20. September 2020

Denkmalsturz und Erinnerungskultur: Historiker Konrad Gündisch im Gespräch

Seit Wochen berichten Medien über Denkmalstürze durch empörte antirassistische und antikolonialistische Aktivisten, ob in den USA oder Europa. Auslöser der weltweiten Proteste war der Tod des Afroamerikaners George Floyd, der am 25. Mai bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis gestorben ist. Seine Worte „I can’t breathe („Ich kann nicht atmen“) wurden zur Parole der „Black Lives Matter“-Bewegung gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt. Auch in Deutschland wird aktuell lebhaft debattiert über Rassismus und Postkolonialismus. Das Phänomen des Bildersturms ist freilich keineswegs neu und durchaus komplex, weiß Dr. Konrad Gündisch. Der 72-jährige Historiker und Vorsitzende des Vereins Siebenbürgisches Kulturzentrum „Schloss Horneck“ e.V., als Mediävist auf die Mittelalterliche Geschichte spezialisiert, hat lange Jahre als stellvertretender Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) in Oldenburg gewirkt. Denkmäler sind zeithistorische Dokumente, die der Kontextualisierung bedürfen, betont Gündisch in dem nachfolgenden Gespräch mit Christian Schoger. Erinnerungskultur brauche ein Publikum, „das weltoffen ist und seine Ansichten neuen Erkenntnissen anzupassen vermag“. Das gelte gleichermaßen für Siebenbürgen, wo es insbesondere zwischen Rumänen und Ungarn einen „Wettbewerb der Denkmäler“ gebe. Keinen Zweifel lässt Gündisch daran, welche siebenbürgisch-sächsischen Persönlichkeiten er als zuvorderst denkmalwürdig erachtet. Noch vor der ersten Interviewfrage ergreift er allerdings das Wort zu einer Vorbemerkung.
Bevor wir das Gespräch zu diesem spannenden, aber auch brisanten Thema beginnen, lieber Herr Schoger, möchte ich was loswerden: Ich frage mich, ob ich der richtige Gesprächspartner für eine Diskussion zu diesem Thema bin. Als Mediävist befasse ich mich nicht prioritär mit der Zeitgeschichte, auch bin ich weder Politik- oder Kulturwissenschaftler noch Kunsthistoriker, befasse mich also nicht fachimmanent mit Denkmal- und Erinnerungskultur. Aber natürlich ist man als Historiker, auch als aufmerksamer, miterlebender Zeitgenosse, ein kritischer Beobachter des aktuellen Geschehens. Meine Zweifel räumte die Stellungnahme eines Kollegen, des Oldenburger Mittelalterhistorikers Dr. David Weiss aus, der sich zum Thema „Sollten Statuen abgerissen werden? – Gedanken eines Historikers“ sehr kompetent, engagiert und differenziert geäußert hat.

Außerdem möchte ich betonen, dass ich persönlich kein Bilderstürmer bin – da stehe ich wohl in der guten Tradition meiner siebenbürgisch-sächsischen Vorfahren, die nicht einmal in der Reformationszeit ihre selbst geschaffenen und gestifteten Kunstwerke zerstört haben. Bei all den Denkmälern, über die wir uns heute unterhalten, handelt es sich auch um mehr oder weniger gelungene Kunstwerke, die Zeugnisse einer kunsthistorischen Entwicklung und des Zeitgeistes sind, in dem sie erschaffen wurden. Andererseits muss ich gestehen, dass ich mich riesig gefreut habe, als im Fernsehen gezeigt wurde, wie ein Symbol des Kommunismus, die Lenin-Statue vor dem Bukarester Haus der Presse (Casa Scânteii), im März 1990 an Drahtseilen baumelte und mit einem Kran in einen Hinterhof des Mogoșoaia-Palastes entsorgt wurde.
Dr. Konrad Gündisch, Siebenbürgisch-Sächsischer ...
Dr. Konrad Gündisch, Siebenbürgisch-Sächsischer Kulturpreisträger 2014
Durch Ihre vorgeschaltete „Schutzbemerkung“ sehe ich mich in meiner Interview-Anfrage bestätigt, lieber Herr Gündisch. Lassen Sie uns also beginnen. „Black History Matters“ titelte die „taz“ verständnisvoll zum Denkmalsturz in Bristol am 7. Juni. Protestierende holten die Statue des Sklavenhändlers Edvard Colston vom Sockel und stürzten sie unter Jubelschreien in das Hafenbecken. Die Bilder gingen um die Welt. Was dachten Sie beim Anblick dieser Szenen?

