22. Juni 2006

Dieter Acker

Obwohl bekannt war, dass der Komponisten und Musikhochschulprofessor Dieter Acker seit 2002 an einer lebensbedrohlichen Krankheit litt, konnten Freunde, Kollegen, Schüler, ein breiter Bekanntenkreis sich mit der überraschenden, bestürzenden Todesnachricht doch schwer abfinden. Nur die nächsten Verwandten hatten gewusst, wie es wirklich um ihn stand, waren auf das Schlimmste vorbereitet, hatten aber doch gehofft, dass ihm noch einige Jahre vergönnt sein würden. Die schrecklichste und tückischste aller Krankheiten aber holte sich ihr neues Opfer am Samstag, dem 27. Mai dieses Jahres. Die Bestattungsfeier fand Donnerstag, 1. Juni, am Münchener Ostfriedhof statt.
Genau vor einem Jahr stand Acker noch - allerdings von der Krankheit gezeichnet - am Rednerpult der Dinckelsbühler Sankt-Pauls-Kirche, um mit wenigen bewegten und bewegenden Worten für die Verleihung des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreises und die Laudatio des Komponistenkollegen Horst Gehann zu danken. Am 6. Februar dieses Jahres wurde er anlässlich seiner Emeritierung im Großen Konzertsaal der Münchener Musikhochschule in einem Abschiedskonzert herzlich gefeiert. Hier wurde die Hoffnung geäußert, "dass aus seiner Feder noch viel Musik entstehen möge und die bei ihm verbliebenen Studenten weiterhin seinen Unterricht genießen werden. Es sollte anders kommen. Diese Ereignisse aber mögen letzte Lichtpunkte in Ackers Leben, in seinem verzweifelten, qualvollen, ungleichen Kampf mit dem Schicksal gewesen sein.

Der Komponist und Musikhochschulprofessor Dieter Acker (1940-2006)
Der Komponist und Musikhochschulprofessor Dieter Acker (1940-2006)
Wer Dieter Ackers äußere Erscheinung so im Gedenken bewahren will, wie er ein Leben lang - ein zu kurzes Leben - gewesen war, muss auf frühere Erinnerungen oder ältere Porträtaufnahmen zurückgreifen. So nimmt man ihn wahr als warmherzigen, taktvollen, wohlwollenden, treuen, aufgeschlossenen, heiteren, ruhige Kraft ausstrahlenden Menschen mit hellen, energischen Augen und einem nachdenklichen, auch etwas kritisch-strengen, fest auf ein Ziel und doch nach innen gerichteten, zuweilen auch verschmitzt-gutmütigen Blick, als einen Künstler mit einem gesunden Maß an Selbstbewusstsein, der sich seines Könnens bewusst ist, nie aber zu Arroganz, Intoleranz oder gar Angriffigkeit neigt. Betrachtet man Bilder von Acker, kann man sich des Eindrucks einer frappanten Ähnlichkeit mit Porträtfotos von Johannes Brahms nicht erwehren. Ohne einen Vergleich in Begabung, Leistung und Bedeutung mit dem Titanen Brahms anstellen zu wollen: Eine physiognomische Verwandtschaft ist nicht von der Hand zu weisen, und wenn man diesen Gedanken fortführt, kommt man auch zu einer gewissen Wesensverwandtschaft, die sich im Charakter der Musik äußert. (Brahms und Acker sind übrigens an derselben Krankheit und in annähernd gleichem Alter gestorben.)

Anders verlief Ackers Leben, anders und doch auch ähnlich waren seine Herkunft, seine genealogischen Wurzeln, sein Bildungsgang. Am 3. November 1940 in Hermannstadt geboren, kam er fünfjährig zu seinen Großeltern, denn sein Vater war im Krieg gefallen und seine Mutter wurde mit Tausenden anderer deutscher Frauen und Männer aus Rumänien nach Russland zur Zwangsarbeit deportiert. Die deutschen Schulen in Hermannstadt wie in ganz Siebenbürgen durften - im Gegensatz zu allen anderen siebenbürgisch-sächsischen Institutionen, Organisationen und Einrichtungen -, wenn auch verstaatlicht und von den neuen Machthabern bevormundet, weiter bestehen. So verlief die Schulzeit Ackers in beinahe hergebrachter Weise und in mehr oder weniger normalem Rahmen. Er besuchte eine Hermannstädter Volksschule und danach das Evangelische Gymnasium. Wie alle überdurchschnittlich musikalisch begabten Jugendlichen in Hermannstadt vor und nach ihm nahm auch der Schüler Acker Unterricht in Klavier, Orgel und Musiktheorie beim hochgeachteten, gefeierten und gesuchten Hermannstädter Kantor, Konzertorganisten, Dirigenten und Komponisten Franz Xaver Dressler. In dieser Zeit schon machte er durch die Hermannstädter Aufführungen und durch Dressler selbst Bekanntschaft mit der großen, vor allem deutschen klassischen Musik aber auch schon mit musikalischen Schöpfungen zeitgenössischer rumänischer Komponisten.

