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5. Februar 2009

Interviews und Porträts

Vergangenheitsbewältigung eines siebenbürgischen Schriftstellers

Wegen Beihilfe zu Mord wurde Dr. Victor Capesius 1965 zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt. Dem aus Schäßburg stammenden Apotheker war im Frankfurter Auschwitz-Prozess vorgeworfen worden, an Selektionen teilgenommen und Zyklon B in die Gaskammern gefüllt zu haben. Capesius hat diese Vorwürfe bestritten. „Capesius gehört zu meiner Kindheitserinnerung, zu meinem zerstörten Selbstverständnis als Sachse.“, sagt der 1934 – 27 Jahre nach Capesius – in Schäßburg geborene Autor Dieter Schlesak. Schlesaks Buch „Capesius, der Auschwitz­apotheker“ (Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2006, ISBN-10-3-8012-0369-7) ist eine Collage aus Dokumenten, Tastsachenberichten, Prozessakten, die Frucht einer dreißigjährigen Arbeit. Im Zuge des internationalen Erfolges des in mehrere Sprachen übersetzten Buches soll es auch Pläne für eine Verfilmung geben. Im folgenden Gespräch, das Christian Schoger mit dem heute in Camaiore in der Toskana lebenden Schriftsteller führte, äußert sich Dieter Schlesak u. a. zu Reaktionen auf sein Capesius-Buch in siebenbürgischen Kreisen, zu Fragen der Identität und Moral. mehr...

Kommentare

Artikel wurde 4 mal kommentiert.

  • bankban

    1bankban schrieb am 05.02.2009, 08:59 Uhr:
    Ein sehr gutes, kluges und empfehlenswertes Buch. Bankban
  • Don Carlos

    2Don Carlos schrieb am 05.02.2009, 13:27 Uhr:
    Dieter Schlesak, ein "Nestbeschmutzer"? Oder spricht da der Mut zur Wahrheit? Nach meiner Auffssung hat der Dichter und Essysist aus Siebenbürgen ein "heißes Eisen" fabriziert, das die Gemüter noch beschäftigen und erregen wird.
    Er hat 30 Jahre abgewartet, bevor er es veröffentlichte ( gerade 30 Jahre, auch für mich eine symbolische Zahl)- vielleicht um die Psyche seiner siebenbürgisch-sächsischen Landsleute zu schonen? Vielleicht aber auch, um der Festigung der Wahrheit und der moralischen Wertung noch Vertiefung zu ermöglichen?

    Capesius, der Auschwitz-Apotheker ist ein tiefschürfendes und aufwühlendes Buch ( bankban hat es natürlich von Alpha bis Omega gelesen, verstanden und empfohlen!), das an die Substanz geht, nach der eigenen Identität fragt und nach der kollektiven Identität, ein Buch, das ins Grundsätzliche geht, und über die individuelle Schuld einer Person, einer Volksgruppe, ja eines Volkes hinaus zielt.
    Es wurde hier schon andiskutiert - doch die vertiefende Diskussion muss weiter gehen, auch im allgemeinen Forum, weil "Capesius" nicht irgendein Buch ist, sondern eines - gerade in den Tagen der Holocaustleugner wie Bischof Williamson - das Grundlegendes anspricht und vielleicht den Kulminationspunkt des geistigen ( ich sage bewusst nicht dichterischen) Schaffens von Dieter Schlesak darstellt.
    Sein "Vlad. Die Korrektur" ( auch ein interssantes, bisweilen provozierendes Sujet mit viel Akzeptanz beim Publikum) ist - ungeachtet aller Wissenschaftlichkeit und literarischer Redlichkeit nur eine "Posse" gemessen an der Tragweite des "Capesius".
    Schlesak - ein "Nestbeschmutzer"?
    Die Brisanz dessen, was der Siebenbürger Autor Schlesak( zufällig versteht er sich nur als Regisseur einer Collage)in "Capesius" leistet, geht über alles hinaus, was eine Herta Müller je geschrieben oder was man der Banater Autorin an "Nestbeschmutzertum" vorgeworfen hat.

