26. Juni 2013

Aussiedlerkulturtage der Stadt Nürnberg 2013

Es war einen Versuch wert – und wurde von Erfolg gekrönt: Auftritte von acht Tanzgruppen reihum auf drei Plätzen in Nürnbergs Altstadt, eine Andacht in der Sebalduskirche, umrahmt von Blasmusik und fast hundert Trachtenträgern, die vor der Kirche auch einen großen Aufmarsch gestalteten, hohe Prominenz beim Festempfang im Krafft’schen Hof und am Vortag russlanddeutsche Geschichte zum Anfassen im Haus der Heimat.
Die Eröffnung der Aussiedlerkulturtage der Stadt Nürnberg am 7. Juni, die traditionsgemäß im Haus der Heimat stattfindet, war einem geschichtsträchtigen Jubiläum gewidmet: Vor 250 Jahren rief Zarin Katharina die Große Deutsche nach Russland und begründete damit die sehr facettenreiche Geschichte der Russlanddeutschen. Horst Göbbel, Vorsitzender des Hauses der Heimat (HdH) erinnerte in seinen einführenden Worten analog zur Hilfsbereitschaft vieler Bürger bei den aktuellen Überschwemmungen daran, wie wichtig Hilfsbereitschaft in schweren Zeiten, also auch bei der Ansiedlung der Russlanddeutschen, beim Durchhalten als Minderheit, in der Deportation bis hin zum Neuanfang in Deutschland war und ist. Er schloss, auf das Jubiläum bezogen, mit den Worten: „Gedächtnis hält den Lebenslauf zusammen.“

Doris Hutter, Geschäftsleiterin des HdH, begrüßte die Ehrengäste, darunter Stadträte und Vorsitzende befreundeter Vereine und Institutionen. Sie freute sich einerseits, dass die beiden Stadträte und Oberbürgermeisterkandidaten Sebastian Brehm (CSU) und Joachim Mletzko (Bündnis 90/Die Grünen) wohl gelaunt nebeneinander saßen, andererseits, dass im heurigen Wahlkampf zwei Siebenbürger Sachsen ihren Hut in den Ring geworfen haben: die Geschwister Brigitte und Edwin Krug. Brigitte Krug (SPD) kandidiert für den Bezirkstag Mittelfranken, und Edwin Krug (SPD) für den Bayerischen Landtag. Er ist übrigens stellvertretender Vorsitzender der neu gegründeten SPD-Arbeitsgemeinschaft „Migration und Vielfalt“ Mittelfranken. Sebastian Brehm, Fraktionsvorsitzender der Nürnberger CSU und Vertreter des Schirmherrn, Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, erwähnte in seinem Grußwort den „Vater der Aussiedlerkulturtage“ Dr. Ernst Christian, Banater Schwabe, erster Vorsitzender des HdH, der „stets bestrebt war, die Geschichte der Aussiedler in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu stellen. Es ist eine wichtige Aufgabe des HdH, die Traditionen, an denen man festgehalten hat, hier aufzuarbeiten: Traditionen, die oft in Deutschland schon in Vergessenheit geraten sind, wie z. B. das deutsche Liedgut.“ Joachim Mletzko schloss sich dem Dank Brehms an alle Ehrenamtlichen an und rühmte die Gastfreundschaft, die er regelmäßig im HdH erlebe. Nach langjährigem Einsatz in der evangelischen Jugendarbeit weiß er zu schätzen, wenn Jugendlichen geholfen wird, ihre Identität zu finden, und fügte hinzu: „Wenn wir von einem vereinten Europa sprechen, ist es wichtig, darauf zu achten, die jeweiligen kulturellen Wurzeln zu pflegen.“

250 Jahre russlanddeutscher Geschichte

Dem tat der Vortrag von Nina Paulsen „250 Jahre Katharinenerlass - 250 Jahre russlanddeutscher Geschichte“ Genüge. Sie bot Streiflichter durch die Geschichte der Russlanddeutschen und gewährte Einblicke in deren Lebensart und Schicksal anhand von Bildern, Volksliedern und der russischen Romanze „Ja was ljubil“ (Ich liebte Sie) von A. Puschkin/ B. Scheremetijew. Die musikalische Umrahmung des Vortrages gestaltete beschwingt und authentisch die Art-Gruppe ROSENSTOCK unter der Leitung von Marina Silant. Dorothea Walter präsentierte ein Lied der Russlanddeutschen und Viktoria Dinges führte in die Ausstellung des Malkurses der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland Nürnberg unter der Leitung von Wladimir Egorow ein.