Wie im Fall der Lenin-Statue: An eine symbolische Hinrichtung, in diesem Fall nicht durch Hängen, sondern durch Ertränken, nach kurzem Prozess. Einerseits ein durchaus nachvollziehbarer Akt, weil man damit einer Person, die Zehntausende Menschen auf dem Gewissen hat, sie ihrer Heimat, ihrer Freiheit, ihrer Würde, oft ihres Lebens beraubt hatte, die Ehre einer Würdigung im öffentlichen Raum aberkannte. Andererseits bedarf es nicht nur eines solchen symbolischen Aktes, sondern eines ausführlichen Prozesses, einer tiefer schürfenden Auseinandersetzung mit dem Verbrechen der Versklavung von Millionen Afrikanern. Dabei darf man nicht nur auf die USA blicken. Der transatlantische Sklavenhandel, der Kolonialismus und deren Erbe prägen auch die europäischen Gesellschaften. Hier kann der Historiker ansetzen und die ideengeschichtlichen Hintergründe, die Mechanismen, etwa jene der Unterdrückung und des Widerstandes oder der Motivationen und Handlungen der Akteure aufzeigen, und zwar sowohl der wenigen, die auf Denkmälern zu sehen sind, als auch der vielen Unsichtbaren, Vergessenen oder Ungehörten.

Eine Statue wurde vernichtet, die Probleme, die diese Verbrechen bereitet haben, bestehen aber weiter. Ein vorhergehendes „Strafverfahren“, das Fragen der persönlichen wie der gesamtgesellschaftlichen Schuld hätte untersuchen und zumindest zum Teil klären können, hätte eine Aufarbeitung dieser unseligen Vergangenheit vorangebracht.

Spuren der Vergangenheit kann man nicht durch Denkmalsturz beseitigen

In Bristol wurde gegen Rassismus demonstriert. Der schwarze Bürgermeister der Hafenstadt betrachtete die Statue als „persönlichen Affront“. Colston, ein hochrangiger Vertreter der einstigen Kolonialmacht, besaß als Direktor der Royal African Company von 1672 bis 1698 das Monopol für den britischen Sklavenhandel und verkaufte damals etwa 80 000 Männer, Frauen und Kinder nach Übersee. Mit seinem Reichtum förderte er dann als Mäzen die Stadt, die ihm das Denkmal setzte. 300 Jahre später bei einer friedlichen Demonstration in Bristol mit 10 000 Teilnehmern dann der Denkmalsturz. Die konservative Innenministerin sprach von Vandalismus, die Presse von Kulturkampf. Wie ordnen Sie als Historiker die Vorgänge ein?


