30. November 2013

Lyrische Streifzüge: Richard Wagners Anthologie mit hundert deutschen Gedichten

Mit einer bezaubernden kleinen Anthologie, bestehend aus hundert deutschen Gedichten, meldet sich der Banater Autor Richard Wagner als Herausgeber zu Wort. Erschienen ist das Buch im Aufbau-Verlag mit dem Titel „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus“, einem berühmten Vers aus Joseph von Eichendorffs Gedicht „Mondnacht“. Auf dem blauen Band, das das Buch umschließt, prangt die holde Versprechung: „Lyrik schenkt Heimat“. Das neue Buch wird am 8. Dezember 2013 im Rahmen eines Literarischen Salons vorgestellt.
Schon im Buch über „Die deutsche Seele“ (Knaus Verlag, 2011) schrieb Richard Wagner einen Essay über die Heimat, hier nun erobert er sich die deutsche literarische Heimat zurück. Programmatisch ist dabei der Titelvers von Eichendorff, der zu einem Flügelschlag über die Jahrhunderte einlädt, bei dem man die Seele baumeln lassen kann. Die Gedichte reichen vom elften Jahrhundert bis in die Neuzeit hinein, von Gryphius bis Goethe, von Schiller bis Heine, von Brentano bis Kästner, von Tieck bis Jandl, von Becher bis Celan usw. Es kommen auch anonyme Gedichte darin vor und solche, die man in einer Anthologie erwartet, aber auch solche, mit denen man nicht gerechnet hatte, die einen überraschen oder zuweilen gar irritieren. So findet man erwartungsgemäß „Ein Gleiches“(Über allen Gipfeln) oder „Gefunden“ und das „Heidenröslein“ von Goethe, Heines Lorelei, aber nur ein Gedicht von Schiller und keine berühmte Ballade. Auch sind entgegen anderer Vermutungen keine rumäniendeutschen Autoren darin vertreten, wenn man von Ernst Cara mit seiner „Hymne an die heutige Frau“ absieht.

Richard Wagner hat die Gedichte thematisch in zehn Zyklen geordnet. Gelungen ist ihm der Einstieg. Nach dem „Schnee und Sonne“-Rätsel mit dem Vogel federlos heißt der erste Zyklus „Es ist ein Schnee gefallen“ und vereint melancholische Jahreszeit-Gedichte. In ebenso nachdenklichem Ton folgt darauf der Zyklus über den Mond, um dann, nach einem Intermezzo mit der klappernden Mühle am rauschenden Bach, historisch zu werden. Bewegend wird die deutsche Geschichte mit ihren Höhen und Abgründen thematisiert. Neben dem Gedicht „An das Teutschland“ von Georg Rodolf Weckerlin folgt jenes über den Dreißigjährigen Krieg, die „Tränen des Vaterlandes, anno 1636“ von Andreas Gryphius. Aber auch die jüngere Geschichte ist vertreten, nicht zuletzt mit Celans „Todesfuge“.

Auch willkommen ist es, die beiden deutschen Hymnen mal vereint nachlesen zu können, ebenso das Gegengedicht zu Gryphius von Johannes R. Becher, „Tränen des Vaterlandes, anno 1937“. Es folgt der Zyklus „Hälfte des Lebens“, in dem natürlich Hölderlin mit dabei ist, ein Exkurs über Goethe und Heine, ein ganzer Zyklus über den Trost, der mit Jandls „katholischem gedicht“ vielleicht etwas irritieren oder zum Schmunzeln anregen kann. Die Heimat kann man auch mal aus der Distanz betrachten, wie beispielsweise im Zyklus „Italien-Reise“, um dann zu den „Dämonen der Städte“ zurückzukehren, der mit Jakob van Hoddis’ wunderbarem „Weltende“ schließt. „Nach dem Weltende“ heißt der letzte Zyklus, in dem nicht immer alle Gedichte schlüssig zu rechtfertigen sind. Interessant darin aber sind Brechts „Radwechsel“ und die Parodien dazu. Vorher konnte man auch schon Kästners „Handstand auf der Lorelei“ als Gegenentwurf zu Heine lesen. Die Gedichte sind thematisch und nicht chronologisch geordnet, aber das allein zeigt schon, wie modern einige „alte“ Gedichte geblieben sind, und wie gut sie immer noch in unsere Zeit passen, wenn sie nicht gar von späteren Autoren in ihren Parodien in ein neues Licht gerückt wurden.

Im Nachwort betont Richard Wagner, dass das Gedicht das ausspricht, was seine Sprache ihm erlaubt: „Wenn dieses Deutsch schön ist, so ist das nicht zuletzt dem Gedicht zuzuschreiben“ (S. 168). Und so wie die Gedichte darin, ist auch die Anthologie schön geworden, natürlich subjektiv, aber berührend und unterhaltsam – eine Einladung zum literarischen Genuss an einem gemütlichen Teenachmittag. Die lyrischen Streifzüge vermittelt, um bei Eichendorff zu bleiben, ein Gefühl von Zuhause: „Und meine Seele spannte / weit ihre Flügel aus, / flog durch die stillen Lande, /als flöge sie nach Haus.“

Edith Ottschofski

Richard Wagner (Hg.): „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus. Hundert deutsche Gedichte“, Aufbau Verlag; Berlin, 2013, 186 Seiten, 12,99 Euro, ISBN 978-3-351-03549-5.

Literarischer Salon mit Richard Wagner in Berlin

Am Sonntag, dem 8. Dezember 2013, findet um 11.30 Uhr im Berliner Zimmer ein Salon mit Richard Wagner statt. Dabei stellt er sein neues Buch vor: Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus. Hundert deutsche Gedichte (Aufbau Verlag 2013). Moderation: Helmuth Frauendorfer, Lesung: Rudolph Herbert. Interessenten werden gebeten, sich bis Ende November per Mail an senta.hoefer@inter-est.de oder telefonisch unter (0 30) 85 40 79 90 anzumelden. Veranstaltungsort: Berlin-Schöneberg, Eisenacher Str. 84, bei Höfer/Rücker (U7 Eisenacher Straße).

Schlagwörter: Rezension, Lyrik

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