4. Januar 2014

Lebenserinnerungen der ehemaligen Russlanddeportierten Maria Ludwig

Die vor Kurzem in Buchform unter dem Titel „Marias langer Weg vom Kokeltal ins Loisachtal“ erschienenen Lebenserinnerungen von Maria Ludwig, geborene Geiger, beginnen mit den Kinderjahren in Kleinschelken, wo sie 1924 geboren wurde. Maria Geiger beschreibt darin ihre Schulzeit, die Kinderstreiche, das herzliche Zusammenleben mit Eltern, Geschwistern und Großeltern, ihre sich daraus ergebenden Pflichten, aber auch Freiheiten.
Als Maria zu Ostern 1939 konfirmiert wird, zeichnet sich schon der Abschied von der Kindheit ab, denn nur ein paar Monate später, muss sie den Tod des Vaters und die beginnenden Veränderungen ihres Lebens durch den auch nach Rumänien herannahenden Zweiten Weltkrieg verkraften. Als sich Rumänien ab 1941 am deutschen Feldzug gegen die Sowjetunion beteiligt, muss sie zusehen, wie ihr Bruder Hans als Freiwilliger zu den Deutschen und in den Krieg zieht. Auch weitere Einflüsse der Nazis, wie das Auflösen der Schwestern- und Bruderschaften, der kirchlichen Organisationen, das Trennen der Kirche vom Schulbetrieb und das Gründen der Deutschen Jugend sowie des Mädelwerkes verändern das Dorfgefüge. Als 1943 das Abkommen zur „Einreihung der rumänischen Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit in die deutsche Wehrmacht bzw. Waffen-SS unterzeichnet wird, werden auch noch die restlichen Männer aus Kleinschelken, unter anderem ihr Freund und späterer Ehemann Peter Ludwig, unter Glockengeläut zur Musterung nach Deutschland und anschließend an die Front gefahren. Als die Russen 1944 in Rumänien einmarschieren und auch plündernd, raubend und vergewaltigend durch Kleinschelken ziehen, zeichnet sich das grausame Ende des Krieges und die Deportation nach dem Krieg ab.

Als am 14. Januar 1945, einem Sonntag, um fünf Uhr in der Früh die Trommeln schlagen, obwohl es draußen noch dunkel ist, müssen alle Kleinschelkener die so furchtbar unheimliche Nachricht der Trommlers hören: „Alle Männer der Jahrgänge 1900-1928 und alle Frauen der Jahrgänge 1915-1927 sollen sich bis acht Uhr im deutschen Saal versammeln. Wer nicht erscheint, bei dem kommen wir die Eltern holen.“ An diesem Tag beginnt im Alter von Marias langer Weg ins russische Zwangsarbeitslager Stalino, aus dem sie am 7. Februar 1947 durch eine List frühzeitig entlassen wird. Danach möchte sie nur noch in ihre Heimat nach Kleinschelken zurück, um endlich wieder bei ihrer Familie zu sein. Mit einem Krankenrücktransport gelangt sie aus Russland in etliche Durchgangslager der russischen Zone (spätere bzw. ehemalige DDR), bis sie nach einem Jahr Flucht in den Westen als Staatenlose in Bayern ankommt, das keine Flüchtlinge mehr aufnehmen möchte.

Über Bad Reichenhall flüchtet sie nach Wien in der Hoffnung, von Wien endlich wieder nach Siebenbürgen gelangen zu können. Doch die politischen Verhältnisse haben sich in der Zwischenzeit geändert. Das rumänische Konsulat in Wien stellt die Rücktransporte der Kriegsheimkehrer ein. Obwohl völlig ratlos und ohne Hoffnung ob dieser Nachricht, nimmt Marias Leben doch noch eine glückliche Wendung, als sie Neuigkeiten über ihren Freund Peter erhält, der auch nach Bayern geflüchtet ist. Ein Jahr später, im Mai 1948, fahren sie gemeinsam ihrer neuen Heimat Penzberg entgegen. Da Maria neben ihrem Peter sitzt, verspürt sie nur noch dieses herrliche Gefühl, die Verschleppung überlebt zu haben und sich endlich wieder frei zu fühlen. Sie freut sich auf ihre neue Zukunft und spürt in diesem Moment nur Gottvertrauen und Dankbarkeit. Die junge Frau strotzt in jeder noch so ausweglosen Situation vor Lebenswillen, Energie und Zuversicht. Und das ist auch der durchgehende Ton dieser sehr lesenswerten Biographie.

Schwerwiegende Details wie z. B., dass den Frauen in Russland etwas zur Unterdrückung der Periode ins Essen gegeben wurde, erwähnt sie nur nebenbei, ohne sie groß zu kommentieren, in dem Bewusstsein, dass es wohl Millionen von Menschen waren, die ein ähnliches Schicksal teilten, und dass in Anbetracht dieser Tatsachen, das eigene Leid nun doch zu klein war, um wehleidig darüber zu klagen. Eines der bewegendsten Ereignisse in diesem Buch ist ihr Empfang 1960 in Kleinschelken, nachdem Maria nach 16 Jahren zum ersten Mal als Besucherin aus Deutschland wieder in ihr Heimatdorf zurückkehrt. Detailreich, ohne Larmoyanz und kurzweilig lässt Maria Ludwig diese längst vergangene und aus heutiger Sicht kaum mehr begreifbare Epoche wiederaufleben.

Monika Czika

Maria Ludwig: „Marias langer Weg vom Kokeltal ins Loisachtal“, im Selbstverlag in Penzberg 2013 in geringer Auflage erschienen, 152 Seiten, Preis: 20 Euro, gegen Vorauskasse zu bestellen bei Heidi Gunesch, E-Mail: heidi.gunesch [ät] yahoo.com, Telefon: (0 80 46) 6 67 (mit T-NetBox).

Schlagwörter: Rezension, Russlanddeportation

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