30. Januar 2007

Bedeutender Historiker der Sonderpädagogik: Andreas Möckel

Am 30. Januar 2007 feiert Prof. Dr. Andreas Möckel seinen 80. Geburtstag. In Großpold als Sohn des späteren Kronstädter Stadtpfarrers Dr. Konrad Möckel und seiner Ehefrau Dr. Dora Möckel geb. Schullerus, der Tochter des Bischofvikars und Senators Dr. Adolf Schullerus, geboren, besuchte er das Honterusgymnasium in Kronstadt. Im Januar 1945 wurde er nach Russland deportiert und im Februar 1947 krank in die amerikanische Besatzungszone Deutschlands entlassen.
An der Evangelisch-Kirchlichen Heimschule Michelbach a.d. Bilz schloss er seine Schulbildung 1947 mit dem Abitur ab und wurde 1949-1951 am Pädagogischen Institut in Stuttgart zum Lehrer ausgebildet. Nach zwei Jahren Dienst an Volksschulen studierte Andreas Möckel 1953-1958 Pädagogik, Philosophie und Geschichte in Tübingen, Westberlin und München.

Nach dem Staatsexamen arbeitete er von 1959 bis 1962 als Assistent am Staatlichen Seminar zur Ausbildung von Hilfsschullehrern Stuttgart/ Tübingen und promovierte 1951 mit einer von Eduard Spranger angeregten Arbeit über das Thema „Schulpolitik und Einheitsschulgedanke im Deutschen Lehrerverein 1900-1920“. 1963 kam er, nach Gründung der Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg, an die Pädagogische Hochschule Reutlingen, zunächst als Dozent für Geschichte und Geschichtsdidaktik und dann für Allgemeine Pädagogik. Von 1969 bis 1976 wirkte er als Professor und Leiter des Instituts für Sonderpädagogik (später Fachbereich Sonderpädagogik) an der PH Reutlingen in Verbindung mit der Universität Tübingen. 1976 nahm er einen Ruf der Universität Würzburg für den Lehrstuhl für Sonderpädagogik (Lernbehindertenpädagogik) an, wo er bis zu seiner Emeritierung 1992 tätig war.

Prof. Dr. Andreas Möckel wird 80 Jahre alt. Foto: Petra Reiner
Prof. Dr. Andreas Möckel wird 80 Jahre alt. Foto: Petra Reiner
Nach der Emeritierung arbeitete Andreas Möckel mit bewundernswerter Energie und Disziplin weiter, und das in erstaunlich vielen Tätigkeitsfeldern: Wegbegleiter in dem einen wissen oft kaum etwas von dem andern Arbeitsgebiet: die einen kennen ihn nur „pädagogisch“, die andern nur „siebenbürgisch“ und die dritten nur „kirchlich“ oder „vereinsmäßig“.

In seinem Fachgebiet hat Andreas Möckel über seine Lehrtätigkeit hinaus durch seine Veröffentlichungen, durch Tagungen, Kongresse und die Mitarbeit in Kommissionen die Diskussion wesentlich mitbestimmt, und er ist wohl der prominenteste Historiker der Sonderpädagogik. Ein Standardwerk ist der Band „Die besondere Grund- und Hauptschule. Von der Hilfsschule zum kooperativen Schulzentrum“, veröffentlicht 1976 und 2001 in einer vierten, aktualisierten Auflage. 1988 veröffentlichte Andreas Möckel die erste „Geschichte der Heilpädagogik“ im deutschsprachigen Raum. Hier arbeitet er nicht nur die sytematischen Linien dieser Geschichte heraus, sondern entwickelt einen neuen Ansatz, fasst die Heilpädagogik „als zeitliches Moment jeder Pädagogik“ und plädiert für „die Aufnahme der Heilpädagogik in Sinne eines methodologischen Prinzips jeder Pädagogik“. Der Band erscheint 2007 in zweiter, überarbeiteter Auflage. Zusammen mit zwei Mitautoren (Heidemarie und Gottfried Adam) hat Andreas Möckel in zwei besonders schön gedruckten Bänden die „Quellen zur Erziehung von Kindern mit geistiger Behinderung“ herausgegeben: Band 1: 19. Jahrhundert, Band 2: 20. Jahrhundert.

Im Auftrag des Verbandes deutscher Sonderschulen-Fachverband Behindertenpädagogik gab er 1998 unter dem Titel „Erfolg, Niedergang, Neuanfang“ die Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Verbandes heraus. In seinen historischen Arbeiten hat Andreas Möckel die Vorzüge, aber auch die Schwächen der gefundenen Lösungen und dramatischen Verfehlungen (z.B. in der Zeit des Nationalsozialismus) im Kampf um die Bildung von Kindern und Jugendlichen, die leicht ausgegrenzt werden, eindrucksvoll beschrieben.

