12. November 2003

Antisemitismus - nicht nur ein Wort

Vor kurzem fand im Rumänischen Kulturinstitut "Titu Maiorescu" in Berlin erstmals ein offenes Podiumsgespräch zum hochaktuellen Thema " Antisemitismus - auch in der siebenbürgisch-deutschen Literatur und Kunst? " statt. Zwei Referenten beteiligten sich daran: der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Axel Azzola sowie der Ethnologe und Schriftsteller Dr. Claus Stephani.
Moderiert wurde das Gespräch und der anschließende Dialog mit dem zahlreich erschienenen Publikum vom Dipl.-Soziologen Johann Schöpf, Vorsitzender der Landesgruppe Berlin der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen.

Als Veranstalter der Begegnung hatten sich vier Institutionen und Vereine zusammengefunden: die siebenbürgische Landesgruppe Berlin, die Deutsch-Rumänische Gesellschaft e.V., zu deren 1. Vorsitzenden vor einigen Monaten Prof. Azzola gewählt wurde, das rumänische Kulturinstitut in Berlin als Gastgeber und die Kommission für Ostjüdische Volkskunde in der DGV e.V., als deren Vorsitzender seit 1992 Dr. Claus Stephani tätig ist. Mit dem Podiumsgespräch wolle man „eine offene Diskussion einleiten über eine bisher noch wenig bekannte Thematik“, sagte die neue Institutsleiterin, die bekannte Kunstkritikerin und Kulturwissenschaftlerin Adriana Popescu in ihrer Eröffnungsansprache. Die Räumlichkeiten des Kulturinstituts werden auch weiterhin siebenbürgischen bzw. rumäniendeutschen Vorträgen und Ausstellungen zur Verfügung stehen, betonte Popescu.

Als Ausgangspunkt seiner Stellungnahme zum Thema des Abends las Prof. Azzola einen fiktiven Antwortbrief vor, den er im Namen Alfred Margul-Sperbers an Erwin Wittstock verfasst hatte. Angeregt dazu wurde er durch einen Aufsatz Joachim Wittstocks in der Hermannstädter Zeitschrift „Zugänge“ (Folge 28-29/2002), wo ein Brief seines Vaters (Erwin Wittstock) an Sperber (1952) zitiert wurde, auf den der Absender jedoch damals keine Antwort erhalten habe. Die von Prof. Azzola angekündigten „antisemitischen Akzente“ in Erwin Wittstocks Brief waren anhand der gebrachten Zitate allerdings nicht erkennbar. Erwin Wittstocks Brief umfasst 80 Seiten, und der Referent stützte sich nur auf einige, ihm zugängliche Auszüge.

Ebenfalls mit einem Brief, jedoch inhaltsreich und schwerwiegend, eröffnete Dr. Stephani seinen Diskussionsbeitrag. Er zitierte aus einem Schreiben, das Heinrich Zillich am 17. Juli 1936 an Alfred Margul-Sperber gerichtet hatte und aus einem Aufsatz Zillichs über das Verhältnis von Deutschen und Juden. Der zweite Text, zunächst als Brief gedacht, war bereits am 8. Mai 1932 an Sperber abgeschickt worden, uferte dann aber zu einem Hetzartikel aus. Beide Texte seien aus heutiger Sicht durch ihre „antisemitischen Vorbehalte und Deutungsweisen“ erschütternde schriftliche Zeugen nationalsozialistischer Denkart, betonte Stephani. Die Dokumente wurden 1993 im Band „In der Sprache der Mörder“ (Literaturhaus, Berlin) der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die anschließend von Dr. Stephani vorgelegten Belege fußten unter anderen auf Hinweisen und Veröffentlichungen der siebenbürgischen Literaturwissenschaftler Dr. Stefan Sienerth und Dr. Peter Motzan sowie des siebenbürgischen Historikers und Publizisten Klaus Popa und des banatdeutschen Schriftstellers Hans Wolfram Hockl, der um 1975 bei Nazi-Treffen Tonbandaufnahmen gemacht und diese in drei Bänden herausgebracht hatte. Der Bogen der Dokumentation war weit gespannt und reichte von einem Ölgemälde von Hans Eder („Volksdeutscher Offizier in der Waffen-SS“, als Farbreproduktion im „Jahrbuch der DVR“, 1944) bis zu antisemitischen und faschistoiden Äußerungen einiger siebenbürgischer Zeitgenossen, die in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht wurden.

Unter den Zuhörern befanden sich Künstler, Publizisten und andere Persönlichkeiten wie Harald Berwanger, Referent der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, und die Kulturmanagerin Eva Nickel von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. „Das Eis ist gebrochen, Antisemitismus ist nicht nur ein Wort, die Diskussion kann beginnen“, meinte ein Teilnehmer der älteren Generation, Ernst Lehnert, beim anschließenden Empfang und fasste so spontan das zusammen, was die meisten Redner vor ihm gesagt hatten.

Maja Wassermann


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 18 vom 15. November 2003, Seite 10)

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