18. Oktober 2004

Geschichte einer Flucht

Im evangelischen Gemeindehaus in Drabenderhöhe ist es mucksmäuschenstill: Die 45 Zuschauer lauschen gespannt. Handball-Legende Hansi Schmidt, einen Steinwurf weit von Drabenderhöhe zu Hause, kann erzählen. Der ehemalige Nationalspieler schildert wie er sich im Dezember 1963 in Köln von der rumänischen Studentenauswahl absetzte.
Hansi, seine Mannschaftskollegen Gheorghe Gruia und Valentin Samungi sind aus dem Trainingslager der Nationalmannschaft für dieses Turnier als Verstärkung geholt worden. Jetzt sitzen sie in der Gaststätte des Kölner Schlachthofs. Nach Mitternacht sollen die drei Nationalspieler mit Johnny Kunst Richtung Bukarest starten, der Rest der Mannschaft aber noch bleiben. Nationaltrainer Johnny Kunst hat das Separee der Gaststätte für die rumänische Mannschaft ausgesucht. Die anderen Mannschaften sitzen draußen. Durch den Separee-Eingang hat er auch den Ausgang der Gaststätte im Blick. Hansi muss ständig den Raum verlassen, um Brotnachschub zu holen. An der Theke, die aus dem Raum nicht zu sehen ist, steht Wieland Lassotta, der Torwart des TuS Bocklemünd-Köln. Hansi fragt ihn, ob er ihn etwas später wegfahren kann. Der nickt.

Die Mannschaft braucht kein Brot mehr, aber Samungi ein Ersatzteil für ein Tonbandgerät. Hansi ist wieder gefragt. Er geht zum letzten Mal aus dem Separee. Lassotta fährt ins Hotel der rumänischen Mannschaft, Hansi holt seine Sachen, dann geht es in ein anderes Hotel, wo Hansi den nächsten Tag abwartet. Die kommende Nacht verbringt er bei einem jungen Ehepaar. Dann holt ihn ein Hamburger ab. Nach drei Wochen Hamburg fährt ihn ein Spieler, den er bei der Studenten-Weltmeisterschaft kennen gelernt hat, nach Gummersbach. Silvester feiert er bei VfL-Obmann Eugen Haas. Mit ihm fährt Hansi im neuen Jahr nach Hamburg seine Sachen abholen. Der erste Schritt, eine neue Heimat im Land der Grafen von Berg zu finden, ist getan.

Aber nicht nur über Hansi Schmidt erfahren die Zuhörer Interessantes. Der Journalist Johann Steiner ging in seinem Bericht auf die Geschichte des Handballspiels ein. Er hat sich mit diesem Kapitel deutscher Kultur in Rumänien beschäftigt und ein Buch herausgebracht. Handball wird in Siebenbürgen seit 1921 gespielt, erfahren die Zuhörer. Der Sachse Wilhelm Binder trug die Regeln von Berlin nach Hermannstadt und läutete den Siegeszug des Handballs in Rumänien ein.

Musik umrahmt Hansi Schmidts Anekdoten und den Vortrag Johann Steiners. Die „Schlager“ aus Opern kommen ebenso gut an wie das, was der viermalige Europapokalsieger und siebenfache deutsche Handballmeister erzählt. Die Sopranistin Ulrike Steiner interpretiert mit Bravour Arien von Händel, Mozart und Rossini, begleitet von Fabian Leinen am Klavier. Das Publikum spendet viel Beifall, und Enni Janesch, Vorsitzende der Kreisgruppe Drabenderhöhe der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, spricht als Veranstalterin von einem äußerst gelungenen Abend. Das Motto habe nicht zu viel versprochen: „Musik und Sportgeschichten“ vertragen sich sehr gut.

Waltraud Schmitz


Das 234 Seiten starke, reich bebilderte Buch „Handball-Geschichte(n). Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben ebnen Rumänien den Weg zum Gewinn von sieben Weltmeistertiteln“ kann zum Preis von 14,90 Euro, zuzüglich 2,10 Euro Versand, beim Autor bestellt werden: Johann Steiner, Telefon: (0 22 46) 21 66, E-Mail: johasteiner@web.de.

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