17. Juni 2023

Abstraktion und Sinnlichkeit: Künstlergespräch mit dem Bildhauer und Fotografen Peter Jacobi

Außerordentliche künstlerische Neugierde und Schaffenskraft zeichnen Peter Jacobi bis zum heutigen Tag aus. Bis Ende Februar zeigte das Siebenbürgische Museum Gundelsheim die Sonderausstellung „Memoria. Denk- und Mahnmale des Bildhauers Peter Jacobi“. Mit dem 87-jährigen Künstler, Träger des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreises 2003, führte Hellmut Seiler das nachfolgende Gespräch.
Wer dich erlebt, lernt einen neugierigen, flexiblen und dynamischen, dabei erstaunlich hybrisbefreiten Menschen kennen? Hält deine Kunst dich jung?

Ja, unbedingt. Mein ganzes Denken und Handeln bewegt sich im Bereich meiner, aber auch der Weltkunst. Auch meine Tag-und-Nacht-Träume handeln oft von der Kunst, und da von allen Aspekten: Wie gieße ich eine bestimmte Skulptur, wie mache ich diese standfest? Wie patiniere ich das Werk, wie teuer wird der Bronzeguss? Soll ich die Skulptur noch mal eine Zeit beobachten, habe ich das Gefühl, dass sie endgültig fertig ist? – Entspricht das Werk meiner ursprünglichen Vorstellung, ist diese so zu realisieren oder lasse ich mich weit weg vom Prozess der Entstehung führen und es kommt zu einer weit davon entfernten finalen Form? Eigentlich sind dies allgemeine Überlegungen, die jedem Bildhauer, Maler oder Komponisten, aber gewiss auch einem Dichter bekannt sind, diesen immer begleiten. Nur Picasso meinte: „Ich suche nicht, ich finde“.

„Kunst“ kommt von „Können“. Siehst du die deinige eher vom Verstand gesteuert – schließlich heben anerkannte Kunstkenner und -kritiker das Apollinische in deinem Werk immer wieder hervor – oder misst du Intuition und Sinnlichkeit, dem Dionysischen ein größeres Gewicht daran bei? Mir selber kommen sowohl deine Fotografien als auch beispielsweise die Männerhand, die weich sich in Carrara-Marmor gräbt, der einen weiblichen Körperteil darstellt, berückend sinnlich vor.

Bleiben wir bei den Marmorarbeiten der 1970er Jahre, die ich in den wunderbaren Ateliers meiner Hochschule in Pforzheim bald nach meiner Ankunft in Deutschland gemacht habe. Das von dir beschriebene Hochrelief ist Teil einer Serie von vier Varianten. Das erotische bestimmende Moment war, als ich mit meinen Studenten weibliche Aktmodelle in leichter Bewegung mit langen Belichtungszeiten fotografierte. Die so entstandenen Aufnahmen verwischten sich mit überlappenden, ineinanderfließenden Formen der weiblichen (!) Hand und waren der Ausgangspunkt eines längeren Entstehungsprozesses. Das heißt, dass ich zunächst ein dreidimensionales Tonmodell modellierte, dann davon einen Gipsabguss erstellte, diesen weiterbearbeitete und nun in den Marmor meißelte und fräste. Die ineinander verschobenen Handfragmente sind durchaus der Kubistischen Idee verpflichtet: „Die Skulptur durchdringt sich selbst“. Diesen Prozess kann man durchaus mit KÖNNEN bezeichnen – und auch heute noch finde ich es meisterhaft, wie ich es damals in den Marmor übertragen habe. Zu dieser Werkgruppe zählt auch das FUFOAIKA-Relief, das nun zu meiner Freude in der Evangelischen Stadtpfarr- und Bischofskirche Hermannstadt in die Kirchenwand zwischen den Tafeln der in der Deportation im Donbass Verstorbenen eingemauert ist.
Der Künstler Peter Jacobi (rechts) in seinem ...
Der Künstler Peter Jacobi (rechts) in seinem Atelier im Gespräch mit Hellmut Seiler. Foto: Éva Seiler-Iszlai
Wenn man nun die Gruppe deiner Säulen und sonstigen geometrischen Skulpturen betrachtet, könnte man meinen, dass hier das Erfinden von geometrischen Modulen der kreative Prozess war.

