1. März 2011

Zehn Jahre Donauschwäbisches Zentralmuseum in Ulm

Vor zehn Jahren wurde in Ulm das Donauschwäbische Zentralmuseum (DZM) gegründet, eine Einrichtung, die dem Leben der Donauschwaben und darüber hinaus den deutschen Minderheiten in Südosteuropa gewidmet ist. Somit sind auch zahlreiche Parallelen zu den Siebenbürger Sachsen zu entdecken. Das Museum bietet einen ausführlichen und anschaulichen Überblick über die Geschichte der deutschen Siedlergruppen und der gesamten Region und leistet dabei wichtige Erinnerungsarbeit. Denn um die Zukunft in einem zusammenwachsenden Europa verantwortlich zu gestalten, muss man ein Bewusstsein dafür schaffen, was für ein Potential das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen birgt, welchen Gewinn multiethnisch geprägte Landschaften in einem „Europa der Regionen“ bedeuten. Diese ganzheitliche Darstellung von der Ansiedlung über die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung bis zu dem schrecklichen Ende der Flucht, Vertreibung und Aussiedlung wird im Museum wiedergegeben.
Schon von Weitem erkennt man vor dem Eingang des DZM eine Ulmer Schachtel, einen kleinen Nachbau der Schiffe, die hier zwischen 1689 und 1850 schätzungsweise 500.000 deutsche Emigranten auf der Donau nach Südosteuropa brachten. Diese geografische Gegebenheit und eine in Ulm verfügbare Bundesfestung ermöglichten, dass im Jahr 2000 nach langen Renovierungs- und Einrichtungsarbeiten das DZM eröffnet werden konnte.

Der Einführungsraum in das Museum ist mit Koffern, sowohl symbolischer als auch reeller Art bestückt, denn die Geschichte der Donauschwaben ist der Migrationen in den und aus dem Südosten. Das Museum ist wie die ehemalige Festung gegliedert: Die großen Räume, die ehemaligen Wohnkasematten, beherbergen die Hauptgeschichte der Donauschwaben, während die kleinen Räume unterschiedliche Aspekte aus dem Leben, der Kultur und Entwicklung der Donauschwaben zeigen. Hier gilt es, Religion, Sprache, Kleidung, Musik u.a. zu entdecken, zu ertasten (Kleidung), zu hören und zu verstehen (Mundartaufnahmen).

Der Weg durchs Museum beginnt mit einem Blick auf eine Karte des Königsreichs Ungarn, das im Mittelalter eine Großmacht der Region war, sich der Angriffe der Mongolen und Osmanen zu erwehren wusste, nach der Schlacht von Mohács aber unter osmanische Herrschaft geriet. In die durch jahrzehntelange Kriege und Besetzungen geplünderten und entvölkerten Gebiete lassen sich (nach den Siebenbürger Sachsen im 12. Jahrhundert) ab 1690 in mehreren Auswanderungswellen deutsche Siedler nieder. Neben der planmäßigen Besiedlung durch die Habsburger bemühen sich auch weltliche und geistliche Grundherren um neue ­Arbeitskräfte für ihre Güter. Ursachen für die Auswanderung sind unter anderem die wirtschaftliche Not und die hohe Bevölkerungsdichte. Die Kolonisten kommen aus unterschiedlichen deutschen Regionen, angelockt von der versprochenen Befreiung vom Militärdienst, einem fünfjährigen Steuererlass, einem Stück Land und einem Haus. Wöchentlich fährt eine Ulmer Schachtel mit ca. 200 Leuten an Bord entlang der Donau nach Wien und später auch bis nach Pest. Die Ansiedlung verläuft planmäßig. Gemeinsam mit den Einheimischen sollen die deutschen Siedler das Land wirtschaftlich modernisieren. Dank Südungarns fruchtbarem Boden stellt sich der wirtschaftliche Erfolg auch relativ bald ein.
Zahlreiche Exponate laden den Besucher ein, sie ...
Zahlreiche Exponate laden den Besucher ein, sie zu entdecken und die Lebensgeschichte ihres ehemaligen Besitzers zu erforschen. Foto: Oleg Kuchar
Aus der Lebenswelt der Dorfgemeinschaft schöpfen die Siedler ihre Identität und passen sich an ihre Regeln an. Durch Fleiß und Rechtschaffenheit können sie sich in dieser Solidargemeinschaft Geltung verschaffen. Gegenseitige Hilfe und Zusammenhalt prägen die Gemeinschaft. In ethnisch gemischten Dörfern leben die Bewohner gleicher Herkunft meist in bestimmten Gassen. Zwar werden Waren und auch Kulturgut ausgetauscht, doch Mischehen zwischen den Ethnien sind wegen der sprachlichen und konfessionellen Barrieren selten. Religiöse Feste wie z.B. die Kirchweih und Hochzeiten bilden lange Zeit den Mittelpunkt der über den Familienkreis hinausreichenden Begegnungen.

