24. August 2006

Silvia Stein von Spiess - erste Vogelkundlerin Siebenbürgens und Rumäniens

Unlängst erschien auch auf dem deutschen Büchermarkt das Spätwerk der Hermannstädter Vogelkundlerin Silvia Stein von Spiess (1901-1993), veröffentlicht 2005 in Hermannstadt: Catalogus ornithologicus, 301 Seiten mit 54 Abbildungen, bearbeitet und ergänzt von ihrer Tochter Dr. Helga Stein und Prof. Dr. Irene Würdinger (ISSN 1454-4784, ISBN 973-87070-8-0), Preis 39,90 Euro.
Leider konnte die Autorin die Veröffentlichung ihres Hauptwerkes nicht mehr erleben, obwohl es schon 1958 abgeschlossen und druckreif vorlag. Die politischen Gegebenheiten waren aber noch nicht reif für dieses umfangreiche Opus. Der Katalog der ornithologischen Sammlung des Museums Hermannstadt enthielt damals 4020 Exponate: einheimische und palearktische Vögel, exotische Arten, Skelette, Nasspräparate und Nester. Es überwiegen die Spezies siebenbürgischer Herkunft, gesammelt vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis 1958. Das 47 Jahre in Vergessenheit geratene Manuskript konnte nun als Band 29 des Historischen Museums Hermannstadt erscheinen, mit allen notwendigen Ergänzungen und Verbesserungen der beiden Bearbeiterinnen. Heute enthält die Sammlung rund 5290 Exponate. Die zum Teil beachtlichen Druckkosten dieses wissenschaftlichen Werkes übernahm die Generaldirektion des Brukenthalmuseums Hermannstadt.

Das Erscheinen ihres
Das Erscheinen ihres "Catalogus ornithologicus" nicht mehr erlebt: Silvia Stein von Spiess.
Die Bedeutung des Kataloges besteht u.a. in dem respektablen Alter des Großteils der erfassten Sammlung, ihrem reichen Umfang, ihrer Vielfalt und nicht zuletzt in der Komplexität und Seltenheit so mancher darin enthaltenen Arten. Der Bestand der Hermannstädter Sammlung enthält sowohl europäische Arten als auch zahlreiche Exoten aus Australien, Afrika, Ostasien sowie Nord- und Südamerika.

Der "Catalogus ornithologicus" ist nicht nur für Vogelkundler, Wildbiologen und Jagdkundler eine begrüßenswert reiche Informationsquelle, sondern auch den Historikern und den Ethnographen, der Landespflege und dem Naturschutz sowie der Heimat-, der Orts- der Regional- und der Landeskunde dienlich. Wir finden darin die wichtigsten Sammler nach der zeitlichen Provenienz der Exponate sowie wertvolle Unterlagen zur einstigen Aktivität so bekannter Ornithologen und Sammler des südöstlichen Karpatenraumes wie E. A. Bielz (1827-1898), Adam von Buda (1840-1920), D. Czekelius (1806-1871), A. Kamner (1871-1952), W. Klemm (1909-1990), E. Witting (1880-1952), A. v. Spiess (1864-1953), W. Stetter (1800-1871) u.v.a.m. Der biographische und bibliographische Anhang zum Leben und Wirken der Verfasserin rundet dieses Werk in dankenswerter Weise ab, und erinnert uns daran, dass dieser Katalog zum Gedächtnis dieser verdienstvollen Ornithologin erschienen ist.

Doch wer war diese zielbewusste und rührige Vogelkundlerin und Fachautorin? Wir finden sie weder im "Lexikon der Siebenbürger Sachsen" (1993) noch (eben deswegen) im Standardwerk "Die Ornithologen Mitteleuropas" (2006), in dem auch die Biographien der verdienstvollen Vogelkundler Siebenbürgens Erwähnung finden. H. Plattner erwähnte die Autorin in der Siebenbürgischen Zeitung (1972) und anlässlich ihres 90. Geburtstages veröffentlichte der Hermannstädter Heimat-Bote 1991 einen kurz gefassten Lebenslauf.