Auch hier aber ist natürlich das reine ästhetische Moment das Entscheidende: „Es ist die reine Schönheit der geometrischen Form“.

Wessen Kunst war für dich richtungsweisend: Alberto Giacometti, Alexandru Ciucurencu, Dimitrie Paciurea? Bei Constantin Brȃncus̞i bin ich mir fast sicher. Hören solche Einflüsse bzw. Interaktionen irgendwann auf? Schließlich hast du deinerseits Künstler beeinflusst.

Das Kunstumfeld der 1950/60er Jahre war für die meisten meiner Kollegen und auch für mich bis zu einem gewissen Grad sehr auf die rumänische Kunst beschränkt. Paciurea war inspirierend in dem ganzen so akademischen skulpturalen Umfeld der rumänischen Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Was ich in seinem Werk sah, war, dass es jenseits von einem „Art Deco“-beeinflussten Umfeld auch ein surrealistisches Moment gab. Sicher war Brȃncus̞i das ausschlaggebende Moment, als ich 1961 sein Ensemble in Tȃrgu Jiu gesehen hatte. Nicht, dass ich nun Skulpturen machte, die den seinen ähnlich sahen, es war das gänzlich andere Formale seiner Erfindungen, das mir die Augen über die unendlichen Möglichkeiten der Skulptur des 20. Jahrhunderts geöffnet hat. Weil ich nun eine größere Anzahl von Stelen, Säulen, Skulpturen über die Jahrzehnte gemacht habe, wird das oft ausschließlich als Einfluss von Brȃncus̞i gedeutet. Mir sind natürlich schon aus der Studienzeit die ägyptischen Stelen, die vielfach in Frankreich und in Italien stehen, aber und vor allem die sogenannten Pestsäulen aus den katholischen Ländern Europas bekannt. Später dann bei eigener Ansicht die großartigen Holzstelen der kanadischen Indianer. Mitte der 1960er Jahre gab es dann die Henry-Moore-Ausstellung in der Sala Dalles in Bukarest. Das war dann ein bedeutender Moment, als wir alle lernten, dass Figürliches ganz anders aussehen kann. Nun hatte ich das Glück, Dr. Werner Hoffman, den damaligen Direktor des Museums des 20. Jahrhunderts in Wien, in Bukarest kennenzulernen. Es fand das – von Max Hermann Maxy geleitete – zur damaligen Zeit spektakuläre Constantin-Brȃncu̞si-Symposium in der Nationalgalerie in Bukarest statt, anlässlich dieses Symposiums, bei dem die meisten Brȃncus̞i-Spezialisten der Welt nach Bukarest gekommen waren. Dazu fand eine Skulpturenausstellung in der Sala Dalles mit den zu dem Zeitpunkt bekanntesten Bildhauern Rumäniens statt, ich war mit mehreren Werken vertreten. Werner Hoffmann kaufte die Skulptur „Torso – Bronze“ für sein Museum ab. Und jetzt kommt das Wichtigste: Er schickte mir sein Buch die „Skulptur der Nachkriegszeit“, darin sah ich nun, was weltweit in der Skulptur passierte.

Wer, wie ich, das Glück hatte, dein Atelier zu besuchen, kommt nicht umhin, eine ungewöhnliche Vielfalt der verwendeten Materialien festzustellen; bei den Texturen fällt deren Rauheit und Härte auf, die auch ganz besonders die Arbeiten deiner langjährigen Ehefrau und im Vorjahr verstorbenen Lebensgefährtin Ritzi Jacobi auszeichnet; hinzu kommt Metall in zahlreichen Varianten, an der Oberfläche ganz unterschiedlich, auch chemisch behandelt, z. B. bei den vielen Stelen, die geradezu obsessiv vorhanden sind. Versuchst du die Grenzen dessen auszutarieren, was ein Material hergibt? Und: Werden Ritzis Arbeiten gebührend gewürdigt?

