29. Juli 2002

Geschichten rund um den Handball in Siebenbürgen (XI)

Die Prophezeiung des Tschanader Wirts wird wahr / Hans-Günther Schmidts Weg führt von Marienfeld über Stiința Temeswar und Steaua in die Freiheit / Flucht auf der zweiten Deutschland-Tournee / In Abwesenheit zum Tode verurteilt
Der zur Handball-Legende gewordene Hans-Günther Schmidt hält nicht viel vom Hellsehen. Doch an eine Prophezeiung erinnert er sich immer wieder, denn sie ist wahr geworden. Der aus Lenauheim stammende Lehrer Nikolaus Schreyer erkennt das Talent des am 24. September 1942 in Marienfeld geborenen Hansi. Mit elf darf er in der zweiten Marienfelder Mannschaft spielen. In einem Spiel im Nachbarort Tschanad unterliegen Hansi und seine Mannschaftskameraden der ersten Mannschaft des Gegners 1:17. Dieses Spiel hat Hansi nie vergessen, nicht nur wegen der Niederlage und weil er kein Tor erzielte, sondern vor allem wegen der Prophezeiung des Tschanader Wirts nach dem Spiel: „Kind, aus dir wird einmal ein großer Spieler“.
Hans-Günther Schmidt in der Klosterstraße in Derschlag im Bergischen Land. Foto: Johann Steiner
Hans-Günther Schmidt in der Klosterstraße in Derschlag im Bergischen Land. Foto: Johann Steiner

„Diese Aussage des Unbekannten hat mich in meinem Vorhaben immer wieder bestärkt“, sagt Schmidt heute. Mit zwölf steigt Hansi in die erste Marienfelder Mannschaft auf und spielt neben Sepp Berger, der damals 32 ist.

Auf dem Gymnasium im ehemaligen Kloster in der Temeswarer Josefstadt bekommt Schmidt neue Impulse vom Sportlehrer und Handballtrainer Adam Fischer. Eigentlich will er Leichtathlet werden. Er wird Schülerlandesmeister im Kugelstoßen. Professor Iovanescu prophezeit, Hansi werde der erste Mann sein, der den Speer über 80 Meter wirft. Doch daraus wird nichts. Hansi kugelt sich beim Handballspiel die Schulter aus. Das Kapitel Leichtathletik ist damit beendet. Die Verletzung zwingt ihn, den linken Arm zu trainieren und anschließend mit Rechts eine neue Wurftechnik zu entwickeln: Es entsteht der verzögerte Sprungwurf, den ihm wenige Spieler in dieser Perfektion nachmachen können. Hansi erinnert sich noch gern an ein Spiel, in dem er 16 Tore erzielte, davon vier mit Links.

Mit 17 wechselt Hansi zum Erstligisten Stiința in Temeswar. Seine Erfolge, sagt Hansi, habe er in erster Linie seinen Trainern zu verdanken. Er nennt neben Fischer den Temeswarer Constantin Lache sowie die Bukarester Eugen Trofin, Oprea Vlase und J. Kunst, dessen Lieblingsschüler er war. Von Kunst, dem rumänischen Handballpapst, sagt Hansi: „Er war sehr intelligent, ein guter Trainer, aber ein großer Selbstdarsteller, der allerdings auch etwas zu verkaufen hatte“.

Kunst, der auch Chef des Handballkatheders am Bukarester Sportinstitut ist, holt Hansi zu Steaua. Dafür lässt er sich etwas einfallen: Unter vier Augen rät er dem Banater Schwaben, ein Gesuch an den Verteidigungsminister zu richten, mit der Bitte, für Steaua spielen, aber weiter studieren zu dürfen. Kunst beschwört Hansi jedoch, um Gottes Willen niemandem zu sagen, dass er ihm diesen Rat gegeben hat, sonst verliere er all seine Posten. „Diesen Rat habe ich befolgt.“, sagt Hansi, „Heute darf ich das Geheimnis lüften, denn der geniale Trainer lebt nicht mehr.“

Zwischen Stiința und Steaua kommt es zum Tauziehen um Hansi. Der Sieger heißt Steaua: Hansi ist der erste Zeitsoldat in Rumänien, der gleichzeitig studieren darf. Den Wechsel von Stiința Bukarest zum Lokalrivalen Steaua strebt er an, da dieser Klub ihm die Möglichkeit eröffnet, auch international zu spielen. Sein Ziel: Raus aus diesem Land, hinaus in die Freiheit! Dieser Gedanke beschäftigt ihn bereits seit seiner Kindheit. Ein prägendes und erschütterndes Ereignis, das der damals knapp Neunjährige niemals vergessen wird, ist die Verschleppung seiner Großmutter in die Donautiefebene 1951. In der Zeit bei Steaua folgen zwei weitere Erlebnisse, die ihn nur in seiner Absicht durchzubrennen bestärken: Als seine Schwester heiratet, darf er nicht zur Hochzeit fahren, und als die Großmutter stirbt, darf er nicht zum Begräbnis.

„In Bukarest, ich war schon bei Steaua, habe ich nachts laut von meinen Absichten geträumt. Mein Zimmerkollege hat es mir gesagt. Doch er hat es für sich behalten. Nur Josef Jakob habe ich mich anvertraut, doch von dem hatte ich nichts zu befürchten. Und dann hätte ich beinahe einen irreparablen Fehler begangen. Ich wollte mich mit einem anderen Mannschaftskollegen aussprechen. Ein Zufall hat es verhindert. Später habe ich erfahren, dass er ein Spitzel war“, erinnert sich Hansi.