Die wenigen Intellektuellen in einem Dorf genießen über ihr Amt hinaus Autorität, sind häufig Ratgeber in Lebensfragen und vor allem in abgeschiedenen Dörfern wichtige Vermittler zwischen Außenwelt und Dorfgemeinschaft. Soziale Hierarchie und gesellschaftliches Ansehen wirken auch in das Leben der Kirchengemeinde hinein.

Nachdem die Abgabepflicht an ihre Grundherren 1848 wegfällt, produzieren die von ihren Nachbarn als „Schwaben“ bezeichneten Siedler zunehmend Überschüsse, die bis auf die Märkte Mitteleuropas gelangen. Die Gewinne investieren sie in neues Land und in gemeinschaftlich genutzte Maschinen. Bis heute prägt diese Zeit das Selbstbild vieler Donauschwaben: wichtig sind gemeinsamer Arbeitseinsatz und wirtschaftlicher Erfolg. So entwickeln sich diese Gebiete zu Dreh- und Angelpunkten zwischen Ost und West und die „Schwaben“ zu angesehenen Bürgern. Durch den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch der Deutschen mit anderen Nationen entwickelt sich hier eine spezielle, die Menschen bereichernde Kulturlandschaft.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreicht die Industrialisierung auch Ungarn: Maschinen und Fabrikarbeit bestimmen nun das Lebenstempo und verändern die Gesellschaft. Für viele bedeutet diese Zeit wirtschaftlichen Aufschwung, erkennbar an den schönen Exponaten aus dieser Zeit. Andere versuchen ihr Glück in den USA.

Im Vielvölkerstaat Ungarn, der Teil der Habsburgermonarchie war, setzt sich die Idee eines Nationalstaates zwangsläufig zu Lasten der Minderheiten durch. Sie nimmt nach dem so genannten österreichisch-ungarischen Ausgleich (1867) nationalistische Formen an: Muttersprachlicher Unterricht wird eingeschränkt oder verboten, Orts- und Familiennamen werden magyarisiert, die Minderheiten durch das Wahlrecht benachteiligt. Wie auch andere Minderheiten gründen die Ungarndeutschen Parteien, Kulturvereine, Genossenschaften und Zeitungen und fordern ihre Rechte ein.