Die akademische musikalische Ausbildung erhielt Acker von 1958 bis 1964 am Staatlichen "Musikkonservatorium" in Klausenburg/Kolosvár/Cluj (heute Musikakademie Gheorghe Dima). Seine höhere Schulbildung und sein musikalischer Werdegang spielten sich also vor dem Hintergrund der Nachkriegsgeschehnisse in Siebenbürgen, des neuen rumänisch-kommunistischen Totalitarismus und im Rahmen staatlich und parteipolitisch gelenkter Bildungssysteme ab. Der musikalische Fachunterricht aber war schon in dieser Zeit von bestem europäischem Niveau. Neue geistige und künstlerische Erscheinungen und Entwicklungen aus Westeuropa konnten allerdings schwer bis in den Osten durchdringen, und sie waren vor allem verboten. Acker hatte das Glück, in Klausenburg Kompositionsschüler der überragenden Persönlichkeit Sigismund Todutas zu werden, eines Mannes von großer schöpferischer Potenz, umfassender musikalischer und hoher humanistischer Bildung, alles andere als "sozialistisch" angehaucht und nie zu Kompromissen und Zugeständnissen an das Regime bereit. Dieser begnadete Lehrer und Mentor hat jahrzehntelang eine Reihe von später erfolgreichen rumänischen, ungarischen und deutschen Komponisten gebildet und geprägt. Acker hat ihm auch später größte Verehrung und Hochachtung entgegengebracht und ein treues, dankbares Gedenken bewahrt. Der Weg zu Toduta war Acker allerdings - das soll hier nicht unerwähnt bleiben - zunächst versperrt: Obwohl er in der Aufnahmeprüfung am höchsten benotet worden war, verwehrten ihm die politischen Überwacher die Zulassung zum Studium. Der Grund: "Sein Urgroßvater, dessen Söhne und wiederum deren Söhne" seien alle Pfarrer gewesen, einer der Großväter sogar Gutsbesitzer, "Chiabur", also "Ausbeuter". Einem solchen "Element" wie dem Nachkommen aus einer solchen Familie könne man kein Studium erlauben. Acker hat diese Begebenheit später amüsiert, in einer für ihn typischen humorvollen Art schmunzelnd zum Besten gegeben.

Es blieb damals jedoch nicht bei dieser einen Behinderung und Schikane: Weil einer seiner Onkel in der Bundesrepublik Deutschland lebte, wurde ihm das Enescu-Stipendium verweigert; weil eine "Kommission" in seinem Zweiten Streichquartett das verbotene "dekadente", "bourgeoise" Zwölftonsystem entdeckt hatte, erhielt er als junges Mitglied des Rumänischen Komponistenverbandes keinen "Zuschlag" für eine Aufführung des Werks; weil man ihn, wie die meisten Bürger des kommunistischen Rumänien, nicht ins Ausland reisen lassen und auch nicht beurlauben wollte, konnte er ein ihm zugesprochenes Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für ein postgraduales Studium in Berlin nicht wahrnehmen. Acker war inzwischen dann doch auf Drängen Todutas, der die außergewöhnliche Begabung des zielbewussten, suchenden jungen Mannes sofort erkannt hatte, als sein Schüler zum Studium zugelassen worden, hatte (1964) die künstlerische Diplomprüfung im Fach Komposition abgelegt und war unmittelbar danach auf Empfehlung seines Lehrers als dessen Assistent und Dozent für musiktheoretische Fächer und Komposition an der Klausenburger Musikhochschule engagiert worden. Bald machte er sich als Komponist einen Namen. Auch ein erster internationaler Erfolg hatte sich eingestellt: Sein erstes Streichquartett hatte 1966 den Kompositionspreis beim Festival Prager Frühling errungen. Führende musikalische und politische Organe und auch maßgebende Einzelpersonen versuchten jedoch zunehmend, ihn niederzuhalten und ihm Steine in den Weg zu legen. Mehr und mehr bekam er die kommunistische Diktatur mit Vorgaben, Reglementierungen und Anfeindungen zu spüren. Zwischenzeitliche Auflockerungen konnten den ständigen Nervenkrieg kaum mildern, die wenigen vorhandenen Freiräume und Nischen ließen das Verlangen nach Freiheit nur noch größer werden.

