28. Februar 2023

Turbulent und schön: Alexandru Bulucz war Gast des Lyrik-Abends in der Romanfabrik Frankfurt am Main

Der Gast des Lyrik-Abends in der Romanfabrik Frankfurt, Alexandru Bulucz, 1987 in Karlsburg (Alba Iulia) geboren, kam mit 13 Jahren nach Deutschland. Hier besuchte er die Schule in Bad Soden-Allendorf und studierte in Frankfurt Germanistik und Komparatistik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität.
Alexandru Bulucz. Foto: Kilzer ...
Alexandru Bulucz. Foto: Kilzer
2016 erschien sein Debütband „Aus sein auf uns“ bei Allitera, 2020 „was Petersilie über die Seele weiß“ bei Schöffling. Letzterer stand auf der Bestenliste des SWR. 2022 erhielt er beim Bachmannwettbewerb den Deutschlandfunk-Preis für seinen Prosatext „Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen“. Nach dem Studium war er auch Übersetzer und Herausgeber verschiedener Bücher. Der Lyrik widmete er sich bereits seit zwei Jahrzehnten, als er Celan entdeckte, erzählt er in Frankfurt. Seine ersten eigenen Gedichte vertraute er Werner Söllner an, der sie in der Zeitschrift Literaturbote veröffentlichte.

Nicht nur Söllners Lyrik nähert sich die Poesie von Bulucz, sondern auch anderen aus Rumänien stammenden Autoren gilt seine Bewunderung wie etwa Franz Hodjak, Dieter Schlesak, Eugene Ionesco, Rose Ausländer oder Paul Celan. Mit der gemeinsamen Herkunft verbinden die Autoren auch die Themen ihrer Poesie, die der Zeit in ihrer einstigen Heimat entspringen. Auf die Frage von Sabine Baumann, seine Lektorin bei Schöffling, was Heimat, was Rumänien für ihn bedeutet, wie es sich seither gewandelt hat, antwortet Bulucz mit dem Zitat, dass es „keine Heimat gibt, die nicht verloren ist“. Heimat ist eine existentielle Erfahrung und die Zufälligkeit entscheidet, wo jemand seine Kindheit verbringt. Und trotzdem äußert er die Furcht, dass das poetische Beharren in einem Thema einen gewissen „Mief“ erzeugt (er zitiert Reich-Ranickis Aussage zur Lyrik von Wolfgang Hilbig im Literarischen Quartett), da er immer wieder die rumänische Vergangenheit poetisch in die Gegenwart transferiert. Die Einfachheit des urbanen Lebens, die er als Kind nicht hinterfragt hat, setzt er in seiner gegenwärtigen Lyrik komplex und deutlich um – eine Art der Erinnerungsbewältigung mit Dichtung. Doch Angst vor Nichtakzeptanz, Marginalisierung äußert der Dichter dabei, wenn er die rumänische Wirklichkeit mit Elementen seiner Erinnerung in Versen beschreibt und verschieden kombiniert. Frau Baumann widerspricht ihm jedoch und nennt es eine Technik der Universalisierung.

Die Einführung hat Sabine Baumann übernommen, da der künstlerische Leiter der Romanfabrik, Dr. Michael Hohmann, unerwartet vor Kurzem verstorben ist. Der Autor liest zu Beginn in Andenken an Hohmann sein 2019 entstandenes Gedicht, ursprünglich ein Memento für seinen verstorbenen Universitätsprofessor Werner Hammacher, der auf dem Frankfurter Hauptfriedhof begraben ist im Gewann G1718. Ein berührender und doch real betrachteter Abschied, der Verlust und Schmerz ausdrückt in einer klaren, sachlichen Sprache. Die sachliche, direkte Aussprache der dichterischen Vergänglichkeit wird „plastisch“, schrieb der Rezensent des Tagesspiegel zum 2020 bei Schöffling erschienenen Gedichtband „was Petersilie über die Seele weiß“. Wenn Alexandru Bulucz liest, hat man das Gefühl, man schwebt mit den Zeilen seiner Gedichte in andere Welten, Zeiten und Räume. Seine vorgetragenen Gedichte sind Erinnerungsblätter, sein geweiteter Blick auf die archaischen Bilder der Kindheit, ihrer Träume und Erlebnisse, unterwerfen sich der Sprache der Poesie. Verlust, Tod und Erinnerung sind seine wiederkehrenden Themen. Dinge werden poetisiert und bildlich dargestellt wie etwa im Gedicht „Feuer“, wenn der Dichter ausgehend vom Begriff „Kopfläuse“ beschreibt, wie die Bekämpfung dieser in seinem Geburtsland die mit Petroleum eingeriebene brennende Kopfhaut erzeugen konnte. Eine Assoziation zur Kunst des Spätrenaissance-Künstlers Archimboldo in seinem Bild „Das Feuer“ stellt sich her. Das archaische Leben auf dem Land im Haus der Großmutter in Kudschir (Cugir) im Siebenbürgischen Becken ist oftmals Auslöser der poetischen Betrachtungen von Bulucz, denn im Parlando über Kindheit, Dinge, Phänomene findet er „die Sammlung des Lebens“, die oftmals aus Zufällen entsteht. So auch sein bisher unveröffentlichtes Gedicht „Schmerz der späten Jahre“ über die Heizzentrale aus der Vogelperspektive seines Wohnblocks im früheren Karlsburg. Er stellt in diesem Bild Querverbindungen zu den kindlichen Spielen mit Vorzeigesportlern der rumänischen Nation her wie Hagi, Nadja Comăneci, Ion Tiriac oder Ilie Nastase – ein Gesellschafts- und Sozialbild Rumäniens. „… wir waren eine Kunstturnennation (Comăneci!), /sondern auch Torrahmen (Hagi!) ...“. Wie geschickt der Autor aus Erinnerungen Poesie erzeugt, begründet er in einem Interview für die Frankfurter Rundschau: „Die 13 Jahre in Rumänien sind mir so wichtig, weil ich sie vergesse. Sie entgleiten mir und werden mythisch. Es waren turbulente und schöne Jahre.“ Turbulent und schön ist auch seine Poesie. Seine Verse „Vorrat verbraucht“, die er weiter vorträgt, sind eine Hommage auf das unveröffentlichte Buch seines Professors Hammacher mit Bezug zu Rainer Maria Rilke.

Bulucz liest auch einen Auszug aus seinem Bachmann-Prosatext, mit dem er letzten Sommer am Wörthersee auftrat. Seine Erzählung „Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen“ ist ein Selbstgespräch eines „Er“, der nach Überschreiten der Landesgrenzen heimatunfähig und todesbewusst über das Leben nachdenkt. Einige Gedichte aus seinem neuen Lyrikband, den Alexandru Bulucz bei Schöffling demnächst veröffentlicht, trägt er anschließend vor. Auch hier geht es dem Autor um das Sichtbarmachen konkreter Lebenserscheinungen, um das Vermitteln dessen, was und wer ihn aus seiner Kindheit und Gegenwart um sich treibt.

Der Abend vor dem mit aufmerksamen Zuhörern gefüllten Raum der Romanfabrik war anregend, spannend und in Erwartung des neuen Gedichtbandes des Autors hofft man, noch viel mehr von ihm zu lesen oder noch besser vorgelesen zu bekommen (z.B. auf YouTube).

Katharina Kilzer

Schlagwörter: Lesung, Frankfurt, Bulucz

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