17. Oktober 2022

Kokken im Zuckerrausch

Wissen Sie, wie der erste namentlich bekannte Zahnarzt der Menschheitsgeschichte heißt? Ist Ihnen bewusst, dass Sie eine bevorzugte Seite zum Kauen haben? Oder wollen Sie endlich nachvollziehen können, was bei einer Wurzelbehandlung passiert? Das alles und noch viel mehr erklärt Dr. Johannes A. Löw witzig und fundiert in seinem Buch „Der reine Zahnsinn“ – und wer es gelesen hat, versteht auch das Wortspiel im Titel, denn es ist wirklich der reine Wahnsinn, was sich auf dem Gebiet der Zahnmedizin von den Anfängen der Menschheit bis heute getan hat und immer noch tut.
In fünfzehn Kapiteln führt der Zahnmediziner und Wissenschaftsjournalist Löw von der ersten nachweislichen Zahnbehandlung in der Altsteinzeit vor ca. 14.000 Jahren bis in die Gegenwart und darüber hinaus, denn er gewährt auch einen Einblick in die jüngste Forschung und Entwicklung in Zahnmedizin und Dentaltechnik – „Dental Science-Fiction?!“ heißt darum das abschließende Kapitel. Der Begriff Science-Fiction führt aber nicht nur in die Zukunft, sondern ebenso in die Literatur, was folgerichtig ist, denn vor uns liegt kein Fach- oder klassisches Sachbuch, sondern eher eine Sammlung von Erzählungen verschiedenster Genres. Krimi, Historienroman, Fantasy, Märchen und eben Science-Fiction – gekonnt bedient der Autor alle Sparten, wobei sich der Eindruck aufdrängt, dass ihm das Mittelalter besonders liegt, denn sein „Exkurs“ in diese Epoche mit dem Titel „Die große Show mit dem Zahnwurm“ ist ein kleines erzählerisches Glanzstück: amüsant, atmosphärisch, auf den Punkt.

Komplexe wissenschaftliche Themen einfach und unterhaltsam präsentieren: Was sich in Science Slams etabliert hat, macht sich Johannes Löw mit seinem Buch zur Aufgabe und rollt das weite Feld der Zahnmedizin und Dentaltechnologie sowohl für Experten als auch für Laien ganz neu auf. Die Autorin dieser Zeilen entdeckt als Tochter eines Zahntechnikers einiges Vertraute; als Patientin wird ihr allerdings ein wenig bang ob all der Prozesse, die im Mundraum schon bei sachgemäßer Benutzung unweigerlich ablaufen – ganz zu schweigen von den Schrecklichkeiten, die mit ungesunder Ernährung, zu seltenem (oder zu heftigem) Zähneputzen oder einfach nur einer nicht korrekten Zahnstellung einhergehen. Man möchte umstandslos in die Zahnarztpraxis seines Vertrauens flitzen und dort ab sofort öfter zur Kontrolle vorbeischauen, gefühlt so alle vier bis sechs Wochen – wie Menschen mit einer Kurzhaarfrisur, die regelmäßig zum Nachschneiden beim Friseur sind.

Die Lektüre von Johannes Löws Buch ist aufschlussreich und kurzweilig, verlangt einem aber auch einiges an Aufmerksamkeit und Konzentration ab, denn die Informationsflut ist gewaltig und der Anspruch hoch. Studenten der Zahnmedizin werden das Werk als Lernhilfe zu schätzen wissen, interessierten Laien mag es zur Vorbereitung auf eine Behandlung dienen und die Einsicht bringen, dass Zahnärzte auch nur Menschen sind, die ihren (sehr anspruchsvollen) Job erledigen, und keine Folterknechte, die Gefallen am Quälen ihrer Patienten finden. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel … und haben wohl auch dazu beigetragen, dass der Besuch beim Zahnarzt für viele eine unangenehme Erledigung ist, wie Löw in einem kurzen Streifzug durch die Kunst- und Filmgeschichte ausführt. Humor soll allerdings gegen Ängste helfen – wie er überhaupt das Leben leichter macht.

Dr. Johannes A. Löw. Foto: Cornelia Guju ...
Dr. Johannes A. Löw. Foto: Cornelia Guju
Dr. Johannes A. Löw kam 1977 als Sohn siebenbürgischer Eltern (Vater aus Schäßburg, Mutter aus Hermannstadt/Agnetheln) in Bad Kissingen zur Welt. Er studierte Zahnmedizin, promovierte an der Universität Würzburg und arbeitete neben seiner darauf folgenden Praxistätigkeit als freier Journalist. Nach einem Studium der Wissenschaftskommunikation an der Hochschule Bremen ist er heute hauptberuflich als Fachredakteur im medizin- und wissenschaftsjournalistischen Bereich sowie als Pressesprecher eines gemeinnützigen Expertennetzwerks tätig. Mit seiner aus Mühlbach stammenden Frau und den zwei Töchtern lebt er in Würzburg und ist „jedes Jahr mindestens einmal“ in Siebenbürgen, „um meine Schwiegereltern zu besuchen“, wie er der Siebenbürgischen Zeitung verrät. Teile des vorliegenden Buchs sind dort entstanden, und wenn so etwas Amüsantes dabei herauskommt, darf er gern häufiger nach Siebenbürgen fahren.

Doris Roth


Dr. Johannes A. Löw: „Der reine Zahnsinn. Fundiertes zahnmedizinisches Wissen, packend erzählt“. Verlag Neuer Merkur, Planegg, 2022, 208 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-95409-071-6.

Schlagwörter: Buch, Wissenschaft, Zahnmedizin, Humor

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