Das war kein purer Akt des Vandalismus, eher Ausdruck einer noch lange nicht abgeschlossenen Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe, wenn Sie so wollen ein „Kulturkrieg“ zwischen Nachkommen von Opfern und von Tätern. Er bestimmt deren Verhalten sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten. Dort wird zum Teil bis heute die weitgehende Vernichtung der indigenen Bevölkerung, der „Indianer“, als „Zivilisierungserfolg“ der „Kultivierten“ verbucht, wenn wir uns nur die unzähligen Westernfilme vor Augen führen und den „großartigen“ weißen Mann sehen, den etwa John Wayne so unnachahmlich verkörpert hat. Dort wie auch in Europa, von wo viele Sklavenhändler aufgebrochen sind, auch Colston, wirken die fürchterlichen Vorgänge, die der Versklavung der heutigen Afroamerikaner vorangingen, ebenso nach wie die Behandlung der Versklavten und ihrer Nachkommen durch die Sklavenhalter und ihre Nachkommen. Die damaligen Vorgänge haben Wunden und Narben in der historischen Erinnerung hinterlassen, die derzeit wieder aufbrechen, nicht zuletzt wegen des neuerdings wieder aufgeheizten Rassismus gewisser Kreise aus der sogenannten weißen Elite. Die Vergangenheit ist Teil der Gegenwart. Spuren der Vergangenheit kann man nicht durch Denkmalsturz beseitigen, Vergangenes nicht einfach aus dem Gedächtnis tilgen. Es ist unrealistisch und ahistorisch zu denken, man könne durch den Denkmalsturz die Erinnerung an Colston auslöschen. Und es wäre zudem falsch, denn als Menetekel sollten seine Untaten allemal herhalten. Nicht zuletzt sind Denkmäler Zeugnisse ihrer Zeit und damit Geschichtsquellen, manche – nicht unbedingt jenes für Colston – auch künstlerisch wertvoll. Um eine „damnatio memoriae“, ein Tilgen der Erinnerung an unliebsam gewordene Personen, haben sich bereits die alten Ägypter und Römer bemüht – vergeblich.

In US-amerikanischen Städten kam es im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung zu zahllosen friedlichen Kundgebungen gegen Benachteiligung und Polizeigewalt, daneben aber auch zu Ausschreitungen und Gewaltexzessen. Ins Visier von Protestierenden gerieten da und dort auch Denkmäler von Südstaaten-Generälen aus der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861 bis 1865). Wie ist es zu erklären, dass diese Symbolfiguren der amerikanischen Nationsbildung jetzt, nach anderthalb Jahrhunderten, zum Stein des Anstoßes werden? Welche Prozesse bzw. Muster sind hier wirkmächtig?

Die meisten gehen in der Regel an einem Denkmal recht achtlos vorbei und machen sich wenig Gedanken darüber, wer dargestellt wird und warum er geehrt wird, welche Assoziationen es weckt, welche Ziele seine Schöpfer und/oder deren Mäzene damit verfolgt haben, welche Message ausgesendet werden sollte. Erst wenn sich lang angestauter Unmut über bestehende Verhältnisse zu Empörung entwickelt und die Wut ein Ventil sucht, können sie als Symbole der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung, des Verbrechens gedeutet oder umgedeutet werden und Ziel einer symbolischen, ja rituellen Aktion werden. Die Südstaaten-Generäle sehe ich keineswegs als „Symbolfiguren der amerikanischen Nationsbildung“ an, vielmehr als Vertreter jenes Systems, das im Vorfeld des Sezessionskrieges durch die Abschaffung der Sklaverei beseitigt werden sollte und wogegen sich die Südstaaten gewehrt haben. Dass man ihrer in Statuen erstarrten Erinnerung im wahrsten Sinn des Wortes zu Leibe rückt, ist der verstärkten Auseinandersetzung mit den Folgen der Sklaverei und dieses blutigen Krieges zuzuschreiben. Sie schwelen weiter und haben sich unter anderem in den antirassistischen Ausschreitungen der letzten Monate artikuliert. Zweifellos ist dieser Denkmalstreit ideologisiert, in ihm bündeln sich unterschiedliche Auffassungen über das Vergangene, über die Erinnerungskultur und die Identifikationspolitik, das jeweilige Streben nach Deutungshoheit über die Geschichte. Da helfen auch Versuche der Kontextualisierung nicht. Eine kleine Tafel, die das durch Erläuterungen bewerkstelligen soll, wird unter oder neben einem wuchtigen Denkmal kaum wahrgenommen, kann nicht alle Zusammenhänge vermitteln, nicht einmal andeuten.
Kolonialgeschichte: Münchner Straßenname erinnert ...
Kolonialgeschichte: Münchner Straßenname erinnert an Dr. Hermann von Wißmann
Ich gehe täglich durch die Lüderitzstraße in Münchens „Kolonialviertel“. Hier werden Verantwortliche für die deutsche Kolonialpolitik, Mitverantwortliche für die Verbrechen an den Herero und Nama, durch Straßennamen geehrt. Zwar wurden da Täfelchen mit der Überschrift „Kolonialgeschichte offenlegen“ angebracht, doch werden sie kaum gelesen, der Name derartiger Gestalten hingegen bleibt in der öffentlichen Erinnerung und sie erhalten damit indirekt eine Anerkennung, die sie nicht verdienen. Eine solche Anerkennung kann man auch als Ausgrenzung, zumindest Missachtung derjenigen deuten, die immer noch existente rassistische Anwandlungen im Alltag zu spüren bekommen.

