10. Juli 2005

Michael Königes: "Ich habe nie Erfolg gehabt"

Darauf hatte er sein Werk und Wirken allerdings auch nicht angelegt. Niemand braucht einen Dichter, und sobald er als „Volksdichter“ oder „Bauerndichter“ apostrophiert wird, schon gar nicht. Solch schwammige Bezeichnungen erregen heutzutage eigentlich nur den Verdacht, da wolle sich jemand anbiedern, da solle einem etwas angedient werden, indem eine fadenscheiniger Solidarisierungseffekt beschworen wird – gewissermaßen Literatur von unten. Und doch, die Werbevokabel wird immer noch eingesetzt, weil sie ihre Wirkung offenbar nicht verfehlt. Denn er war unser …
Der Grund ist ein durchaus menschlicher, er liegt in der Nähe, in der niedrigen oder gar nicht vorhandenen Hemmschwelle, die man jenem Menschen „aus dem Volk“ und dessen Texten „für das Volk“ gegenüber empfindet. Er steht einem, auch wenn er Dichter ist, näher, weil man die eigenen Eigenheiten bei ihm wiederfindet. In der kompakten, aber kleinen Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen hat es solche Galionsfiguren lokalen Kulturtreibens viele gegeben. In Zeiden war, bei den Zeidnern ist Michael Königes eine solche Gestalt, der sie sich immer gern nahe gewähnt und an der sie zugleich gern ihr kritisches Mütchen gekühlt haben. Er aber ist über die geistige Gemarkung seiner Heimatgemeinde und das Auffassungsvermögen seiner Landsleute hinausgewachsen, ein zumeist wuchernder, knorriger Wildwuchs, doch mehr als eindrucksvoll, wenn man bedenkt, dass dieser Mann sich alles ohne akademische Anleitung hat erarbeiten müssen.

Michael Königes, Ölgemälde von Eduard Morres. Zeidner Fotoarchiv, verwaltet von Udo Buhn.
Michael Königes, Ölgemälde von Eduard Morres. Zeidner Fotoarchiv, verwaltet von Udo Buhn.
Schließlich war auch der 1871 geborene Michael Königes Bauer, hatte es von Haus aus werden müssen, der Besuch höherer Schulen war ihm als Hoferbe verwehrt, und dass er bei aller landwirtschaftlichen Mühsal auf seine literarische Begabung nicht verzichtet hat, liegt nur an seiner Hartnäckigkeit. Zu bedenken ist bei einer Würdigung auch die historische Epoche des Ersten Weltkriegs, des Übergangs Siebenbürgens von Ungarn zu Rumänien, in Betracht zu ziehen sind die zahlreichen und oft schmerzlichen Brüche und Umbrüche der Zwischenkriegszeit und dann des Zweiten Weltkriegs, die auch die deutsche Gemeinschaft in Siebenbürgen heimgesucht und ihr Gemeinwesen auf eine harte Probe gestellt haben. Als Michael Königes 1955 stirbt, hat er etliche Welten aufdämmern und untergehen sehen, aber nie nachgelassen in dem Bemühen, ihnen mit der Sprache, dem angelernten Hochdeutsch, aber auch – in Versen – dem eher mundgerechten Sächsisch, auf den Grund zu gehen.

Die unbefriedigende Stellung eines Landwirts und eines politisch denkenden Menschen, dem allerdings die notwendige Bildung fehlte, um sein Denken auf den Begriff zu bringen, hat Michael Königes durchzuhalten vermocht und dabei seinen Gestaltungswillen nicht verloren. Kämpferisch, wenn auch nicht selten konfus, kritisch, wenn auch äußerst kritikanfällig, hat er allemal alle, denen zugute gekommen war, wessen er entbehrte, ihre Privilegien entgelten lassen: Reiche, Einflussreiche, Mächtige, Geistliche. Dass dabei Ressentiments und Polemik eine Rolle spielen, die der Textqualität nicht immer förderlich ist, hat er wohl selbst empfunden, mit seinen Widerspruchsgeist aber trotzdem nie hinterm Berg gehalten und sich auch mit politischer Publizistik immer wieder hervorgewagt.

Zu reden ist hier über eine ganz und gar eigene Persönlichkeit, einen, der nicht war, wie „man“ in einer sächsischen Gemeinde zu sein hatte. Bekannt ist, dass „man“ ihn in Zeiden nicht gemocht hat. Auch er hat seine Heimatgemeinde und die sächsische Gemeinschaft, der er angehörte, nicht gemocht, ja er hat den Zustand, in dem sie zu seiner Zeit war, stets als existenzgefährdend diagnostiziert. Nun ist aber „mögen“ im Zeidnerischen, überhaupt in der sächsischen Mundart, gar nicht praktikabel, das Zeitwort gibt es im Sächsischen überhaupt nicht – wohl weil es nicht gebraucht wird. Man war „sich nicht eins“, so hieß das in Zeiden, so heißt das bei den Zeidnern. Sich nicht eins sein bedeutet allerdings erst recht, zueinander zu gehören im Bewusstsein aller Gegensätze.

