12. Dezember 2010

Dokumentation zur Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde Brenndorf

1994 hat die Heimatortsgemeinschaft von Brenndorf den ersten Band einer Quellensammlung herausgegeben, die die Consistorial- und Presbyterialprotokolle dieser Burzenländer Kirchengemeinde aus den Jahren 1807-1866 enthielt (siehe meine Besprechung in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. Januar 1997, Seite 8). Fünfzehn Jahre später liegt nun die Gesamtausgabe dieser Dokumentation in acht Bänden mit insgesamt 1970 Seiten vor.
Das ist eine nicht nur für siebenbürgische Verhältnisse einzigartige Leistung, die Hermann Schmidts (Bände I-II), Hugo Thiess (Band III) und Otto F. Gliebe (Bände III-VIII) zu verdanken ist. Sie haben nicht nur die Sitzungsprotokolle der Gemeindevertretung (sie nannte sich erst „Consistorium“, ab 1856 „Presbyterium“) in mühevoller Kleinarbeit abgeschrieben von Handschriften, die in den ersten 150 Jahren in „gotischer“ Sütterlinschrift verfasst worden sind, sondern diese auch durch umfassende Register (Personen- und Suchindex) für die Leser und für die interessierten Nutzer gleichermaßen erschlossen. Das Ergebnis bietet nicht nur eine spannende Lektüre für die Brenndorfer, sondern ist auch eine wertvolle Dokumentation für die Siebenbürgen-Forschung, für Historiker, Sprachwissenschaftler, Ethnologen und andere Wissenschaftler.

Das Consistorium, später das Presbyterium, dessen Verhandlungsprotokolle nun gelesen werden können, beherrschte praktisch die siebenbürgisch-sächsische Gemeinde: An seiner Spitze stand der Ortspfarrer, sein Stellvertreter war der Kurator, meist in Personalunion auch der Dorfrichter oder Hann, was die Abstimmung zwischen Kirchen- und politischer Gemeinde möglich machte. Die gewählten Mitglieder waren gleichzeitig Geschworene in der politischen Kommunität und wirkten als Notär, Kassier, Wirtschafter oder in anderen Funktionen. Das 1856 eingeführte Presbyterium, dem die geistige, kulturelle, schulische und moralische Führung der Kirchengemeinde oblag, bestand aus 16 gewählten Mitgliedern, seine Beschlüsse wurden von einer weiteren demokratisch legitimierten Instanz kontrolliert, der Gemeindevertretung. In diesem Zusammenhang ist auf die wiederholt auch genutzte Möglichkeit hinzuweisen, gegen einen „Majoritätsbeschluss“ eine „Sondermeinung“ zu Protokoll zu geben.

Kann die Lektüre von „Protokollen“ wirklich spannend sein? Durchaus – denn sie widerspiegeln in einzigartiger Weise das Leben in einer siebenbürgischen Gemeinde, den Alltag, die kirchlichen Verhältnisse, das Schulwesen, Sitten und Gebräuche, ehrenamtliches Wirken in zwei Jahrhunderten, von der Fertigstellung des Neubaus der evangelischen Kirche (1807) bis zur Auflösung der selbstständige Kirchengemeinde (2006). Man erfährt viel über unermüdliche Aufbauarbeit, über ehrenamtliches Wirken, über das stete Bemühen um guten Unterricht für die Kinder, über Erneuerungsarbeiten an der Kirche, über die Aufstellung des Carl-Dörschlag-Altars, über Methoden der sozialen Selbstdisziplinierung, die Zucht und Ordnung in der Gemeinde aufrecht erhielten, über Offenheit gegenüber andersnationalen Mitbürgern (deren Lehrer beispielsweise auch von der sächsischen Kirchengemeinde finanziell abgesichert wurden), über vieles mehr – die Such-Indices am Ende jeden Bandes enthalten Schlagworte, die zum Nachschlagen anregen, weisen auf Themen hin, die unterschiedlichste Lesergruppen ansprechen. Das Nachschlagen wird erleichtert, weil die Veröffentlichung nicht in traditioneller Buchform vorliegt, sondern als pdf-Datei auf CD-ROM, was es ermöglicht, mittels Suchfunktion die unzähligen Seiten rasch nach einem Thema zu durchforsten und das jeweils Interessante zu finden. Und das Personenregister hilft jenen, die vielleicht wissen wollen, ob eigene Vorfahren in den Protokollen erwähnt werden (Achtung, man kann dabei nicht nur Gutes lesen, sondern auch über Verfehlungen wie „Trunkliebe“, Verschwendung oder „unehrbaren Lebenswandel“ informiert werden oder gar lesen, wer anno dazumal „blöde“ war!) und hilft auch den Forschern unterschiedlicher wissenschaftlicher Ausrichtung, etwa den Namenskundlern oder den Sozialwissenschaftlern.
Postkarte von Brenndorf mit Kirche, Rathaus und ...
Postkarte von Brenndorf mit Kirche, Rathaus und Gasthaus zur Eiche, Anfang des 20. Jahrhunderts, Verlag Brüder Gust, Kronstadt
Bis 1948 war die Schule der Kirche unterstellt, die Gemeindevertretung verhandelt regelmäßig über die Anstellung und Bezahlung von Lehrern, über Reparaturen am Schulgebäude oder dessen Neubau, über die Auswahl und Beschaffung von Unterrichtsmaterialien (Schulbücher, Schautafeln u.Ä.), über Tagesstätten oder über die Förderung begabter Kinder. Aber auch Wirtschaftsfragen wurden verantwortungsbewusst und bis ins Detail verhandelt, von der Verwaltung der kirchlichen Liegenschaften bis zum Anschluss Brenndorfs an das Eisenbahnnetz und die dadurch geförderte Entwicklung der Tierzucht und des Viehhandels. Bemerkenswert sind auch die Verhandlungen um die Überschreibung der Kavallerie-Kaserne an die evangelische Kirchengemeinde Brenndorf. Pfarrerwahlen, die Bestellung eines neuen Gesangbuches, die Einführung der elektrischen Beleuchtung in kirchlichen und schulischen Gebäuden (1913), der Erwerb neuer Glocken (1923), die Anlage eines neuen Friedhofs, aber auch die gewaltigen materiellen Verluste durch den Ersten Weltkrieg und seine Folgen, durch die Agrarreform und durch die Weltwirtschaftskrise von 1929-1933 sind wichtige Themen, die in den Presbyterialprotokollen dokumentiert sind.