Egomane Trump ist kein Patriot

In seiner Ansprache zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli attackierte Präsident Donald Trump, ein bekennender Patriot und Populist, die Denkmal-Stürmer als „wütenden Mob“. Aktuell sei eine "gnadenlose Kampagne zur Auslöschung unserer Geschichte" im Gang, die von "neuem Linksaußen-Faschismus" angetrieben werde und sich gegen amerikanische Helden und die Gründerväter der USA richte. Auf der einen Seite eine fast kultische Denkmals-Verehrung, demgegenüber ähnlich stark ausgeprägte Ablehnung, die sich in destruktiven Handlungen entlädt. Wie sachlich berechtigt, wie ideologisiert ist dieser Streit und Kampf um Monumente? Was sagt das aus über gesellschaftliche Mentalitäten?

Trump ist keineswegs ein Patriot, auch wenn er das immer wieder lauthals verkündet, sondern ein Egomane, dem es um persönliche Macht, Einfluss und Geld geht, nicht um das Wohlergehen des Landes und all seiner Bewohner! Dafür aber setzen sich wahre Patrioten ein. Wenn er von einer „Kampagne zur Auslöschung unserer Geschichte“ spricht, redet ein Ahnungsloser, der historisch so gut wie gar nicht bewandert ist. Er verbreitet Stammtischparolen für seine Anhänger, heizt Konflikte an, um durch Polarisierung Wähler an sich zu binden. Und wenn er sich am Mount Rushmore verewigen lassen will, neben historisch so herausragenden Persönlichkeiten wie George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln – deren Agieren und Wirken selbstverständlich auch kritisch betrachtet werden muss -, dann verhöhnt er nicht nur diese präsidialen Vorgänger, sondern auch die durch ihr Wirken mit geprägte Geschichte. Auch damit zeigt er seine Ahnungs- und Ruchlosigkeit, seine Egomanie. Da steckt keine Ideologie dahinter, vielmehr personenkultisches Gehabe.

Die Rassismusdebatte hat, weit weniger emotional aufgeladen als in den USA, auch Europa erfasst. Große Protestkundgebungen in Paris, London, Athen, Amsterdam, Wien, Berlin. Verschiedenenorts wurden auch Denkmäler geschändet, zerstört. In London wurde die Statue Winston Churchills auf dem Parliament Square aus Angst vor Randalierern mit einer Schutzhülle gesichert. Aktivisten hatten zuvor den Schriftzug „Churchill war ein Rassist“ auf das Denkmal gesprüht. Großbritanniens Premierminister Boris Johnson verteidigte Churchill als „Held“, der ein Denkmal verdient habe. Stimmen Sie Johnson zu? Was macht einen solchen Heroen denkmalwürdig?

