumen und Bewertungsmaßstäben und mit einem
besonderen Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Sächsische
Nationsuniversität repräsentierte einen Stand freier privilegierter
Bürger und Bauern, war dessen Interessenvertretung im siebenbürgischen
Landtag, dem außerdem der ungarische Adel und die freien szeklerischen
Wehrbauern angehörten.
Das Wort "Nation" wurde damals im Sinne von Stand gebraucht – die Nationsuniversität
repräsentierte ebensowenig wie die ungarischen Adelskongregationen
die Hörigen gleicher Sprach- bzw. Volkszugehörigkeit. Ebenso
wie die ungarischen oder die rumänischen Hörigen, die übrigens
damals schon die Bevölkerungsmehrheit in Siebenbürgen bildeten,
waren die auf Adelsboden lebenden Deutschen in Siebenbürgen durch
die Nationsuniversität nicht vertreten.
Dieser unter "Nationsuniversität" subsummierte Nationsbegriff
ist also primär nicht Ausdruck einer Volks-, sondern einer Standeszugehörigkeit,
als Nebenprodukt verfassungsgeschichtlicher Abläufe das Ergebnis
des bewussten Strebens nach Zusammenschluss und Verteidigung von Rechtspositionen
einer privilegierten Gruppe. Insoweit weist die Nationsuniversität
auch über den Rahmen der mittelalterlichen Universitäts- oder
Konzilsnationen hinaus (siebenbürgisch-sächsische Studierende
hatten überhaupt keine Hemmungen, sich nach dem Territorialitätsprinzip
der "natio Hungarica", der ungarländischen Studentengruppe,
anzuschließen). Sie bewährte sich deshalb in der frühen
Neuzeit.
Übersicht
7.4 Privilegierter Stand in der Frühen Neuzeit: Humanismus
und Reformation
Die Frühe Neuzeit setzte im Königreich Ungarn mit einer Katastrophe
ein: 1526 wurde das Reich von Sultan Sülejman dem Prächtigen
bei Mohács vernichtend geschlagen, König Ludwig II. fiel
in der Schlacht. Aufgrund von Erb- und Eheverträgen stand die Krone
Ungarns nun den Habsburgern zu, doch konnten sie ihre Ansprüche
nur in West- und Nordostungarn durchsetzen, während Mittelungarn
von den Osmanen besetzt und 1541 in ein Paschalyk (eine türkische
Provinz) umgewandelt wurde, Siebenbürgen sich aber zu einem autonomen
Fürstentum entwickelte, das die osmanische Oberherrschaft anerkannte.
In diesem Fürstentum kam den drei privilegierten Ständen
des ungarischen Adels, der freien Szekler und der Sachsen eine entscheidende
Rolle zu: Sie waren im Landtag vertreten, wo sie mit dem sogenannten
Kuriatvotum über ein Vetorecht verfügten und somit Gesetze
blockieren konnten, die den Partikularinteressen des jeweiligen Standes
zuwiderliefen; sie wählten den Fürsten und ernannten die Ratgeber
des Fürsten, der dem ungarischen Adel entstammte. In die eigenen
Angelegenheiten einer Nation durften sich weder die beiden anderen Stände
noch der Landesfürst einmischen. Nicht zu Unrecht wird darum diese
Periode als eine Blütezeit der ständischen Selbstverwaltung
der Siebenbürger Sachsen angesehen.
Weniger erfreulich verlief die politische und wirtschaftliche Entwicklung.
Siebenbürgen wurde im 16.–17. Jahrhundert in das säkulare
Ringen zwischen Habsburgern und Osmanen hineingerissen. Die österreichische
Dynastie gab ihre Ansprüche auf das strategisch wichtige Siebenbürgen
nicht auf, doch fehlte ihr vorerst die Kraft, diese auch durchzusetzen.
Der ungarische Adel widersetzte sich diesen Ansprüchen, die Siebenbürger
Sachsen akzeptierten sie, aus Verbundenheit zu einem deutschen Herrscherhaus
und in der Hoffnung auf westliche Unterstützung gegen die Türken.
"Möge Gott uns Frieden geben unter unserem deutschen König"
schreibt der aus Nürnberg stammende Hermannstädter Bürgermeister
Petrus Haller im Jahre 1551 (Zitat nach: Gündisch, 1998; 80). Dieser
Ausspruch deutet auf eine emotionale Komponente des Selbstverständnisses
hin, das die Siebenbürger Sachsen im Zeitalter des Humanismus und
der Reformation entwickelt haben. Zu den Autostereotypen (Selbstbildern)
vom freien, privilegierten Stand und vom Schutzschild der Christenheit
gesellt sich jenes von der deutschen Volkszugehörigkeit.
Das hängt mit der kirchlichen Erneuerung bei den Siebenbürger
Sachsen in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts zusammen. Ein Kronstädter
Ratsherr namens Johannes Honterus, der in Wien studiert und sich in
Krakau und Basel als Buchdrucker und Humanist betätigt hatte, betrieb
sie im geistig-geistlichen Bereich im Sinne Martin Luthers und verfasste
ein Reformationsbüchlein, das der Hermannstädter Bürgermeister
Peter Haller nach einer gewissen Umarbeitung als "Kirchenordnung
aller Deutschen in Sybembürgen" drucken ließ und im
weltlich-politischen Bereich durchsetzte. 1550 beschloss die Nationsuniversität,
diese Kirchenordnung in allen Städten und Gemeinden des Sachsenlandes
einzuführen. Damit schufen sich die Siebenbürger Sachsen eine
sog. geistliche Universität, eine Volkskirche, der im Laufe der
Zeit auch wichtige weltliche Aufgaben in diesem christlich geprägten
Genossenschaftswesen zufallen sollten, die "ecclesia Dei nationis
Saxonica" (die Kirche Gottes der sächsischen Nation).