Forscherin von europäischem Format

Silvia Stein von Spiess war die Tochter des weit über die Grenzen der einstigen k. u. k. Monarchie bekannten Obersten und Hofjagddirektors des rumänischen Königshauses, August Roland Spiess von Braccioforte zu Portner und Höflein (1864-1953), und dessen Ehefrau Auguste Herbert aus Hermannstadt. Silvia von Spiess besuchte in ihrer Heimatstadt die Evangelische Elementarvolksschule und anschließend die Evangelische Mädchen-Bürgerschule A.B. (Abschluss 1916). Als älteste Tochter wird sie vom Vater früh in die Naturwissenschaften und das Jagdwesen eingeführt. Bekannt war der kleine Privatzoo des Vaters (Bär, Wolf, Schwarzwild, Adler, Geier, u.a.m.), in dem die heranwachsende Ornithologin sich in den großen Volieren dem Studium der Großvögel Siebenbürgens widmete. Aus der Hermannstädter Großvogelvoliere stammte der wohl bekannteste Kaiseradler mit Namen "Sturm", der dem einst berühmtesten Vogelkundler Deutschlands Dr. J. Thienemann (1863-1938) als Geschenk überreicht wurde. Auch der große deutsche Ornithologe Dr. O. Heinroth (1871-1945), Leiter der Vogelwarte Rossitten, bezog Forschungsmaterial aus dieser inzwischen europaweit bekannten und geschätzten Voliere.

Der jungen Ornithologin Silvia von Spiess gelang es, sich im Kreise der europäischen Vogelkundler einen Namen zu machen. 1929 wird sie Mitglied der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft und hält an deren Jahrestagung in Breslau den Vortrag "Die Vogelwelt des rumänischen Donaubeckens", veröffentlicht ein Jahr darauf (1930) im Journal für Ornithologie. Auf dem VII. Internationalen Ornithologenkongress in Amsterdam (1930) macht sie Bekanntschaft mit berühmten Vogelkundlern wie E. Lönnberg aus Schweden, König Ferdinand von Bulgarien (1861-1948) u.a. Dank ihres Bekanntheitsgrades hält die Fachautorin einen Vortrag zum Thema "Beobachtungen über Brut und Zug in Rumänien" auf der Tagung der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft 1934 in Berlin.

Inzwischen zur Leiterin der Ornithologischen Sektion des königlichen Rumänischen Hofjagddienstes ernannt, unternimmt sie Studienreisen zu den international anerkannten Vogelwarten Helgoland, Rossitten etc. und erlernt dort die modernen Methoden für die Beringungen, die sie dann im Donaudelta anwenden wird. In dieser Zeit unternimmt sie auch Vortragsreisen mit Themen über die Vogelwelt und den Vogelzug in Rumänien, die sie zu allen wichtigen Fachinstituten, zoologischen Gärten und Naturschutzgebieten Europas führen. Für die wissenschaftliche Abteilung der UFA (Universum Film Aktiengesellschaft) in Berlin schrieb sie 1934 das Drehbuch zu einem Film über die Vogelwelt Rumäniens. Hier lernte sie Kurt Stein aus Pommern kennen, der sich der filmischen Tierbeobachtung gewidmet hatte. Die im selben Jahr geschlossene Ehe, aus der die Tochter Helga (geboren 1937) hervorging, war zugleich auch von wissenschaftlichen Interessen geprägt. So produzierten beide 1935 den Film "Aus den Wildnissen des Donaudeltas - Bilder aus dem Vogelleben im Donaudelta, der Dobrudscha und an den Küsten des Schwarzen Meeres". 1934 endete ihre Tätigkeit beim Hofjagdamt Rumäniens, doch immer wieder bereisen die Eheleute die untere Donau, um wissenschaftliches Material zu sammeln. Als eines der ersten weiblichen Mitglieder des 1849 gegründeten "Siebenbürgischen Vereins für Naturwissenschaften Hermannstadt" bleibt Silvia Stein von Spiess diesem als Ausschussmitglied bis 1937 eng verbunden.

