30. März 2022

Aus dem Siebenbürgen-Institut: Der fremde Blick auf Siebenbürgen

Die Siebenbürgische Bibliothek beherbergt, wie zu erwarten ist, jede Menge Bücher mit Geschichten aus und über Siebenbürgen. Erzählt wird aus allen möglichen Bereichen, aus unterschiedlichen Blickwinkeln und hauptsächlich von siebenbürgischen Verfassern, also von Menschen, die zumindest einen Teil ihres Lebens in Siebenbürgen verbracht haben. Wenn man selbst Teil dieser Gruppe ist, decken sich viele eigene Erfahrungen mit denen der Erzähler dieser Geschichten. Man kennt die Hintergründe, spricht dieselbe Sprache, lacht über dieselben Witze. Besonders spannend ist es daher auf Bücher zu stoßen, in denen Fremde ihre Eindrücke von Land und Leuten schildern, Menschen mit unverfälschtem Blick, der nicht von ererbten Vorurteilen oder Lokalpatriotismus beeinflusst wird. Und es sind im Laufe der Zeit zahlreiche solcher Menschen durch Siebenbürgen gereist und haben die Schilderungen ihrer Erlebnisse zu Papier gebracht.
Titelblatt der englischen Ausgabe von Boners ...
Titelblatt der englischen Ausgabe von Boners „Siebenbürgen, Land und Leute“
Der englische Dichter und Reiseschriftsteller Charles Boner zum Beispiel reiste 1863 durch Siebenbürgen und veröffentlichte zwei Jahre später seine Reisebeschreibung in englischer Sprache. Wenige Jahre später erschien auch die deutsche Übersetzung. „Die Einwohner sind Deutsche – Sachsen […] - und in Tracht, Physiognomie, Sitten und Lebensweise so ziemlich denen irgendeiner kleinen deutschen Stadt ähnlich.“ Boner beschreibt viele siebenbürgische Orte und Landschaften und veranschaulicht seine Ausführungen mit zahlreichen Abbildungen. Er beklagt den schlechten Zustand der Gasthäuser, lobt die Gastfreundschaft der Bewohner und lernt die Vorzüge des siebenbürgischen Weins zu schätzen.

Der bayerische Maler und Zeichner Albert Reich zieht während des Ersten Weltkriegs mit der „Gruppe Krafft“ durch Siebenbürgen und wundert sich über „die Laute unserer Sprache von Leuten, deren Tracht uns an Bekanntes erinnert.“ Er beschreibt die Schlacht bei Hermannstadt und die Kämpfe am Roten Turm-Pass.

Aus: „Gast in Siebenbürgen“ ...
Aus: „Gast in Siebenbürgen“
In den Dreißigerjahren wird die deutsche Schriftstellerin Helene Voigt-Diederichs zu einem Vorleseabend ins Honterus-Gymnasium eingeladen. Die Besucherin „aus dem Reich“ schildert ihre Begegnungen mit Heinrich Zillich und Adolf Meschendörfer in Kronstadt, sowie Bernhard Capesius in ­Bukarest. Abends wird bei schwerem siebenbürgischem Wein und „scherzhaftem Rundgespräch“ zusammengesessen: „Den Schluß macht eine philosophische Betrachtung des eingeborenen Kronstädters, der viel kann, wichtig nimmt, lacht, daneben auch seinen Zorn hat. Der rauh ist und selbstbewußt, nicht unbedingt nachgiebig.“ Bemerkenswert ist die fantastische Qualität der Schwarz-Weiß-Fotos, die das Buch schmücken.

Auch der deutsche Schriftsteller und Journalist Korbinian Lechner fügt 1940 seinen Reisebeschreibungen sehr gelungene Lichtbilder bei, auf denen er die unterschiedlichen Menschentypen abbildet, denen er begegnet. Er beschreibt die Vielseitigkeit des Landes, der Kunst und Kultur.