So ist es verständlich, wenn Acker die erste Gelegenheit eines ihm dann doch 1969 gewährten Aufenthalts im Ausland - er durfte die Darmstädter Ferienkurse besuchen - dazu nutzte, sich in die damalige Bundesrepublik abzusetzen. Noch im selben Jahr erhielt er eine Dozentur für Musiktheorie und Komposition am Robert-Schumann-Konservatorium in Düsseldorf (heute Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf), wo übrigens bis heute zwei weitere Siebenbürger Sachsen und ein Banater Schwabe im Lehrkörper tätig sind. In seinem Heimatland galt Acker nun als "Landesverräter", über seine Werke wurde Aufführungsverbot verhängt, aus dem Komponistenverband wurde er ausgeschlossen, nichts durfte von ihm und über ihn publiziert werden.1972 erreichte Acker ein Ruf an die Münchener Musikhochschule. Dort erfolgte 1976 seine Ernennung zum Professor für Komposition als Nachfolger von Harald Genzmer. Eine Gastprofessur führte ihn als ersten deutschen Musikprofessor 1985 vorübergehend nach Peking.

In Klausenburg hatte Acker seine spätere Frau, die Hermannstädterin Heyde Roth, kennengelernt. Die Reise nach Darmstadt durfte er mit ihr zusammen antreten, ihre zwei Töchter jedoch mussten zurückbleiben. Nach immensen Schwierigkeiten gelang es 1970, die Kinder aus Rumänien herauszuholen. In München kam eine dritte Tochter zur Welt. Ackers Gattin ist ihm stets aufopferungsvoll zur Seite gestanden, er seinerseits war ihr immer in Liebe und Dankbarkeit tief verbunden. Beide hielten die Verbindung zu siebenbürgischen Freunden und Landsleuten aufrecht, ebenso wurden Bekanntschaften mit einigen in Deutschland lebenden Rumänen gepflegt. Nachdem die Freiheit 1990 nach Rumänien zurückgekehrt war, nahm man alte Freundschaften wieder auf. Acker legte Wert darauf, mit siebenbürgisch-sächsischen Freunden in der Mundart zu sprechen. Es stimmt also nur bedingt, wenn Acker in seiner Dankrede für die Verleihung des Siebenbürgischen Kulturpreises meinte, er habe seit er in Deutschland lebe "so gut wie keine Berührungspunkte" mit seinen siebenbürgischen Landsleuten gehabt, die Zuerkennung "dieser hohen Auszeichnung" habe ihn daher "überrascht". Gemeint waren offenbar fehlende Berührungspunkte mit kulturellen Aktivitäten der Siebenbürger Sachsen.

Nach der politischen Wende hat man sich in Rumänien natürlich sehr bald auf Acker besonnen. Die dortigen Kollegen und Freunde waren ihm in Treue zugetan geblieben, nur hatten sie sich eben, so lange die Gewaltherrschaft währte, dem politischen Druck beugen müssen. Der Senat der Klausenburger Musikakademie verlieh Acker, der "in der weiten musikalischen Welt das Ansehen der Klausenburger Schule verkörpert" aus Anlass seines 60. Geburtstags den Titel Doctor honoris causa, "als Zeichen der Dankbarkeit und der hohen Wertschätzung", nachdem vor ihm Yehudi Menuhin, Roman Vlad, Krzysztof Penderecki, Erich Bergel und Emilia Petrescu diese Auszeichnung erhalten hatten. Die denkwürdige feierliche Überreichung des Ehrendoktordiploms fand am 2. Dezember 2000 im Konzertsaal der Musikakademie statt.

