2. April 2004

Tabuisiertes Thema differenziert erforscht

Die Beiträge zur 37. Jahrstagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde von 1999 sind 2003 in dem Band "Deutsche Literatur in Rumänien und das 'Dritte Reich'" im Verlag des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) in München veröffentlicht worden. Michael Markel und Peter Motzan haben darin den Großteil der damals gehaltenen Referate in durchwegs erweiterter, ergänzter und aktualisierter Fassung herausgegeben.
Der Untertitel des Bandes "Vereinnahmung - Verstrickung - Ausgrenzung" deutet darauf hin, dass aus der heutigen zeitlichen Distanz ein Phänomen endlich wissenschaftlich differenziert erforscht werden kann im Bewusstsein des "komplexen Zusammenhangs von Voluntarismus und Determinismus, von Verblendung und Opportunismus", wie es im Vorwort heißt. Es gibt bisher wenig Vergleichbares auf diesem Gebiet, denn Adrian Ciupuligas Beitrag "Die deutschsprachige Literatur in Rumänien zwischen 1933 und 1944", 1987 in Pfaffenweiler erschienen, kann wohl wegen seiner Pauschalverurteilung des dargestellten Gegenstandes weder als wissenschaftlich noch als differenziert eingestuft werden.

Matthias Buth, Ministerialrat bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, hebt einleitend die Aktualität der Auseinandersetzung mit dem Thema ,Drittes Reich‘ und deutsche Literatur in Rumänien hervor, da die Fragen, die hier gestellt und methodisch erarbeitet werden, in die Gegenwart hineinragen und Forderungen an die Zukunft stellen. Die wissenschaftliche Tagung bot das Forum für einen Dialog der Fachwissenschaftler, der veröffentlichte Band bietet sich einem größeren Publikum als Diskussionsgrundlage für ein Thema an, das nicht zuletzt wegen mangelnder Sachkenntnis lange Zeit tabuisiert war.

Es liegt in der Natur eines solchen Vorhabens, dass die hier erfassten Forschungsergebnisse sehr unterschiedlich sind: unterschiedlich in der methodischen Herangehensweise, unterschiedlich in der Schwerpunktsetzung – von historisch über politologisch zu literatur- bzw. sprachkritisch - , unterschiedlich aber auch in ihrer Lesbarkeit, was mit Blick auf eine breitere Rezeption nicht außer Acht gelassen werden kann. Es eint sie aber alle wissenschaftliche Ernsthaftigkeit, akribische Recherche, reichhaltiges Wissen und ein differenziertes Urteil.

Alexander Ritter stellt "Überlegungen zur Rezeption auslanddeutscher Literatur im Kontext der NS-Ideologie" an. Der Hamburger Wissenschaftler hat das große Verdienst, das Thema auslanddeutsche Literatur schon vor Jahren in das Bewusstsein der Nachkriegsgermanisten gehoben zu haben. Seine Intention war von Anfang an, die ausschließlich NS-geprägte Sicht des Phänomens und seine dadurch bedingte Tabuisierung zu überwinden. Methodisch gelingt ihm das, indem er Minderheiten-Kultur als Teil von politischer Kultur begreift. In seinem Referat beweist er, dass die NS-Kulturpolitik das ‚Grenz- und Auslanddeutschtum‘ abgestuft nach politisch-militärischer Lage instrumentalisiert hat. Dabei geht er von den Beiträgen deutscher Germanisten aus, wie z.B. August Sauer und Josef Nadler, wie auch von denen Karl Kurt Kleins, der durch seine Herkunft den Minoritäten sehr verbunden war. Das Phänomen sei in der Nachkriegszeit häufig nur aus der gruppenspezifisch eingegrenzten Perspektive untersucht worden.

Cornelius R. Zach kennzeichnet "Das geistige Leben im Rumänien der Zwischenkriegszeit", indem er sowohl politische Doktrinen als auch literarische Strömungen berücksichtigt. Der Autor stellt die Verknüpfung von Konservativismus und Nationalismus mit der spezifischen Religiosität der rumänischen Orthodoxie als ein Wesensmerkmal Rumäniens in der Zwischenkriegszeit heraus.