„Es fehlte mir nur zu oft die geistige Spannung. Einen Ersatz für die fehlenden Anregungen fand ich in der Freiheit des Reitens auf einem edlen Pferd, so wie ich mir durch Aufsätze und durch praktische Arbeit Mühe gab, die Pferdezucht zu verbessern. Mein Reitpferd war zumeist ein junger Hengst. Im Sattel habe ich die Mehrzahl meiner Gedichte im sächsischen Dialekt erdacht.“ Ohne allzu tiefenpsychologisch gründeln zu müssen, kann man vermuten, dass dieser Michael Königes auch mit sich selbst nicht eins war.

Seinen brisantesten Stoff hat er dem geschätzten Kollegen Adolf Meschendörfer überlassen, und der hat ganze Stücke des von Königes dokumentierten Textmaterials und die eigene Erzählkunst eingesetzt, eine seiner wuchtigsten Geschichten, „Aus der Chronik des Bauerngeschlechtes Millen-Müll“, zu schaffen. Warum hat Michael Königes nicht selbst etwas gemacht aus dem Stoff? Aus den Notizen von Meschendörfer geht hervor, dass Königes ihm eine gewissen Verehrung entgegengebracht hat, und man kann sogar Mutmaßungen über einen „Bauerndichter-Komplex“ anstellen. Untypisch für einen wie er, der Konflikte im Schreiben wie im Leben geradezu gesucht hat:

„Dazu beizutragen, dass der Deutsche über seine Schwächen lachen muss, war mein Bestreben. Mein erstes Lustspiel in diesem Sinne war ‚Jugendheim’, das ich bald nach der Rückkehr aus Wien schrieb. Was den anderen Punkt, meine politische Laufbahn, anlangt, sei Folgendes bemerkt: Ähnlich wie der Mann in Goethes ‚Faust’, der nach Schätzen gräbt und schließlich froh ist, wenn er Regenwürmer findet, lebte auch ich. Ich habe nie Erfolg gehabt. Meine Gegner waren jedoch zu kurzsichtig, um zu sehen, dass ich mir mit diesen Regenwürmern die besten Figuren geködert habe.“

Dumpfer Triumph des Mehrwissenden – oder subversiver Triumph literarischer Erfindungsgabe? Michael Königes hat den Umgang mit „Regenwürmern“ nie gescheut. Er hat im Gegenteil weidlich „Figuren geködert“ und in seine Texte gebannt, er hat eine merk-würdige Welt, die der Siebenbürger Sachsen, wie sie sich ihm in Zeiden und Kronstadt, im Burzenland und in der siebenbürgischen Geschichte darstellte, in Prosa und Drama in eine Form zu bringen versucht, die das Besondere vermittelte – jedoch beileibe nicht, um es zu feiern, im Gegenteil.

Die siebenbürgische Geschichte hat Michael Königes zum dramatischen Gegenstand gemacht, manchmal allerdings auch als ideologisches Kampfmittel vereinnahmt. Michael Weiß, Sachs von Harteneck oder Stephan Ludwig Roth hat er in den theatralischen Zeugenstand bemüht; was bleibt, ist allerdings bei den reichlich plakativen Bezügen zwischen Historischem und Zeitgenössischem, bei dem oft nahezu propagandistischen Duktus der Dialoge und Monologe des Öfteren nur der Eindruck der Bemühtheit.

Wer den Dichter erleben will, der dieser Mensch bei allem fehlschlagenden Ehrgeiz doch war, tut gut, sich an seine Prosa zu halten. Sobald er auf die rechthaberische Belehrung verzichtet und geradlinig erzählt, weisen treffsichere Porträts und schwankhafte Prägnanz des Erzählens den Autor als „Volksdichter“ in des Wortes ursprünglicher Bedeutung aus. Seine Mundartgedichte sind einem Nicht-Zeidner leider nicht zu vermitteln, in ihnen aber feiert ein poetischer Mutterwitz fröhliche Urständ, der über manchen der Stolpersteine hinweghilft, an denen die hochdeutsche, aber eben doch mundartlich geprägte Prosa leider nicht arm ist.

Eine Frage tut sich allerdings auch dem wohlwollenden Leser auf: Sind denn das derbe Klischee, das Schlechtreden des Nachbarn, die Bloßstellung menschlicher Unbedarftheit, das genüssliche Ausschlachten ehelichen Streites, die nackte Bosheit und unverhohlene Schadenfreude, sind all diese „Rohmaterialien“ in des Wortes eigentlicher Bedeutung wirklich Stoff für eine Literatur, die diesen Namen verdient? Nicht wenige werden das verneinen und deshalb auch die Auseinandersetzung mit dem meisten, was Michael Königes geschrieben hat, ablehnen. Entgegenzuhalten ist ihnen nur, dass diese Texte nicht nur „aus dem Leben gegriffen“ sind, sondern auch ins Leben greifen, dass jede Zeile davon kündet: Der sie geschrieben hat, meint damit auch sich selbst.

Georg Aescht

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli 2005, Seite 6)

Schlagwörter: Porträt, Dichter, Theater, Zeiden

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