23. August 2003

Mundarterhaltung ist primär soziokulturelles Problem

Zum Artikel "Kann Mundartpflege aus der aktuellen Situation einer Kleinsprache lernen? Rätoromanisch als Modell" von Hans-Gert Kessler, Siebenbürgische Zeitung, Folge 8 vom 15. Mai 2003, Seite 8.
So sehr dem Bedauern von Herrn Kessler über den Verlust kultureller Vielfalt durch zunehmendes Verdrängen von Mundarten und Kleinsprachen beizupflichten ist, bei seinen Schlussfolgerungen bezüglich des Siebenbürgisch-Sächsischen sind gleichwohl einige Zweifel angebracht.
Das ins Auge gefasste Rätoromanische ist aus mehreren Gründen als "Modell" ungeeignet. Zum einen darf nicht übersehen werden, dass es sich bei den Rätoromanen um eine autochthone Sprach- und Volksgruppe handelt, die in der multiethnischen und auf föderale Kleineinheiten wohlwollend Rücksicht nehmenden Eidgenossenschaft für ihr Einheitsidiom die Anerkennung als Landes- und Amtssprache erwirkt hat. Erst nach längeren, auch politischen Auseinandersetzungen um die so genannte "questione ladina" hat sich das Bündnerromanische als autonome sprachliche Einheit durchgesetzt und damit die Verfechter der Dialekttheorie ins Abseits gestellt. Andererseits ist es um die Zukunft der rätoromanischen Zweige in Italien (Ladinisch und Friaulisch) nicht gar so gut bestellt! Auch ist in der Schweiz - zum Unterschied von anderen Ländern - eine gegenläufige Entwicklung dahingehend festzustellen, dass die Dialekte des Schwyzerdütsch Domänen zurückgewinnen, die bereits von der Standardsprache besetzt waren.

Wenn Hans-Gert Kessler unser Sächsisch durch "das Deutsche" bedroht sieht, meint er vermutlich das zuungunsten der Mundart prekäre Diglossie-Verhältnis, also das Verhältnis der sich in klarer funktionaler Trennung gegenüberstehenden Sprachvarietäten Hochsprache und Dialekt. Andernfalls könnte man aus dieser Äußerung die Tendenz herauslesen, dem Siebenbürgisch-Sächsischen seinen Charakter als deutsche Mundart abzusprechen und ihm sprachtypologisch Eigenständigkeit zuzuweisen. Damit kämen wir jedoch eher in die Nähe des luxemburgischen "Modells", ist doch das Letzebuergesche (seit 1984 eine von drei offiziellen Sprachen Luxemburgs) lange Zeit als moselfränkischer Dialekt eingeordnet worden!

Abgesehen von diesem theoretischen Konstrukt wäre zu bedenken, dass bei unseren Mundarten erschwerend die sprachliche Distanz zur Hochsprache hinzukommt, so dass es dazwischen keine abstufenden Variationsmöglichkeiten gibt, wie etwa bei der binnensprachlichen Diglossie, vor allem im süddeutsch-österreichischen Raum.

Auch stellt sich ja das Problem der Triglossie für die Generation der in Deutschland Geborenen oder Aufgewachsenen, d.h. ein etwa im Landkreis Heilbronn zur Schule gehendes Kind müsste außer der Schriftsprache und dem südfränkischen Dialekt auch noch die siebenbürgisch-sächsische Verkehrsmundart beherrschen, und zwar als aktiver Sprecher, um diese weitergeben zu können.
Wie man aus der Soziolinguistik weiß, gibt es eine Interdependenz zwischen Identitätsbewusstsein und Sprachverwendung, oder andersherum, der öffentliche Mundartgebrauch hat sehr viel zu tun mit individuellem und kollektivem Selbstbewusstsein. Anhand zweier Diplomarbeiten über den Mundartgebrauch der Landsleute in Deutschland bzw. in Österreich ließ sich empirisch nachweisen, dass es mit diesem in der Öffentlichkeit nicht weit her ist - aus unterschiedlichen Motiven, auf die gesondert eingegangen werden müsste.

Zu jeder Sprachverwendung, die zunächst als fremdartig von der Bevölkerungsmehrheit empfunden wird, gehört naturgemäß auch der Wille und der Mut zur (sprachlichen) Abgrenzung - man nehme z.B. das Phänomen der Landler her, einer Kleingruppe, die auch nach über 250 Jahren engen und nicht immer konfliktfreien Zusammenlebens mit den Sachsen ihre altösterreichische Mundart bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Der Sprachforscher Klaus J. Mattheier spricht gelegentlich auch von "ethnokultureller Vitalität".

Es ist im Übrigen keine neuzeitliche Erscheinung, dass man sich als Zugewanderter mit der Vermittlung seiner landsmannschaftlichen Zugehörigkeit schwertut. Bereits im Jahre 1857 beklagte sich Michael Albert in einem Brief aus Jena bei seinem Vetter: "Bis du dich als stammverwandten Deutschen emanzipierst, kostet es dich die schockschwere Not; es hält dich alle Welt für einen Ungarn."

Die von Herrn Kessler geforderte Erstellung eines Sprachführers dürfte für unsere bewährten Germanistinnen in Hermannstadt und Gundelsheim kein so großes Problem sein - allein die damit verbundenen Erwartungen sollten meines Erachtens nicht allzu hoch angesetzt werden, da die Mundarterhaltung unter den gegebenen Umständen nicht so sehr ein sprachlich-didaktisches, als vielmehr und primär ein soziokulturelles Problem darstellt.

Walter Schuller, Traun (Österreich)

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