15. November 2013

Wochenende der grenzüberschreitenden Freundschaft: Mediascher kultureller Herbst

Im Wettstreit der sächsischen Städte um das beste kulturelle Angebot fiel Mediasch meist die Rolle eines Mauerblümchens zu. Daher galten die Jahre 1893 bis 1900 als „Kirchnerzeit“ in der kollektiven Erinnerung, als musikalisch nie wieder erreichte Glanzzeit. Vor 120 Jahren kam der aus Thüringen stammende Bariton Hermann Kirchner (1861-1928) als Musikdirektor an die Kokel, von wo er 1900 nach Hermannstadt berufen wurde. Zur Erinnerung daran wurde am 7. Oktober am sogenannten Organistenhaus in der Honterusstraße (früher Steingasse) Nr. 7 eine Gedenktafel feierlich eingeweiht. Sie erinnert auch an Kirchners Freund Carl Martin Römer (1860-1942), den Gymnasiallehrer, Mitbegründer des Museums Alt-Mediasch und späteren langjährigen Stadtpfarrer.
Der Freundschaft dieser beiden Männer verdanken wir eines der Kleinode sächsischen Liedguts, „Bäm Hontertstreoch“. Auf die von Römer verfassten Verse komponierte Kirchner 1896 eine zauberhafte Weise. Wer von uns kennt sie nicht, die vertrauten Mundartverse: „Äm Hontertstreoch, äm Hontertstreoch, dī bläht gor hīsch äm Moa, do sång e klinzich Vijjelchen en Lied vu Läw uch Troa.“. Aber kaum jemand weiß mehr, dass das Lied sehr bald von den Rumänen unter dem Titel „Sub crengi de soc“ übernommen wurde und Anfang des 20. Jahrhunderts zum Standardrepertoire vieler rumänischer Chöre aus Siebenbürgen gehörte. So ist es auch zu einem „rumänischen Volkslied“ geworden, dessen Spuren sich noch bis zur Mitte des Jahrhunderts nachweisen lassen.
Pfarrer Gerhard Servatius-Depner (rechts) bei ...
Pfarrer Gerhard Servatius-Depner (rechts) bei seiner Ansprache. Foto: Mircea Hodarnau
Das Lied war bald auch in Deutschland weit verbreitet, und Kriegsgefangene brachten es nach England und Russland; ja selbst die Japaner kannten es in den 1930ern. Der „Honterstreoch“ wurde so in zwiefachem Sinn ein Symbol grenzenloser Freundschaft: selbst Ergebnis einer Männerfreundschaft, verband es die Völker der Welt durch den Zauber seiner Melodie. Bei der Enthüllung sprach Pfarrer Gerhard Servatius-Depner über das Leben und Wirken von Carl Martin Römer. Hansotto Drotloff, Kulturreferent der Heimatgemeinschaft Mediasch, würdigte Hermann Kirchners Wirken in Mediasch, aber auch in Hermannstadt und Bukarest. Der Musik der Siebenbürger Sachsen und Rumänen gleichermaßen zugetan, hat er grenzenlose Freundschaft in seiner Kunst vorgelebt.
Edith Toth (links, mit Gitarre) dirigiert den ...
Edith Toth (links, mit Gitarre) dirigiert den Schüler-Chor der Hermann Oberth-Schule. Foto: Cynthia Pinter
Drei Nachkommen von Carl Martin Römer, der Enkel Wilfried Römer, die Urenkelin Sigrid und Ur-Urenkelin Cynthia Pinter wohnten dem feierlichen Ereignis bei, ebenso Bürgermeister Teodor Neamțu, Mitglieder des Stadtrats, des örtlichen Forums mit dem Vorsitzenden Werner Müller, Geschichtslehrer Helmuth Julius Knall mit einer Klasse Gymnasiasten u.a.m. Für musikalische Untermalung sorgten das Männeroktett und Schüler der Hermann-Oberth-Schule, geleitet von Organistin Edith Toth. Dargeboten wurden die Kirchner-Lieder, meist auf Texte von Römer, „Det Zeisken“, „Än ases Nober Guerten“ oder „Nor denj Uge“. Das bekannteste Lied, „Bäm Hontertsträoch“, sangen alle Anwesenden mit. Erstmals erklang auch die lange verschollene rumänische Fassung wieder in der Öffentlichkeit.

