18. April 2012

Vortrag in Würzburg: Ein Schäßburger Rebell

Unter dem Titel „Der Ausgang des Ersten Weltkrieges, die Siebenbürger Sachsen und der Schäßburger Rebell August Georg Kenstler“ hielt Professor Dr. Andreas Möckel am 18. März einen Vortrag vor rund 40 interessierten Mitgliedern der Kreisgruppe Würzburg. Im Mittelpunkt stand die Biographie des heute fast unbekannten A. G. Kenstler (1899-1942) aus Schäßburg.
Prof. Möckel berichtete über sein abenteuerliches Leben vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs. Der Niederlage der Mittelmächte folgte die mutige Erklärung des sächsischen Nationalrates für den Anschluss Siebenbürgens an Rumänien, mit dem sich das sächsische Volk politisch international zu Wort meldete. Der Beginn im neuen Staat verlief dann für die Sachsen entmutigend und erzeugte eine diffuse Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen.

Kenstler gehört zu einer verlorenen Generation. Es verschlug ihn mit seinen Eltern vor dem Krieg in die USA. Dann wuchs er bei den Großeltern in Siebenbürgen auf. Er meldete sich mit 16 Jahren freiwillig zum Kriegsdienst und landete nach dem Krieg in einem deutschen Freikorps. Er kämpfte in Schlesien, kam nach Bayern, nahm am Marsch Ludendorffs und Hitlers nach München teil, den die bayerische Polizei an der Feldherrnhalle stoppte. Kenstler gehörte 1923 zu den Mitbegründern der „Artamanen“. Das war eine nationalistische, antisemitische Siedlungsbewegung. Dr. Alfred Bonfert, der Leiter des Südostdeutschen Wandervogels, berief sich auf sie, als er in Siebenbürgen freiwillige Arbeitslager einrichtete. Kenstler trat zwar nicht in die Partei Hitlers ein, gehörte jedoch mit seiner nationalistischen Einstellung und der von ihm gegründeten Zeitschrift „Blut und Boden“ zu den Wegbereitern der NS-Diktatur in Deutschland.
Vortrag in Würzburg über den ...
Vortrag in Würzburg über den Schäßburger Rebell: Prof. Dr. Andreas Möckel, links, und Walter Gust (94), ehemaliger Artamane und Zeitzeuge.
Die Schnittmenge der „Völkischen“ und der Artamanen war beträchtlich. Umso größer war Kenstlers Enttäuschung, als nach 1933 seine Zeitschrift „Blut und Boden“ zwar ein wirksames Schlagwort für Hitler abgab, aber dennoch wegen kritischer Äußerungen 1934 verboten wurde. Kenstler erkannte, wie er in einem Tagebuch schrieb, das „Verruchte“ der SS, aber er erkannte nicht, dass Hitler, den er selbst herbei gepredigt hatte, nicht besser war als der Artamane Heinrich Himmler.

Der einstige Rebell und Unterstützer der Bauernbewegung in Schleswig-Holstein erfuhr den Machtmissbrauch der Nazis am eigenen Leibe, wurde jedoch öffentlich nicht zum Warner. Bis zu seinem Tode in einem Hotel in Gera führte er ein unstetes Leben. Sein Idealismus blieb nutzlos und diente letztlich nur politischen Verbrechern. Seine Reputation bei den „Völkischen“ und sein zweifelhaftes Vorbild trugen dazu bei, die Wandervogel-Generation junger Sachsen in den 1920er Jahren politisch zu verführen.

Dem Vortrag folgte eine rege Diskussion, an der auch ein ehemaliger Artamane, Walter Gust (94), teilnahm. Hans Werner Bell dankte Prof. Möckel für den Vortrag zu diesem sehr interessanten, heute noch konfliktträchtigen Thema aus der jüngeren Geschichte der Siebenbürger Sachsen.

Dr. Gerda Müller-Fleischer

Schlagwörter: Vortrag, Geschichte, Schäßburg

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