Den Bestimmungen der Kirchenordnung entsprechend wurde das Schulwesen
in Stadt und Land neu organisiert, ebenso die Armen- und Krankenfürsorge.
Absolventen der Gymnasien wurden nun mit Stipendien auf protestantische
Universitäten in Deutschland geschickt, der über Jahrhunderte
in Handwerk, Handel und Bildung gepflegte Kontakt zum "Mutterland"
wurde im Bereich des Hochschulbesuchs sozusagen institutionalisiert.
In Kirche und Schule wurde nunmehr Deutsch gesprochen und das Augsburger
Bekenntnis hochgehalten, während die Ungarn und Szekler reformiert,
unitarisch oder katholisch waren und die Rumänen griechisch-orthodox
blieben. Glaube und Volkstum wurden auf diese Weise zu Synonymen, wobei
man sich aber bereits 1557 auf Initiative der Sächsischen Nationsuniversität
erstmals in Europa auch zur religösen Toleranz durchzuringen vermochte,
nämlich "dass jeder den Glauben behalten könne, den er
wolle, mit neuen und alten gottesdienstlichen Gebräuchen und in
Sachen des Glaubens ihrem Gutdünken überlassen, dass geschehe
was ihnen beliebt, jedoch ohne Beleidigung irgendjemandes" (Wagner,
1981; 121–122). Evangelisch-lutherisches Bekenntnis, bei Duldung anderer
Konfessionen, wurde damit zu einer weiteren und wesentlichen Komponente
siebenbürgisch-sächsischen Selbstverständnisses.
1583 fasste die Nationsuniversität die überlieferten Rechtsgewohnheiten
zusammen, ergänzte sie mit Klauseln des römischen Rechts und
ließ sie vom Landesherren, dem Fürsten Stephan Báthory,
der damals auch polnischer König war, bestätigen: "Der
Sachsen in Siebenbürgen Statuta oder eygen Landrecht." Das
Gesetzbuch, das allen Mitgliedern der Nationsuniversität persönliche
Freiheit, Eigentumsrecht und Rechtsgleichheit zusprach, blieb bis 1853
in Gebrauch. Die Gleichheit vor dem Gesetz, die darin zum Ausdruck kommt,
entsprach allerdings nicht voll den Tatsachen, denn soziale Unterschiede
gab es selbstverständlich auch in der siebenbürgisch-sächsischen
Gesellschaft, Konflikte zwischen Patriziat und Unterschichten wurden
im 17. Jahrhundert besonders virulent. Im Bewusstsein der Gruppe hat
sich hingegen – auch unter dem Einfluss ihrer Historiker – der Topos
von einer Gesellschaft durchgesetzt, "da keiner Herr und keiner
Knecht", von einer jahrhundertealten Demokratie, die auf Wahl der
politischen und kirchlichen Repräsentanten gründete. Diese
Komponente des siebenbürgisch-sächsischen Selbstverständnisses
ignoriert die sozialen Strukturen ebenso wie den Umstand, dass nur Besitzende
wählbar waren oder dass die siebenbürgisch-sächsischen
Hörigen an dieser Art der Demokratie keinen Anteil hatten, ebenso wenig
wie die abhängigen Rumänen, die sich auf Königsboden
niedergelassen haben.
Übersicht
7.5 Bürger der österreichischen Monarchie
Aus dem Ringen zwischen Habsburgern und Osmanen ging am Ende des 17.
Jahrhunderts – nach Abwehr der türkischen Belagerung von Wien (1683)
und nach mehrjährigen Kämpfen unter Feldherren wie Herzog
Karl von Lothringen, Markgraf Ludwig von Baden (dem "Türkenlouis")
und Prinz Eugen von Savoyen ("dem edlen Ritter") – eine neue,
abendländisch orientierte Großmacht in Mittel- und Südosteuropa
hervor, die habsburgische Donaumonarchie.
Der Erwerb Siebenbürgens war dabei für die Habsburger von
großer strategischer und politischer Bedeutung, wie einer Denkschrift
des kaiserlichen Generals Caraffa aus dem Jahr 1690 zu entnehmen ist:
"Das Fürstentum ist von der Natur zur Citadell angelegt, von
welcher aus alles, was zwischen Donau, Mähren, dem schlesischen
und polnischen Gebirge lieget, dominiert und im Zaum gehalten werden
kann." Als Grundkraft und Zierde Siebenbürgens ("nervus
ac decus Transilvaniae") wird dessen deutsche Bevölkerung
bezeichnet, "diese redliche und wohlintentionierte Nation",
zumal das Land sonst "dem Haus Österreich gegenüber von
jeher aufsässig" gewesen sei (Zitat nach: Gündisch,
1998; 104).
Doch auch die Sachsen begegneten den Habsburgern mit einer gewissen
Skepsis: Sie fürchteten sich vor der zügellosen Soldateska,
vor neuen Abgaben und Steuern, vor dem gegenreformatorischen Eifer des
Kaisers, sie wollten ihren in anderthalb Jahrhunderten ausgebauten Status
eines dritten, das Schicksal des Landes mitbestimmenden Standes nicht
gefährden. Der sogenannte Schusteraufstand in Kronstadt (1688)
brach aus dieser antihabsburgischen Stimmung heraus aus.