Umfangreich ist die Liste der Auszeichnungen, die Acker im Laufe seiner Karriere erhielt: Kompositionspreis des Musikfestivals "Prager Frühling 1966" für das Streichquartett Nr. 1; Johann-Wenzel-Stamitz-Preis der Künstlergilde Esslingen (1970); Kompositionspreis der Stadt Stuttgart (1971) für das Orchesterstück Texturae I; Marler Kompositionspreis (in Verbindung mit dem Wettbewerb "Jugend musiziert" 1971) für das Klaviertrio Stigmen); Kompositionspreis des Lions Club International (Düsseldorf 1972) für das Streichquartett Nr. 4; Internationaler Kompositionspreis "Stroud-Festival" (England 1973) für das Klarinettenquintett; Hitzacker-Preis (1974) für das Duo für Viola und Violoncello, Prix "Henritte Renié" der Académie des Beaux Arts (Paris 1988) für Musik für Streicher und Harfe, Stamitz-Preis (Mannheim 1990); Prix de Fukui (Japan 1995); Siebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreis (Dinkelsbühl 2005) für das kompositorische Werk.

Ackers Werke sind zu einem Großteil in den Verlagen Breitkopf & Härtel (Wiesbaden), Bote & Bock (Berlin), Möseler-Verlag (Wolfenbüttel), Moeck-Verlag (Celle), Ries & Erler (Berlin), Bärenreiter-Verlag (Kassel), Edition Corona (Berlin), Gehann-Musikverlag (Kludenbach), Gerig-Verlag (Köln, von Breitkopf & Härtel übernommen), Editura Uniunii Compozitorilor (Bukarest), Editura Conservatorul de Muzica Gh. Dima Cluj (Klausenburg) und Gerard Billaudot (Paris) erschienen, einige auch im Selbstverlag. Folgende bedeutende Nachschlagewerke führen den Namen Dieter Acker: "Musik in Geschichte und Gegenwart", "The New Grove Dictionary of Music and Musicians", "Who is who", "Wer ist wer", "Komponisten der Gegenwart - Handbuch des Deutschen Komponoistenverbandes", "Musiker-Handbuch". Die Werke selbst sind über den Fachhandel oder direkt von den Verlagen zu beziehen, einige sind in Bibliotheken zu finden wie in der Bibliothek der Hochschule für Musik und Theater München, im Siebenbürgischen Musikarchiv (Siebenbürgische Bibliothek) Gundelsheim a.N. oder im Musikarchiv der Künstlergilde Regensburg.

Aufgeführt wurden Ackers Kompositionen in den letzten Jahrzehnten des öfteren, an vielen Orten und in mehreren Ländern. Bemerkenswert dabei, dass zahlreiche und namhafte Interpreten zu Ackers Werken griffen, ohne dass der Komponist oder seine Freunde und Anhänger, Institutionen oder eine "Lobby", wie es in der Neuen Musik und dem heutigen Musikbetrieb so oft geschieht, "nachhelfen" mussten. Man schätzt die gehaltvolle, inspirierte, anspruchsvolle Musik, die ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und gestalterischem Können verlangt. Dass über die Hälfte von Ackers Kompositionen im Druck, zumeist in großen, renommierten Verlagen, erschienen ist - an sich schon ein beachtenswerter Umstand - spricht für Erfolg und Anerkennung. Tatsächlich beobachten wir hohe Wertschätzung in Fachkreisen, bei ausübenden Musikern und bei einem kundigen Publikum. In Konzerten konnte man die "große Publikumszustimmung" (Hannoversche neue Presse 1982) immer wieder beobachten. Und so sind denn auch zahlreiche Werke Ackers Auftragskompositionen, in "Auftrag" gegeben, besser gesagt in den meisten Fällen bestellt, erbeten von Freunden und Interpreten, aber auch "offiziell" von Ministerien, Städten, Hochschulen und Institutionen. Einige Werke wurden auf CD eingespielt. Eine Reihe von Rundfunkaufnahmen lagert in Schallarchiven.

