6. Juni 2010

Integration gelebt: Abschied von Rose Schmidt

Für uns alle unerwartet starb Rose Schmidt – Rositante – am 8. Mai 2010 in Althütte/Backnang im gesegneten Alter von 87 Jahren. Eine große Trauergemeinde nahm am 17. Mai auf dem Drendinger Friedhof in Tübingen Abschied. Der Lebensweg einer außergewöhnlichen Frau ging hier zu Ende.
Geboren wurde Rose Schmidt am 20. September 1922 in Schweischer bei Reps. Zusammen mit sechs Geschwistern wuchs sie in einem evangelisch geprägten Elternhaus in einer sächsischen Dorfgemeinschaft auf. Beide Eckpfeiler trugen sie das ganze Leben. Als sie sechzehneinhalb Jahre alt war, starb ihre Mutter. Nun übernahm sie den Haushalt und die Betreuung ihrer fünf jüngeren Geschwister. Als ausgebildete Kindergärtnerin war sie nur kurz in Wolkendorf (Schäßburg).

Der 10. Januar 1945 war dann ein einschneidendes Datum in ihrem Leben. Zusammen mit zwei Geschwistern wurde sie in die Sowjetunion deportiert. „Heimkehr“ nach fünf Jahren Aufbauarbeit im Dezember 1949, wobei die Ankunft eine sehr schmerzliche war. Den Vater traf in der Zwischenzeit die Vertreibung von Haus und Hof. Aber das Leben ging weiter.

Von 1951 bis 1955 leitete sie den Kindergarten in Marpod (Harbachtal), anschließend den in Schweischer und ab September 1960 war sie Lehrerin in ihrem Heimatort. Nach einer Stimmbandoperation 1970 übernahm sie das Amt einer Bibliothekarin in Reps, wo sie bis 1978 tätig war. 1987 dann die Auswanderung nach Deutschland. In der neuen Heimat konnte sie sich ihren Interessen und Neigungen widmen. In Althütte, ihrem Wohnort, lebte sie „Integration“ in ihrer ganzen Breite und Tiefe vor.

1992 veröffentlichte sie das Heimatbuch von Schweischer „Licht und Schattenseiten eines Dorfes aus Siebenbürgen“, 1996 (2. Auflage) „Das große Leid“, eine Dokumentation über die fünfjährige Deportationszeit im Donezbecken. Ein erschütterndes Buch, wobei sie mir immer wieder über schlichte Menschlichkeit der einheimischen Bevölkerung berichtete. Ebenfalls 1996 erschien das Bändchen „Sinnsprüche im Lebensbereich der Menschen“, 2001 dann die umfangreiche Arbeit „Der Hände Fleiß“, eine Dokumentation siebenbürgisch-sächsischer Haustextilien. Bei beiden Publikationen konnte sie auf ihre Arbeit zurückgreifen, die sie in Rumänien für die Herausgabe einer „Volkskunde der Rumäniendeutschen“ (1980) geleistet hatte. Diese Arbeit ist nicht gedruckt worden. Daneben erschien das Gedichtbändchen „Ich glaube, darum rede ich“. Hinzu kommen die vielen Artikel in dieser Zeitung, in den Jahrbüchern, in den Veröffentlichungen der HOG Schweischer. Arbeiten, die sich vor allem mit volkskundlichen Themen befassten. Aber auch die Zeit und die Erlebnisse der Deportation wurden nicht vergessen.
Rose Schmidt auf „Feldforschung“ zwischen Meeburg ...
Rose Schmidt auf „Feldforschung“ zwischen Meeburg und Arkeden. Foto: Werner Förderreuther
Von einem Meeburger erfuhr ich nach 1992 von der Herausgabe des Heimatbuchs von Schweischer. Durch diesen Buchkauf entstand eine Bekanntschaft, ja eine Freundschaft, die nun durch den Tod von Frau Schmidt beendet wurde. Nicht vergessen werden die unzähligen Begegnungen, Erlebnisse, Erzählungen bei vielen gemeinsamen Besuchen in Siebenbürgen. Aber auch in der Bukowina – bei den Huzulen, den Moldauklöstern, den Mu­seen in dieser Gegend. Durch ihre vielen Bekannten in der alten Heimat, ihre Mehrsprachigkeit und vor allem ihr Detailwissen konnten wir unzählige Exponate dokumentieren und auch erwerben – vom Druidenstein bis zum bäuerlichen Blaudruck; einzigartig bemalte sächsische Holzobjekte aus dem 16./17. Jahrhundert. Erstaunlich war ihr Blick über den Tellerrand der eigenen Ethnie. Vor allem in den Szeklerdörfern zwischen Draas und Oderhellen, über den Hattert von Meeburg und Arkeden und in den Tälern nördlich von Szeklerkreuz konnten wir ertragreiche Feldforschung betreiben. Auch bei den Rumänen war sie Hilfe und „Türöffner“, etwa zu den Magazinen der Museen in Hermannstadt, Kronstadt, Schäßburg, Bistritz oder Klausenburg und den vielen kleinen Sammlungen; selbst im Geburtshaus von Octavian Goga in Rășinari konnten wir sächsische Möbel aufnehmen (Katzendorf und Meeburg). Für mich lehrreich war ihr Verhältnis zu den Zigeunern, etwa beim Besuch in deren Ortsteil in Kleinblasendorf oder bei Ziegelbrennern im unteren Harbachtal, denen wir beim Abschied unsere Vesperbrote daließen.