Zweifellos hat Winston Churchill große historische Verdienste, nicht zuletzt als ebenso verbissener wie erfolgreicher Widersacher und Kämpfer gegen Hitler. Auch darf man in Erinnerung rufen, dass er Literaturnobelpreisträger ist. Aber er hat auch das gezielte Flächenbombardement deutscher Städte mit zu verantworten, das Hunderttausenden Zivilisten das Leben genommen hat. Er hat den Luftmarschall Arthur Harris unterstützt, der diese Form des Luftkriegs zur Perfektion entwickelt hat. Dass sogar diesem „Bomber-Harris“ 1992 ein Denkmal gewidmet wurde, das ausgerechnet jene Queen Mum enthüllt hat, die in der deutschen Boulevardpresse so beliebt war, ist nicht nachvollziehbar. Nein, Helden waren weder Churchill noch Harris, Heroen ebenso wenig. Zur Frage, ob Churchill ein Rassist war, kann ich zu wenig sagen, da ich mich damit nicht befasst habe. Jede Person muss unter Berücksichtigung ihrer Zeit, der damaligen Normen und Werte und ihrer Sozialisierung beurteilt werden. Dabei geht es nicht darum, ihre rassistischen Denkmuster zu verharmlosen oder zu ignorieren, sondern sie aufzuzeigen und zu erklären. Nimmt man z. B. Immanuel Kant, der sicherlich noch immer einer der herausragenden und prägenden Vordenker auch für unsere heutige Gesellschaft ist. Auch bei ihm findet sich rassistisches Gedankengut, und darüber muss man offen reden können, diese Aspekte seines philosophischen Werkes untersuchen, ohne sich dem Vorwurf aussetzen zu müssen, einen Säulenheiligen diskreditieren zu wollen.

Parallel dazu entzündete sich in Deutschland eine Kontroverse über die zahlreichen Denkmäler für Reichskanzler und Reichsgründer Otto von Bismarck. Haben Sie Verständnis für die Kritik vonseiten antikolonialer und antirassistischer Aktivisten? Welche Argumente lassen sich für Bismarck-Denkmäler ins Feld führen?

Die meisten Bismarck-Denkmäler wurden nach dessen Absetzung als Kanzler, nicht zuletzt als Reaktion auf die Politik Wilhelms II. aufgestellt, dessen unverhohlener Imperialismus verdammenswert ist. Auch diese Denkmäler sind Kinder ihrer Zeit. Nachvollziehen kann man sowohl einige Argumente Theo Sommers, des früheren Chefredakteurs der ZEIT, der für Bismarck in die Bresche gesprungen ist, als auch jene der Gegendarstellung des Zeithistorikers Jürgen Zimmerer, der zurecht darauf hinweist, dass Bismarcks Rolle in der deutschen Kolonialgeschichte im öffentlichen Bewusstsein immer noch heruntergespielt wird. David Weiss stellt zu der Debatte um Bismarck-Statuen treffend fest: „Das Urteil über Bismarck fällt über das eigene Wertesystem“.

Grundsätzlich gefragt: Was ist aus Ihrer Sicht Sinn und Zweck eines Denkmals? Welche Formen halten Sie für heute noch zeitgemäß, welche für überholt?

Fragen Sie mich lieber, was war Sinn und Zweck eines Denkmals. Es sollte erinnern und Identität stiften, unbestreitbare Verdienste einzelner Personen würdigen und ehren, auch die Architektur um bildnerische Kunstwerke ergänzen. Heute hat Kunst am Bau eher eine ästhetische denn eine bildungsbürgerliche Funktion. Ich halte die Errichtung neuer Denkmäler für Personen des öffentlichen Lebens, egal ob sie in Politik, Geschichte, Wirtschaft, Kunst oder Kultur gewirkt haben, für unzeitgemäß. Eine Heroisierung „großer Männer“ (und allzu selten auch großer Frauen), die keineswegs nur „groß“ waren, vielmehr wie jedes Leben in ihrem ganzen Facettenreichtum zu betrachten sind, ist heute schlicht nicht mehr gefragt.

Denkmäler für Greta Thunberg gerechtfertigt

Wir leben im digitalen Zeitalter, das von einer allgegenwärtigen Erregungskultur geprägt ist, Zur öffentlichen Aufmerksamkeitserzeugung wird permanent skandalisiert, gleichzeitig grassiert Shitstorm-Angst. Welches „Publikum“ braucht da unsere Erinnerungskultur?

