1. Mai 2003

Univ. Prof. Dr. Roland Girtler

Univ. Prof. Dr. Roland Girtler lehrt am Institut für Soziologie der Universität Wien. Der 1941 in Wien geborene Kulturanthropologe und Soziologe ist kein abgehobener Wissenschaftler, keiner aus dem Elfenbeinturm und doch ein Sonderling seiner Zunft: "Er radelt durch die Welt, 'Professor und Pilger' steht auf seinen Visitenkarten. (...) Er liebt das Wirtshaus, den Stammtisch. Er ist am liebsten dort, wo es am meisten menschelt.", schrieb Günther Nenning ("Die Presse" vom 13. November 2002) anlässlich Girtlers Neuveröffentlichung "Echte Bauern. Der Zauber einer alten Kultur". Ein Buch, auch über die Sachsen und Landler, nicht sein erstes und wohl kaum sein letztes. Das Grundlagenmaterial dazu sammelte der Soziologieprofessor auf Exkursionen mit seinen Studenten zu den evangelischen Landlern. Weshalb ihn die Landler so faszinierten, fragte Robert Sonnleitner, selbst ein Landler, den Gelehrten jüngst in einem Interview.
Sie beschäftigen sich bevorzugt mit Randkulturen: Vagabunden, Wilderer und soziale Rebellen. Bezeichnenderweise trägt eines Ihrer Bücher den Titel "Theorie der Unanständigkeit". Wie definieren Sie Randkulturen?

Jede Gesellschaft ist bunt, besteht aus vielen Randkulturen, die alle ihre Geschichte, ihre eigene Sprache und ihre Tricks des Überlebens haben. Unter Randkulturen verstehe ich Gruppen, deren Menschen vom "braven" Bürger als anders, absonderlich, unbequem, "unanständig", gefährlich oder sonstwie als problematisch gesehen werden, wie eben Vagabunden, Ganoven, Dirnen, Wilderer, jugendliche Rebellen oder eben Fremde, mit denen man nichts zu tun haben will.

Begründet sich Ihr Interesse auch aus Ihrer Biographie heraus?

Ich bin als Kind von Landärzten im oberösterreichischen Gebirge aufgewachsen und von daher kenne ich die alten Bauern, zu denen auch die Wildschützen gehörten. Charakteristisch für alle diese Leute sind eine alte Geschichte und eine alte Sprache.

Professor Girtler, Sie fahren jeden Frühsommer mit Ihren Studenten nach Siebenbürgen, zu den "Landlern", die von Maria Theresia Ihres evangelischen Glauben wegen vertrieben wurden. Wann sind Sie zum ersten Mal auf die Landler aufmerksam geworden?

Univ. Prof. Dr. Roland Girtler ...
Univ. Prof. Dr. Roland Girtler
Das war 1989, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, als ich hörte, dass in Siebenbürgen noch die Nachfahren der dorthin im 18.Jahrhundert verbannten österreichischen Protestanten, die so genannten Landler, leben und ihre alte österreichische Sprache sprechen. Und ich bin dankbar, dass ich mit anderen Wissenschaftern 1990 zunächst zu einem kleinen Forschungsprojekt nach Großpold fahren durfte. Seit damals bin ich jedes Jahr für mindestens zwei Wochen in Großpold.

Die Siebenbürger Landler haben Sie (zusammen mit Ihren Studenten) bereits in mehreren wissenschaftlichen Publikationen thematisiert.

Die Landler faszinieren mich vor allem aufgrund ihrer Geschichte, die von Rebellentum, Mut und Beharrlichkeit erzählt. Ihre Geschichte ist eng mit dem oberösterreichischen Bauernkrieg von 1625 verbunden. Dieser nahm im "Landl", dem Gebiet bei Eferding in Oberösterreich, seinen Ausgang. Daher leitet sich die Bezeichnung "Landler" ab. Die protestantischen Bauern kämpften einen kühnen Kampf, viele wurden brutal niedergemetzelt. Die Landler wurden schließlich aus Österreich (aus Oberösterreich, der Steiermark und Kärnten) nach Siebenbürgen verbannt. Dort gingen sie mit den Sachsen eine fruchtbare Symbiose ein und blieben ihrer bäuerlichen Kultur bis heute treu. Als Forscher empfinde ich es als eine schöne Aufgabe, diese alte Kultur der Landler und Sachsen noch erleben und beschreiben zu dürfen.

