Erinnerungen an Schlatt


Erinnerungen an Schlatt

Es war im Jahr 1953, als ich, die frischgebackene Junglehrerin Rosel Scheiner, meine erste Stelle als Lehrerin in Schlatt begann. Vom Schulamt Agnetheln hatte ich, nach abgeschlossener Ausbildung an der Pädagogischen Schule Schäßburg, die Zuteilung an die deutsche Abteilung der Grundschule Schlatt erhalten.

Mein Vorgängerin, Frau Schlosser, eine ältere Lehrerin, die mehrere Jahre in Schlatt unterrichtet hatte, war nach Scharosch, ihrem Geburtsort, versetzt worden, so war die Lehrerstelle vakant.

Das Schuljahr begann im September 1953. Nachdem die Schüleranzahl gering war, unterrichtete ich im Simultanunterreicht, drei Klassen in einem Raum. Jede Unterrichtsstunde wurde sozusagen in drei geteilt, so dass jede Klasse 15 Minuten Direktunterricht hatte, die anderen beiden Jahrgänge hatten stille Beschäftigung, wobei der Stoff vertieft und gefestigt wurde. Die Musik- und Sportstunden gestaltete ich meist gemeinsam. Im ersten Jahr unterrichtete ich 12 Schüler in drei Klassen, aber die Zahl nahm in den nächsten Jahren ab, so dass die deutsche Abteilung 1956 aufgelöst wurde. Diese drei ersten Jahre meines Berufes als Lehrerin werde ich nicht vergessen, weil sie sehr schön waren und ich vielseitige Erfahrungen sammeln konnte. Es war damals üblich, dass wir am Schuljahresende mit allen Kindern zu Fuß über den Berg nach Magerei gingen, um dort gemeinsam mit den Schülern der dortigen deutschen Vierklassenschule Prüfung abzulegen. Hier unterrichtete Lehrer Buchholzer, er kann ungefähr 50-jährig gewesen sein.

In den drei Jahren als Lehrerin in Schlatt wurde ich zweimal inspiziert. Einmal besuchte meinen Unterricht Hans Schneider, Rektor an der deutschen Schule in Martinsdorf, ein andermal kam Schulinspektor Martin Potoradi aus Agnetheln, damals ahnte ich noch nicht, dass er später mein Mann wurde.

Der Schulunterricht wurde in der Staatsschule abgehalten, die im Zentrum des Ortes stand. Es war ein einstöckiges ansehnliches Gebäude, im Parterre befanden sich die Klassenräume und im ersten Stock wohnte damals die rumänische Lehrerin, Maricica Sandu, die auch gleichzeitig Direktorin war. Auch sie war die einzige rumänische Lehrerin und erteilte ebenfalls Simultanunterricht.

Im Ortskern erhob sich auf einem Hügel die evangelische Kirche, von Grünflächen und schattigen Bäumen umgeben. Daneben war das kleine, alte Gebäude der ehemaligen deutschen Schule, das zu der Zeit nur noch als Proberaum für Chor und Theater genutzt wurde. Auf dem schönen Platz zwischen Kirche und alter Schule organisierten wir oft Außenspiele mit den Schulkindern und den Sportunterricht.

Oft unternahmen wir Wanderungen durch Wald und Flur in die Umgebung, wobei viel gesungen und gespielt wurde. Einmal ging‘s sogar für drei Tage nach Hermannstadt, war für die Schüler ein unvergessliches Erlebnis war. Bis zum Bahnhof Benesti (6 km) gingen wir zu Fuß. Dort angekommen riefen die Kinder erstaunt: „Jo, jo, die Schinnen!“ (Oh, sieh die Schienen!) Ein Zeichen dafür, dass sie noch nie auf der kleinen Haltestelle gewesen waren, noch nie die Gleise der Schmalspurbahn (auch Wusch genannt) gesehen hatten, die von Hermannstadt über Agnetheln nach Schäßburg und zurück fuhr.

Diese Fahrt nach Hermannstadt war für die Kinder ein großes Abenteuer, ebenso die Stadtbesichtigung, die Fahrt mit der Straßenbahn in den „Jungen Wald“, der Zoo, die Fischteiche, alles war unbeschreiblich schön.

Viele gute Erinnerungen habe ich auch an die reiche Kulturarbeit mit der Jugend und den Jungverheirateten. Diese Arbeit empfand ich nicht als Pflicht, sondern als Freude. Die Dorfbewohner waren sehr glücklich darüber, dass ich einen Chor, eine Theater- und Tanzgruppe gründete, Formationen, mit denen wir in Schlatt und gelegentlich vieler Ausfahren in die umliegenden Dörfer, die siebenbürgisch-sächsischen Traditionen pflegten und viel Freude bereiten konnten.

Die Schlattner waren sehr musikalisch und so konnte ich mit dem gemischten Chor drei- und vierstimmige Lieder einstudieren: z. B. „Lass doch der Jugend ihren Lauf“, „Ich trag ein goldenes Ringelein“, „Es wollt ein Jägerlein jagen“, „Bäm alden Kirschbum“, „Der Owend kit erun“ und viele andere. Natürlich sangen wir auch rumänische Lieder und erzielten im Rahmen der Sängerfeste „Cantarea Romaniei“ Erfolge.

Mit der Theatergruppe führten wir die Mundartstücke: „Am zwin Kretzer“ von Anna Schuller-Schullerus, „Bäm Brännchen“ von Grete Lienert-Zultner, „Der Gezkruogen“ von Karl Gustav Reich, „Der Dani Misch wid härresch“ von Otto Reich und andere auf. Sehr schön waren die Theaterausfahrten nach Alzen, Leschkirsch, Martinsdorf und Reichesdorf, die sehr gut besucht waren. Auf Pferdewagen fuhren wir, bepackt mit Kulissen und anderen Requisiten über holprige Wege zu unseren Aufführungen und hatten dabei viele lustige Erlebnisse.

Unvergesslich sind für mich diese drei wunderschönen Jahre in dem kleinen Dorf Schlatt im Harbachtal, denn ich habe dort liebenswürdige, gastfreundliche Menschen kennen gelernt, und die Freundschaft mit vielen besteht bis heute, das spüre ich bei jedem Heimattreffen, und es tut gut.

Rosel Potoradi, geb. Scheiner

Rosel Potoradi, geb. Scheiner

Zur Verfügung gestellt von Rosel Potoradi im Juni 2010

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