Im digitalen Zeitalter kann sich praktisch jeder seine eigene Welt, auch seine eigene Erinnerung schaffen. Man pickt sich aus dem schier unerschöpflichen und unübersichtlichen Angebot an Informationen jene heraus, die zum eigenen Selbstbild passen, und ignoriert, ja verurteilt alles, was nicht in den eigenen Kram passt, als „Fake“. Für die Geschichts- und Identitätspolitik ist es heute viel schwieriger, die breite Masse der Bevölkerung zu erreichen, nahezu unmöglich, jene anzusprechen, die sich hinter ihren eigenen Theorien verschanzen, ihr gelegentlich sehr verqueres Weltbild als das einzig wahre kultivieren. Erinnerungskultur braucht ein „Publikum“, das weltoffen ist und seine Ansichten neuen Erkenntnissen anzupassen vermag. Eine Politik des Erinnerns kann sich kein eigenes Publikum schaffen, bestenfalls Informationen anbieten und über diese wirken.

Können Sie sich vorstellen, dass eines nicht so fernen Tages auch der Klimaaktivistin Greta Thunberg Denkmäler gesetzt werden? Würden Sie persönlich es begrüßen? Die 17-jährige Schwedin gilt als Kandidatin für den diesjährigen Friedensnobelpreis, für den übrigens auch Trump nominiert wurde.

Monumente spiegeln einen Zeitgeist. Unsere Zeit ist von der Sorge um die Folgen des Klimawandels geprägt, dem wohl auch die COVID-19-Pandemie zuzuschreiben ist. Insoweit wären Denkmäler für Greta Thunberg gerechtfertigt. Sie würden auch das eklatante Ungleichgewicht Frau-Mann in der Denkmalkultur zurechtrücken. Der rückwärtsgewandte, egomane Trump verdient keinesfalls ein Denkmal. Grundsätzlich halte ich aber nichts von Denkmälern, die einzelne Personen herausstellen. Sie heben Einzelne hervor, wo es doch um Viele geht, sie verkürzen geschichtliche Ereignisse und Phänomene auf eine Person, nicht auf einen Prozess; weder können noch wollen sie eine Persönlichkeit in allen ihren positiven wie negativen Aspekten und Konnotationen darstellen.
Honterus-Denkmal an der Schwarzen Kirche in ...
Honterus-Denkmal an der Schwarzen Kirche in Kronstadt. Foto: Thomas Șindilariu
Wie ist es eigentlich um die Denkmäler in Siebenbürgen bestellt? Kann man von einer ausgeprägten Kultur und Tradition sprechen?

In Siebenbürgen gab und gibt es einen Wettbewerb der Denkmäler, insbesondere zwischen Rumänen und Ungarn. Ein typisches Beispiel ist das absurde Gerangel um das Matthias-Corvinus-Denkmal in Klausenburg zur Zeit des nationalistischen Bürgermeisters Gheorghe Funar, der im Übrigen diese schöne Stadt mit einer Unzahl geschmackloser Denkmäler verunstaltet hat. Das Aufstellen eines Árpád-Denkmals auf der Zinne über Kronstadt anlässlich der Milleniumsfeiern von 1896 war ein viele provozierendes Zeugnis des ungarischen Herrschaftsanspruches, provozierte 1913 ein Bombenattentat rumänischer Nationalisten und wurde 1916 von der rumänischen Armee gesprengt. Die Errichtung wie die Zerstörung dieses Denkmals haben dem Biotop Zinne unermesslichen Schaden zugefügt und niemandem etwas gebracht. Als die Habsburger ausgerechnet auf dem Großen Ring ein Denkmal für den katholischen Brückenheiligen Nepomuk errichten ließen, waren die siebenbürgisch-sächsischen Bewohner empört. Als es 1948 von den Kommunisten abgebaut wurde, trauerten ihm dieselben Hermannstädter nach. Die Siebenbürger Sachsen waren im Denkmalbau recht zurückhaltend und das ist meines Erachtens auch gut so. Wenn ich die existenten Denkmäler Revue passieren lasse, fällt mir auf, dass die meisten wohl Hermann Oberth gewidmet sind, ohne Zweifel als Raumfahrtpionier eine epochale Persönlichkeit, auf die man als Sachse stolz sein kann. Aber wieso hinterfragt niemand sein Mitwirken in Peenemünde an der Herstellung der angeblichen Wunderwaffe Hitlers oder seine Mitgliedschaft in der rechtsradikalen NPD der Bundesrepublik? Man brüstet sich mit seinen positiven Seiten und kehrt seine negativen unter den Teppich. Denkmäler können noch so kunstvoll sein, sie widersiegeln nie alle Facetten einer Persönlichkeit.