Anfang der 1960er Jahre war der historische Moment, wo das, was früher als Gobelin, als Tapisserie bezeichnet wurde, einen radikalen Wandel an verschiedenen Punkten der Welt erfuhr. Hauptsächlich wurden aus den bis dann flachen figürlichen Geweben nun Werke geschaffen, die einen betont Relief-Charakter hatten, oder dass sich die Werke ganz von der Wand lösten und sich im Raum frei entfalteten. Bald waren Ritzi und ich mit gemeinsamen dreidimensionalen Werken präsent, die dann auch auf der Biennale in Venedig im rumänischen Pavillon ausgestellt wurden, Teil dieser so bedeutenden erfindungsreichen textilen Kunstform. Ein bedeutender Faktor, der diese und dann alle späteren Werke charakterisierte, war das von mir neu entdeckte Ziegenhaargarn in allen Naturfarben. Dieses fand ich in Tȃrgu Cӑrbunesti in der Oltenia. Die Ursprünglichkeit, die Rauigkeit im Kontrast zur weichen Schafwolle war bald das Charakteristische der eigenen und der gemeinsamen textilen Werke. Leider sind diese bedeutenden räumlichen Skulpturen, die sehr gut fotografisch dokumentiert sind, nicht mehr vorhanden. Zum Teil wurden die gewebten Hüllen von Ritzi recycelt, weitere sind irgendwie spurlos verschwunden oder auch zerstört worden. Diese Tatsache soll aber keineswegs das eigene, zum Teil großartige Werk von Ritzi Jacobi mindern. So wurde Ende 2022 ein bedeutender Ankauf eines der gemeinsamen Hauptwerke, das weltweit ausgestellt war, „Romanica II“, durch die Galerie Volker Diehl Berlin an die Tate Modern verkauft. Wenn man den Namen Peter Jacobi und Ritz Jacobi und „Romanica II“ auf der Seite der Tate Modern London eingibt, ist das Werk mit Abbildung zu sehen. Leider hat sich dieses textile Relief nicht mehr in meinem Besitz befunden, es wurde aus einer Privatsammlung verkauft.

Bist du nicht auch genötigt, als Bildender Künstler dich als Naturwissenschaftler zu versuchen?

Als Naturwissenschaftler bin ich selbst nicht tätig, allerdings ist mein großes Interesse auf die bedeutenden Erfindungen, die in der Wissenschaft stattfinden, fokussiert. Da ist absolut Neues, was in die Welt gesetzt wird. Des Weiteren ist mein tägliches Interesse dem heute so dramatischen Weltgeschehen gewidmet. Zurück zum Begriff Wissenschaft. Natürlich benutzte ich alle möglichen Computer gestützten Techniken im 2D- und 3D-Format und das bereits seit 20 Jahren. Ich weiß, was diese Techniken können, kann diese aber selbst nicht bedienen und so helfe ich mir mit jungen Assistenten im Gebrauch dieser Mittel. Dementsprechend ist eine so diverse Struktur auf den sogenannte Organischen Säulen nur mit Hilfe dieser Programme zu gestalten, denn jeder Zentimeter ist anders als der daneben Liegende. So bleibt wegen des enorm aufwendigen Entstehungsprozesses der eigenen Werke und der Verwaltung dieser leider keine Zeit, mich mit schöngeistiger Literatur oder der Poesie zu beschäftigen, was ich sehr bedauere. Allerdings ist es mit der Musik ganz anders, da kann ich meine CDs s meistens auch während meiner Arbeit bewusst und auch analysierend hören.

Deine Werke sind überall auf der Welt verstreut. Welche würdest du besonders hervorheben? Macht einen eine solche Nachfrage nicht übermütig?

