29. Juni 2023

Die Semmel des Winters mit Schnee bestreichen: Leichthändige Lyrik von Dietfried Zink

Gehen wir mit Dietfried Zink spazieren, gehen wir mit ihm unter Bäumen und Gestirnen, streifen wir gemeinsam durch den Winter.
Da ist es dunkel und kalt, mögen manche einwenden – und überhaupt, was sollen wir mit Naturlyrik? Ja, Gedichte haben es schwer. Sie haben es schwer, von den Feuilletons wahrgenommen zu werden, in Buchhandlungen bekommen sie, wenn überhaupt, oft nur ein winziges Regalbrett zugewiesen. Und ja, ziemlich totgesagt ist die Naturlyrik. Wer sich aber dennoch auf die Suche begibt, der entdeckt zeitgenössische Perlen, begegnet neuen und etablierten Dichterinnen und Dichtern, die der Natur auf den „Versen“ sind, deren Wortkunst alles andere als angestaubt ist und deren Werk über das Genre hinausweist. Dies gilt in hohem Maße auch für den aktuellen Gedichtband von Dietfried Zink. „Der leise Suchton des kreisenden Vogels“ ist ein inhaltlich gehaltvolles und äußerlich schön gestaltetes Buch. Zink hat seine Gedichte mit Zeichnungen, Aquarellen und Linolschnitten aus seinem Besitz illustriert, Christa Pop hat eine Tempera-Collage zur Verfügung gestellt. Der Band enthält eine Auswahl aus rund sechs Jahrzehnten „poetischer Artikulationsversuche“, wie es im Klappentext heißt. Das ist eindeutiges Understatement. Diese Gedichte haben das Versuchsstadium lange hinter sich gelassen. Sie kommen fast schwerelos daher und wiegen doch schwer. Sie zeigen, was diesen bescheidenen, zurückgenommenen Autor ausmacht: sein Anschreiben gegen die Vergänglichkeit. Den Zumutungen menschlicher Existenz setzt er federfeine Poesie entgegen.

„Achtzig Gedichte/ Leben in Jahren und Wort./ Langsam fließt der Fluss“/ – diesen Haiku hat Zinks Ehefrau und Gefährtin, die Dichterin Dagmar Dusil, als Motto an den Anfang gestellt. Es wird also eine entschleunigte Reise werden, und sie beginnt mit den Jahreszeiten, wobei dem Winter eine besondere (und gar nicht dunkle) Bedeutung zukommt. Er fächert sich auf „im Schneesturmregal“, „schält sich aus der Zeitnußschale“, „bestreicht seine Semmel mit Schnee“. Es sind ganz eigene und zarte Metaphern, die Zink hier verwendet, poetischen Schwebstoffen gleich. „Trinke Schneemann/ auch für mich/ Schneecocktail/ mit eingebrockten Schwächen“/. Wenn es aber zu tauen beginnt, geht das lyrische Ich dem Sommer entgegen, „in Gezeiten des Abtragens“. Wie bei jeder guten Lyrik ist die Botschaft nicht als Leuchtschrift auf ein Plakat gedruckt. Zink lässt vieles offen. Nähert man sich den Gedichten über seine Biografie, so ordnen sich die Worte noch einmal neu.

Dietfried Zink. Foto: privat ...
Dietfried Zink. Foto: privat
Dietfried Zink wurde 1943 in Hermannstadt geboren, wo er Germanistik und Rumänistik in Klausenburg/Cluj studierte. Anschließend war er Deutschlehrer in seiner Geburtsstadt. Er verließ – wie so viele seiner Generation – das Ceauşescu-Rumänien und lebt seit 1985 in Deutschland. Er ist also „zweiheimisch“ (ein Wort, das Hellmut Seiler kreiert hat, ebenfalls ein zweiheimischer Dichter). „Es ist geradezu paradigmatisch, dass Dietfried Zink Germanistik studierte und Deutschlehrer wurde“, schreibt der Literaturkritiker und Verlagslektor Walter Fromm (in Heltau geboren und 1980 nach Deutschland ausgereist) in seinem Nachwort. „Nicht alle Deutschlehrer waren Dichter, aber die meisten Dichter waren Deutschlehrer. Nirgendwo war man besser in einer sicheren Heimat aufgehoben als eben in der Sprachheimat.“

In dieser Sprachheimat bewegt sich Dietfried Zink ebenso leichtfüßig wie behände. Und sollte er mit schwerem Gepäck aufgebrochen sein, so rückt er es in seinen Gedichten nicht in den Fokus. Er stellt es immer wieder am Wegrand ab, dass die Arme nicht zu schwer werden.

Begleiten wir Dietfried Zink ein Stück, stöbern wir durch Schneefall und „nächtlich veränderte Gedichtproben“, lesen wir über die Liebe („Mit dem Mond auf dem Rücken/ tanze ich im Tangoschritt durch die ganze Welt“/), lesen wir „Vom Stein“ („In mir der Krater, ausgefüllt mit tiefgekühlten Klängen“) und besuchen wir mit ihm „In Memoriam“ die großen Kolleginnen und Kollegen. Es ist eines der schönsten Kapitel, jenes, in dem Zink berühmten Wortmächtigen wie Ingeborg Bachmann oder Max Frisch seine Referenz erweist. Spielerisch variiert er bekannte Titel- und Textfragmente und setzt sie zu einem funkelnden Mosaik neu zusammen. „In der gestrandeten Stunde/ die hinter der Brandstätte Bachmann liegt/ rette sich/ Die gestundete Zeit. (…) Du aber ließest die Asche/ wie eine Möwe fliegen/ (…). Du aber sprichst die Sprache dieser Kunst.“/ Und über Frisch: „Ich werde gewesen sein/ (…) als Meister der Distanz.“

Mit diesen und anderen Toten geht Zink spazieren („Wir tragen Leichen in den Taschen,/ kleine, süße Spielzeugdrachen,/ die sich quälen in den Maschen/ eines Netzes müder Sachen“/) und ist doch kein Totengräber, sondern einer, der Gewesenes aufhebt, der es bewahrt. Sein Ton ist meist leicht, doch sollte man sich nicht täuschen lassen, jede Zeile hat ihr eigenes Gewicht.

Dietfried Zink ist ein Dichter, der gekonnt Chiffren setzt und eindrückliche Bilder komponiert. Wir können Allegorien entdecken oder das Gesagte für bare Münze nehmen. Der Autor drängt uns nichts auf. Wir dürfen aber den Blick weiten, wir dürfen ihm folgen. Das ist eine gute Option, denn er ist ein angenehmer, weil dezenter und freundlicher Begleiter.

Gehen wir mit Dietfried Zink spazieren, hinter Bernsteingittern, durch schweigsamen Schneestaub. Durch Jahre und Wort. Entlang des langsam fließenden Flusses.

Britta Lübbers

Dietfried Zink: „Der leise Suchton des kreisenden Vogels“. Gedichte (Reihe Lyrik, Band 1826). Pop Verlag, Ludwigsburg, 137 Seiten, 16,50 Euro, ISBN 978-3-86356-376-9.

Schlagwörter: Lyrik, Buchbesprechung, Literatur

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