Die Gedenktafel wurde mit Unterstützung der Stadt Mediasch und der Ev. Kirchengemeinde aus Mitteln der Heimatgemeinschaft Mediasch und Spenden der Familie Römer gestiftet.
Die Gedenktafel für Hermann Kirchner und Carl ...
Die Gedenktafel für Hermann Kirchner und Carl Martin Römer. Foto: Hansotto Drotloff
Begonnen hatte das ereignisreiche Wochenende am 4. Oktober mit einer Feier im Festsaal des Schullerhauses anlässlich der Übergabe einer Büste des Namenspatrons an die deutsche Zentrumsschule „Hermann Oberth“. Der Bronzeabguss einer Plastik des Schäßburger Architekten und Bildhauers Hans-Wolfram Theil wurde von der HG Mediasch gestiftet. Er wurde mit freundlicher Zustimmung von Hermann Theil (HG Schäßburg) unter der Betreuung von Kurtfritz Handel hergestellt. Mit dieser Geste würdigt die HG den Beitrag der Schule für die Bewahrung und Pflege der Traditionen und des Kulturguts der sächsischen Gründer und Bewohner der Stadt.
Die Oberth-Büste im Eingangsbereich der Schule. ...
Die Oberth-Büste im Eingangsbereich der Schule. Foto: Hansotto Drotloff
Schulleiterin Dana Oprean betonte zur Eröffnung, dass die Schüler die Feier selbst vorbereitet und ausgerichtet hätten. Alexandra Băluță (deutsch) und Cătălin Coldea (rumänisch) moderierten ein buntes Programm. Die Blockflötengruppe und der Chor, geleitet von Edith Toth, die Volkstanzgruppe unter der Leitung von Gabriela Hălmaciu, der Vortrag deutscher und sächsischer Gedichte erfreuten ein zahlreiches Publikum. Besonderen Applaus erntete Annemarie Bodo aus der 4. Klasse für den Vortrag eines sächsischen Gedichtes. Alexandra Moldovan und Andreea Olaru erinnerten jeweils in Deutsch und Rumänisch an wichtige Stationen aus dem Leben des Wegbereiters der Weltraumfahrt; den Text dazu hatte der Lehrer Dr. Liviu Câmpean verfasst.
Hans-Wolfram Theil modelliert Hermann Oberth in ...
Hans-Wolfram Theil modelliert Hermann Oberth in Feucht. Foto: Familienarchiv Hermann Theil
Seitens der HG nahmen der 1. Vorsitzende Alfred Gökeler und Kulturreferent Hansotto Drotloff teil. Aufbauend auf das Goethe-Wort „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“ ging Letzterer auf die Schwierigkeiten ein, sächsisches Erbe in Siebenbürgen in einer Zeit zu pflegen, in der die Mehrzahl der Sachsen nicht mehr in ihrer angestammten Heimat lebt. Lehrer und Schüler der deutschen Schulen Siebenbürgens leisten einen bedeutenden Beitrag dafür, dass die Menschen in Rumänien, die unser Erbe übernommen haben, als wir gingen, es erwerben, um es nicht nur zu besitzen, sondern es auch in Zukunft zu pflegen. Dafür gebührt ihnen unsere Anerkennung, aber auch unsere stetige Unterstützung.
Impression von  der Oberth-Feier im Schuler-Haus. ...
Impression von der Oberth-Feier im Schuler-Haus. Foto: Mircea Hodarnau
Es ging weiter an diesem bewegten Oktoberwochenende der grenzüberschreitenden Freundschaft mit der Ankunft einer Besuchergruppe aus der Partnergemeinde Herrenberg unter der Leitung von Jürgen Hannsmann, die die kirchliche Arbeit und vor allem den Diakonieverein seit vielen Jahren tatkräftig und mit substanziellen Spenden unterstützt. Sie durften nicht nur das Bezirksgemeindefest (siehe unten) und die Kirchner-Römer-Feier miterleben, sondern auch den ­krönenden Abschluss dieser reichen Tage, die Aufführung von Haydns „Schöpfung“ in der Margarethenkirche.