Die Kriegsjahre (1939-1945) erlebt die Familie in Deutschland mit allen darauf folgenden Schwierigkeiten: Flucht, Front, Vertreibung, Hunger, Krankheit und Tod des Ehemannes (Ende 1945). Zweieinhalb Jahre sollte die Irrfahrt durch verschiedene Lager dauern. Während des längeren Aufenthaltes in Wien verdiente sie den Unterhalt der nun zweiköpfigen Familie mit Verfassung von populärwissenschaftlichen Hörspielen zu Themen aus den heimatlichen Karpaten sowohl für den Österreichischen Rundfunk (z.B. "Bei den Hirten der transsylvanischen Berge", "Wölfe und wir. Gespräch aus Siebenbürgen" u.a.) als auch für den Berliner Rundfunk ("Füchse im Dach"); gleichzeitig schrieb sie Beiträge für österreichische Jagdzeitschriften wie "Bären in Gefangenschaft" (1947), "Koko, der Rabe" (1947) u.a.m.

Im Sommer 1947 gelang es Silvia Stein von Spiess, zu den Eltern nach Hermannstadt zurückzukehren. Nach einer Phase der Erholung nahm sie 1950 die Arbeit als Präparatorin am Brukenthal-Museum auf. Sie betreibt in dieser Zeit Feldforschung, deren Ergebnisse sie in rumänischen und ungarischen Fachzeitschriften veröffentlicht, wie "Das Birkhuhn im Zibinsgebirge" (in "Vânatorul", 1950), oder "Mornellregenpfeifer im Zibinsgebirge" (in "Aquila", Budapest 1959) etc. Eines der wichtigsten Unterfangen aus dieser Zeit ist die Wiederzusammenführung der Reste der einst bekanntesten siebenbürgischen Sammlung von Adam von Buda, die in Unkenntnis ihres historischen Wertes aus dem Astra-Museum in Hermannstadt an verschiedene rumänische Schulen aufgeteilt worden waren. Als Abschluss ihres Berufslebens (Ruhestand 1961) ist der oben vorgestellte Katalog anzusehen, angefertigt nach dem Muster des Temeschburger Museums (1944) vom großen rumänischen Ornithologen D. Lintia (1880-1952). Auch im Ruhestand bleibt sie weiter aktiv als Kustode der Naturschutzkommission der Rumänischen Akademie.

In Ost und West erfolgreich

Nach der Rückübersiedlung nach Deutschland 1963 versuchte S. Stein von Spiess den 1958 abgeschlossenen Katalog mit Hilfe von Prof. Dr. G. Niethammer (1908-1974) zu veröffentlichen, doch es fehlte am nötigen Geld für dieses nicht risikofreie Unterfangen. Allmählich erschöpfte sich ihre kreative Leistungskraft. Sie schreibt noch einige Beiträge für Fachzeitschriften und für die Siebenbürgische Zeitung. Hochbetagt übersiedelt sie von Göttingen nach Hildesheim, wo ihre Tochter Helga von 1979 bis zur Pensionierung 2002 als Volkskundlerin am Roemer-Pelizaeus Museum tätig war. Am 26. Februar 1993 verstirbt die große alte Dame der siebenbürgischen und rumänischen Ornithologie. Ihre letzte Ruhe fand sie in der Familiengruft ihrer Schwester Trude von Kövess auf dem Zentralfriedhof in Wien. Ihre rund 80 veröffentlichten Fachbeiträge und literarische Skizzen sowie der "Catalogus ornithologicus" sind für die Vogelkundler eine wertvolle und unerlässliche Quelle zur Kenntnis der Avifauna des Südostkarpatenraumes.

Auch heute noch ist die Grand Dame und erste Ornithologin Siebenbürgens und Rumäniens nicht nur im Kreise der Vogelkundler und Jäger der alten Heimat bekannt, sondern auch dank ihrer zahlreichen Veröffentlichungen und der regen Fachkorrespondenz mit allen namhaften europäischen Fachleuten der Materie, grenzüberschreitend geschätzt und nicht vergessen.

Rudolf Rösler

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 12 vom 31. Juli 2006, Seite 5)

Schlagwörter: Porträt, Naturwissenschaften

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