Honterus, Roth und Wolff stehen für Humanismus, Reformation, Völkerverständigung und Wirtschaftskraft

Gesetzt den Fall, Sie erhielten das Privileg, drei historischen siebenbürgischen Persönlichkeiten ein Denkmal setzen zu lassen, wer käme dafür in Betracht und jeweils welcher Ort?

Ganz gewiss Johannes Honterus, Stephan Ludwig Roth und Carl Wolff. Sie stehen für so grundlegende Elemente siebenbürgisch-sächsischer Geschichte und Kultur wie Humanismus, Reformation, Völkerverständigung und Wirtschaftskraft. Auf der anderen Seite waren auch sie vielschichtige Persönlichkeiten, so dass man sie nicht nur auf diese Aspekte reduzieren kann. Doch steht Honterus bereits vor der Schwarzen Kirche in Kronstadt, Stephan Ludwig Roth unter anderem in Mediasch, Carl Wolff im nach ihm benannten Hermannstädter Altenheim. Was mich wundert, ist, dass Samuel von Brukenthal noch durch kein öffentliches Denkmal geehrt wurde, wenn man mal von seinem Relief an dem Maria-Theresia-Standbild in Wien absieht. Er hat die siebenbürgische Kultur und Geschichte nachhaltig geprägt, die Geschichtsforschung modernisiert, war ein bedeutender österreichischer Staatsmann, hat seine Sammlungen seinem Volk hinterlassen und die Gründung des ersten öffentlichen Museums in Südosteuropa möglich gemacht. Natürlich war er aber auch ein Kind seiner Zeit, ein Großgrundbesitzer, der sich in den Dienst der habsburgischen Herrschaft gestellt hat; als er Gouverneur war, wurde der Horea-Aufstand 1784 blutig niedergeschlagen, zwar nicht unter seiner direkten Beteiligung, wohl aber unter seiner Mitverantwortung. Anlässe zum Denkmalsturz böte auch er.

Ganz im Vertrauen gefragt – niemand liest mit: Hatten Sie schon mal denkmalstürzlerische Anwandlungen, wenn ja wo, bei welcher Gelegenheit?

Also, dass ich jemals selbst Hand anlegen könnte, ist ausgeschlossen, sei es nun physisch oder verbal. Aber das künstlerisch minderwertige, keineswegs moderne Reiterstandbild des Mihai Vitazu, das kürzlich ohne Not vor dem Heltauer Rathaus aufgestellt wurde und den Blick aus der Marktgasse auf die schöne Kirchenburg verschandelt, würde ich gerne wegbeamen. Michael der Tapfere hat für die Geschichte von Heltau kaum eine Bedeutung, bei den Siebenbürger Sachsen schwelt die Erinnerung an einen Mordbrenner weiter, das Denkmal ist so unnötig und provokant, so geschmacklos und geschichtsfremd wie ähnliche Denkmäler von Vlad Țepeș oder Avram Iancu vor ungarischen oder siebenbürgischen Kirchen.

Vielen Dank für das anregende Gespräch.

Schlagwörter: Interview, Geschichte, Historiker, Konrad Gündisch, Kulturrat, Kulturpreisträger, Denkmal, Erinnerung, USA, Trump, Rassismus, Sklaverei, Churchill, Bismarck, Bukarest, Lenin, Klausenburg, Kronstadt, Honterus, Stephan Ludwig Roth, Carl Wolff, Oberth

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