    Demenstprechend bedeutender ist der "Capesius", auch wenn sich der Schristssteller Schlesak bewusst zurückhält.
    Die Fragen, die einen kritischen Literatur-Analytiker und Interpreten bei Herta Müllers oder Dieter Schlesaks Werken bewegen, etwa bei einzelnen Kurzgeschichten aus "Niederungen", dem Roman "Herztier" bzw. im Werk "Capesius", werden immer wieder neu gestellt und beantwortet werden müssen:
    Historische Wahrheit, Fiktion, Moralische Wertung - von Warte zu Warte werden sie unterschiedlich ausfallen ( das zeigte die oben zitierte, bisherige Debatte). Wir müssen uns auch dieser Auseinandersetzung stellen.

    Schlesak schrieb für sich, um, auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens angelangt, erstmals für sich selbst Klarheit zu finden, die Klarheit des Alters - und es ist erfreulich, das er den Mut fand, sich selbst zu überwinden und - nach dem Tod der Eltern - auch über Tabus zu schreiben; und - nach einer Existenz als ewiger "Zwischenschaftler und Brückenbauer zwischen den Kulturen - auch bereit zu sein, die Grenze zu überschreiten, Tabus zu brechen und aufzuklären: wie im Interview angedeutet, schonungslos in alle Richtungen und bei Ablehnung jeder totalitären Haltung.
    Was viele nicht sehen: das ist der Kampf mit dem Selbst und den Schmerz der Selbstüberwindung, eine Materie zu bearbeiten, die schon dem Leser viel Selbstdisziplin und Überwindung abfordert.
    Carl Gibson, Autor
  • der Ijel

    3der Ijel schrieb am 05.02.2009, 16:37 Uhr:
    Carl Gibson----dem Leser viel Selbstdisziplin und Überwindung abfordert.------das stimmt.
    Schlesak gibt zu. Zitat :--fühle ich mich mit Schrecken zutiefst angesprochen.----
    das glaube ich auch--
    Schlesak:---Wäre ich sechs, sieben Jahre älter gewesen, wäre ich sicher in die gleiche Täter-Mühle geraten.-----Zitat Ende.
    Letzteres sollte jeder gründlich zu Herzen nehmen bevor er mit Steinen auf ----------- Capesius wirft, und nochmal nachdenken bevor er Schlesak zum Nestbeschmutzer stempelt.
  • Don Carlos

    4Don Carlos schrieb am 05.02.2009, 17:14 Uhr:
    Der Dichter versteht den Dichter am besten. Es ist einfacher und bequemer, konventionelle Themen aufzugreifen, statt sich in die Nesseln zu setzen und sich mit vielen Seiten anzulegen. Schlesak handelt aus einer Verantwortung heraus - vor sich selbst, vor seiner Gemeinschaft und als ein Gewissen der Welt, das sich fragt, ob der Mensch aus einem "blinden Gehorsam" heraus und falsch verstandener "Pflichterfüllung" zu jedem Verbrechen fähig ist.
    Die Hitler-Attentäter Henning von Treskow, Graf Schenk von Stauffenberg und viele andere, die in der Folterstätte Plötzensee oder in fernen KZs den Tod fanden, opponierten erst, als ihr Gewissen die "verbrecherischen Führerbefehle" nicht mehr mitragen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt verharrten sie im Zweifel, ohne sich recht zwischen den auf den Führer geleisteten Eid, preußischer Pflichtethik und Humanismus entscheiden zu können.
    Jeder "Schriftsteller", der ein totalitäres System erlebt und überlebt hat, ist in der gleichen Situation.
    Er kann sich für die Wahrheit entscheiden - aber auch gegen sie und somit für die Lüge. Wer redet, will nun mal nicht schweigen - und er will, dass andere Aufgeweckte über die gleichen Dinge nachdenken, nicht aus Ehrgeiz, nicht aus dem Egoismus heraus, "unbedingt" wirken zu wollen, ( was so genannten Nestbeschutzern oft unterstellt wird), sondern um der letzten Wahrheit willen, die allein frei macht.
    Carl Gibson.

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