Festlich beleuchtet empfing das ehrwürdige Gotteshaus am Abend des 7. Oktober die Musiker und Gäste zu diesem außergewöhnlichen Musikereignis, für das die Kirche fast bis auf den letzten Platz gefüllt war. Pfarrer Gerhard Servatius-Depner begrüßte gut 40 Sänger des Hermannstädter Bachchors unter dem Dirigenten Kurt Philippi, die diese Aufführung zusammen mit 70 Sängern der Göttinger Stadtkantorei und mit Unterstützung von Musikern der Hermannstädter Staatsphilharmonie bestritten. Einleitend verwies er auf die bemerkenswerte Rezeptionsgeschichte des Werkes in Mediasch, das am 4. Oktober 1829 erstmals in dieser Kirche gegeben wurde, und ein weiteres Mal vor genau einhundert Jahren, zu Ostern 1913. Kaum jemand erinnert sich allerdings noch daran, dass der Klausenburger Studentenchor unter der Leitung von Erich Bergel die „Schöpfung“ am 22. April 1955 in Schäßburg und einen Tag später in Mediasch aufgeführt hat. Für Sänger und Zuhörer war das in jener dunklen Zeit sicher ein seltenes „Highlight“, für die Securitate, die dem Dirigenten damit „Verbreitung religiös-mystischer Musik“ andichtete, ein weiteres Puzzlesteinchen bei seiner Verurteilung 1959. Diese Zeiten sind zum Glück lange vorbei und so glänzte die Margarethenkirche ungetrübt in Haydns grandioser Interpretation der Schöpfungsgeschichte. Geleitet vom Kantor an St. Johannis in Göttingen, Bernd Eberhardt, und solistisch unterstützt durch Melinda Samson, Sopran, Mathias Schlachter, Tenor und Jürgen Orelly, Bass, entführten uns die Künstler weit weg aus dem Alltag in eine Welt der Töne und der Bilder, die wir nur ungerne wieder verließen, als das Werk mit der Doppelfuge auf „Der Herren Ruhm, er bleibt in Ewigkeit“ in das gotische Gewölbe hinein verklungen war.
Der Hermannstädter Bachchor und Sänger der ...
Der Hermannstädter Bachchor und Sänger der Göttinger Stadtkantorei führen Haydns „Schöpfung“ in der Mediascher Margarethenkirche auf. Foto: Moni Schneider-Mild
Beim anschließenden Empfang im Gemeindehaus plauderten Kurt Philippi und Wolfgang Eberhardt ein wenig aus dem „Nähkästchen“, auch darüber, wie komplex die Organisation eines solchen grenzüberschreitenden Musikprojekts ist. Am Vortag war die „Schöpfung“ im Gewerkschaftskulturhaus in Hermannstadt aufgeführt worden. Beim Vergleich der beiden Spielstätten durch Kurt Philippi durften sich die Mediascher wenigstens an diesem Abend nicht als Mauerblümchen fühlen, sondern als gepriesene Gastgeber dieses internationalen Musikerlebnisses. Auch kam es noch zu interessanten Begegnungen und angeregten Gesprächen.

So lernte der Verfasser in einem jungen Chinesen den vielleicht weitestgereisten Sänger der Kantorei kennen, einen Jurastudenten mit ausgezeichneten deutschen Sprachkenntnissen und einem großen Interesse für die Musik. Hoffen wir, dass dieser kulturelle Mediascher Herbst auch weitere grenzüberschreitende Freundschaften begründen konnte.

Hansotto Drotloff

Schlagwörter: Mediasch, Kultur, Oberth

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