25. März 2012

Urkundenbuch zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen online

Bisher konnten die historischen Urkunden, in welchen die Geschichte der Siebenbürger Sachsen des Mittelalters nachzulesen war, nur in gedruckter Fassung benutzt werden. Nach Abschluss des unter der Leitung von Dr. Ulrich A. Wien durch den Projektmitarbeiter Dr. Martin Armgart am Universitäts-Campus Landau durchgeführten Projekts können fast 5000 Urkunden im Internet bequem und weltweit recherchiert werden, ja mehr als bisher alle Urkunden durch moderne Suchfunktionen schnell und zuverlässig auf Inhalte und spezifische Merkmale in Sekundenschnelle durchforstet werden. Gegenüber der Druckfassung sind weitere neue Urkundentexte erschlossen und zugänglich gemacht worden. Damit ist das Online-Urkundenbuch zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen im Vergleich zu einschlägigen Grundlagenwerken nicht nur das zeitlich am weitesten vorangeschrittene, sondern auch in der Nutzung innovativer Technologien eines der modernsten weltweit.
Alte Rechtstexte fanden in Siebenbürgen, insbesondere bei den Sachsen, stets besondere Aufmerksamkeit. Doch mussten viele Generationen erst mühsam handschriftlich die Urkundentexte zusammentragen. So entstanden vom 17. bis 19. Jahrhundert umfangreiche Sammlungen, von den Bischöfen Adami und Haner über Soterius und Reschner bis Trausch, von Hevensi bis Kemeny.

Einen großen Fortschritt brachte das Jahr 1892. In Hermannstadt erschien der erste Band „Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in ­Siebenbürgen“. Herausgegeben hatte ihn der „Ausschuss des Vereines für siebenbürgische Landeskunde“. Alle Urkunden wurden in den Archiven ermittelt, die beste Überlieferung ermittelt,der Text nach modernen Editionsmethoden bearbeitet und eine chronologische Abfolge erstellt. Das Urkundenbuch gedieh zu einem der großen Langzeitprojekte der landeskundlichen Forschung. Sechs weitere Bände dieses Grundlagenwerkes folgten, der letzte im Jahre 1991. Die Bearbeiter Dr. Franz Zimmermann, Carl Werner, Dr. Michael Auner, Dr. Georg Müller, Dr. Gustav Gündisch, Dr. Herta Gündisch, Dr. Konrad Gündisch und Gernot Nussbächer machten in ihnen 4687 Urkunden in gedruckter Form nutzbar. Dank ihres Fleißes war diese Erschließungsarbeit mit Dokumenten von 1191 bis 1486 wesentlich weiter vorangeschritten als die Urkundenbücher anderer Regionen. Wohl dem, der heute diese sieben Bände sein Eigen nennt – oder zumindest in der Nähe einer Bibliothek wohnt, in der er sie einsehen kann. Er braucht nicht mehr selbst in die einzelnen Archive zu reisen. Er muss auch nicht mehr mit Informationen arbeiten, die nach dem „Stille-Post-Prinzip“ entstanden waren. Im Urkundenbuch findet er eine zuverlässige Textgrundlage, die direkt auf dem Original oder anderer bester Überlieferung beruht. So ist 1892 ein Epochenjahr für alle, die sich mit der mittelalterlichen Geschichte des Landes beschäftigen.
Diese sieben Bände und noch mehr Texte stehen nun ...
Diese sieben Bände und noch mehr Texte stehen nun online. Foto: Martin Armgart
Jedoch steigt ständig die Zahl derer, die nicht so einfach in die gedruckten Bände hineinschauen können. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten abzuhelfen, war dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde und seinem Vorsitzenden Dr. Ulrich A. Wien seit längerem ein besonderes Anliegen. Seit Anfang 2012, genau 120 Jahre nach dem Erscheinen des ersten gedruckten Bandes, lässt sich eine neue Technik nutzen: Die Urkundentexte sind jetzt auch online einsehbar.

