30. September 2023

Wilhelm Andreas Baumgärtners neuer Band: Präzises Protokoll einer politischen Pleite

Mit dem neuen Band „Der gescheiterte Kaiser. Siebenbürgen unter Joseph II.“ aus seiner Reihe „Die Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ widmet sich der Historiker und Publizist Wilhelm Andreas Baumgärtner einer kurzen, aber intensiven und entscheidenden Phase der Geschichte Siebenbürgens und der Habsburgermonarchie. Von aufklärerischen Ideen und Idealen beseelt, versuchte Kaiser Joseph II. – seit 1765 Mitregent neben seiner dominanten Mutter Kaiserin Maria Theresia, nach deren Tod 1780 alleinregierender Kaiser – in kurzer Zeit wegweisende politische, rechtliche und auch kirchliche Reformen durchzusetzen, die bis zum Verlust der Nationsuniversität für die Siebenbürger Sachsen existenzielle Veränderungen mit sich gebracht hätten. Es wurde indes eine politische Pleite zwischen Wunsch und Wirklichkeit – besser gesagt: Gegenwehr –, die Baumgärtner in diesem Band präzise protokolliert.
Meister der leichtfüßig erzählten Historie: ...
Meister der leichtfüßig erzählten Historie: Wilhelm A. Baumgärtner bei einer Lesung im Münchner Haus des Deutschen Ostens im Juli vergangenen Jahres. Foto: Konrad Klein
Die populärwissenschaftliche Darstellung Baumgärtners ist fundiert, seine Literaturauswahl beträchtlich. Der Band präsentiert sich sinnvoll strukturiert, allgemeinverständlich und gut lesbar. Dieser Zugang bietet eine narrative Geschichtsschreibung. Die 24 Kapitel des Bandes sind in drei Kapitel gegliedert und behandeln den „Reformkaiser“, den „Verwaltungskaiser“ und den Außenpolitiker; ein Nachwort bündelt die Ergebnisse.

Kaiser Joseph II. strebte als radikaler Erneuerer eine Reform von oben an. Ziel sei „die Schaffung eines Einheitsstaates“ gewesen, die im Reich vorhandene „Diversität“ sah er als Hindernis. Er wollte den Staat ohne Rücksicht auf regionale und historische Prägungen völlig umkrempeln und über Grenzen und Länder hinweg in Regierungsbezirke einteilen zwecks „Errichtung eines Einheitsstaates“. Dazu wollte er für Siebenbürgen zehn Komitate einrichten. Der Reformeifer des Kaisers ging bis zur Abschaffung der alten Landesverfassung, die Städte wurden königliche Freistädte. Die Nationsuniversität wehrte sich nach Kräften.

Parallel dazu hatte der aufklärerisch gesonnene Kaiser eine antiklerikale Einstellung. So gab es einen massiven Klostersturm, vor allem gegen kontemplative Orden, die er als nutzlos ansah. Hunderte Klöster wurden aufgelöst, Einnahmen der Bischöfe begrenzt, Priesterseminare geschlossen und Kirchenschmuck wie auch Votivtafeln abgeschafft, orthodoxe Feiertage stark reduziert. Die „Ordnungswut“ des Kaisers ging bis zur Vorgabe eines „Sparsargs“.

Auch wenn der Kaiser Samuel von Brukenthal zunächst als Gouverneur von Siebenbürgen bestätigte, so ergaben sich doch massive Spannungen im Verhältnis zwischen beiden, die Baumgärtner ausführlich nachzeichnet. Für die Sachsen brachte das Toleranzpatent von 1781 weniger Freiheiten als die alten Religionsgesetze des Landes boten, wie Baumgärtner ausführt. Der Kaiser griff in die Autonomie der Kirchen ein und verlangte von Brukenthal ein Gutachten, ob das evangelische Konsistorium, das auch für Kirchenzucht und Schulaufsicht zuständig war, dem Gubernium unterstellt werden könne. Die Einführung des freien Siedlungsrechts für andere Nationen – auch für die „Walachen“ – auf sächsischem Boden bedeutete überdies eine Attacke auf geltendes und historisch gewachsenes Recht seit der „Goldenen Bulle“ von Kaiser Andreas 1224.

Baumgärtner resümiert: „Die Absicht des Kaisers, einen Bevölkerungsausgleich zu schaffen, wurde nicht erreicht. Vor allem unterblieb der Zustrom der Rumänen, was zum großen Teil an den lokalen Behörden lag, die diese kaiserliche Vorlag nach Kräften zu behindern wussten.“ (S. 38) Auch der Versuch einer Schulreform scheiterte grandios. Der Kaiser kämpfte gegen Privilegien des Adelsstandes und für die Bauernbefreiung. Der Band schildert die Vorhaben des Kaisers und die Widerstände vor Ort.