Die Liste gemeinsamer Forschungsarbeit ist lang, von den Holzkirchen in der Maramuresch bis hin zu den vielen ungarischen Dorfkirchen in Kalotaszeg, diese mit ihren bemalten Felderdecken, Glattern und anderen Einrichtungsgegenständen.

Sie hatte noch so vieles vor – etwa eine Ergänzung zu „Der Hände Fleiß“, eine Arbeit zur Kirchen- und Festtracht und Werktagskleidung der Siebenbürger Sachsen, wobei sie vor allem auf technische Details eingehen wollte. Zu den „Zukunftsaufgaben“ gehörte auch eine kleine, umfassende Dokumentation über sächsische Leuchterchen aus dem Repser Gebiet, dazu von Arkeden, Keisd und Klosdorf. Neben Originalexemplaren gibt es viele Nachbauten, für deren Fähnchen, Papierblumen und Sterne Frau Schmidt zuständig war. Die letzten „Fanderln“ – nach vielen Abfragen bei betagten Erlebnisträgern – wurden wenige Tage vor ihrem Tod fertig.

W. Förderreuther

HOG Schweischer trauert um Rose Schmidt

In tiefer Trauer nehmen wir Abschied von Rose Schmidt, die im Alter von 87 Jahren am 8. Mai 2010 verstarb. Sie hat sich als Heimatkundlerin einen Namen gemacht und hinterlässt in ihrer Familie und unserer Heimatortsgemeinschaft eine große Lücke. Geboren in Schweischer am 20. September 1922, verlor sie schon mit 16 Jahren ihre Mutter. Als Zweitälteste von sieben Geschwistern musste sie sich schon früh um ihre jüngeren Geschwister kümmern. 1945 wurde sie zusammen mit ihrer ältesten Schwester nach Russland deportiert, wo sie im Kohlebergwerk im Lager Petrowka unter schwersten Bedingungen fünf Jahre lang überlebt hat. Nach ihrer Rückkehr 1950 absolvierte sie in Hermannstadt die Pädagogische Schule und wirkte als Kindergärtnerin und Lehrerin in Marpod und Schweischer sowie später als Bibliothekarin in Reps. 1987 übersiedelte sie nach Deutschland und wohnte bis zu ihrem Tod in Althütte, Baden-Württemberg.

In der HOG Schweischer hat sie als Kulturreferentin im Vorstand zwanzig Jahre lang aktiv mitgewirkt, sich für die Pflege des Friedhofs und für die Erhaltung der heimatlichen Kirche eingesetzt.

Rose Schmidt. ...
Rose Schmidt.
1992 erschien nach jahrelangen Recherchen in der alten Heimat ihr erstes Buch „Licht- und Schattenseiten eines Dorfes in Siebenbürgen“, eine Ortsmonographie von Schweischer. 1995 erschien ihr zweites Buch „Das große Leid“, das die Arbeitsbedingungen der nach Russland deportierten Siebenbürger schildert, zu denen sie auch gehörte. Anhand von vielen Erlebnisberichten, Briefen und Karten wird das entbehrungsreiche, fast unmenschliche Leben der Zwangsdeportierten dem Leser vor Augen geführt. Sie schreibt nicht anklagend, sondern mahnend und Toleranz fordernd. 1996 erschienen ihre „Sinnsprüche“, eine Sammlung über gestickte Sprüche im Lebensbereich der Siebenbürger, die in fast jedem Haus zu finden waren. 2001 erschien in Zusammenarbeit mit Werner Förderreuther das Buch „Der Hände Fleiß“, eine Dokumentation über siebenbürgische Haustextilien als Wohnschmuck. Zusammen mit Herrn Förderreuther war sie auch im letzten Sommer noch in der alten Heimat unterwegs, um Daten über Möbel- und Emporenmalereien in Siebenbürgen zu sammeln. Diese Arbeit konnte sie leider nicht mehr zu Ende bringen.

Auch in der Siebenbürgischen Zeitung erschienen immer wieder Gedichtpublikationen und Beiträge zu vielen heimatkundlichen Themen. Sie hat einen wesentlichen Beitrag geleistet, damit das Wissen über unsere Kultur und unser Brauchtum nicht in Vergessenheit gerät. Die selbst verfassten Gedichte, die oft von tiefem Glauben zeugen, und ihre Beiträge für unser Schweischerer Heimatblatt, das einmal jährlich erscheint, werden von nun an fehlen.

Liebe Rositante, wir alle danken dir für das, was du für unsere Gemeinschaft sowohl in der alten als auch in der neuen Heimat getan hast. Auch in der alten Heimat werden für dich die Glocken noch einmal läuten und man wird deiner in Ehrfurcht gedenken.

Gerda Meyndt

Schlagwörter: Kultur, Nachruf, Volkskunde

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Neueste Kommentare

  • 06.06.2010, 06:22 Uhr von der Ijel: -schmerzhaft-schade-mein-herzliches-Beileid allen die sie gekannt haben [weiter]

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