Die Auseinandersetzungen der 1930er und 1940er Jahre gehen auch an Brenndorf nicht vorbei, die „Unzufriedenen-Bewegung“ manifestiert sich ebenso wie eine Vertrauenskundgebung für Bischof Viktor Glondys bemerkenswert ist. 1942 muss die Kirchengemeinde Brenndorf die von ihr erhaltenen und geleiteten Schulen und Erziehungsanstalten mit allen dazugehörigen beweglichen und unbeweglichen Vermögenswerten an die nationalsozialistische „Deutsche Volksgruppe in Rumänien“ übergeben, doch verhindert die Gemeinde die Eintragung der Eigentumsübertragung ins Grundbuch.

Auf lebhaftes Interesse bei den Lesern, aber auch bei den Zeithistorikern dürfte der achte Band stoßen, der die schwere Zeit nach 1944 dokumentiert, die Jahre der Not und der Verfolgung, des Kriegseinsatzes und der Deportation, der Kollektivierung und des Wandels der selbstständigen Bauern zu abhängigen Feld- oder Industriearbeitern, der Verstaatlichung des Schulwesens, der Verhaftung des Ortspfarrers Walter Albert (1959), aber auch die Zeit des unbeirrten Festhaltens am eigenen Glauben und der eigenen Sprache, an den eigenen Traditionen, manifestiert etwa in Theateraufführungen, aber auch in Auftritten der Blaskapelle oder von Tanzgruppen. Es war auch, in der die ihres Besitzes beraubten Eltern für die Kinder ein neues „Vermögen“ schufen, indem sie auf ihre Ausbildung auf Gymnasien, Berufs- und Hochschulen achteten, oft sich selbst aufopfernd. Trotzdem wurden die Grundfesten der Gemeinschaft erschüttert, verloren die Gemeindemitglieder das Vertrauen auf eine Zukunft in ihrer Heimat. Die in den 1970er Jahren intensivierte Aussiedlung, schließlich die Massenauswanderung der frühen 1990er Jahre sind Meilensteine auf dem Weg zur 2004 erfolgenden Umwandlung der eigenständigen Kirchengemeinde Brenndorf in eine Diasporagemeinde.

Presbyterialprotokolle wurden noch bis 2006 verfasst, nun sind sie Teil einer Quellensammlung, die Aufstieg und Niedergang einer bedeutenden Kirchengemeinde Siebenbürgens dokumentiert. Für diese Dokumentation, die Ihres­gleichen angesichts ihres Umfangs, der Sachkunde und der Sorgfalt ihrer Herausgeber nicht findet, danken gewiss nicht nur die Brenndorfer, sondern auch viele interessierte Siebenbürger Sachsen und, nicht zuletzt, die Forscher, die diese einzigartige Fundgrube nutzen werden.

Konrad Gündisch


200 Jahre Quellen zur Geschichte von Brenndorf, Band I – VIII: Die Consistorial- und Presbyterialprotokolle der evangelischen Gemeinde Brenndorf 1807-2006. Bearbeitet von Hermann Schmidts – Band I und II, Hugo Thiess – Band III, Otto F. Gliebe – Band III bis VIII. Herausgegeben von der Heimatortsgemeinschaft Brenndorf. 1970 Seiten auf CD-ROM. ISBN 978-3-929848-76-2 Die CD kann zum Preis von 14,90 Euro, zuzüglich Porto, bei Siegbert Bruss, E-Mail: siegbertbruss[ät]web.de, bestellt werden (ermäßigt um 30 Prozent für Mitglieder des Landeskundevereins und der HOG Brenndorf).

Schlagwörter: Rezension, Brenndorf, Burzenland, Kirche, HOG

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