14. Juli 2003

Siebenbürger auf dem Montblanc

Traum vieler Bergsteiger ist die Besteigung des höchsten Berges der Alpen, des Mont Blanc (4 807 m), der in Frankreich steht. Dieses Vorhaben gelang nun auch neun Mitgliedern der Alpingruppe Adonis der Sektion Karpaten des Deutschen Alpenvereins in einem zweiten Versuch am 19. Juni bei widrigen Wetterverhältnissen. Die Tour galt auch als Vorbereitung für die Besteigung des höchsten Gipfels Europas, des Elbrus (5 600 m), die im August erfolgen soll.
Am 14. Juni trafen wir uns in Chamonix auf einem Campingplatz. Bei einem kurzen Spaziergang in Chamonix sahen wir die zu Ehren der Erstbesteiger (im Jahre 1766) errichteten Bronzestatuen. Am nächsten Tag werden Ausrüstung und Nahrung in den nahe gelegenen Ort Le Fayet gefahren, um von dort mit der Zahnradbahn (Tramway Montblanc) zum Ausgangspunkt Nid D´Aigle (2 386 m) zu gelangen. Am „Adlernest“, dem Ende der Bahnstrecke, erwarten uns viele Steinböcke, eine wundervolle Bergblumenpracht aus Alpenrosen, Enzian und Thymian sowie ein relativ mildes Wetter. Die Organisatoren, Familie Tatiana und Vladimir Noggaler und Reinhold Kraus, planten die Tour mit Zelten, dementsprechend bis zu 30 kg schwer sind die Rucksäcke. In einer ersten Anstrengung erreichen wir die Tête Rousse (3 132 m), wo wir unser erstes Zeltlager aufschlagen. Zeltromantik kommt auf beim Krach der bröckelnden Eis- und Steinlawinen. Wir beschließen, die Materialien in zwei Etappen ins Hochlager zu bringen.

Am 16. Juni steigen wir zum ersten Mal zur Gouter-Hütte (3817 m) auf. Hier erwartet uns ein Klettersteig und, als Höhepunkt der zu bewältigenden 1 000 Höhenmeter, die Überschreitung der hoch steinschlaggefährdeten Grands Couloirs. Nach einer Erfrischung in der Hütte erlaubt uns das Wetter einen Blick auf die Aigile du Midi, deren Felsnadeln aus den Wolken herausragen, eine bizarre, beflügelnde Bergpracht. Am Nachmittag steigen wir zu unseren Zelten ab. Das wiederholte Übernachten auf gleicher Höhe dient der Akklimatisierung, die bei dieser Höhe notwendig ist. Der Abend ist ausgefüllt mit musikalischen Versuchen und dem Genuss wilder Romantik. Am nächsten Morgen steigen wir erneut mit dem Großteil des Gepäcks zum Zeltlager über der Gouter-Hütte auf und richten uns mit den gegebenen Mitteln in Eis und Schnee ein. Vladimir hat für uns im Schnee eine Küche und Toilette geschaufelt. Die Idylle war trotz des eisigen Windes und der Kälte geschaffen.

Am 18. Juni, morgens um 2.00 Uhr, trifft die Gruppe noch sehr euphorisch, aber nicht ohne Respekt Vorbereitungen für den langen Aufstieg auf den höchsten Alpengipfel. Tatiana kocht Eier mit Speck. Das Wasser für den Tee wird aus Schnee geschmolzen. Das Ziel Montblanc rückt näher. Wind, Nebel und ein Schneesturm - ein äußerst unfreundliches Wetter. Reini spurt und der Rest der Gruppe stapft hinterher. Wir gehen über schneebedeckte Hänge mit nur sehr geringer Sicht. Es wird noch nebliger und stürmischer. Auf 4 200 m angekommen, beschließen wir, nachdem uns mehrere Seilschaften, die ebenfalls aufgegeben hatten, entgegen gekommen sind, umzukehren, da wir sonst die Orientierung verloren hätten. Das Aufgeben ist nicht unbedingt motivierend. Die Hoffnung auf besseres Wetter am nächsten Tag, die Spannung und die Angst, der Wille, den Gipfel zu erklimmen, lassen uns keine Ruhe.

Am 19. Juni um 3.33 Uhr der zweite Versuch. Der Mond beleuchtet den ersten steilen, schneebedeckten Hügel auf dem Weg zum Vallot-Refugio. Dieses Bild werde ich nie vergessen. Eine Lichterkette aus Stirnlampen, die sich den Berg hinaufschlängelt, voller Hoffnung auf ein Gipfelerlebnis. Doch ein starker Ostwind beginnt uns ziemlich bald zu begleiten, fordert viel Energie. Dieser orkanartige Wind verstärkt sich beim Anstieg auf den Dôme du Gouter, den wir bei Tagesanbruch erreichen. Deshalb sollte nur ein Drittel dieser Bergbegeisterten und Abenteuerlustigen an diesem Tag mit die Gipfelfreude erfahren. Nach einer weiteren Stunde erreichen wir das Refuge Bivouac Vallot (4362 m), wo sich die Mannschaft, die in drei Gruppen aufgestiegen war, neu gruppiert. Der eisige Ostwind wird immer kräftiger und unangenehmer. Vladimir und Tatiana beschließen trotzdem gleich loszugehen. Tatsächlich steigen sie in Rekordzeit hoch und wieder runter, dank ihrer besonders guten körperlichen Kondition. Ion, ein Gast aus Rumänien, 70 Jahre alt, beschließt nicht weiter zu gehen, um den Erfolg der Mannschaft nicht zu gefährden.

Es kostet Überwindung, bei Nebel und einer Windstärke von 60 km/h aufzubrechen. Nach einem kurzen Versuch, angeseilt die letzte Etappe zu bewältigen, beschließen wir, ohne Seil loszugehen, weil die Gefahr durch Gletscherspalten ausbleiben soll. Nach eineinhalb Stunden Gehzeit erleuchtet die Sonne den Berg und unsere Seelen. Die verbliebenen 500 Höhenmeter zum Gipfel scheinen kein ernstes Hindernis mehr zu sein. Trotzdem erlaubt der eisige Wind keine normale Atmung und die empfundene Temperatur beträgt minus 20 Grad. Egin Scheiner bemüht sich um die Teilnehmer, denen Höhe und Anstrengung zu schaffen machen. Der Bosse-Grat wird immer schmäler, der Wind nicht schwächer. Um 12 Uhr erreichen wir den Gipfel des Montblanc: Egin Scheiner, Adelheid Breckner, Carmen Heiser, Detlef Schlosser, Dieter Arz, Dirk Nagler und Reinhold Kraus. Man gratuliert, umarmt einander und fotografiert die Alpen, die uns nun zu Füßen liegen. Nach einem viertelstündigen Gipfelaufenthalt steigen wir etwas ab, um in einer windstilleren „Ecke“ unser Glück zu genießen. Für einen Moment sind die Strapazen vergessen. Der Abstieg gelingt ohne Vorkommnisse. Nach einer kurzen Pause in der Vallot-Hütte laufen wir dann gemütlich zu unserem Zeltplatz. In der Gouter–Hütte freuen wir uns bei einer Flasche Rotwein über die Besteigung. Den Abschluss dieser Tour machen wir im Campingplatz in der Schweiz in Villeneuve am Genfer See. Hier genießen wir das laue Seewasser und sorgen dafür, dass wir uns wieder der zivilisierten Welt anpassen. Noch eine Übernachtung, dann verabschieden wir uns mit einem Gruppenfoto. Danke an alle, die sich um diese Tour bemüht haben.

Carmen Heiser


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli 2003, Seite 16)

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