Kenntnis- und faktenreich referiert Johann Adam Stupp über "Deutsche Autoren aus Rumänien in Hitlerdeutschland". Dabei erhellt er die komplexen Beziehungen, die zwischen der deutschen und der rumäniendeutschen Literatur bestanden, befördert vor allem durch die Zeitschrift Klingsor und durch politische Institutionen, wie den Verein für das Deutschtum im Ausland.

Bekannt und verbreitet waren im damaligen Deutschland vor allem die Werke von Adolf Meschendörfer, Heinrich Zillich und Erwin Wittstock. Mit den beiden Erstgenannten beschäftigt sich Stefan Sienerth, das Wirken des Letzteren in Deutschland ist Gegenstand der Studie von Joachim Wittstock. Bedenkenswert ist die Begründung, die Stefan Sienerth für die bisherige Zurückhaltung der in Rumänien lebenden Literaturhistoriker diesem Thema gegenüber findet: Er führt sie einerseits auf die Opposition zu dem verordneten Antisemitismus-Kult in der DDR zurück, andererseits sieht er darin Rücksichtnahme auf die Autoren und deren Nachkommen, da eine pauschalierende Verdammung diesen geschadet hätte, eine differenzierte Analyse damals aber nicht möglich war, wäre die doch unweigerlich auf Parallelen zwischen der braunen und der roten Diktatur gestoßen. Im Westen wurde der Zugang der Wissenschaftler zu den Unterlagen erschwert, da die Betroffenen mehr Schuldzuweisungen und Verurteilungen erwarteten als eine Aufklärung politischer und gesellschaftlicher Mechanismen. Einen Neuansatz für die Forschung sieht der Autor auch in den Bemühungen deutscher Germanisten, wie z.B. Uwe K. Ketelsen, die in jüngster Zeit zwischen offiziell verkündeter Kulturpolitik in der NS-Zeit und literarischer Praxis unterscheiden.

Sienerth stützt sich auf umfangreiches Quellenmaterial aus Zeitschriften, aber auch auf den Nachlass von Meschendörfer. Bei dessen Auswertung stellt er einen Wandel in der Wahrnehmung fest, die der siebenbürgische Autor in der Öffentlichkeit erfuhr: Anfangs gelobt als der Gestalter einer eigenen, fernen deutschen Welt, wurde der Schriftsteller später als Vorposten der Ostmark geehrt. Festzuhalten bleibt, dass "Die Stadt im Osten" noch vor der Gleichschaltung der deutschen Kultur in Rumänien im Deutschen Reich Anklang fand, wohl weil die Thematik des Romans 1932 ein günstiges Umfeld fand. Heinrich Zillich knüpfte in seiner Zeitschrift Klingsor (1924-1939) schon früh Kontakte zu deutschen Schriftstellern, auch zu solchen, die später keineswegs nationalsozialistisch orientiert waren. Seinerseits veröffentlichte er in renommierten deutschen Literaturzeitschriften, in „Neue Literatur“ oder „Das Innere Reich“. Sienerth erwähnt die zahlreichen Ehrungen, die die beiden siebenbürgischen Schriftsteller erfuhren, begründet aber die Beliebtheit ihrer Werke sehr differenziert: Die Flucht aus dem nationalsozialistischen Alltagsleben in ein sogenannt ,einfache Leben‘ sei wohl für viele Leser dafür ausschlaggebend gewesen. Aus der Sicht von Meschendörfer und Zillich – so das Fazit des Autors – mag der Nationalsozialismus Garantie für den Fortbestand der deutschen Volksgruppe in Rumänien gewesen sein.