Der wissenschaftliche Bibliothekar und Schriftsteller Wolfgang Knape aus der DDR reist in den Achtzigern per Anhalter durch Siebenbürgen, um den Menschen näher zu kommen. Er sammelt unterwegs historisches Material und lässt „Geschichten aus der Geschichte“ in seine Erzählung einfließen.

Dervla Murphy, die irische Radsportlerin und Autorin, erfüllt sich direkt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einen 50 Jahre alten Traum und reist 1990 durch ein „Transsilvanien“, das noch von sozialistischer Misswirtschaft geprägt ist und in dem es an allem mangelt. Sie ist dennoch erfüllt von ihren Erlebnissen und Begegnungen auf ihrer Reise und lässt sich auch vom Diebstahl ihres Gepäcks nicht entmutigen.

Aus: „Gast in Siebenbürgen“. Fotos: Hanne ...
Aus: „Gast in Siebenbürgen“. Fotos: Hanne Schnabel
Mehrmals in den Achtzigerjahren besucht der Ost-Berliner Schriftsteller und Übersetzer Jochen Schmidt Rumänien und veröffentlicht 2013 gar eine augenzwinkernde „Gebrauchsanweisung für Rumänien“. Seinem unverstellten Blick entgehen auch absurde und skurrile Kleinigkeiten nicht, an denen Einheimische wohl eher völlig achtlos vorbei gegangen wären.

Joachim Gremm, der Siebenbürgen erst mit dem Fahrrad bereist, zieht ein paar Jahre später, angelockt von Anselm Roths Gästehausführer, zu Fuß durch die Dörfer und zu den Kirchenburgen und erinnert sich „mit einem Hochgefühl“ an seine Abenteuer.

In den letzten Jahren haben auch Stadtschreiber aus ihrer Sicht darüber berichtet, wie es sich so lebt in den Städten und Dörfern Siebenbürgens, im einundzwanzigsten Jahrhundert, nach dem Exodus der Sachsen. Elmar Schenkel war von 2011 bis 2012 Dorfschreiber in Katzendorf und hat mehrere Reisen nach Rumänien unternommen, von denen er in zwei Büchern sehr unterhaltsam erzählt. Er findet: „die Entdeckung Rumäniens ist ein nicht abzuschließendes Erlebnis.“

Bibliographische Angaben der erwähnten Bücher:
Boner, Charles: „Siebenbürgen: Land und Leute“, Leipzig 1868 (Nachdruck: Köln, 1987)
Reich, Albert: „Durch Siebenbürgen und Rumänien“, München, ca. 1919
Voigt-Diederichs, Helene: „Gast in Siebenbürgen“, Jena 1936
Lechner, Korbinian: „Sommer in Rumänien“, Berlin 1940
Knape, Wolfgang: „In Siebenbürgen“. Leipzig 1982
Murphy, Dervla: „Das wilde Herz Europas“. München 1992
Schmidt, Jochen: „Gebrauchsanweisung für Rumänien“, München 2013
Gremm, Joachim: „Siebenbürgische Reise“ und „Siebenbürgische Wanderung“, Hermannstadt 2007 und 2011
Joeckle, Andra: „Eine Stadtschreiberin ist interessanter als eine Bohrmaschine“, Hermannstadt 2010
Schneider, Paula: „Andersstadt und Hünenkronen: Einblicke der Stadtschreiberin von Kronstadt 2017“, Kronstadt 2018
Schenkel, Elmar: „Mein Jahr hinter den Wäldern: Aufzeichnungen eines Dorfschreibers aus Siebenbürgen“ und „Transsilvanien Express: Streifzüge durch ein sagenhaftes Land“, Leipzig 2016 und 2017

Hanne Schnabel

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Schlagwörter: Bibliothek, Siebenbürgische Bibliothek, Archiv, Gundelsheim, Schloss Horneck, Bücher, Literatur

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