Mit der Nachfrage ist das nicht so toll, wie du das erwähnst: Ich weiß, dass ein ziemliches Konvolut von Werken der Fotografie und der Skulptur in den Nachlass kommen wird. Da kann ich nur hoffen, dass die Verwalter meiner Stipendienstiftung ein gutes Händchen in der Verbreitung dieser Arbeiten haben werden. Ich habe ca. 16 Skulpturen im öffentlichen Raum meist in Deutschland, in China, weiterhin drei Großskulpturen – und in Bukarest mein Hauptwerk, das Nationale Holocaust-Denkmal. Von Übermut kann keine Rede sein, ich bemühe mich mit ziemlichem Aufwand, Skulpturen, von denen ich überzeugt bin, dass sie einen Platz im öffentlichen Raum verdienen, auch einen solchen Platz zu verschaffen.

Kürzlich hat in „Lauras Galerie“ in Stuttgart die Finissage deiner Ausstellung „Violon d’Ingres. Körper. Skulpturen Fotografien Zeichnungen“ stattgefunden. Sie wurde schon einmal verlängert, zu den Besuchern zählte auch Politprominenz wie der Stuttgarter Oberbürgermeister. Aufgefallen ist mir die hervorstechende Körperlichkeit der Exponate – unter zwei Aspekten: Erotik und Gewalt. Ist Erotik eine der Triebfedern deines Schaffens?

Ja, aber es gibt den Ausdruck von Erotik auch in einer abstrakten Skulptur, so sind z. B. viele Betrachter und ich selbst von dem Ausdruck, den die gusseiserne „Säule der Erinnerung“ auf dem Holocaust-Denkmal in Bukarest, besonders in der unmittelbaren Nähe, auch in der Berührung, in der Umarmung ausdrückt, spürbar.

Du hast einen Förderpreis ins Leben gerufen. Geht es dir dabei hauptsächlich darum, dass dein künstlerisches Erbe weitergeführt wird?

Nein gar nicht, mein eigenes Werk ist von meiner Stiftung (www.peter-jacobi-stiftung.de; die Redaktion) nicht direkt tangiert. Es ist eher ein Dank an meine Hochschule, die mich als neuen „Spätaussiedler“ 1971, nach nur einem knappen Jahr in Deutschland in ihrer Mitte aufgenommen hat. Es ist übrigens die bestdotierte Stiftung Deutschlands für Einzelkünstler, auch mit den zusätzlichen Angeboten einer Gastdozentur an der Hochschule für Gestaltung in Pforzheim sowie einer Ausstellung mit Katalog in einem der besten Häuser der Stadt.

Im Laufe der Jahre hast du tausende historische Fotografien ab etwa 1870 zusammengetragen und kürzlich neu geordnet, darunter zahlreiche Unikate, teils handsigniert, Raritäten und künstlerische Kostbarkeiten, die meisten von erstaunlicher Qualität – aus Zeitungs- und Privatarchiven, es sind überraschend viele Majestäten aus europäischen Königshäusern darunter sowie Persönlichkeiten der Oberschichten abgelichtet. Was bedeutet diese Sammlung für dich?

Ich hatte gleich nach der Wende das Bedürfnis, die Fotografie Siebenbürgens, des Banat, aber eigentlich ganz Rumäniens kennenzulernen. Durch eine „Tour de Force“ kaufte ich nach dem Jahr 2000 eine bedeutende Anzahl von Fotografien und Glas-Clinches. Es ist ein Querschnitt durch das fotografische Geschehen des heutigen Rumäniens. Es hat auch einen gewichtigen, sozial-anthropologischen Aspekt. Sicher sind die königlichen Hof- Fotografen wie Franz Mandy Julietta, Guggenberger und Meyrovicz u. a. mit ihren hoch professionellen Aufnahmen - nicht nur Königsfamilien - eine Freude anzuschauen. Das ist ein riesiges Thema. Nun hoffe ich, einen würdigen Platz für diese Sammlung zu finden. Auch diese Sammlertätigkeit hat einen großen Einfluss auf mein eigenes fotografisches Werk gehabt; so ist das Thema „Das schöne bäuerliche Kleid der Städterin“ oder auf Rumänisch „Frumoasele straie tărănești ale doamnelor de la oraș" entstanden.

Schlagwörter: Peter Jacobi, Künstler, Bildhauer, Fotografie, Atelier

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