Inwieweit sind die Siebenbürger Landler eine "Randkultur"?

In doppelter Hinsicht: Zum einen wurden sie als Protestanten von den katholischen Herrschern in Österreich bis ins 18. Jahrhundert als Verbrecher gesehen, die man aus Österreich verbannen wollte und auch verbannt hat. Zum anderen mussten sich die Landler, um ihre Kultur zu erhalten, genauso wie die Sachsen in Siebenbürgen vor allem von den Rumänen und Zigeunern abgrenzen. Als Deutsche mit ihrer eigenen Sprache und Religion haben sie in einer ihnen kulturell fremden Welt mitunter Schwierigkeiten, wie zum Beispiel nach dem letzten großen Krieg, als man junge Deutsche aus Siebenbürgen nach Russland zur Zwangsarbeit verschleppte.

Die in Großpold lebenden "Zigeuner" waren schon oft Forschungsobjekt Ihrer Studenten. Was ist das Besondere an dieser "Randkultur"?

Für meine Forschungen sind die Zigeuner (den Begriff verwende ich nicht abwertend) insofern wichtig, als gewisse Zigeuner bei Landlern und Sachsen als Mägde und Knechte arbeiten. Und sie gehören zum Leben in den Dörfern. Wohl genießen die Zigeuner bei den Deutschen nicht immer hohes Ansehen und man spricht mitunter abwertend über sie, aber dennoch reden die Zigeuner in höchster Achtung von Sachsen und Landlern. Sie meinen, in der Vergangenheit und auch jetzt hätten die Deutschen sich nie schlecht gegenüber den Zigeunern verhalten. Während des Krieges hätte man die Zigeuner, wie diese selber sagen, sogar beschützt.

Welche Charaktereigenschaft schätzen Sie bei den siebenbürgischen Landlern am meisten?

Die in Großpold und anderen Dörfern heute noch verbliebenen Landler schätze ich ob ihres Fleißes, ihrer Treue zu ihrer alten Sprache und Kultur, ihrer großzügigen Gastfreundschaft, ihrer Anständigkeit und überhaupt wegen ihres weiten Geistes.

Wie beurteilen Sie aus Sicht des Soziologen die momentane Situation der Landler in Siebenbürgen?

Die Kultur der Landler (und Sachsen) in Siebenbürgen ist am Untergehen. Nur mehr Alte sind als Bauern hier aufzufinden. Die Jugend der Landler ist dem Glitzern des Westens, der durch und durch amerikanisiert ist, gefolgt.

Vor einigen Wochen haben Sie an der Universität Klausenburg anlässlich der Eröffnung der Österreich-Bibliothek einen Vortrag mit dem Titel "Die Landler - Rebellen aus Österreich und Träger einer alten Bauernkultur in Siebenbürgen". Warum gerade dieses Thema?

Mir war es ein Anliegen, rumänischen Studenten der Universität Klausenburg die Geschichte und das Leben der Landler, deren Vorfahren echte österreichische Rebellen waren, nahe zu bringen. Damit verband ich eine Beschreibung der alten Bauernkultur der Landler (und Sachsen).

In Ihrer zuletzt erschienenen Publikation mit dem Titel "Echte Bauern - vom Zauber einer alten Kultur" gehen Sie auch auf die bäuerliche Kultur der deutschen Bauern in Siebenbürgen, speziell in Großpold ein. Was ist/war an dem sächsischen und landlerischen Bauern echt?

