Nikolausabend

Mutter hat gesagt, sie geht in den Keller sie soll Grünzeug versorgen. Vater hat die Lampe aus der Mitte des Zimmers zur Betttruhe hinübergezogen, die links an der Wand steht u. bastelt dort etwas. Wir Kinder stehen um ihn herum und sehen zu. Auf einmal klopft es an die Tür und herein kommt: der Nikolaus. Er hat einen langen Mantel, einen langen weißen Bart und auf dem Kopf eine Pelzkappe. Auf dem Rücken trägt er einen Sack u. in der Hand hat er eine Rute. Was er mit uns gesprochen hat, weiß ich nicht mehr, sicher aber wollte er wissen, ob wir brav sind und wollte unsere Verschen hören. Zuletzt leert er seinen Sack aus: Äpfel, Nüsse u. Honigkuchen kollern über den Boden und wir sammeln eifrig auf. Mutter kommt herein. Wir können ihr nicht genug über den Nikolaus erzählen und bedauern, dass sie ihn nicht auch gesehen hat. Viel, viel später kamen wir erst drauf, dass unsere Mutter der Nikolaus gewesen war u. dass Vater die Lampe aus der Mitte des Zimmers an die Wand gezogen hatte, damit es nicht so hell sei, wir sollten nicht erkennen wer der Nikolaus war. " ...... und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen." Unsere Mutter hat früh geheiratet. Mit 27 Jahren hatte sie schon 5 Kinder: Hans u. Emmi waren im Haus des Urgroßvaters Mathias auf dem Markt geboren, Frieda im Elternhaus unserer Mutter, Gräfengasse Nr.100 Erna und Rick in der Hintergasse in der Spinnmeisterwohnung. Es hat vielleicht eine Tante bei einem Besuch, angesichts der vielen kleinen Kinder u. in Gedanken an die viele Arbeit, die eine solche Kinderschar mit sich bringt, sich zu Mutter geäußert: "Wenn deine drei Mädchen einmal groß sind, dann werden sie alle Arbeit machen " Dieses muss ich aufgeschnappt haben, jedenfalls stellte ich mir vor, wie unsere Mutter in der "Kammer " auf dem Diwan sitzt und du wirst auf dem Diwan ruhen." Wie wir alle Arbeit für sie machen. In der Neugasse kamen zu den fünf Kindern noch zwei dazu: Mick und Will. Aus „Auf dem Diwan sitzen“, war aber noch lange nicht zu denken. Es kam auch später nicht dazu, als wir alle erwachsen waren. Mutter hat es auch nicht ersehnt. Sie hat viel gearbeitet in ihrem Leben, manchmal lastete im Übermaß an Arbeit auf ihr. Sie hat aber immer gerne gearbeitet und hat oft gesagt: Die Arbeit gehört zum Schönsten im Leben. Wohl dem, der arbeiten kann u. Freude an der Arbeit hat. Als sie fast 80 Jahre alt war, hat unser Herrgott ihr die schwereren Arbeiten durch eine Lähmung aus der Hand genommen und sie musste Feierabend machen. Leichte Feierabendarbeit aber hat sie bis zu ihrem Ende noch gerne gemacht. "Unser Leben währet 70 Jahre, u. wenn’s hochkommt, so sind’s achtzig Jahre u. wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe u. Arbeit gewesen“.

Emma Gündisch (1901-1992) Langasse 277

Ausschnitt aus:
Aus unserem Elternhause
Kindheitserinnerungen
Meinen lieben Geschwister zu Christtag 1969

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