Auf die zahlreichen Arbeiten zu Grundfragen der Erziehung behinderter Kinder kann hier nicht eingegangen werden. Seit den siebziger Jahren beschäftigte sich Andreas Möckel mit dem Problem des Lesenlernens unter erschwerten Bedingungen. Er ist Mitherausgeber des 1977 erschienenen Lesewerks „Eins ... zwei ... drei: Wir lesen“ und des Förderprogramms „Intensivtraining in der Lesetechnik“ (ein aus dem Schwedischen umgearbeitetes Leseprogramm), 1996 entstand ein Lehrfilm. 1997 veröffentlichte er nach längeren Vorarbeiten den Band „Lese-Schreibschwäche als didaktisches Problem“.

Seit 1999 hat das Lesen- und Schreibenlernen Andreas Möckel neu beschäftigt. Er entwickelte mit Mitarbeitern einen Studiengang Diplom-Pädagoge mit dem Schwerpunkt Legasthenie. Daraus entstand der „Interdisziplinäre Kurs LRS“ (Lese-Rechtschreibschwäche), der nun schon zum sechsten Mal läuft und an dem Möckel immer noch mitarbeitet. Aus dem Kurs ist, in Zusammenarbeit mit drei Mitautoren, 2004 ein Buch geworden: „Lese-Schreibschwäche. Vorbeugen, Erkennen, Helfen“.

Obwohl beruflich voll ausgelastet, blieb Andreas Möckel Siebenbürgen, seiner Kultur und Geschichte, seiner Kirche und seinen Menschen immer eng verbunden. Seit 1959 mit Anneliese geb. Fröhlich verheiratet, wurde im Hause mit den drei Töchtern selbstverständlich sächsisch gesprochen. Schon Anfang der fünfziger Jahre, als junge Landsleute, meist Jungakademiker und Studenten, im „Arbeitskreis junger Siebenbürger Sachsen“ zusammenkamen, war Andreas Möckel dabei. Sie suchten Orientierung und waren überzeugt, dass man ohne die historische Dimension weder Gegenwart verstehen noch Zukunft planen kann.

Als aus diesem Kreis 1962 der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde als Nachfolgeorganisation des traditionsreichen Vereins für Siebenbürgische Landeskunde hervorging, gehörte Andreas Möckel zu den Gründern, war von Anfang an Vorstandsmitglied (zeitweise Zweiter Vorsitzender) und blieb es bis 1972. Ihn selbst beschäftigen vor allem die Geschichtsschreibung und das Selbstverständnis der Siebenbürger Sachsen, die jüngste Vergangenheit und das Verhältnis von Kirche und Schule. Aus seiner Feder stammen eine Reihe grundlegender Aufsätze, von denen hier nur einige genannt seien: „Das Nachwort zu Friedrich Teutsch, „Kleine Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ (1965), der Beitrag „Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein bei den Siebenbürger Sachsen“ (Band 6 des Siebenbürgischen Archivs, 1967), „Kleinsächsisch oder Alldeutsch. Zum Selbstverständnis der Siebenbürger Sachsen 1867 bis 1933“ (Archiv 28, 1994), „Kirchenschulen und Entkirchlichung“ (Arch. 32, 1996) und „Scholae serviendo consumor“ (Im Dienst der Schule verzehre ich mich), „Die Evangelische Landeskirche A.B. in Rumänien und die Schule im Spiegel der Protokolle des Hermannstädter Presbyteriums 1928-1948“ (Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 2/1999)“. Alle diese Beiträge nötigen zu grundsätzlichen Überlegungen.

Zusammen mit seinem Bruder Gerhard hat Andreas Möckel 2005 (nach dem Tode des Bruders) den Bildband „Trude Schullerus 1889-1981. Eine siebenbürgische Malerin“ mit einer Auswahl der Arbeiten der Tante herausgegeben.

Für Schüler, Studenten, Wegbegleiter und Freunde war und ist Andreas Möckel immer ein gesuchter, anregender Gesprächspartner, der zuhören, gegenhalten und ermutigen kann. Selbstkritisch, bescheiden und zurückhaltend, aber hartnäckig, wenn er von etwas überzeugt ist, kann man mit ihm auch produktiv streiten. Sein großes Engagement wirkt ansteckend. Dafür danken wir dem Jubilar ganz herzlich – mit den allerbesten Wünschen für die kommenden Lebensjahre!

Walter König

Schlagwörter: Kirche und Heimat, Schulgeschichte, Pädagogen

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