Finanziert hat das Projekt im Jahr 2011 der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Technisch ermöglichte diesen innovativen Schritt die Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften der Universität Trier. Mit Unterstützung aus Siebenbürgen, namentlich Dr. Adinel Dinca aus Klausenburg und Thomas Șindilariu (M.A.) aus Kronstadt, sowie durch die fleißigen studentischen Hilfskräfte Sarah Mai und Johannes Gerstner hat Dr. Martin Armgart an der Universität Koblenz-Landau innerhalb weniger Monate die Urkundentexte in eine zentrale, netzbasierte Datenbank importiert, aufbereitet, vereinheitlicht und jetzt in einer dazu ­erarbeiteten Präsentationsmaske auf der Internetseite des Siebenbürgen-Instituts bereitgestellt. Für die Nutzer leicht erkennbar hat das Trierer Kompetenzzentrum die Präsentationsmaske professionell und übersichtlich, bedienungsfreundlich und optisch ansprechend erstellt.

Neue Recherchemöglichkeiten

Der Inhalt der bisherigen, gedruckten Quellen­edition ist nun bandübergreifend recherchierbar. Die einzelnen Bände verwenden als „Produkte ihrer Zeit“ u.a. jeweils abweichende Ortsnamen und Namen der herangezogenen Archive, vom „Hermannst. Archiv“ über das „Sächsische Nationalarchiv“ bis zum „Arh. St. Sibiu“. Für die bandübergreifende Recherche wurde dieses vereinheitlicht und möglichst das heutige Archiv ermittelt. Erst dadurch kann die computergestützte Auswertung zeigen, dass z.B. dieses so unterschiedlich bezeichnete Hermannstädter Archiv mit fast 1300 Urkundentexten die ergiebigste Quelle des Urkundenbuches darstellt – noch vor den Urkundenbeständen in den Archiven von Budapest, Kronstadt und Klausenburg. Die große Bindung der Bewohner des „Königsbodens“ an den Herrscher beziffern die über 1600 Urkunden ungarischer Könige in diesem Werk. Umgerechnet fast drei gedruckte Bände wären allein mit Königsurkunden zu bestücken. Auch die 240 Urkunden der Woiwoden der Walachei für Deutsche in Siebenbürgen werden nun gezielt greifbar – ihre Zahl übertrifft sogar diejenige der 225 Papsturkunden.

Das Urkundenbuch Online ist viel mehr als eine ins Internet gestellte Kopie der gedruckten Bände. Nachträge und Korrekturen sind direkt bei der Urkunde eingearbeitet, anstatt am Ende des Bandes oder in einem anderen gedruckten Werk – wo viele Nutzer diese Korrekturen übersehen könnten. Um 100 Jahre zu korrigieren ist z.B. die Urkunde Nr. 2134, dort eingeordnet in das Jahr 1431. Bei dem Adressaten Lukas Kis, dem Stadtrichter von Kronstadt, handelt es sich um eine ungarische Namensvariante des bekannten Lukas Hirscher des Kleinen. Das konnte bisher in der Siebenbürgischen Vierteljahresschrift von 1937 nachgelesen werden, jetzt steht es gleich bei der Urkunde dabei.