Das hinterlassene schöpferische Werk Ackers ist nach Umfang und Qualität beachtlich und bedeutend. Er schrieb Orchesterwerke (Acker selbst verwendet die traditionelle Bezeichnung "Symphonische Werke" wenn es sich um Kompositionen für großes Orchester handelt, miteinbezogen Konzerte für ein Soloinstrument und Orchester) - darunter drei Sinfonien für großes Orchester (die "Symphonie Nr. IV löst die 2. Symphonie von 1982 ab, die nunmehr als ungültig erklärt wird!", steht von Ackers Hand im Werkverzeichnis von 2001), "Texturae für großes Orchester", eine "Kammersinfonie", "Konzertmusik", "Konzert für Streichorchester", "Notturno für Streichorchester" -, Instrumentalkonzerte in großer Vielfalt, weniger Vokalmusik, aber doch einige herausragende Lieder und Chorkompositionen nach Dichtungen von Josef Weinheber, Eugen Roth, Georg Trakl, Goethe, Mörike, Hölderlin, Heine, Hesse, vor allem immer wieder Rainer Maria Rilke. Im Zentrum steht zweifellos die Kammermusik: Acker hinterlässt Solostücke für nahezu alle Instrumente, beispielsweise auch für Altquerflöte, Fagott, Kontrabass, Harfe, des Weiteren Duos, Trios, Quartette (darunter fünf Streichquartette), Quintette und Sextette mit unterschiedlichen, auch ungewöhnlichen Besetzungen wie Kontrabasstrio, Bratschentrio, Bläsersextett und -oktett, Blechbläserquintett; Orgel und Schlagzeug; Orgel, Horn und Schlagzeug; Violine und Orgel; Trompete, Posaune und Klavier; Flöte und Cello; Klarinette und Kontrabass; Violine, Klarinette und Kontrabass; Klarinette, Viola und Klavier; Englischhorn, Violine und Klavier; Viola und Harfe; Flöte, Viola und Harfe (oder Gitarre); Flöte, Cello und Cembalo. Selbsverständlich gehören dazu Werke für Klavier, und als Hermannstädter und Schüler Dresslers schrieb Acker Stücke für Orgel. Es gibt praktisch kein Instrument, das Acker nicht mindestens ein- oder zweimal mit einem Solo- oder Ensemblepart bedacht hätte.

Acker hat die seit 1958 entstandenen Kompositionen in seine Werkliste aufgenommen. Die frühen Stücke - es sind Chöre, Lieder, konzertante Musiken, Kammermusik - entstanden während seiner Studienzeit in Klausenburg und sind - außer dem Streichquartett Nr. 1, das 1967 in Bukarest erschien - nur im Manuskript vorhanden. Acker notiert: "Diese Werke dürfen weder vervielfältigt noch veröffentlicht werden". Die Werkliste führt unter "Frühe Werke" auch die Kompositionen an, die er nach dem Studium bis zur Aussiedlung nach Deutschland schrieb. Auch diese Auflistung beginnt mit Vokal- und Kammermusik. Der Komponist verlangt wieder, dass die hier aufgeführten Kompositionen "mit Ausnahme der gedruckten Werke weder vervielfältigt noch veröffentlicht werden dürfen". (Veröffentlicht wurden aus dieser Periode das Dritte Streichquartett, "Monodie" für Fagott, ein Blechbläserquintett, ein Trio für Flöte/Klarinette, Cello und Klavier/Cembalo) und "Schichten" für Klavier).

Bis Acker seine "Erste Sinfonie für großes Orchester" komponierte, sollten - ähnlich wie weiland bei Brahms - zwanzig Schöpferjahre vergehen. Obwohl die Vokalmusik, also die Vertonung von Literatur, bei Acker eine geringere Rolle spielt, begegnen wir der schöngeistigen Literatur in einigen Werken der instrumentalen Kammermusik: Eine Reihe von Sonaten (für Cello, Klavier, Violine, Klarinette) stehen unter dem Motto je eines Dichternamens, Mörike, Hölderlin, Rilke, Eichendorff, sowie von Gedichtzitaten. Es sind aber keine Programmstücke. Grundsätzlich ist Ackers Musikschaffen nicht vom Literarischen abhängig. Seine Musik erwächst, trotz gelegentlicher Anlehnungen an dichterische und außermusikalische Vorstellungen, aus rein musikalischen Voraussetzungen und Gesetzen. Bis zuletzt, bis in die letzten Monate des schweren Leidens, hat ihn der schöpferische Impuls nicht verlassen: Zu seinen jüngsten Werken zählen eine Sonate für Cembalo, "Spuren einer Tragödie" für Klavier, Sonate für Horn und Klavier, "Meditation" für Cello und Klavier.