Die führenden Politiker der Siebenbürger Sachsen aber – so
ihr Komes Valentin Frank (später mit dem Prädikat "von
Frankenstein" geadelt) und ihr Provinzialnotar Johannes Zabanius
(später "Sachs von Harteneck") – wirkten für das
deutsche Kaiserhaus und handelten, zusammen mit Vertretern der beiden
anderen Stände, das sogenannte Leopoldinische Diplom von 1691 aus,
das die geltende Landesverfassung und damit die Vorrechte der drei ständischen
Nationen und die Religionsfreiheit bestätigte. Dieses Diplom blieb
bis 1848 sozusagen das Grundgesetz von Siebenbürgen. Der Friede
von Karlowitz (1699) bestätigte die habsburgischen Neuerwerbungen.
Siebenbürgen wurde aus dem türkisch-balkanischen Machtbereich
entlassen und gehörte nunmehr wieder zu Mitteleuropa.
Es folgte die stufenweise Eingliederung in den Gesamtkomplex der habsburgischen
Länder, im Sinne des vereinheitlichenden Absolutismus jener Zeit.
Gegen den Partikularismus der Stände, die eifersüchtig auf
Wahrung ihrer Privilegien achteten, setzte sich der Zentralismus des
Wiener Hofes durch.
Die Siebenbürger Sachsen mussten dabei an mehreren Fronten kämpfen:
– Der katholische Kaiser wollte ihre evangelische Volkskirche schwächen
und ihre ständische Sonderstellung beseitigen, bis hin zur Zerschlagung
der Nationsuniversität; vor allem in den ersten Jahren belastete
er sie mit ungeheuren Kontributionen.
– Der ungarische Adel bedrohte ihre Rechtslage und Fiskalautonomie,
weil er sich auf Königsboden niederlassen, dort aber keine Abgaben
entrichten wollte.
– Die Rumänen, deren Zahl im 17. Jh. jäh angestiegen war,
als sie sich in durch Kriege und Seuchen leer gewordenen sächsischen
Dörfern niedergelassen hatten, beanspruchten nun das Bürgerrecht
und ließen damit Überfremdungsängste aufkeimen.
Die Siebenbürger Deutschen mussten also einerseits den schweren
Weg von der ständischen Nation, die weitgehend ihr Schicksal selbst
bestimmt hatte, zur nationalen Minderheit beschreiten; andererseits
aber wurden sie auch gestärkt, weil sie wieder in enge Verbindung
zum Reich treten konnten. Zudem garantierte die Eingliederung in ein
gut organisiertes Staatswesen für lange Zeit Frieden und geordnete
Verhältnisse, so dass sich die wirtschaftliche Lage stabilisieren
konnte.
"Fidem genusque servabo" – ich diene meinem Glauben und meinem
Volk – ist der Wahlspruch jenes Siebenbürger Sachsen, der es in
der Hierarchie des österreichischen Staates am weitesten gebracht
hat: Samuel von Brukenthal. Ihm ist es gelungen, unter einer "allerkatholischen
Majestät" wie Maria Theresia (1740–1780) und in einer Zeit
katholischen Proselytentums, des Glaubenswechsels aus Karrieregründen,
Gouverneur von Siebenbürgen (1777–1787) zu werden, ohne sich selbst
zu verleugnen. Er verband selbstbewusst und geschmeidig den treuen Dienst
für das Herrscherhaus mit der Interessenvertretung seiner Mitbürger.
Er schützte deren lutherische Volkskirche, wehrte Angriffe auf
ihre privilegierte Rechtsstellung ab und versuchte, sie vor Überfremdung
zu bewahren.
In seiner Argumentation gegen die Gewährung des Bürgerrechts
auf Sachsenboden an ungarische Adlige oder rumänische Untertanen
pries Brukenthal die Rechtsgleichheit und das Gemeinschaftsbewusstsein
der Mitglieder der Sächsischen Nationsuniversität und bündelte
die Komponenten des damaligen Selbstverständnisses der Siebenbürger
Sachsen in den Sätzen: "Kein Magnat oder Edelmann ist in der
Sächsischen Nation von Abgaben frei, alle zahlen von Grund und
Boden, von ihrer Habschaft und allem, was sie haben. Sie tragen die
gemeinen Lasten gemeinschaftlich, stellen ihren Anteil an der Kriegsmannschaft.
Kein Einzelner darf die Gerechtigkeitspflege ausüben, nur gewählte
Communitäten, die sie vertreten und das ganze Volk vorstellen."
Er wies seine Kaiserin auf das Deutschtum ihrer Untertanen hin, die
sich "seit sie aus ihrem Vaterlande, den deutschen Provinzen, berufen
worden, niemals vermischt". Schließlich schilderte Brukenthal
der Kaiserin die drohende Gefahr: "Anstatt ein einzelnes bestimmtes
Individuum zu sein, würde er das Gemisch von vielen werden, und,
ohne die Tugend des Volkes, von dem er abstammt zu besitzen, würde
er seine Fehler und die Gebrechen aller an sich haben, mit denen er
vermengt sein würde" (Zitat nach: Gündisch, 1998, 121).