Ganz neue Texte

Die Online-Edition hat jetzt die allerälteste bislang bekannte Urkunde unkompliziert einfügen können. Einige Texte, die zumeist an weit entfernten Orten aufbewahrt wurden und dort dem damaligen Bearbeiter des gedruckten Urkundenbuches entgingen, konnten jetzt als Nachträge hinzugefügt werden. Noch vor der Nr. 1 des Urkundenbuches, in welcher die päpstliche Bestätigung der Hermannstädter Propstei 1191 zu finden ist, werden die auswärtigen „hospites“ in Siebenbürgen genannt: In einer Brautwerbung um die französische Königstochter rühmt sich König Bela III. seiner reichen Einkünfte, u.a. „de alienis hospitibus de Ultrasilva“. Ernst Wagner hat bereits darauf verwiesen, und die Karpatenrundschau berichtete 1976 über diese in Paris liegende Nachricht. Mit dem Urkundenbuch Online lässt sie sich leichter finden; mit ihr beginnen die Nachträge der „von 1185 bis 1531“ reichenden Texte.
Nun auch nachlesbar: Matthias Corvinus urkundet ...
Nun auch nachlesbar: Matthias Corvinus urkundet zum Grenzstreit zwischen Burzenland und Szeklerstühlen – Staatsarchiv Kronstadt, Privilegiensammlung Nr. 233. Foto: Thomas Șindilariu
Lange in Siebenbürgen übersehen wurde auch ein zwischen 1235 und 1240 entstandenes Verzeichnis aller Klöster des Prämonstratenserordens. Es liegt in einer Abschrift im erzbischöflichen Archiv in Mecheln. Dabei ist die dortige Nennung von Klöstern in „Corona“ und „Villa Hermanni“ sehr aufschlussreich für die älteste Geschichte dieser beiden Städte. Harald Roth konnte in seiner kleinen Stadtgeschichte aus diesem neuen Erstbeleg weitreichende Folgerungen gewinnen. Nun ist der Beleg auch den Nutzern des Urkundenbuchs präsent.

Besonderes Anliegen ist es, die Bearbeitung über das gegenwärtige zufällige Ende im Jahr 1486 hinaus fortzusetzen. Als leichter nachvollziehbarer Endpunkt sollte zumindest das Ende des Jahrhunderts – also das Jahr 1500 – erreicht werden. Neue Texte sind bereits online einsehbar, als „work in progress“, als ein virtueller achter Band. Zwei Beispiele daraus: Grenzstreitigkeiten sind ein „Klassiker“ unter den Inhalten alter Urkunden. So erfährt der Nutzer des Urkundenbuchs Online: Matthias Corvinus befasste sich im April 1487 mit den Nöten der „Cigani sive Egiptii“ im Hermannstädter Stuhl. Niemand, nicht einmal der Woiwode oder Vizewoiwode, solle sie mit Geldabgaben belasten, da sie mit Arbeitsleistungen für die Verteidigung von Hermannstadt verpflichtet sind. Und auch nachzulesen ist, dass im Oktober des Jahres 1487 König Matthias Corvinus im fernen Wiener Neustadt in einen Grenzstreit zwischen dem Burzenländer Distrikt und den Szeklerstühlen Orbai und Sepsi eingriff.

Zugriff von jedem Computer möglich

Fast 5000 Urkunden stehen nun online. Nun lässt sich diese Fleißarbeit siebenbürgischer Forscher weltweit von jedem Computer-Arbeitsplatz aus nutzen, unter: http://siebenbuergen-institut.de/special-menu/e-transylvanica/urkundenbuch-zur-geschichte-der-deutschen-in-siebenbuergen-online. Probieren Sie einfach aus, welche Such- und Auswahl-Möglichkeiten sich Ihnen bieten. Anregungen und Ergänzungen nimmt der Bearbeiter gerne entgegen unter armgart@uni-landau.de.

Albert Weber



Erste Reaktionen

„Jetzt muss der alte Mann nur noch das Recherchieren am PC erlernen. Oder vielmehr: Er darf sich freuen, dass eine junge Generation weltweit (!) an die siebenbürgische Geschichte pflegeleicht herangeführt wird.“ (Prof. Dr. Paul Philippi)

„Ich gratuliere zu dieser wissenschaftlichen Leistung der gesamten Mannschaft. Sicherlich wird dieses nicht nur dem Historiker, sondern auch jedem behilflich sein, den die gesamte Fragestellung der Sachsen interessiert, also auch mir.“ (Prof. Dr. Dorin Oancea)

„Meinen Glückwunsch zur Online-Ausgabe des Urkundenbuches. … Zu meiner Genugtuung habe ich dabei keine Fehler gefunden.“ (Kreisratspräsident Prof. Martin Bottesch)

Schlagwörter: Geschichte, Urkundenbuch

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