Durch den Zerfall der Habsburgermonarchie im Jahr 1918 zerschneiden neue Grenzen historisch gewachsene Regionen. In den neuen Staaten gewinnt der Nationalismus schnell an Boden. Bei den Donauschwaben geht der Mythos von der deutschen Volksgemeinschaft um. Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff „Donauschwaben“ als Sammelbegriff für die deutsche Minderheit in den Siedlungsgebieten des ehemaligen Ungarn.
Ein Blick in das Museum: wunderbare Exponate aus ...
Ein Blick in das Museum: wunderbare Exponate aus dem Bereich Kirche und Religion. Foto: Oleg Kuchar
Seit Beginn der 1930er Jahre nähern sich die völkischen „Erneuerer“ der nationalsozialistischen Ideologie an. Sie unterwandern bestehende Vereine oder gründen neue straff organisierte Volksgruppenorganisationen. Nach 1939 erfasst die Rassen- und Bevölkerungspolitik Deutschlands auch die „Volksdeutschen“ Südosteuropas. Viele von ihnen werden für die Wehrmacht oder die SS rekrutiert. Im September 1940 wird von der Berliner Volksdeutschen Mittelstelle (VOMI) mit dem Siebenbürger Sachsen Andreas Schmidt ein Volksgruppenführer eingesetzt, der sich ganz der SS unterordnet und deren Ziele vertritt. Im Herbst 1940 organisiert die VOMI die Umsiedlung von über 200000 Deutschen aus dem an die UdSSR abgetretenen Bessarabien ins besetzte Wartheland. Die Umsiedlung erfasst auch die deutsche Bevölkerung in der an die Sowjetunion abgetretenen Nordbukowina und der rumänischen Dobrudscha. Insgesamt werden auf diese Weise 215000 Menschen „heim ins Reich“ geholt.

Nach dem Kriegseintritt Rumäniens auf deutscher Seite am 22. Juni 1941 werden Soldaten deutscher Abstammung zunächst in die rumänische Armee eingezogen. Etwa 54000 „Volksdeutsche“ dienen in der Waffen-SS und anderen deutschen Verbänden. Im Spätsommer 1944 bricht die von der deutschen Wehrmacht gehaltene Front zusammen und Rumänien erklärt Deutschland den Krieg.

Nachdem Ungarn am 27. Juni 1941 auf deutscher Seite in den Krieg gegen die UdSSR eintritt und 1943 ein zwischenstaatliches Abkommen mit dem Deutschen Reich abschließt, werden etwa 20000 Donauschwaben für die deutsche Waffen-SS rekrutiert. Im März 1944 wird Ungarn von deutschen Truppen besetzt. Damit beginnt die Deportation von etwa 600000 ungarischen Juden. Ab Oktober 1944 fliehen deutsche Besatzer und deutsche Einwohner aus Budapest, das im Februar 1945 von der Roten Armee eingenommen wird. Weil Vergeltungsmaßnahmen gegenüber der deutschsprachigen Bevölkerung befürchtet werden, beginnen die zurückweichenden deutschen Truppen mit der Evakuierung. Viele Flüchtlingstrecks werden jedoch auf ihrem Weg von der Roten Armee überrollt und zurückgeschickt. Die Zurückgeblieben werden inhaftiert, enteignet oder in die Sowjetunion verschleppt.

In Rumänien ist die Zahl der Menschen mit deutscher Muttersprache von 750000 (bei der Volkszählung von 1930) auf 344000 Menschen im Jahr 1948 geschrumpft. 1945 kommt es hier zur Enteignung des gesamten Landbesitzes. Unabhängig von ihrer politischen Einstellung werden 1944/45 in Ungarn, Rumänien und Jugoslawien arbeitsfähige Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren und Männer zwischen 17 und 45 Jahren in die Sowjetunion deportiert. Für die Betroffenen bedeutet dies Verhaftung, Verschleppung und Zwangsarbeit bei völlig unzureichender Hygiene und Ernährung. Etwa 15% überleben diese Tortur nicht. Insgesamt werden aus Jugoslawien 10935, aus Rumänien 69332 vorwiegend deutschsprachige und aus Ungarn 31923 Menschen aller Volksgruppen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt.

Nach Kriegsende strömen über 16 Millionen Menschen in das zerstörte und in vier Zonen aufgeteilte Deutschland. Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen leisten erste Hilfe. Was die Alliierten längst wissen, erkennt die Bevölkerung erst allmählich: es wird keine Rückkehr in den Osten geben. Die Integration der Neubürger wird zur wichtigsten Aufgabe der deutschen Nachkriegsgesellschaft.