Bundestagsabgeordnete lösen Tanz-Versprechen ein

Abenteuerlich ist die Organisation von Veranstaltungen unter freiem Himmel schon des Wetters wegen. Für diesen Samstag, den 8. Juni, kam hinzu, dass unsere türkischen Mitbürger anlässlich der Unruhen in der Türkei kurzfristig eine Demonstration in der Nürnberger Altstadt angekündigt hatten, um die Demokratiebewegung in der Türkei zu unterstützen. Doch es sollte ein zwar außergewöhnlicher, aber sonniger und friedlicher Tag werden. Um 14 Uhr trafen sich acht Tanzgruppen der Aussiedlerverbände auf dem Haupt-, dem Hall- und dem Ludwigsplatz, wo je eine große Box für die musikalische Umrahmung der Auftritte sorgte. Es tanzten und wanderten dann reihum zum nächsten Auftritt drei Volkstanzgruppen der Siebenbürger Sachsen (Alzener Trachtentanzgruppe, Leitung Martin Mehburger; Jugendtanzgruppe Herzogenaurach, Leitung Brigitte Krempels; Tanzgruppe Nürnberg, Leitung Johann Schuster), die Jugend- und Kindertrachtengruppe der Banater Schwaben Nürnberg, Gruppen der Tanzschule des Russlanddeutschen Franz Hof sowie die Russlanddeutschen mit ihren HdH-HipHop-Gruppen (rund 80 Jugendliche), Mitglieder der Tanzgruppe „White Shadows“, die Jugendtanzgruppe der Sathmarer Schwaben und die Russlanddeutschen der Art-Gruppe ROSENSTOCK.
Aussiedlerkulturtage der Stadt Nürnberg: ...
Aussiedlerkulturtage der Stadt Nürnberg: Trachtenpaare marschieren auf dem Sebalder Platz auf, im Vordergrund die siebenbürgisch-sächsische Tanzgruppe Alzen. Fotos: Inge Alzner
Herrlich die Bilder der tanzenden und durch die Altstadt wandelnden Jugendlichen und Trachtenträger, gelungen der Auftritt der Bundestagsabgeordneten Dagmar Wöhrl und Michael Frieser, Integrationsbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die auf dem Hauptmarkt mit den Banater Schwaben eine Sternpolka mittanzten. Im vorigen Jahr hatte Frau Wöhrl bei den Aussiedlerkulturtagen spontan die Idee geäußert, heuer mittanzen zu wollen. Während Herr Frieser eine banatschwäbische Tracht trug, trat Frau Wöhrl in fränkischer Tracht auf. Etwas außer Atem, doch fehlerlos tanzten sie auf dem Kopfsteinpflaster vor der Frauenkirche mit. Alle Achtung! Viel Applaus ernteten alle Tanzgruppen von den Zuschauern, darunter viele Touristen.

Trachten und Blasmusik in und vor der Sebalduskirche

Nach zwei Stunden Sonnenschein und Tanzen konnten sich Trachtenträger und Zuschauer in der Sebalduskirche abkühlen. Dort fand eine Andacht, gestaltet von Pfarrer Willi Stöhr und umrahmt von 86 Trachtenträgern der Banater und Sathmarer Schwaben, Oberschlesier, Russlanddeutschen und Siebenbürger Sachsen statt. Die Choräle und ein schönes Klarinettenduo steuerte die Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg unter der Leitung von Michael Bielz bei. Die Predigt sprach vielen Aussiedlern unter den Kirchgängern aus der Seele, griff sie doch das Thema auf, immer wieder von vorne beginnen zu müssen. Sich am neuen Wohnort einzubringen, kann diesen zum eigenen Wohle verändern, riet schon Prophet Jeremia.