Joachim Wittstock liefert wertvolle biographische Details zu dem Aufenthalt seines Vaters im Deutschen Reich. Er legt Wert darauf festzustellen, dass Erwin Wittstock die Einheit der Deutschen nicht politisch, wohl aber psychisch und kulturell gesehen habe. Die Geschichte der Veröffentlichung und Rezeption seines Romans „Bruder nimm die Brüder mit“, seine guten Kontakte zu Hans Grimm, all das bestärkte ihn in dem Glauben, dass sich die geistig-kulturelle Einheit der Deutschen in jener Zeit verwirklichen könnte. Kenntnisreich werden auch die biographischen Beweggründe für manche Entscheidung Wittstocks dargelegt, listig fast wirkt der abschließende Hinweis von Joachim Wittstock auf die Nachkriegsveröffentlichungen seines Vaters in Ost und West, einer Zeit, wo kaum einer ,deutsche Botschaften‘ anhören mochte, wo also die Qualität der Erzählungen für sich sprach.

Einer erfrischenden Sprach- und Stilanalyse unterzieht die Literaturexpertin Gudrun Schuster die Texte der Zeitschrift „Klingsor“. Sie weist nach, dass bestimmte Modewörter der Zeit eine totale Sinnentleerung erfuhren, eine Entwicklung, die Zillich anprangerte, die er aber doch selbst – unbewusst ? – beförderte, vor allem indem er der Emotionalisierung und Mythisierung der Pressesprache in seiner Zeitschrift breiten Raum ließ. Die Autorin bringt Beispiele dafür, dass selbst Harald Krasser oder Erwin Wittstock sich diesem Trend kaum entziehen konnten, dass die Wortfelder Volk und Gemeinschaft auch deren Stil bestimmten.

Horst Schuller befasst sich mit Erwin Neustädter und der ,Schrifttumskammer der Deutschen Volksgruppe in Rumänien‘. Reichhaltige Informationen schöpft der Autor aus Zeitungen, aber auch aus einem Teil des Nachlasses von Neustädter sowie aus Gesprächen mit Inge Galter, der Tochter des Schriftstellers. Der interessierte Leser kann hier viel über die Gründung der Volksgruppe und der Schrifttumskammer erfahren sowie über deren Implikationen in die Politik des Deutschen Reiches, aber auch in die Rumäniens. Dabei spürt der Verfasser bei den deutschen Schriftstellern in Rumänien Nuancen eines nichtkonformen Verhaltens auf, eines Widerstandes gegen „kolonialistisches Hereinwirken reichsdeutscher Stellen“ in das kulturelle Leben der Deutschen in Rumänien.

Eine ganz eigene deutschsprachige Kultur und Literatur entstand in der 1930-1940 zu Rumänien gehörenden Provinz Bukowina. Peter Motzan untersucht dieses komplexe und zugleich ephemere Gebilde mit wissenschaftlicher Feinfühligkeit. Er richtet seine Überlegungen auf ein Jahrzehnt, in dem das Leben der deutsch-jüdischen Schriftsteller geprägt war von häufigem Orts- und Berufswechsel, von Exil, Einsamkeit und vielen anderen Bedrängnissen. Zu den literarischen Zeitschriften in Siebenbürgen – „Das Ziel“, „Das neue Ziel“, „Klingsor“ – unterhielten diese Schriftsteller seit Ende des Ersten Weltkrieges enge Beziehungen. 1933 markiert den Beginn der Spannungen zwischen der jüdischen und der deutschen Bevölkerung, antisemitische Tendenzen waren auch von rumänischer Seite zu spüren. So kommt Motzan zu der Wertung:„Die Gedichtlandschaften der Bukowiner deutsch-jüdischen Poeten sind gleichermaßen Sehnsuchts- und Verlustlandschaften.“

Im letzten Teil des Sammelbandes sind Beiträge zu einzelnen Autoren der südostdeutschen Literaturlandschaft eingereiht. Gregor von Rezzoris literarische Anfänge werden von Klaus Werner kritisch gesehen: Er habe die „Wirklichkeit literarisch per Trivialität verdrängt.“ Differenzierter fällt das Urteil Eduard Schneiders über Robert Reiter aus, der 1941-1944 den Kulturteil der „Südostdeutschen Tageszeitung, Ausgabe Banat“ gestaltete. Als Dichter habe sich Robert Reiter, der später unter dem Namen Franz Liebhard veröffentlichen sollte, in der Nazizeit nicht geäußert, was der Verfasser des Beitrags als eine Form des Widerstandes wertet.