In den sozialistischen Ostblockstaaten ist die Minderheitenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg darauf ausgerichtet, diese in ihr Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu integrieren. Auf Besonderheiten wird wenig Rücksicht genommen. Die Deutschen reagieren gleichgültig bis ablehnend, gehen entweder in die innere Emigration oder wandern in die Bundesrepublik aus. In Rumänien unterbleibt eine Vertreibung der Deutschen im größeren Ausmaß. Allerdings bewegen die Deportationsfolgen und die Unterdrückung unter Diktator Ceaușescu (1965-1989) viele dazu, dieses Land zu verlassen.
Warum muss Hänschen klein, in die Welt hinein? ...
Warum muss Hänschen klein, in die Welt hinein? Erforschendes Lernen ist das Prinzip der Vermittlungsaktionen. Foto: Oleg Kuchar.
Das Jahr 1989 bedeutet für die osteuropäischen Staaten das Ende der kommunistischen Diktaturen. In einem vergleichsweise kurzen Zeitraum fordert der Umbruch hin zu demokratischen Systemen grundlegende soziale und wirtschaftliche Veränderungen. Zwischen 1990 und 1993 wandern 100000 Rumäniendeutsche nach Deutschland aus. Die verbliebene deutsche Minderheit organisiert sich seither im Demokratischen Forum der Deutschen aus Rumänien (DFDR) auch politisch und gewinnt seit 2000 auf kommunal- und regionalpolitischer Ebene vermehrt an Bedeutung.

Erstmals in der Geschichte rückt die Vision eines vereinten Europa in greifbare Nähe. Zwischen 2004 und 2007 werden neun Länder in die EU aufgenommen. Die Donauländer sollen nach dem Willen der EU in Zukunft einen größeren Beitrag zu einem vereinten Europa leisten, da historischen Regionen wie dem Banat wieder bedeutendere Rollen zukommen.

In den ersten Jahren ist es für Flüchtlinge überlebenswichtig, nach vorne zu blicken, da es keine Rückkehr in die alte Heimat geben wird. Damit endet ein Lebensabschnitt. Die erfolgreiche Integration der Flüchtlinge, eine der größten Leistungen der Bundesrepublik, beginnt. Je mehr die Vertriebenen Deutschland als neues Zuhause akzeptieren, desto mehr bedeutet ihnen ihre Erinnerung. Viele ihrer Verbände wenden sich der Traditionspflege zu und wollen die einstige Kultur erhalten und öffentlich präsentieren. Die in Museen ausgestellten Objekte prägen wiederum das Selbstbild der Flüchtlinge und Vertriebenen. Alltagsgegenstände von früher werden jetzt zu wertvollen Erinnerungsstücken. Viele beginnen nach Jahrzehnten, sich mit ihren Erlebnissen auseinanderzusetzen.

Diese Auseinandersetzung dokumentiert auch das DZM sehr gut. Für Besucher mit südosteuropäischem Hintergrund ist das Museum sicherlich eine Reise in die Vergangenheit, an die Orte der Kindheit oder zu den Wurzeln der Eltern und Großeltern. Ziel des Museums ist auch, mit modernen musealen Angeboten Menschen zu erreichen, die nicht mehr eigene Erfahrungen und Anschauungen einbringen können. Somit gelingt es ihm, ein anerkannter Ort der Geschichte und Wissenschaft zu sein. Zum Anlass des 2010 gefeierten Zehnjährigen gratulieren wir zum Geleisteten und wünschen dem Museum eine Zukunft, in der es gelingt, diese Rolle weiterhin auszubauen.

Monika Czika

Schlagwörter: Donauschwäbisches Zentralmuseum, Ulm, Jubiläum, Flucht und Vertreibung

Bewerten:

18 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.