20. September 2008

Jenaer Rumänisten auf Bildungsreise in Siebenbürgen

Der Herausforderung, innerhalb von elf Tagen Grundkenntnisse der rumänischen Sprache zu erlangen oder vorhandene Kenntnisse zu verbessern und dabei die Vielfalt der rumänischen sowie siebenbürgisch-sächsischen Kultur vor Ort kennen zu lernen, stellten sich Ende Juli zwölf bundesdeutsche Rumänienliebhaber. Das südliche Siebenbürgen wurde vom einstigen Bischofssitz Birthälm aus erkundet, wo auch die Rumänisch-Intensivkurse stattfanden.
Das kulturelle Rahmenprogramm ergänzte auf wunderbare Weise den intensiven Sprachunterricht. Veranastalter waren das Zentrum für kreatives Sprachtraining Weimar und der Verein zur Förderung von Rumänisch als Fremdsprache und interkultureller Begegnung in Thüringen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Romanistik der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena.

Verantwortlich zeichnete die Sprachdozentin und Übersetzerin Carmen Matei aus Weimar. Mit ihrer Sprach- und Bildungsreise feierte sie eine gelungene Premiere. Bereits während ihres Magisterstudiums in den Fächern Romanistik und interkulturelle Germanistik mit dem Schwerpunkt Sprachlehrforschung haben die Jenaer Professoren die gebürtige Birthälmerin als eine durch ihre Sprachbiographie geprägte Fachkraft schätzen gelernt. Im Rahmen einer Tätigkeit als Hilfswissenschaftlerin am Lehrstuhl für rumänische Sprach- und Literaturwissenschaft der FSU gestaltete sie Lehrmaterialien sowie die im gesamten deutschen Sprachraum bekannten Jenaer Rumänisch-Intensivkurse mit.
Jenaer Rumänisten auf Sprach- und Bildungsreise ...
Jenaer Rumänisten auf Sprach- und Bildungsreise im südlichen Siebenbürgen: Gruppenbild im Pfarrhaus von Birthälm, nach dem ersten rumänischen Kochkurs.
Der Erfolg der Sprach- und Bildungsreise ist gleichermaßen der Diplom-Lehrerin Roxana Gutoiu zu verdanken. Die Klausenburger Germanistin, die ebenfalls Didaktik und Methodik der Fremdsprachenvermittlung bei Prof. Dr. Hermann Funk in Jena studierte, begeisterte ihre Kursanten im Birthälmer Jugendzentrum auch durch ihre Hingabe und ihr Einfühlungsvermögen. Die Teilnehmer an der Sprach- und Bildungsreise waren Studenten, aber auch Berufstätige. Die Begeisterung für Rumänien und die rumänische Sprache hatte unterschiedliche Ursachen: Für Susanne Grimm aus Bochum war es der Plan, ihre Doktorarbeit teilweise in Rumänien zu schreiben. Andrea Brenner (Tübingen) stammt aus dem siebenbürgischen Schönberg, war aber seit ihrer Kindheit nicht mehr in Rumänien. Für die Slawistinnen Susanne Henschel (Berlin) und Karin Laube (Bielefeld) war die Faszination für Sprachen der Auslöser dafür, Rumänisch zu lernen. Die Medizinstudentin Anne von Sarnowski (München) oder die Landschaftsarchitektinnen Marlene Hößelbarth (Dresden) und Leonie Rhode (Frankfurt/Main) waren bereits bei Sprachkursen in Jena dabei und sind seitdem von Rumänien begeistert. Eine Staatsanwältin, eine Sozialarbeiterin und ein Eisenbahningenieur wollten ebenfalls Land und Leute unter fachkundiger Begleitung kennen lernen.