Edith Konradt führt die Verbreitung des Nationalsozialismus in Rumänien, die Gründung der Deutschen Volkspartei Rumäniens (DVR) bzw. der NSDAP der DVR auf die innere Zerrissenheit der deutschen Volksgruppen in Rumänien, besonders der Siebenbürger Sachsen zurück. Daraus folgert sie, dass die "vollständige Verdrängung ihrer teils schuldhaften, teils naiven NS-Begeisterung" ein Tabu sei, an dem auch heute "nicht gerüttelt werden sollte". In dem 1959 entstandenen Roman "Das Jüngste Gericht von Altbirk" erkennt die Autorin eine verfremdete Darstellung dieser Verstrickung, die noch 1971 beim postumen Erscheinen des Werkes von Erwin Wittstock in Rumänien als Gleichnis verkannt wurde. In der Bundesrepublik veröffentlichte Dieter Schlesak 1986 "Vaterlandslose Gesellen und die Kunst des Verschwindens", einen Gedankenroman, der die emotionale Präsenz des Vergangenen und seine sinnliche Absenz als einen Widerspruch erfasst. Konradt untersucht diese Werke mit NS-Thematik weniger aus zeitpolitischer Sicht, sie setzt vielmehr literaturwissenschaftliche Maßstäbe und findet dabei besonders in dem Roman "Wenn die Adler kommen" ,1996 von Hans Bergel veröffentlicht, Schwächen in der Gestaltung der Erzählperspektive: Die Ich-Perspektive eines Kindes sei überfrachtet, findet sie, die NS-Zeit daher auf weiten Strecken nur diskursiv erfasst. Auch Eginald Schlattners "Der geköpfte Hahn" von 1998 wird als Geschehnisroman abgestuft, der "von Geschichten und Geschichte" nur so strotzt, doch wird ihm immerhin eine ironisch-humorvolle Distanz attestiert.

Schließlich wird Herta Müllers Beitrag zur Bewältigung der NS-Problematik der Deutschen in Rumänien gewürdigt. Rene Kegelmann liefert einen in seiner Machart schlichten Beitrag, der aber im Vergleich zu manch anderen in diesem Band gut lesbar ist und klare Linien aufzeichnet. Herta Müller, erfahren wir hier, gestaltet den Nationalsozialismus als eine aus der Perspektive der Gegenwart erinnerte Zeit, dabei gelingt ihr immer wieder die Transformation autobiographischen Erlebens in Literatur.

Nicht nur die Künstlerin Herta Müller sucht immer wieder nach Formen von Erinnerung und Gedächtnis. Auch die Wissenschaftler, die in diesem Band zu Wort kommen, tun es. Aus vielen in sich sehr unterschiedlichen Mosaiksteinen fügt sich das Gesamtbild einer Epoche, die bislang als Tabu galt. Das zu durchbrechen ist das größte Verdienst der Autoren und der Herausgeber dieses Bandes. Gestützt auf solide Recherche wird eine differenzierte Beurteilung des Phänomens Deutsche Literatur in Rumänien und das ,Dritte Reich‘ möglich. Man wünscht dem Band viele Leser, von denen manche angeregt werden sollten, wissenschaftlich weiter in ein Gebiet vorzudringen, das noch viele unausgeleuchtete Winkel hat.

Brigitte Tontsch

Deutsche Literatur in Rumänien und das "Dritte Reich". Vereinnahmung - Verstrickung - Ausgrenzung. Herausgegeben von Michael Markel und Peter Motzan, München: IKGS Verlag 2003 (=Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas. Wissenschaftliche Reihe; Literatur- und Sprachgeschichte, herausgegeben von Edgar Hösch, Thomas Krefeld und Anton Schwob, Band 94), 326 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 3-9808883-1-2.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 5 vom 31. März 2004, Seite 7)

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