Im April 1963 ist Hansi zum ersten Mal in Deutschland. Die zweite Reise soll am 23. November desselben Jahres beginnen. Einen Tag zuvor kommt jedoch die Nachricht vom Attentat auf Kennedy. In Bukarest wird von Kriegsgefahr gesprochen. Hansi bangt, denn er hat alles für die Flucht vorbereitet. Doch die rumänische Studentenauswahl geht trotzdem auf Deutschland-Tournee. Hansi ist dabei und macht die ganze Reise von Hamburg über Essen und Rheinhausen bis nach Köln mit. Er kann all die Nächte kaum schlafen, bleibt jedoch bis zum Schluss bei der Mannschaft, um keinen Abbruch der Tournee zu provozieren. Die Mannschaft soll noch in Deutschland bleiben, nur der Trainer und drei Spieler, die zur Nationalmannschaft ins Trainingslager müssen, sollen in der Nacht nach Hause fliegen: Hans-Günther Schmidt, Valentin Samungi und Gheorghe Gruia. Um Mitternacht verlässt Hansi das Bankett in Köln, steigt in ein Auto und ist weg. Fünf Minuten später ist sein Verschwinden entdeckt, und weitere fünf Minuten später sind ihm Privatdetektive auf der Spur. Hansi versteckt sich in Hamburg. Sein Onkel vermutet ihn in Gummersbach und ruft den VfL-Obmann Eugen Haas an. Dieser Anruf bringt den Gummersbacher Macher auf die Idee, Hansi ins Bergische Land zu holen. Ein Glücksgriff: Als einer der weltbesten Spieler auf der Königsposition wird er dem VfL zu Ruhm verhelfen. Hansi ist zu dieser Zeit gerade erst 21 Jahre alt geworden.

Jahrelang darf er nicht nach Rumänien, denn als Deserteur ist er zum Tode und als Mitglied des Jungkommunistenvereins zu 15 Jahren Haft verurteilt. Doch alles wendet sich zum Besten: Der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher und sein Assistent Klaus Kinkel setzen sich für ihn und seine im Banat gebliebenen Eltern ein.

An einige Spiele erinnert sich Hansi besonders gern. Beispielsweise an ein Turnier, das anlässlich der Fertigstellung der Sporthalle in Galatz veranstaltet wurde. „Wenn ich nicht gespielt habe, war ich im Publikum meist unter Studenten. Ich bin mit ihnen ausgegangen, in die Konditorei, hatte sehr angenehme Kontakte. Ich wurde mehr gefeiert als Gruia.“ Für Hansi ist das Turnier ein Triumph: Er wird Torschützenkönig, und die Sportpresse wählt ihn zum weltbesten Rückraumspieler. In einem Meisterschaftsspiel gegen den TuS Wellinghofen, der damals die beste Deckung in der Bundesliga hatte, steuert Hansi 16 Tore bei, vier mit Links und den Rest mit Rechts. Sein überragendes Können beweist er auch in einem weiteren Spiel gegen den THW in der Ostseehalle in Kiel. 14 Treffer gehen aufs Konto des Weltklassemannes auf der Königsposition. Damit wirft er allein so viele Tore wie die gegnerische Mannschaft zusammen: Der VfL gewinnt nämlich 17:14.

1970 ist Hansi mit dem VfL in Bukarest. Er rechnet mit Pfiffen der Bukarester. Doch dann geschieht das Unerwartete: Beim Aufwärmen kommt ein ihm bekannter Unteroffizier auf ihn zu und umarmt ihn, und bei der Vorstellung der Mannschaften erntet er einen Riesenapplaus. Gerne erinnert sich Hansi auch an das Europapokal-Endspiel 1967 gegen Dukla Prag in der Dortmunder Westfalenhalle: „Wir haben diese rassige sportliche Auseinandersetzung durch Kampfgeist gegen die damals beste Vereinsmannschaft der Welt 17:13 gewonnen.“ Für seine Verdienste um den deutschen Handball wurde Schmidt mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet, und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident verlieh ihm die NRW-Sportplakette.

Seit bald 40 Jahren lebt Hansi nun schon in Deutschland. Doch an einige Dinge hat er sich noch immer nicht gewöhnt. „Wenn du einem hierzulande in der Tür begegnest, der geht nicht aus dem Weg, der würde dich glatt umrennen, wir haben da etwas ganz anderes gelernt, bisschen Rücksicht und Höflichkeit“, sagt er. Hansi wünscht sich, dass die Deutschen ein wenig mehr nationales Selbstbewusstsein hätten und weniger die Kosmopoliten herauskehren. Er bedauert, in einer Zeit zu leben, in der jeder gegen jeden ist und einer den anderen über den Tisch zu ziehen versucht.

Seine schönste Zeit habe er in Marienfeld erlebt, erzählt er. Gerne sei er auch immer wieder ins Geburtshaus Nikolaus Lenaus in Lenauheim gegangen, wo sein Vater seine Arztpraxis hatte. Auch heute noch fühle er sich dem Banat verbunden.

Doch er hat im Oberbergischen eine neue Heimat gefunden. Hier sei er sehr nett aufgenommen worden: „Ich habe besonders meinen Mäzenen Ruth und Hali Liedhegener sowie meinen späteren Schwiegereltern Claire und Peter Kohlmeier zu danken“.

Johann Steiner


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 6 vom 15. April 2002, Seite 11)

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