Die bundesdeutschen Gäste wurden zu Beginn des Kurses vom Birthälmer Bürgermeister Cornel Rațiu empfangen und hatten während ihres Aufenthaltes im Dorf einen besonderen „Coach“ an ihrer Seite: Bestschüler der Allgemeinschule Birthälm betreuten die Freizeitgestaltung der Kursteilnehmer mit. Das wirkte sich sehr positiv auf die Kommunikationsbereitschaft der Kursanten aus. Zum Rahmenprogramm gehörten u. a. Vorträge zur rumänischen Literatur, Geschichte und Gegenwart, aber auch gesellige Aktivitäten wie das Erlernen rumänischer Volkstänze und die Zubereitung siebenbürgisch-sächsischer Köstlichkeiten unter Anleitung einheimischer Köchinnen. Die musikalische Landschaft wurde z. B. bei einem Orgelkonzert in der evangelischen Stadtpfarrkirche zu Hermannstadt erschlossen. Die Birthälmerin Bianca Iorga und die in Birthälm geborene Historikerin Codruța Plăiaș hielten einen unterhaltsamen Vortrag über die (sprach)historische Bedeutung Birthälms, die einmalige Architektur der siebenbürgisch-sächsischen Wehrkirchen, die Mehrsprachigkeit Siebenbürgens und das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Ethnien im Laufe der Jahrhunderte.

Die eindrucksvolle Kirchenburg in Birthälm stand ganz oben auf dem landeskundlichen Programm. Besonders spannend wirkte diese durch die Legenden um das „Ehegefängnis“, das die Scheidungsraten, jedoch nicht die Selbstmordraten in früheren Zeiten erheblich senken sollte. Die Gäste waren auch von der alten Sakristeitür mit ihren 22 Riegeln beeindruckt. Ein anderer Höhepunkt war der Besuch der geheimnisvollen Kirchenburg in Reichesdorf. Johann Schaas, der Küster und letzte Sachse von Reichesdorf, begrüßte die Gäste mit einem Lächeln, das sich nicht gleich entschlüsseln ließ. Als der charismatische, alles andere als verbitterte ältere Herr voller Geist und Humor einen spannenden landeskundlichen Vortrag hielt, erfuhren die Teilnehmer, dass eine merkwürdige Gestalt seit Jahrhunderten durch diese alte Kirche spukt: der „grüne Mann“. Ein raffinierter Steinmetz hatte nämlich diesen heidnischen Naturgeist beim Bau der Kirche in einer Vielfalt von Ausführungen überall, wo er auf den ersten Blick nicht sichtbar war, „versteckt“. Johann Schaas hat all die grünen Männer schon längst entdeckt und offenbart sie mit unerschöpfbarer Begeisterung jedem Kunstliebhaber, der „seine“ Kirche betritt. Drei Tage hielt sich die Gruppe in einer romantisch gelegenen Berghütte bei Lisa im Fogarasch-Gebirge auf. Dort, wo ein kleiner Wasserfall als Dusche diente und abends das Kerzenlicht zu der Erkenntnis verhalf, dass die Elektrizität hier ohnehin fehl am Platz gewesen wäre, wurde die Schönheit des einfachen Lebens erfahrbar.

Am 31. Juli fand bei entspannter Atmosphäre die Abschlussklausur nach universitären Richtlinien und dem gemeinsamem EU-Referenzrahmen für Sprachen statt. Alle Teilnehmer konnten dabei gute Ergebnisse auf ihrem jeweiligen Sprachniveau erzielen. Beim Blick zurück auf die gemeinsamen elf Tage erschien es erstaunlich, wie viele Sprachunterrichtseinheiten, Veranstaltungen und Erlebnisse in die knappe Zeit gepasst hatten. Das rumänische Volkslied „Au, inima mea, ce ți-a făcut dragostea“ inspirierte die Studenten beim Abschied zu einer Umdichtung: „Ach, mein Herz tut weh,/ wenn ich Carmen nicht mehr seh’/ und Roxana, unser Stern, / wir hatten euch so gern!“

Der schöne Erfolg dieser Sprach- und Bildungsreise lässt hoffen, dass sie sich unter der Schirmherrschaft der Jenaer Rumänisten zu einem langjährigen kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Rumänien entwickelt. Die Sprach- und Bildungsreise soll in regelmäßigen Abständen wiederholt werden und die Rumänisch-Intensivkurse, die vor acht Jahren an der FSU von der Sprachwissenschaftlerin Dr. Victoria Popovici etabliert wurden, auf konstruktive Weise ergänzen, resümierte Prof. Dr. Wolfgang Dahmen, Chef der Rumänistik in Jena.

Nora Dörrenbächer

Schlagwörter: Hochschulen, Rumänistik, Studienreise

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