Ulrike Tontsch-Grunt: Neuansätze in der Krebsforschung

20. Mai 2000

Allgemeiner Bericht

Ulrike Tontsch, die Autorin des Artikels (siehe Siebenbürgische Zeitung Online, wurde am 8. November 1960 in Brenndorf geboren und wanderte 1964 mit ihren Eltern nach Österreich aus. In Salzburg besuchte sie das Gymnasium und studierte 1979-1985 Biologie und Erdwissenschaften an der Paris-London Universität.
Ihre Doktorarbeit zum Thema Isolierung, Kultivierung und Charakterisierung von Endolthelzellen des Gehirns, die sie am Institut für Molekularbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Salzburg verteidigte, wurde 1990 mit dem Christian-Doppler-Preis ausgezeichnet. Zwei Stipendien ermöglichten ihr weitere Forschungen auf den Gebieten der Neuroimmunologie (1990-1992 in Martinsried bei München) sowie der Multiplen Sklerose (1992-1993 in Bethesda, Maryland, USA). 1995 heiratete sie den Universitätsprofessor Thomas Grunt, der in der Krebsforschung arbeitet.

Seit März 1994 als Laborleiterin einer deutschen Pharmafirma in Wien im Bereich der Krebsforschung tätig, soll Dr. rer. nat. Ulrike Tontsch-Grunt mit ihrem Team Medikamente entwickeln, die die Blutversorgung von Tumoren verhindern und sie auf diese Weise "aushungern". Dazu hat die Siebenbürgerin folgenden Beitrag zu aktuellen Forschungen und Bemühungen, die heimtückische Krankheit durch Aushungern von Tumoren zu bekämpfen, verfasst.

Ein vielversprechender neuer Ansatz in der Krebsbehandlung ist die Anwendung einer Gruppe von Substanzen, den sogenannten Angiogeneseinhibitoren. Das sind Stoffe, die die Angiogenese, darunter versteht man das Auswachsen von neuen Blutgefäßen, verhindern. Wenn sich keine neuen Blutgefäße bilden, die den Tumor mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen, können Krebsgeschwülste nur bis etwa 1-2 mm3 groß werden, wobei es mehr oder weniger gleichgültig ist, welches Organ davon befallen ist. Durch das Blockieren der Entwicklung von neuen Blutgefäßen erhoffen sich die Wissenschaftler, den Tumor "aushungern" zu können und damit sowohl das Tumorwachstum als auch die Ausbreitung von Tochtergeschwülsten (Metastasen), die über das Blutgefäßsystem in andere Körperteile ausgeschwemmt werden, zu verhindern.

Im normalen Gewebe werden Blutgefäße während der Entwicklung gebildet. Beim gesunden Erwachsenen kommt es kaum zu Gefäßneubildung, abgesehen von Prozessen der Wundheilung und im weiblichen Reproduktionszyklus (Menstruation). Im Krebsgewebe hingegen kommt es zu einer explosionsartigen Vermehrung von Zellen der Blutgefäßwände (Endothelzellen) und somit zur Neubildung von Blutgefäßen. Während sie sich im gesunden Erwachsenen in einer Art Ruhezustand befinden und es kaum zu Zellteilung kommt, haben sie bei Bedarf - etwa im Fall des Tumorwachstums - bemerkenswerte Fähigkeiten, sich zu teilen und an die Stellen des erhöhten Bedarfs zu wandern. Allerdings handelt es sich bei diesen sich eifrig teilenden und vermehrenden Endothelzellen nicht um bösartige Krebszellen, sondern um nach wie vor gesunde Körperzellen.

Die Neubildung von Blutgefäßen ist im Normalfall sehr genau reguliert. Endothelzellen, die die Wand von existierenden kleinen Gefäßen, den sogenannten Kapillaren, bilden, werden im Falle von Tumoren jedoch zusätzlich aktiviert, schütten Substanzen (Enzyme) aus, die das umgebende Gewebe aufweichen, um ihnen den Weg freizumachen, und beginnen sich zu teilen. Letztlich ordnen sich diese Zellen wieder an und bilden ein neues Netz an Gefäßen, das die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des Tumors sichert. Dieser Prozess wird durch zahlreiche Faktoren gesteuert und hängt von der feinen Balance zwischen aktivierenden und auch hemmenden Faktoren ab, die die Gefäßneubildung kontrollieren.