Mit seinen Reformen, die eigentlich einen modernen Einheitsstaat mit
einer zusammenwachsenden "natio austriaca" (österreichischen
Nation) gleichberechtigter Bürger schaffen wollte, hatte Kaiser
Josef II. (1780–1790) eine Lawine losgetreten, die dem Vielvölkerstaat
zum Verhängnis werden sollte: Er wandte sich "an meine Völker"
und wollte aus ihnen ein Volk machen; diese ordneten sich aber nicht
einer gemeinsamen Staatsidee unter, sondern entwickelten ein eigenes
Nationalbewusstsein. Der Nationalismus wurde zum beherrschenden Thema
der folgenden Jahrhunderte.
Josefs Maßnahmen, die den ständischen Partikularismus in
Siebenbürgen beseitigen wollten, trafen vor allem jenen der Siebenbürger
Sachsen. Überzeugt davon, dass die "Difficultäten zwischen
den Nationen nicht aufhören, wenn nicht alle Siebenbürger
werden" (Zitat nach: Gündisch, 1998, 124), setzte Josef das
Leopoldinische Diplom außer Kraft. Er löste die Sächsische
Nationsuniversität auf und öffnete mit dem Konzivilitätsreskript
Schleusen: Ungarn und Rumänen konnten sich nun auf Sachsenboden
niederlassen und wurden "in allen Rechten gleichgehalten",
Garantien für die Fortdauer einer Gruppe, die nur 10 % der Landesbevölkerung
ausmachte, wurden aber nicht gegeben. Josef II. widerrief zwar, wie
bekannt, seine "Revolution von oben", ihre Wirkungen konnten
jedoch nicht einfach rückgängig gemacht werden. Den Siebenbürger
Sachsen zeichneten sie die Zukunft vor: die Existenz als nationale Minderheit
unter dem Druck eines fremden Nationalismus – des ungarischen im 19.
und des rumänischen im 20. Jahrhundert. Sie waren nicht mehr eine
der drei tragenden Säulen der ständestaatlichen Verfassung,
ihre mittelalterlichen Privilegien waren auf Dauer nicht zu halten.
Ihre Existenzberechtigung leiteten sie zunehmend aus der Wirtschaftskraft,
aus einem wachsenden deutschen Selbstbewusstsein und vor allem aus kulturellen
Leistungen ab.
Auf Brukenthal und Josef II. sowie auf deren Zeit folgten die sogenannten
"stillen Jahre". Eine "sächsische Gewohnheitsaristokratie",
vom Metternichschen System gefördert, stellte sich einer geistigen
und wirtschaftlichen Erneuerung in den Weg. Erst im Vormärz lockerten
sich diese verkrusteten Strukturen. Sparkassen wurden gegründet,
die dem Kapitalmangel in Gewerbe und Handel abhelfen wollten. Landwirtschafts-
und Gewerbevereine ermöglichten die Einführung neuer Technologien.
Im wissenschaftlichen Bereich schuf der 1840 gegründete Verein
für siebenbürgische Landeskunde den Rahmen für intensivere
Forschungen. Er stand "jeder Nation und jedem Stand" offen
– ein Novum. Wie in ihrer damals entstandenen Volkshymne, die Siebenbürgen
als "Land des Segens" pries, um dessen Söhne sich
"der
Eintracht Band" schlingen solle, versuchten die Sachsen, sich in
einer nationalistisch geprägten Zeit als ausgleichendes Element
im nun ausbrechenden ungarisch-rumänischen Konflikt zu profilieren.
Übersicht
7.6 Selbstbehauptung im Zeitalter des Nationalismus
Während der Revolution von 1848/49 waren solche auf Ausgleich
pochende Stimmen nicht gefragt. Ihr profiliertester Wortführer,
der Pfarrer Stephan Ludwig Roth, wurde von ungarischen Revolutionären
hingerichtet, nicht zuletzt weil er darauf hingewirkt hatte, dass die
Sächsische Nationsuniversität am 3. April 1848 die volle Gleichberechtigung
der auf ihrem Gebiet wohnenden Rumänen beschloss.
Hauptthema war nun die Vereinigung Siebenbürgens mit dem von Habsburg
abgefallenen Ungarn des Revolutionsführers Lajos Kossuth. Ihr widersetzten
sich die Siebenbürger Sachsen und die Rumänen. Beide orientierten
sich nun auf ein Staatsvolk, das außerhalb der österreichischen
oder ungarischen Grenzen lag: Die Rumänen dachten an die Vereinigung
Siebenbürgens mit der Moldau und der Walachei zu einem rumänischen
Staat, die Sachsen aber, vor allem ihre Jugendlichen, schwärmten
für die Frankfurter Nationalversammlung. Ihr schrieben sie im Jahre
1848: "Alle Welt ist deutscher Kinder voll. Auch wir sind Sprösslinge
dieser Wurzeln. Geographisch getrennt und auf der Oberfläche des
Bodens ohne sichtbare Berührung mit dem Mutterlande leben wir doch
durch die Presse, durch die Universitäten, durch Wanderungen unserer
Gewerbsleute, durch Erinnerungen der Vergangenheit und Hoffnungen der
Zukunft mit und durch Deutschland ... Wir sind stark, wenn Deutschland
es ist ... Wir wollen sein und bleiben, was wir immer gewesen sind,
ein ehrlich deutsches Volk und auch ehrliche treue Bürger desjenigen
Staates, dem wir angehören" (Roth 7, 1964, 78–80).