Echte Bauern gibt es bei uns in Österreich und Deutschland nicht mehr. Echte Bauern waren die früheren autarken Bauern bei uns bis in die sechziger Jahre, echte Bauern sind heute noch die landlerischen bzw. sächsischen Bauern in Großpold und in anderen deutschen Dörfern. Von diesen echten Bauern kann man einiges lernen. Darum schrieb ich dieses Buch über die "echten Bauern".
Der echte Bauer, wie ich ihn verstehe, ist kein Spezialist, er ist ein Mensch mit vielseitigem Wissen und er ist im Wesentlichen eigenständig, er kann mit dem, was er züchtet und anbaut , leben. Ich habe alle Achtung vor dem echten Bauern, da er ein großes Wissen mit sich führt, das sich auf die Natur bezieht. Bei uns in Oberösterreich im Gebirge wurden die Bauern zu reinen Produzenten von Fleisch und Milch. Nicht einmal Hühner, die früher bei uns auf jedem Bauernhof zu sehen waren, haben sie mehr - oder höchst selten. Anders ist dies in Großpold, wo der Bauer noch ein echter Bauer ist, denn er hat seine Tiere, seinen klassischen Misthaufen mit Hühnern, seinen Weingarten, seine Felder und seinen Garten vor und hinter der Scheuer.

Sie beschreiben die Bauern in der EU als "Schauspieler, die den Sommergästen Almleben vorspielen". Was macht den echten Bauern aus im Unterschied zu unseren heutigen Bio-Bauern?

Die Bauern bei uns sind auf den Markt hin orientiert. Der echte Bauer ist dies nicht. Auch der Bio-Bauer ist kein echter Bauer. Er ist ein Spezialist, der gefördert wird. Der Bauer in unseren Alpengegenden muss sich "verkaufen", um entsprechend überleben zu können. Daher wird den staunenden Sommergästen, die einmal echte Tiroler Bergbauern sehen wollen, eine "echte" bäuerliche Kultur vorgespielt. Es werden Heimatabende veranstaltet und der Almabtrieb im Herbst mit geschmückten Kühen wird zu einem Theater für den Fremdenverkehr und das Fernsehen. Ich weiß von Fällen, bei denen die Kühe mit dem Traktor auf die Alm gebracht werden, um sie dann für das Publikum und das Fernsehen zu Tal zu führen. Typisch für die echte Alm war, dass das Milchvieh hinauf getrieben wurde, damit die Bauersleute bei der Erntearbeit entlastet waren. Heute wird kein Getreide mehr im Gebirge angebaut und daher ist eine echte Alm auch gar nicht mehr notwendig für die Milchkühe. Auf der Alm heute ist meist nur mehr Jungvieh. Und wenn doch Milchkühe auf der Alm sind und diese dort gemolken werden, so tun dies die Bauern wegen der Förderung und wegen des besseren Preises der Milch. Es ist eine andere bäuerliche Welt bei uns. Der Bauer wurde zum Landschaftspfleger. Dafür soll er auch bezahlt werden.

Das ist in Siebenbürgen noch anders?

Ja. Wie vor Jahrhunderten werden zum Beispiel in Großpold täglich während des Sommers die Kühe von einem Dorfhirten (meist ein Zigeuner) auf die gemeinsame Weide, die Hutweide, gebracht. Bei uns war es einmal ähnlich. Wenn ich mir die alten Bilder des holländischen Malers Breughel aus dem 16. Jahrhundert ansehe, auf denen u.a. das bäuerliche Dorfleben gezeigt wird und die Kühe von der Weide zum Hof gebracht werden, so fühle ich mich nach Siebenbürgen versetzt. Aber auch diese bäuerliche Kultur ist am Verschwinden.
Bei den Landlern in Großpold gefällt mir besonders die Pflege ihres Bauerngartens, der voll der Buntheit ist und von der Liebe der Bäuerin für die Blumen und das Gemüse erzählt. Ich habe diesem Garten ein eigenes Kapitel in meinem Buch gewidmet. Ich habe höchste Achtung vor diesen echten sächsischen und landlerischen Bauern in Siebenbürgen, soweit es sie noch gibt. Und ich danke jenen, vor allem Anneliese und Andreas Pitter, die mich mit offenen Armen in Großpold aufgenommen haben und es immer wieder tun. Ende Mai fahre ich wieder nach Großpold.

Vielen Dank für das Gespräch.

Link: Institut für Soziologie an der UNI Wien

Schlagwörter: Interview, Wissenschaft

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