Im Blick auf Verwaltung und Finanzen forderte der Kaiser 1782 eine für 77 Jahre rückwirkende Nachzahlung des „Martinszinses“ in Höhe von 385000 Gulden. „Das bedeutete, dass die Sachsen als Kronbauern, also als Leibeigene der Krone und Untertanen des Fiskus angesehen wurden, obwohl diese Sicht der Dinge von Brukenthal in einer Eingabe an Kaiserin Maria Theresia schon widerlegt worden war.“ (S. 53) Baumgärtner zeigt, wie die politisch-administrativen Bestrebungen des Kaisers Gouverneur Brukenthal in Opposition zum Hof bringen mussten. Wobei die Gemengelage durch allerlei Intrigen gegen Brukenthal nicht einfacher wurde.

Baumgärtner schildert die Siebenbürgen- und Russland-Reisen des Kaisers und Besuche Brukenthals in Wien, die die Differenzen trotz aller protokollarischen Höflichkeiten eher vertieften. Der blutige Bauernaufstand von Horia, Cloşca und Crişan und die wankelmütige Haltung des Kaisers dazu werden ebenso thematisiert wie die sich immer weiter verschlechternden Beziehungen zwischen Joseph II. und Brukenthal. Der Gouverneur intervenierte in Wien gegen kaiserliche Schnellschüsse im Blick auf Verwaltung und Justiz.

Höchst aufschlussreich sind die schriftlichen Zeugnisse Brukenthals von seinen Begegnungen mit dem Monarchen, die hier in Auszügen dokumentiert sind. Baumgärtner führt vor, wie der Kaiser den Gouverneur für die unbefriedigende Umsetzung seiner Reformen in Siebenbürgen verantwortlich machte. Brukenthal fiel in Ungnade und wurde mit unangemessen niedriger Pension entlassen infolge der „wachsenden persönlichen Abneigung des Kaisers gegenüber seinem Gubernator“. Das „Willkürregime des Kaisers“ (S. 165) hinterließ in Siebenbürgen verbrannte Erde mit der Aufhebung der Stände und Zünfte wie der Nationsuniversität.

Eine große Bittschrift aus Siebenbürgen am Ende seiner Amtszeit traf den Kaiser in Zeiten fortlaufender schwerer Erkrankung und forderte nicht weniger als die Rücknahme aller Reformen, es war „eine Absage an das gesamte Reformsystem Josephs II.“ (S. 168). Brukenthal kämpfte indes erfolgreich gegen den Vorwurf der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Zwei Jahre nach dem frühen Tod des Kaisers kurz vor seinem 49. Geburtstag bestätigte dessen Nachfolger Franz 1792 die Entlastung Brukenthals, der 1803 mit 82 Jahren starb.

Baumgärtner führt mit seinem Buch vor, wie Kaiser Joseph II. mit seinen „Reformen von oben“ an Widerständen unterschiedlichster Kreise gescheitert ist und wie Gouverneur Brukenthal und der Monarch trotz der politischen Hierarchie regelrecht zu Gegenspielern wurden. Der Kampf um die überstürzten und letztlich erfolglosen Reformen in Siebenbürgen wurde auch zum Zweikampf dieser Männer. Darüber hinaus schildert Baumgärtner die internationale politische Landschaft und die spezielle Lage Siebenbürgens als äußeren Rahmen für die Entwicklungen im Habsburgerreich wie in Siebenbürgen.

Gelegentlich mangelt es etwas an der Präzision, etwa wenn Baumgärtner den sächsischen Ort Taterloch auf Rumänisch fälschlich Tătăria statt Tătârlaua nennt (S. 103). Oder wenn er Bischöfe wie „Nikitici, Petrovici und Popovici“ erwähnt (S. 102), die sich so ohne nähere Angaben überhaupt nicht zuordnen lassen. Von solchen Petitessen abgesehen ist der Band sehr empfehlenswert und leichtfüßig lesbar.

Jürgen Henkel

Wilhelm Andreas Baumgärtner: „Der gescheiterte Kaiser. Siebenbürgen unter Joseph II.“. Schiller Verlag, Bonn-Hermannstadt, 2023, 286 Seiten, gebunden, 17,90 Euro, ISBN 978-3-949583-33-9, erhältlich im Schiller Verlag in Hermannstadt, deutsche Festnetznummer: (0228) 90919557.

Schlagwörter: Rezension, Geschichte, Siebenbürgen

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