Dieses Bekenntnis zum Deutschtum, verbunden mit dem Bekenntnis zu dem
Staat, in dem sie leben, beherrschte die nächsten hundert Jahre
der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte. Es half zunächst,
die Folgen des österreichisch-ungarischen Ausgleichs (1867) zu
tragen:
– die Eingliederung Siebenbürgens in den ungarischen Teil der
nunmehrigen Doppelmonarchie
– den weitgehenden Verlust der politischen Mitsprache und
– die plötzliche Realität, eine Minderheit zu sein, deren
Vertretung, die Nations-universität, 1876 aufgelöst wurde
– den wachsenden Magyarisierungsdruck
– die Enttäuschung über das habsburgische Herrscherhaus.
Das Bismarckreich von 1871 zog nunmehr die Sachsen in seinen Bann und
wurde von ihnen idealisiert.
An die Stelle der aufgelösten Nationsuniversität trat die
Volkskirche als Refugium der eigenen Identität. Ihr "Sachsenbischof"
wurde zur Integrationsfigur und anerkannten geistlichen wie weltlichen
Autorität. Kirchenführer wie die Bischöfe Georg Daniel
Teutsch (1817–1893) und sein Sohn Friedrich (1852–1933) schufen innerhalb
der Kirche Nischen, in denen der Magyarisierung widerstanden werden
konnte. Die evangelisch-lutherische Kirche wurde zur Kirche der Deutschen
in Siebenbürgen schlechthin: Hier wurde weiterhin deutsch gepredigt,
das konfessionelle und damit dem staatlichen Zugriff weitgehend entzogene
Schulwesen wurde ausgebaut, die deutsche Unterrichtssprache konnte beibehalten
werden. Als Ersatz für den verlorenen politischen Status boten
die beiden Teutschs mit ihrer vierbändigen "Geschichte der
Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk" einen
zum Teil verherrlichenden Rückblick auf die glorreiche Vergangenheit
und stärkten damit das Selbstbewusstsein ihrer Landsleute. Das
ausgeprägte Geschichtsbewusstsein, das die Siebenbürger Sachsen
bis heute kennzeichnet, geht auf ihr Wirken zurück. Im Unterschied
zu anderen Bevölkerungsgruppen aus Transleithanien, deren Elite
in der ungarischen Politik und Kultur aufging, widerstanden die Siebenbürger
Sachsen der Magyarisierung.
Übersicht
7.7 Als Minderheit im Königreich Rumänien
Als der österreichisch-ungarische Vielvölkerstaat als Folge
des Ersten Weltkrieges in mehrere Nationalstaaten zerfiel, wobei Siebenbürgen
dem altrumänischen Königreich angeschlossen wurde, fiel es
den Siebenbürger Sachsen nicht besonders schwer, dieser Entwicklung
zuzustimmen, zumal die Rumänen am 1. Dezember 1918 in Karlsburg
"die volle nationale Freiheit für die mitwohnenden Völker"
zugesagt hatten (Wagner, 1981; 265–266). Der Vertrag von Trianon (1920)
trug dieser Zustimmung Rechnung und sanktionierte die Vereinigung Siebenbürgens
mit Rumänien. Auch der Minderheitenschutz (Gleichberechtigung,
kirchliche und kulturelle Autonomie, politische Repräsentation,
Gebrauch der Muttersprache und eigenes Schulwesen) wurden vertraglich
abgesichert.
In der Praxis wurden diese Zusagen nie widerrufen, aber auch fast gar
nicht angewandt. Die neue Verfassung von 1923 beachtete sie kaum, die
Agrarreform traf vor allem die sächsischen Körperschaften:
Die Kirche verlor etwa 55 % ihres Grundbesitzes, die Gemeinden über
50 % der Gemeinerde, die Stiftung "Sächsische Nationsuniversität",
die nach 1876, nach der Auflösung der gleichnamigen Institution,
den sächsischen Gemeinbesitz verwaltet und die Erträge vorrangig
für das deutschsprachige Schulwesen zur Verfügung gestellt
hatte, verlor große Teile ihres Grundbesitzes. Schulgesetze bedrohten
das eigenständige Unterrichtswesen, kleinliche Schikanen der Behörden
gesellten sich dazu; die neue, vor allem aus dem rumänischen Altreich
rekrutierte und sich am französischen Zentralstaat orientierende
Führungsschicht brachte für die nationale Frage kein Verständnis
auf.
Die Politiker der rund 225.000 Siebenbürger Sachsen wirkten deshalb
für den Zusammenschluss mit den anderen deutschen Siedlergemeinschaften
des Landes (den Banater Schwaben, den Bukowina- und Bessarabiendeutschen
u.a., zusammen rund 745.000 Bürger) zum Verband der Deutschen in
Rumänien. Zugleich wurden sie in der internationalen Minderheitenbewegung
aktiv. Wesentliche Verbesserungen konnten jedoch nicht durchgesetzt
werden und die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre vergrößerte
die allgemeine Unzufriedenheit.
So konnten auch unter den im Grunde liberal-konservativ eingestellten
Siebenbürger Sachsen radikal-nationale Bewegungen Fuß fassen,
die nach 1933 zunehmend in den Sog der nationalsozialistischen Volkstumspolitik
Hitlers gerieten. Das wirkte sich verheerend aus. Der vermeintliche
nationale Höhenflug in der Zeit des Nationalsozialismus sollte
das Ende eines geschichtlich gewachsenen Eigenlebens einläuten.
