13. Oktober 2015

Reise in die Vergangenheit: Zenderscher Treffen 2015

Es ist noch nicht einmal zehn Uhr am Morgen und die Sonne steht schon hoch am Himmel. Sie brennt auf uns herab und kündigt einen brütend heißen Sommertag an. Links und rechts von uns: weites Land, Wiesen, Wälder und Anhöhen, die einst von unseren Vorfahren bestellt worden sind. Das Auto vor uns hat den Staub aufgewirbelt und wir fühlen uns ein bisschen wie im Wilden Westen. Kurz darauf passieren wir das Ortsschild – Senereuș – Zendersch. Von hier also stammen unsere Mutter, ihre Eltern und Großeltern. Wir Kinder, alle in Deutschland geboren, sollten nun endlich die Orte mit eigenen Augen sehen, die wir bislang nur aus Erzählungen kannten.
Im Ort angekommen, gehen wir auf dem holprigen Weg in Richtung Ortsmitte. Dort haben sich schon einige Menschen „Bem Roajen“ versammelt und es beginnt das überschwängliche Wiedersehen – mitten in der alten Heimat. Der festliche Auftakt wurde von der Zenderscher Blaskapelle, Helga Konyen an der Querflöte und einem rumänischen Frauenchor eröffnet. Nun konnte der offizielle Teil mit Begrüßungsreden von Alfred Gross, Organisator des Festes, sowie des Überraschungsgastes Ciprian Dobre, Präsident des Kreises Muresch, und des Bürgermeisters Soghebo Istvan aus Bălăușeri beginnen. Und noch eine Überraschung erwartete die Gäste: Die rumänische Tanzgruppe „Mureșul“ in Murescher Tracht gab Volkstänze zum Besten und trotzte in ihren bunten Gewändern der Mittagshitze.

Für Speis und Trank war im Festsaal reichlich gesorgt. Im feierlich geschmückten Ambiente wurden Suppe und Gulasch serviert. Nach dem Essen spazierten wir durch das Dorf, sahen die Elternhäuser und die Schule unserer Vorfahren, lernten Einheimische kennen und erkundeten die renovierte Kirche mit ihrem hübschen Kirchenhof und pittoresken Friedhof, die von den Veranstaltern eigens für das Zenderscher Treffen neu bepflanzt und hergerichtet worden waren. Die Kirche selbst war von Katharina Weber und Regina Bell liebevoll für das Treffen geschmückt und hergerichtet worden. Nach dem Abendessen – hier durften die traditionellen Mici nicht fehlen – ging man zum noch fröhlicheren Teil des Treffens über, dem Ball.

Der zweite Festtag, der Sonntag, begann mit einem Festgottesdienst, bei dem Andreas Rader die Situation der Zenderscher und aller Siebenbürger Sachsen mit folgenden Worten sehr treffend beschrieb: „Nach Flucht, Vertreibung und Aussiedlung leben wir und unsere Nachkommen heute in der Zerstreuung, in Deutschland, Österreich, Kanada und den USA […] und dennoch gibt es diese evangelische Gemeinde der Zenderscher noch, auch wenn wir die Grenzen unserer angestammten Heimat längst hinter uns gelassen haben. […] Heimat ist nicht etwas, dem wir uns nur von Zeit zu Zeit liebevoll zuwenden. Heimat trägt man ein Leben lang mit sich und in sich, so wie seinen Namen, auch wenn wir längst in aller Welt zu Hause sind.“

Dekan Bruno Fröhlich und der rumänische Pfarrer Gabriel Stefan Caras gestalteten den Gottesdienst gemeinsam und unterstrichen damit die Verbindung der heutigen Zenderscher ­Gemeinde mit ihrer ehemaligen. Der Gottesdienst, musikalisch ­begleitet von Helga Konyen an der Querflöte, der Blaskapelle und dem Zenderscher Chor unter Chorleiter Reinhard Konyen, schloss mit einer Andacht auf dem Friedhof. Hier gedachte man im Gebet und einem stillen Moment seiner verstorbenen Familienangehörigen, Freunde und Bekannten, zollte ihnen mit der musikalischen Untermalung der Zenderscher Blaskapelle und durch das Niederlegen von Blumen den gebührenden Respekt. Richard Jakobi, Vorsitzender der HOG Zendersch, bedankte sich bei beiden Pfarrern und der Blasmusik und sprach seinen Respekt, seine Wertschätzung und Anerkennung für die Zenderscher Gemeinschaft aus.
Festgottesdienst in der Zenderscher Kirche. Foto: ...
Festgottesdienst in der Zenderscher Kirche. Foto: Alfred Gross
Die teils schweren Gemüter konnten durch das gesellige Mittagessen wieder erheitert werden und so scherzte man kurze Zeit später über den erneuten Einsatz der Zenderscher Feuerwehr, die schon zum zweiten Mal ausrücken musste, um dem Feiervolk funktionstüchtige Sanitäranlagen zu ermöglichen. Nachmittags und zum krönenden Abschluss des Treffens fuhr man mit Pferde- und Geländewagen auf das Feld hinaus, wurde kräftig durchgeschüttelt, entkam pflichtbewussten Hirtenhunden und sah die eine oder andere „Keule“, in der früher die Schulausflüge stattfanden. Die Gäste des gelungenen, unvergesslichen Zenderscher Treffens 2015 wurden abends durch die Abschiedsrede der Organisatoren vor Ort, Waltraud und Alfred Gross und Herbert Prudner, verabschiedet; so fand unsere Reise in die Vergangenheit ein vorläufiges Ende.

Die Fahrt nach Rumänien war für uns Kinder die erste, und wir hätten sie uns mit dem Zenderscher Treffen als einem der Höhepunkte nicht schöner ausmalen können. Wir sind beeindruckt von der landschaftlichen Schönheit, dem guten Zustand des Dorfes, der Gastfreundschaft der rumänischen Bewohner sowie dem großen Einsatz der Veranstalter. Wir sind ergriffen vom immerwährenden Zusammenhalt der Zenderscher Gemeinschaft, der auch dadurch deutlich wurde, dass eigens für das Treffen 220 Gäste mit dem Bus aus Deutschland und Österreich anreisten und auch 100 rumänische Gäste angemeldet waren. Wir sind dankbar für die Erfahrungen auf unserer Reise und dafür, die Orte der zahllosen Geschichten endlich mit eigenen Augen gesehen zu haben. Gerade unsere Generation profitiert davon, dass die Siebenbürger Sachsen ihre Bräuche, Traditionen und vor allen Din-­ gen die Gemeinschaft auch nach der Aussiedlung weiter pflegen, diese an ihre Nachkommen weitergeben und es ihnen damit ermöglichen, ihre Wurzeln auch in Zukunft zu erhalten.

Anja und Katharina Henning

Schlagwörter: Zendersch, Heimattreffen

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