Die Wurzeln von Ackers kompositorischer Entwicklung liegen bei Reger und Hindemith, vielleicht auch bei Bartók und Messiaen. Von der experimentellen Kunst, den vielen -ismen, von musikalischen Exzessen, von Protest, Auflehnung, Verweigerung und Provokation, vom Aggressiven, Skurrilen, Absurden und Morbiden, von Entfremdung, Parodie und Groteske, von der Schilderung nihilistischer und krankhafter Seelenzustände, von "kosmopolitischer Gleichmacherei" (TagesZeitung München), von Negation und der neuesten Emanzipation des Geräusches, des "Nicht-Tons" und was sonst noch in der modernen und postmodernen Musik tobte, hat er sich ferngehalten. Fremd blieben ihm auch die musikalische Statik, das Erstarren im Ereignislosen, ebenso die äußerlichen Klang- und Geräuscheffekte, das Vordergründige, das Operieren mit außermusikalischen Elementen, das theoretisch-spekulative Laborieren, die zerebral-mathematisch-technische Konstruktion, das krampfhafte Suchen nach Neuem aber auch die Verfremdung klassischer Themen, die Collagen, gewollte Primitivität, Unterhaltung und Nervenkitzel, das Laute und Hektische unserer Zeit.

Schon die Titel von Ackers Kompositionen - Sinfonie, Konzert, Sonate, Serenade, Streichquartett, Lied, Motette neben "Texturae", "Sfumato", "Arcades"/"Arkaden", "Cantus lugubris", "Cantus duriusculus", "Cantus Gemellus", "Equale", "Happenings", "Diptychon", "Monodie", "Orakel", "Myriaden", "Stigmen", "Fazetien", "Fioretten", "Marginalien", "Attitüden", "Tiraden", "Figuren", "Glossen", "Gespräche", "Schichten", "Kammerspiel" - deuten an, dass der Komponist teils an traditionellen Gegebenheiten festhält, teils Neuartiges, Eigenwilliges anvisiert. Tatsächlich gehört er zu jenen Musikern, die Überliefertes aufnehmen, weiterentwickeln, es dem gegenwärtig Neuen einverleiben oder angleichen und als Endprodukt etwas völlig Eigenwertiges, Lebensfähiges und Zukunftsträchtiges entstehen lassen. Diese Tonschöpfer tadelnd oder gar abschätzig in negativem Sinn als Anachronisten, Konservativen, Manieristen, Fortschrittsfeinde zu apostrophieren ist genau so töricht wie andere als Revolutionäre, Zerstörer, Neutöner zu brandmarken: Die Musikgeschichte braucht sowohl die radikalen "Neuerer" als auch die traditionsbewussten "Erneuerer". Moderne Musik von hoher Geistigkeit und großer Inspiration stammt vor allem aus der Feder jener Komponisten, die Bestehendes zusammenfassten, überliefertes Gut organisch weiterentwickelten und einen neuen Inhalt einschmolzen: Bach, Mozart, Schubert, Brahms, Bruckner, Mahler, Strauss, Pfitzner, Reger, Bartók, Hindemith, Honegger, Berg, Dallapiccola, Prokofjew, Schostakowitsch, Britten, um nur einige der Größten zu nennen. Auf der Basis einer solchen Synthese ist auch Ackers Musik innovativ, eigengeprägt, ausdrucksstark, beseelt. Und sie hat eine hohe kommunikative Qualität. Sie ist immer Ausdruck und Mitteilung. Das Hamburger Abendblatt schrieb schon 1982, Acker habe "ein Herz für den Hörer". Das Publikum will die tradierten Ausdruckswerte nicht missen. Acker zeigt, dass sie auch in der neuen Musik heimisch werden können. Die Hörer erwarten gerade auch von der Musik unserer Zeit, dass sie, den Tiefen der Eingebung entspringend, wieder aufbauende, ethische, kathartische Kräfte in sich bergen und mitteilen müsse, geistige Bereicherung und emotionale Vertiefung vermitteln, wieder erhebend, befreiend, aufrichtend, heilend wirken solle. Sie wünschen sich auch wieder etwas mehr Leichtigkeit und Heiterkeit.