Die Siebenbürger Sachsen wurden in eine Globalstrategie einbezogen,
die die "Deutsche Volksgruppe in Rumänien" als Hebel
benutzte, um das Land dem deutschen Einflussbereich einzuverleiben.
Dem "sächsischen" Selbstverständnis wurde "deutsches"
Sendungsbewusstsein aufgepfropft, die alte politische Klasse entmachtet,
gleichgeschaltet oder durch Personen ersetzt, die von reichsdeutschen
Parteistellen gelenkt wurden. Die Schulen wurden der kirchlichen Obhut
entzogen, die Kirchenführung ausgewechselt.
Der sogenannte Zweite Wiener Schiedsspruch, unter maßgeblicher
Beteiligung der deutschen Reichsregierung zustandegekommen, riss die
Siebenbürger Sachsen erstmals in ihrer Geschichte politisch auseinander:
Nordsiebenbürgen wurde Ungarn zugesprochen, Südsiebenbürgen
verblieb bei Rumänien. Immer offener mischte sich die deutsche
Reichsführung in die Angelegenheiten der Volksgruppe ein, bis hin
zu einem zwischenstaatlichen Abkomen mit Rumänien, das den Kriegsdienst
rumänischer Staatsbürger deutscher Herkunft in der Wehrmacht
bzw. in der Waffen-SS vorsah (1943). So kam es, dass die Siebenbürger
Sachsen während des Zweiten Weltkrieges in drei Heeren dienten,
die älteren Südsiebenbürger im rumänischen, die
jüngeren im deutschen, die älteren Nordsiebenbürger im
ungarischen, die jüngeren im deutschen. In allen drei wurden sie
Opfer eines sinnlosen und verbrecherischen Krieges, manchmal leider
auch Täter.
Das Ergebnis dieses Krieges ist bekannt. Am 23. August 1944 schloss
Rumänien im Angesicht der vormarschierenden Sowjetarmee einen Waffenstillstand
ab und erklärte kurz danach seinem bisherigen Verbündeten
den Krieg. In Nordsiebenbürgen erkannte der deutsche General Artur
Phleps, ein Siebenbürger Sachse, dass die Situation aussichtslos
und für seine Landsleute gefährlich war; er ordnete die Evakuierung
der Deutschen aus dem Nösnerland an. In Trecks zogen sie nach Österreich,
viele sind später nach Nordrhein-Westfalen übersiedelt, wo
sie heute noch leben. In Südsiebenbürgen konnte ein ähnlicher
Plan nicht mehr durchgeführt werden. Anfang September 1944 besetzten
sowjetische Truppen Hermannstadt.
Übersicht
7.8 Im kommunistischen Machtbereich
Unter dem Druck der sowjetischen Truppen erfolgte die stufenweise Machtübernahme
durch die Kommunisten in Rumänien. Im März 1945 wurde eine
kommunistische Regierung eingesetzt, im Dezember 1947 musste König
Michael von Hohenzollern das Land verlassen. Roter Terror überzog
das Land: Bürgerliche Politiker und Intellektuelle wurden interniert,
politische Parteien verboten, die Wirtschaft verstaatlicht, die konfessionellen
und privaten Schulen aufgelöst, die Sozialisierung der Landwirtschaft
eingeleitet.
Die Deutschen des Landes wurden – obwohl sie kaum Schuld am Kriegsgeschehen
traf – in eine Art nationale Sippenhaft genommen. Im Januar 1945 erfolgte
die Deportation der arbeitsfähigen Männer und Frauen zum Wiederaufbau
in die Sowjetunion, unter ihnen etwa 30.000 Siebenbürger Sachsen.
Sie wurden durch Hunger, Kälte und Seuchen dezimiert, etwa ein
Drittel starb eines elenden Todes; die Überlebenden schufteten
z. T. bis 1952 in den Kohlebecken Russlands, und der Rücktransport
eines guten Teils erfolgte nicht in die Heimat, sondern in die sowjetische
Besatzungszone Deutschlands. Die bereits Leidgeprüften wurden so
für Jahre und Jahrzehnte von ihren Familien getrennt.
In Siebenbürgen blieben die Sachsen jahrelang politisch rechtlos
und waren als "Hitleristen" der behördlichen Willkür
ausgesetzt. Durch die Agrarreform von 1945 wurden etwa 60.000 sächsische
Bauern enteignet. Sie mussten ihre Höfe verlassen, die ihnen erst
1956 – inzwischen völlig verwahrlost – zurückgegeben wurden.
In den Städten wurden nicht nur die Großbetriebe und Banken
verstaatlicht, sondern auch die kleinen Handwerker und Kaufleute enteignet,
ihre Häuser wechselten den Besitzer. Vom Genuss der 1945 zugesagten
Minderheitenrechte wurden sie ausdrücklich ausgeschlossen, auch
das Wahlrecht wurde ihnen aberkannt. Nur die in anderen Ländern
Osteuropas vorgenommene Vertreibung und Racheakte des Staatsvolks, mit
dem sie jahrhundertelang friedlich zusammengelebt hatten, blieben den
Siebembürger Sachsen erspart.
Die evangelische Kirche durfte fortbestehen; sie blieb in den schweren
Jahren der kommunistischen Diktatur die halbwegs intakte Einrichtung
der Siebenbürger Sachsen, ihr letztes Refugium. Ab 1949 wurden
auch die Maßnahmen gegen die Deutschen allmählich gelockert.