Im Einklang mit der Predigt entwickelte sich danach auf dem Sebalder Platz ein Augenschmaus: Etwa 40 Trachtenpaare führten den traditionellen Aufmarsch zu den Klängen der Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg vor und präsentierten damit in geschlossener Vielfalt vor einem staunenden Publikum ihre wertvollen Trachten.

„Wer integriert hier wen?“

Während die Blaskapelle für Schaulustige weiter spielte, gingen die Trachtenträger und Ehrengäste zum Festempfang in den Krafft’schen Hof, wo Getränke und kulinarische Spezialitäten, darunter Baumstriezel, bereit standen. Lydia Pastarnak, Russlanddeutsche und Vertreterin der Sprachkurse des HdH, begrüßte die Ehrengäste und erklärte, warum die Andacht dazugehört: „Sowohl die Auswanderer aus Deutschland vor vielen Jahren als auch die Zurückwanderer der letzten Jahrzehnte haben ihre Hoffnungen weitgehend mit Gott und dem Glauben verbunden.“ Sie lobte den Schritt der Aussiedler, in der Altstadt aufzutreten: „Man wertet, schätzt und achtet nur das, was man kennt.“ Großen Applaus zollten die routinierten Volkstänzer den beiden Politikern aus dem Bundestag, Wöhrl und Frieser, die, sichtlich begeistert vom Mittanzen, gemeinsam ans Mikrofon traten und von gelungener Integration der Aussiedler sprachen, was dem Ehrengast Dr. Markus Söder, Bayerischer Staatsminister der Finanzen, die Bemerkung entlockte: „Wer integriert hier wen?“.

Hohe Wertschätzung für die Aussiedlerkultur

Dann würdigte Dr. Söder die Aussiedlerkulturtage als Ganzes: „Nicht nur die wundervollen Tänze, sondern die Mischung aus Kultur, Ernsthaftigkeit, Freude und Freundlichkeit beeindruckt mich immer wieder – seit 20 Jahren!“ Starken Applaus erntete er für die beabsichtigte Einführung eines Feiertages zu Ehren der Vertriebenen und Aussiedler ab nächstem Jahr in Bayern. Sebastian Brehm sagte „Es freut mich, dass Sie mitten in der Stadt sind, denn da gehören Sie hin.“ Und Karl Freller, MdL (CSU) betonte: „Tracht ist Heimat, Tracht ist Kultur. Schön, dass Sie Ihre Heimat nicht vergessen haben und Ihre Kultur zu uns bringen!“ Bezirksrat Peter Daniel Forster (CSU) überbrachte die Grüße des Bezirks Mittelfranken und gratulierte den Aussiedlern zu dem schönen Fest. Die Landtagskandidatin und integrationspolitische Sprecherin der SPD-Stadtratsfraktion Gabriela Heinrich sieht im Auftreten der Gruppen in der Altstadt eine begrüßenswerte Entwicklung der Aussiedlerkulturtage. Abschließend sagte sie: „Ich freue mich, Eure Kultur kennen und wertschätzen zu können!“

Durch das Programm führte Doris Hutter, in deren Händen die Gesamtorganisation der Aussiedlerkulturtage lag. Sie stellte das Musiker-Trio vor, das den Festempfang instrumental (Geige, Kontrabass und Akkordeon) umrahmte, dankte den Teilnehmern für die gute Zusammenarbeit und schloss mit den Worten: „Die Demonstration unserer türkischen Mitbürger kurz vor unseren Auftritten, die sich für Rechte in der Türkei einsetzen, die wir hier selbstverständlich haben, hat mir erneut gezeigt, was für ein Glück wir haben, in Freiheit auf die Straße gehen zu können, um zu tanzen. Dafür danke ich den Politikern, die unsere Demokratie bewahren, und allen Mitstreitern, die darüber hinaus am Erhalt der Kultur mitwirken!“

Doris Hutter


Schlagwörter: Aussiedler, Nürnberg

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