Acker standen manigfaltige Ausdrucksmodalitäten zur Verfügung. Seine Musik ist lyrisch, sie kann dramatische Akzente annehmen, episch ausladend, verhalten und machtvoll, zart und monumental, meditativ und sinnlich sein, sogar "Ekstatisches", "Wildes" und "Erregendes" wurde von Fachanalytikern gefunden. Was wir beinahe mit Genutuung feststellen: Bei Acker gibt es noch - oder wieder - Poesie, emotionale Lyrik, Innerlichkeit, Kontemplation, Schönheit. Der Komponist erschöpft sich allerdings nicht in der Emotion, sein Schaffen setzt klares, folgerichtiges Denken, ein organisches Ordnungsgefüge und die Beherrschung des Handwerklichen voraus. Der Reichtum der Einfälle und die Kunst der Ausarbeitung halten sich die Waage. Emotionen werden objektiviert, gehen ins Allgemeine über. Ohne dem Zwang zur Originalität zu erliegen hat Acker zu einer "modernen" und eigengeprägten Kantabilität gefunden. Rhythmus ist noch Rhythmus. Hinter allem stehen vitale Kräfte. Dissonante Klänge, die seit Schönbergs Postulat von der "Emanzipation der Dissonanz" in ihrer Verselbständigung obligatorisch zur modernen Musik gehören, mildert Acker oft ab. Aus der entsprechenden Harmonik resultierend, degenerieren sie nicht zum Selbstzweck, und man ist erstaunt, wie es Acker in manchen Werken über weite Strecken gelingt, durch freitonale Komponenten den Eindruck von Konsonanz und Wohlklang zu vermitteln. Selbst gängige Dissonanzen stören nicht, wenn sie mit innerem Gehalt und Vitalität verbunden sind.

Das erfrischend Lockere, Gelöste, Heitere, ja Humorvolle und sogar Witzige steht Acker gleichermaßen zu Gebot. Während eines abendlichen Gesprächs "unter Kennern" auf der Musikwoche des Arbeitskreises für Südostdeutsche Musik in Löwenstein rief Acker in die Runde: "Leute, schreibt heitere Musik". Über Strecken hinweg hat er das selbst realisiert: Auf ihn bezogen meinen die Aachener Nachrichten: "Erfreulich, dass auch zeitgenössische Komponisten keinesfalls immer verbissen ernst sein müssen". Die Welt schreibt: "Bisweilen geschieht es, daß sich hinter die Falten der ziemlich abgestandenen `Musica-Viva-Konzerte` in München ein freundliches Lächeln verirrt". Dieses Lächeln gehörte der Ersten Sinfonie Ackers, der die Wuppertaler Zeitung "Mahlersche Intensität" zubilligt.

Ob man Acker "einen Romantiker" nennen kann, weil in manchen seiner Werke das lyrische Element vorherrscht, Nostalgie, Wehmut, Sehnsucht, vielleicht auch Verträumtheit durchscheinen, der Autor empfindsam und naturverbunden ist, gelegentlich poetisierende Vortragsbezeichnungen verwendet oder einige Kompositionen ruhig und leise ausklingen lässt, sei dahingestellt.

Es würde hier zu weit führen, Ackers Gestaltungsweise zu erörtern, seine formende und ordnende Hand, die Beherrschung des Stofflichen, des Materials, als Mittel zum Zweck, sein Arbeiten mit bestimmten Modi, mit Toneinheiten, die ihm Freiheit im Gestalten gewähren, seine Gabe, "eine gedankliche Einheit in der Vielfalt musikalischen Ausdrucks" zu schaffen (Hans Peter Türk), seine Instrumentationskunst, über die in der Wuppertaler Zeitung 1979 zu lesen ist: "Er [Acker] teilt mit Berlioz und Strauss den Nerv für das `Sprachvermögen´ von Instrumenten".

Vielleicht ist es nicht abwegig, die ausgleichenden Kräfte bei Acker, sei es die Achtung und Verehrung dem Alten und Hergebrachten gegenüber bei gleichzeitiger Hinwendung zum Neuen und Zukunftsweisenden, sei es der Einklang von Emotion und Rationalität, die Parallelität von Ernst, Introvertiertheit, Offenheit und Frohsinn oder auch die humanistische Grundschicht seiner Persönlichkeit als siebenbürgisches Erbteil anzusprechen.

Wir wollen Ackers Andenken hoch halten, indem wir das, was er der Musik und den musikliebenden Menschen gegeben hat, pflegen, weitergeben, als kostbares Gut bewahren.

Karl Teutsch

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Musik von Dieter Acker auf CDs, die im Handel erschienen sind (Auswahl)

Schlagwörter: Porträt, Nachruf, Musiker, Musik

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