Staatliche deutsche Schulen, eine deutsche Zeitung, deutsches Theater
wurden zugelassen. 1956 wurde den Rumäniendeutschen der Minderheitenstatus
zuerkannt und die Bauernhäuser oder Wohnungen für den Eigenbedarf
(das heißt, nicht der gesamte Besitz) zurückerstattet.
Trotzdem erfolgte eine radikale Veränderung der sozioökonomischen
Schichtung: Bis 1945 waren etwa 85 % der Rumäniendeutschen als
Selbständige tätig, darunter 70 % als Bauern. Nach knapp einem
Jahrzehnt, 1956, wies die erste Volks- und Berufszählung im kommunistischen
Rumänien nur noch 22 % in der Landwirtschaft tätige Deutsche
aus, die nun in den neuen, unrentablen LPGs arbeiteten. Viele wurden
zu Industriearbeitern, unverhältnismäßig hoch ist die
Zahl deutscher Hochschulabsolventen. Viele nun besitzlose Eltern opferten
sich auf, um ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen. Doch auch
diese einzige Mitgift, die sie geben konnten, erwies sich als zwiespältig,
denn gerade Intellektuelle wurden im Kommunismus besonders verfolgt.
Ein Hinweis auf den Schriftstellerprozess oder auf die Verurteilung
deutscher Studenten Mitte der fünfziger Jahre kann das belegen.
Enteignung und Industrialisierung haben die Bindung an den heimatlichen
Boden zunehmend gelockert und das Verhältnis zum rumänischen
Staat nachhaltig zerrüttet, allerdings nicht jenes zum rumänischen
Volk, das sich in all den Jahren weitgehend tolerant und korrekt verhalten
hat. Versuche des kommunistischen Staates, wieder Vertrauen zu schaffen,
blieben fruchtlos. So gab Nicolae Ceausescu in seiner "Reformphase"
der sechziger Jahre frühere Fehler offen zu und ließ einen
Rat der Werktätigen deutscher Nationalität gründen, der
die Minderheit vertreten sollte. Die spätere Minderheitenpolitik
des Diktators bestätigte aber das Misstrauen, das man diesen Versuchen
entgegenbrachte. Er sprach bald offen davon, dass er eine einheitliche
rumänische, überdies sozialistische Nation zu schaffen gedenke.
Der Gebrauch deutscher Ortsnamen wurde verboten, die geschichtlichen
Leistungen weitgehend verschwiegen, wie ein Blick in die damaligen Geschichtslehrbücher
zeigt. Ein Gesetz über den Schutz nationalen Kulturguts proklamierte
ein Obereigentum des Staates über jeglichen Besitz, private Bücher
oder Möbel nicht ausgenommen. Die immer unerträglicher werdende
Diktatur mit ihrem Büttel- und Spitzelapparat verstärkte die
Sehnsucht nach Freiheit. Und auch das Streben nach wirtschaftlicher
Verwirklichung ist legitim.
All diese Faktoren erklären den Wunsch der meisten Siebenbürger
Sachsen, ihre Heimat zu verlassen. Zunächst ging es um die Zusammenführung
der im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit auseinandergerissenen
Familien. Wehrmachtsangehörige, die nach dem Krieg nicht mehr zurückkehren
konnten, in die Sowjetunion Deportierte, die in Frankfurt an der Oder
freigelassen wurden, suchten ihre Angehörigen. Sieht man von der
einmaligen Aktion des Roten Kreuzes im Jahr 1951 ab, dank der rund tausend
Rumäniendeutsche nach Deutschland gelangen konnten, erlaubte das
kommunistische Regime erst ab 1958 einer nennenswerten Anzahl Siebenbürger
Sachsen und Banater Schwaben die Ausreise. Sie zogen ihrerseits Angehörige
nach. Verwandtenbesuche – nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen
der Bundesrepublik und Rumänien möglich – verstärkten
die Sogwirkung.
Für die Familienzusammenführung entwickelte sich ein "geregeltes
Verfahren", in dem materielle Interessen des rumänischen Staates
eine nicht unbedeutende Rolle spielten. Eine Beschleunigung der Ausreise,
die aber immer noch mit vielerlei Schikanen verbunden war, brachte die
im Januar 1978 zwischen Bundeskanzler Schmidt und dem rumänischen
Diktator abgeschlossene Vereinbarung über die erweiterte Familienzusammenführung,
die jährlich etwa 11.000 Rumäniendeutschen die Aussiedlung
ermöglichte. Die Zahl der Anträge wuchs beständig, ungeachtet
der als erniedrigend empfundenen Festsetzung eines Entgelts für
die Ausbildungskosten des rumänischen Staates, die man als "Kopfgeld"
und "Sklavenhandel" bezeichnete.
Übersicht
7.9 Ausklang
Bis zum Umbruch in Rumänien im Dezember 1989 sind auf diese Weise
insgesamt 242.326 Deutsche aus Rumänien in die Bundesrepublik gekommen,
davon etwa die Hälfte Siebenbürger Sachsen. Schon während
der letzten Jahre vereinsamten die Zurückgebliebenen. Verwandte,
Freunde, Nachbarn fehlten, Kindergärten und Schulen mussten wegen
fehlender Schüler geschlossen werden. Nur noch 96.000 Siebenbürger
Sachsen erlebten in Rumänien den Sturz des Diktators. Als danach
die Grenzen geöffnet wurden, gab es kein Halten mehr. In kürzester
Zeit schrumpfte die Zahl der in der Heimat verbliebenen Sachsen auf
etwa 25.000. Die Zahlen der rumänischen Volkszählung von 1992
(rund 100.000 sind dort als Deutsche ausgewiesen) sind in diesem Zusammenhang
etwas trügerisch.