Wenn der Tumor eine gewisse Größe erreicht hat (1-2 mm3), sendet er selbst Signale aus, die die Endothelzellen in der Umgebung zum Wachstum bringen. Dadurch wird der Tumor mit einem neuen Gefäßbett versorgt und sein weiteres Wachstum ermöglicht. Auch die Metastasierung (Ausbildung von Tochtergeschwülsten) hängt mit der Angiogenese zusammen. Nur ein ausreichend ausgebildetes Blutgefäßsystem erlaubt dem Tumor, seine Zellen in andere, teils weit entfernt liegende Organe auszuschwemmen. Es gilt als gesichert, dass Tumore mit hoher Gefäßdichte auch mit höherer Wahrscheinlichkeit metastasieren als Tumore, die schlecht durchblutet sind. Für zahlreiche Tumore ist die hohe Gefäßdichte daher auch mit einem schlechteren Krankheitsverlauf verknüpft.

Somit erscheint das Konzept, die Gefäßversorgung des Tumors zu unterbinden, ein interessanter Ansatz in der Krebstherapie. Während die klassische Chemotherapie auf alle sich teilenden Zellen wirkt und daher oft sehr unangenehme Nebenwirkungen wie Fieber, Übelkeit, Haarausfall oder Schädigung des Knochenmarks mit sich bringt, wirkt die neue Therapie idealerweise nur auf Endothelzellen und sollte somit kaum Nebenwirkungen mit sich bringen. Ein weiteres großes Problem der Chemotherapie ist die Entwicklung von Resistenzen. Das bedeutet, dass Tumorzellen, die genetisch sehr unstabil sind und sich sehr leicht verändern können, im Laufe der Zeit auf die entsprechenden Medikamente nicht mehr ansprechen.

Bei der Angiogeneseinhibition (Anti-Angiogenese Therapie) ist das nicht der Fall, da hier die Zielzelle die normale Endothelzelle ist.

Die Suche nach geeigneten Hemm-Substanzen erfolgt "in vitro" (im Reagenzglas). An humanen Endothelzellkulturen, die aus Nabelschnurvenen, die ja ohnehin bei der Geburt anfallen, isoliert werden, wird getestet, welche Substanzen das Wachstum dieser Zellen hemmen. Um eine möglichst große Anzahl von Substanzen testen zu können (zigtausende) werden auch roboterunterstützte Methoden verwendet. Wirksame Substanzen müssen letztendlich auch im Tierversuch auf ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit getestet werden. Erst wenn eine strenge Liste von Auflagen erfüllt ist, darf eine entsprechende Substanz in klinischen Studien auch am Menschen erprobt werden. Bis eine Substanz allerdings so weit kommt, dauert es Jahre, und von tausenden Substanzen bleibt nur die eine oder andere übrig, die wirklich zur klinischen Erprobung angemeldet wird. Zurzeit werden weltweit etwa 20 "Angiogeneseinhibitoren" in klinischen Studien getestet, ein Prozess, der ebenfalls einige Jahre dauert. Besonders Erfolg versprechend scheint eine Kombinationstherapie von bisher angewandten Standardbehandlungen wie Chirurgie, Chemotherapie und Strahlentherapie mit dem neuen Konzept der Angiogenesehemmung.

Es wäre unverantwortlich, zu große Hoffnungen zu erwecken, dass Krebs bald geheilt werden könne. Die bisher vorliegenden Tierexperimente sind allerdings sehr ermutigend. Es wird sicherlich noch Jahre dauern, bis geeignete Medikamente auf dem Markt sind. Wie attraktiv aber das neue Konzept erachtet wird, zeigt sich auch daran, dass sich zurzeit fast alle größeren Pharmafirmen damit beschäftigen - hoffentlich bald zum Wohl krebskranker Menschen.

Dr. Ulrike Tontsch-Grunt

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