9. Januar 2013

Die "stumme Kattrin" ist heimgegangen: die Schauspielerin Dora Stefan

Mag dieser bescheidene Nachruf ein ehrendes Andenken für eine Künstlerin sein, mit deren Heimgang die Reihen der gründenden Mitglieder der Deutschen Abteilung des Staatstheaters Sibiu-Hermannstadt (DASS) um eine liebenswerte, begabte Kollegin schütterer geworden sind. Zu den Kolleginnen und Kollegen der ersten Stunde hat sie gehört, zu den Gründungsmitgliedern der DASS – zu jener Handvoll hoffnungsfroher Thespis-Jüngerinnen und -Jünger, die im Sommer 1956 die „neue“ deutsche Bühne Hermannstadts aus der Taufe heben durften. Den legendären Wolkenbruch hat sie mitgemacht, der am 12. August jenes Sommers über dem elften Bild der „Mutter Courage“ niedergegangen war und Mimen und Publikum symbolhaft-eng auf der prächtigen Gartenbühne des ehemaligen Ursulinenklosters zusammengeführt hatte.
Dora („Dotza“) Stefan (1926-2012) ist in dieser ersten Produktion (Regie: Hanns Schuschnig) der DASS die stumme Kattrin gewesen – ihrer Gestaltung zollte Harald Krasser im Neuen Weg vom 17. August 1956 „uneingeschränkte Anerkennung“; er fügte hinzu: „Wir müssen hier (...) den ungewöhnlichen Fall verzeichnen, daß eine junge, scheinbar ganz auf das gesprochene Wort gestellte Begabung in ihrer ersten Bühnenrolle gerade mit ihrem stummen Spiel einen ganz großen, berechtigten Erfolg erzielte.“

Es sollten weitere „gesprochene“ Erfolge (immer wieder ist die gepflegte Bühnensprache der Stefan von der Kritik besonders hervorgehoben worden) hinzukommen; um hier nur einige zu nennen: Ännchen in Halbes „Jugend“, Fräulein Macri in L. Demetrius’ „Drei Generationen“ (eine Studie in drei aufsteigenden Altersstufen für Dora Stefan), Hermia in Shakespeares „Sommernachtstraum“, Regine in Ibsens „Gespenster“, Sophie in Goethes „Mitschuldigen“ – wobei Emilia Galotti in Lessings gleichnamigem Drama sowie Luise Miller in Schillers „Kabale und Liebe“ mächtige Vorstufen waren für die Krönung einer viel zu kurzen Schauspielkarriere: für das Gretchen der Dora Stefan nämlich in Goethes „Faust“! Die Kronstädter Volkszeitung vom 29. März 1962 rief dazumal begeistert aus: „Wieviel erlebte Natürlichkeit und menschliche Größe ihr Gretchen doch auszeichnet!“; und der Neue Weg vom 30. März des Jahres wusste schlicht zu resümieren: „Die geschlossenste Leistung bot, im Rahmen der Hermannstädter Faust-Inszenierung, Dora Stefan als Gretchen.“ Dabei ist die Faust-Produktion von 1962 in Margot Göttlingers Regie mit Ernst von Kraus in der Titelrolle und Christian Maurer als Mephisto vielleicht d i e Sternstunde in der Geschichte des Hermannstädter deutschen Ensembles gewesen!
Dora Stefan als Luise und Christian Maurer als ...
Dora Stefan als Luise und Christian Maurer als Wurm in Schillers „Kabale und Liebe“.
„Dotza“ Stefan hat „familiär vorbelastet“ zur Bühne gefunden: Gleich zwei ihrer Tanten mütterlicherseits haben ihr diese Laufbahn vorgelebt – Käthe Fritsch, die gefeierte „Salondame“ des Deutschen Landestheaters in Rumänien (die jahrelang auch an „reichsdeutschen“ Bühnen verpflichtet war), und Liesl Fritsch, die Tänzerin und leidenschaftliche Tanzpädagogin, deren Tanzabende in den frühen 50er Jahren Hermannstadts beglückende Glanzlichter waren in grauen, armen Hungerzeiten. So hatte es wohl kaum jemand „Wunder genommen“, wenn Dotza schon in jüngsten Jahren auf die Bühne des Landestheaters durfte – als gefeierte Protagonistin im liebenswerten Märchenstück „Der gestiefelte Kater“. Bald darauf sollte sie zu den fleißigen Theaterelevinnen des Landestheaters gehören, ein Status, den ein paar Jährchen vor ihr auch eine gewisse „Pitzu“ Glückselig innehatte, die sich dann, in Deutschland, Ioana Maria Gorvin nennen und an der Seite von Jürgen Fehling eine blendende Schauspielkarriere hinlegen sollte.

Mit dem 23. August 1944 zerschlugen sich freilich die hochfliegenden Theaterträume der Stefan, das deutsche Theater Hermannstadts war – im Sog der „Befreiung“ Rumäniens – sang- und klanglos untergegangen. Nun galt es auch für Dora Stefan einen Brotberuf zu erlernen; sie entschied sich, so gut es ging, für theaternahe Bereiche. Und trotz einer „ungesunden Herkunft“ (ist doch ihr Vater, der Rechtsanwalt Dr. Coriolan Stefan, in den 30er Jahren Präfekt des Kreises Hermannstadt gewesen – ein fluchwürdiges „Vergehen“ in den Augen der neuen Machthaber!) schaffte sie gleich zwei Hochschuldiplome: das des Germanistik-Katheders der Klausenburger Uni und das der Sporthochschule Bukarest. Als wohlbestallte Lehrkraft des Mediascher Gymnasiums ereilte sie aber der Ruf an die neu zu gründende deutsche Bühne ihrer Vaterstadt – mit fliegenden Fahnen folgte sie ihm!

Dann kamen glückliche Jahre als Schauspielerin; die Stefan hat in neun Spielzeiten über zwanzig Hauptrollen denkwürdig gestaltet, sie hat in manch einer kleineren Rolle dezent geglänzt. Es waren Jahre der Begeisterung, trotz der Mühen der vielen Ausfahrten und Tourneen, der miserablen Überlandstraßen, der klapprigen, staubenden Busse und der – im strengsten Winter – mehr symbolisch beheizten Dorfbühnen. Aber man war auf Biegen und Brechen für s e i n Publikum da, für Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, welche Kulturheime und Theatersäle treu und bis zum Bersten füllten! Zeit der Begeisterung eben.

1965 folgte Dora Stefan (nicht gerade leichten Herzens) den bereits ausgesiedelten Eltern nach Westdeutschland. Hier sollte sie wieder für die Schule – und für Tochter Christl und deren Kinder da sein bis zu ihrer verdienten Verrentung und weit darüber hinaus.

Ein mächtiges Credo begleitete sie in all diesen „theaterfernen“ Jahren – die oft von ihr gläubig zitierten Verse aus dem Corus mysticus des „Faust“: „Alles Vergängliche/ Ist nur ein Gleichnis“. Und da sie eine wunderbar verspielte, kindliche Nora in Ibsens „Puppenheim“ gewesen ist, dem Regiedebüt Christian Maurers, dürfen wir uns vielleicht mit Doktor Ranks Abschiedsworten aus eben dieser „Nora“ von Dotza Stefan verabschieden: „... und Dank für das Feuer ...“

Arno Arnold

Schlagwörter: Kultur, Nachruf, Theater, Hermannstadt

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