Die in Siebenbürgen verbliebenen Sachsen leben verstreut in Ortschaften
mit meist weniger als 20 evangelischen Gemeindemitgliedern. Zusammenhalt
bietet neben der Kirche das Ende 1989 gegründete Demokratische
Forum der Deutschen in Rumänien, das auch im neuen rumänischen
Parlament vertreten ist und – mit Unterstützung durch die deutsche
Regierung – zahlreiche Maßnahmen zur sogenannten Stabilisierung
der deutschen Bevölkerung des Landes in die Wege geleitet hat,
im wirtschaftlichem wie im kulturellen Bereich, besonders im deutschen
Schulwesen. Jedoch, die Jugend hat das Land weitgehend verlassen, aktiv
sind in Siebenbürgen die 55–70-jährigen. Die siebenbürgisch-sächsische
Gemeinschaft in ihrer jahrhundertlang auf- und ausgebauten Form geht
ihrem Ende entgegen. Ein Neuanfang in der Diaspora ist möglich.
Er wird von der rumänischen Regierung ebenso gewünscht wie
von den ungarischen Mitbürgern, die beide den Verlust dieses ausgleichend-vermittelnden
Elementes im siebenbürgischen Raum vermissen. Doch hängt der
Fortbestand, auch dieser kleinen Gruppe, vor allem von den allgemeinen
Rahmenbedingungen ab, nicht zuletzt von der politischen und wirtschaftlichen
Entwicklung Rumäniens.
Die Aussiedler streben in Deutschland nach Integration. Sie wollen,
wie sie es ausdrücken, als "Deutsche unter Deutschen"
leben. Die relativ gute Kenntnis der deutschen Sprache und die gute
Berufsausbildung ebnen ihnen diesen Weg, die eingangs angesprochenen
Identitätsfragen sind marginal. In kurzer Zeit werden sie zu –
oft recht erfolgreichen – deutschen Staatsbürgern. Die Sehnsucht
nach der alten Geborgenheit in einer vertrauten und übersichtlichen
Gemeinschaft führt die vornehmlich älteren Siebenbürger
Sachsen in landsmannschaftlichen, kulturellen oder Heimatortsvereinen
zusammen, die jüngeren passen sich im Alltag und in der Aussprache
schnell an und sind von ihren Mitbürgern nicht mehr zu unterscheiden.
Für sie ist bestenfalls das Interesse an der Herkunft, die Suche
nach den Wurzeln ein Bindeglied zur Heimat der Väter. Die Integration
erfolgt dabei im Wege der Identifikation mit der eigenen Vergangenheit,
wie das fortbestehende Interesse an Geschichte und Kultur des Herkunftsgebietes
zeigt, das sich in der Abnahme einschlägiger Geschichtswerke oder
in eigenen Schul- oder Hochschularbeiten mit siebenbürgischer Thematik
artikuliert. Ob auf diese Weise die Geschichte der Siebenbürger
Sachsen weitergeht? Sie wird wohl ein Kapitel im Buch der gesamtdeutschen
Geschichte bleiben, mit Stichworten wie "Wehrkirchen", "Städtewesen",
"Mittler zwischen Ost und West", "Vermittler zwischen
den Völkern und Kulturen Siebenbürgens", "Freiheitsliebe"
oder "gering an Zahl, nie Staatsvolk, trotzdem unter wechselnden
Regierungen über fast neun Jahrhunderte die Identität bewahrt".
Übersicht
7.10 Literatur
Die Donauschwaben. Deutsche Siedlung in Südosteuropa. Hg.: Innenministerium
Baden-Württemberg. Sigmaringen 21989.
Gündisch, Konrad, 1998: Siebenbürgen und die Siebenbürger
Sachsen. München.
Klein, Karl Kurt, 1971: Saxonica Septemcastrensia. Forschungen, Reden
und Aufsätze aus vier Jahrzehnten zur Geschichte der Deutschen
in Siebenbürgen. Marburg .
Roth, Harald, 1996: Kleine Geschichte Siebenbürgens. Köln,
Weimar, Wien.
Roth, Stephan Ludwig: Gesammelte Schriften und Briefe. Hg. Otto Folberth,
1927–1964, 7 Bände. Kronstadt. Berlin.
Teutsch, Georg Daniel und Friedrich, 31907–1925: Geschichte der Siebenbürger
Sachsen für das sächsische Volk, 4 Bände. Hermannstadt.
Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, 7 Bände.
Hg. Franz Zimmermann, Gustav Gündisch u. a., 1892–1991, Hermannstadt,
Bukarest.
Wagner, Ernst, (Hg.), 21981: Quellen zur Geschichte der Siebenbürger
Sachsen 1191–1975 . Köln, Wien.
Wagner, Ernst, 61990: Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Ein
Überblick. Thaur bei Innsbruck.
Zimmermann, Harald, 1996: Siebenbürgen und seine Hospites Theutonici.
Vorträge und Forschungen zur südostdeutschen Geschichte. Köln,
Weimar, Wien.
Übersicht
© 1999 Landesgruppe Baden Württemberg • Verband der Siebenbürger Sachsen
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