12. Dezember 2023

Ioan Toma im Gespräch: Regisseur inszeniert „Nathan“ in Landsberg am Lech und wird en passant 70

Das vor 240 Jahren in Berlin uraufgeführte Ideendrama „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing ist keineswegs antiquiert, vielmehr – siehe Krieg in Nahost – leider hochaktuell. So ist die berühmte Ringparabel, publizistischer „Lichtschalter“ der Aufklärung, derzeit in einer Neuinszenierung von Regisseur Nuran David Calis am Nationaltheater Mannheim zu sehen. Im Januar wird das Stück am Stadttheater Landsberg zum 60-jährigen Bühnenjubiläum gezeigt. Die Inszenierung der landsberger bühne e.V. unter der Regie von Ioan Toma feiert ihre Premiere am 12. Januar 2024 – bereits am 12. Dezember 2023 feiert der siebenbürgische Theatermacher seinen 70. Geburtstag. Doppelter Anlass also für das nachfolgende Interview, das der Autor Hellmut Seiler mit Toma zu seinem neuen Theaterprojekt geführt hat.
Wann hast du den Entschluss gefasst, Lessings „Nathan der Weise“ zu inszenieren, und warum gerade dieses Stück?

Lessing, dem man ein erotisches Verhältnis zur Vernunft und ein vernünftiges zur Liebe nachsagt, schreibt über seinen „Nathan“, es sei nichts weniger als ein satirisches Stück, um den Kampfplatz mit Hohngelächter zu verlassen, und doch ein rührendes Stück. Goethe schreibt: „…hier sind ein paar anständige Menschen; und rings um sie die Sintflut.“ Ich habe mich schon vor Jahren mit diesem utopischen Märchen beschäftigt und sofort zugesagt, als die Landsberger Bühne mich gebeten hat, es zu ihrem 60-jährigen Bühnenjubiläum im Stadttheater zu inszenieren.

Vom geschichtlichen Hintergrund her ist es im Jahr 1187 angesiedelt, zur Zeit der Wiedereroberung Jerusalems durch die Muslime unter Sultan Saladin; was ja den Anlass bildete für den dritten der insgesamt sieben Kreuzzüge der christlichen Heere im „Morgenland“. Siehst du Parallelen zur Gegenwart, hat der Stoff noch Brisanz?

Der Stoff ist so brisant, geradezu explosiv, wie die jetzige Lage in und um Jerusalem. Die Realität ist erdrückend. Am 7. Oktober, auf dem Weg zur Probe, habe ich von dem entsetzlichen Massaker der Hamas an jüdischen Menschen erfahren, ein absoluter Zivilisationsbruch. Danach, bei der Probe, berichtet Nathan, wie in Gath die Christen alle Juden mit Weib und Kind ermordet hatten, dass auch seine Frau und seine Kinder, die im Haus seines Bruders Zuflucht gesucht hatten, allesamt verbrannten. Nathan spricht von seiner Verzweiflung und wie er der Christenheit unversöhnlichen Hass zugeschworen hat; doch dann, sagt er, kam die Vernunft und verdrängte den Hass. Kurz darauf ist er sogar bereit, ein verwaistes Mädchen, ein Christenkind, aufzunehmen und wie sein eigenes aufzuziehen.

Sultan Saladin ist – als oberster Vertreter der Muslime – recht widersprüchlich gezeichnet von Lessing: in Geldnot, aber verschlagen bereit, sich weiter zu verschulden; verschwenderisch, persönlich aber recht bescheiden lebend; und – anders als die heutigen Machthaber jener Religionszugehörigkeit im Nahen Osten – um Ausgleich bemüht. Worin bestehen aus deiner Sicht Ähnlichkeiten sowie Unterschiede zu heute?

Saladin und seine charmante weltoffene Schwester Sittah, die durchaus ein Wort mitzureden hat, werden von Lessing als entspannte aufgeklärte Muslime gezeichnet, sie fragen sich sogar ironisch, ob die Christen glauben, dass Gott der Schöpfer Mann und Frau so ausgestattet hätte, dass von Christen nur zu Christinnen die eheliche Liebe erlaubt und möglich wäre. Heute hat sich der radikale Islamismus leider weit von dieser Toleranz entfernt.

Hat diese, teils bestürzende, Aktualität des Dramas eure Inszenierung beeinflusst, ja mitbestimmt?

Nachdem Nathan mit seiner Ringparabel Saladin die Möglichkeit einer Welt, in der sich Christ, Jude und Moslem friedlich zusammenfinden, eröffnet, wird Saladin in unserer Inszenierung eine zusätzliche Frage stellen; Saladin fragt Nathan, was er wohl glaubt, wie die Muslime sich so in 1000 Jahren wohl verhalten werden? Die Antwort bleibt offen… Wir bekommen Zeit, zu den Tönen einer Geige die unser Stück begleitet, darüber nachzudenken. Leider erleben wir eine Welt, in der die Aufklärung, die Vernunft, für die sich Lessing so leidenschaftlich eingesetzt hat, noch in weiter Ferne liegt.

…was ja fatalerweise an Immanuel Kants Antwort auf die Frage: „Leben wir also in einem aufgeklärten Zeitalter? – Nein, aber in einem der Aufklärung.“ erinnert. Nur, dass diese Fragestellung samt nahezu diplomatischer Antwort 240 Jahre zurückliegt – wie auch die Uraufführung von „Nathan der Weise“ in Berlin. Nun aber zur nächsten Frage: Der Text steckt – bei allem Ernst des Themas – voller witziger, überraschender Aussagen. Welches ist dein Lieblingszitat daraus?

Der Tempelherr unterstellt Nathan, dass er ein Kind, das er den Christen abgejagt hat, ihm, dem Christen, nicht zur Frau geben möchte. Er gesteht, dass er ihm deswegen „kurz und gut das Messer an die Kehle setzen wollte.“ Darauf Nathan: „Kurz und gut. Und gut? Wo steckt das Gute?“

Hast du dir mit dieser Inszenierung selber ein Geschenk gemacht – zu deinem 70., zu dem ich übrigens herzlich gratuliere?

Lessing ist im Alter von 52 Jahren, kurz nachdem er seinen Nathan geschrieben hat, gestorben. Da sind wir schon etwas länger unterwegs. Es ist tatsächlich ein Geschenk, ihn und seine Gedanken im Theater weiterleben zu lassen.

Sag uns ein Wort über deine Truppe, die Akteure – und den Aufführungsort.

Das Stadttheater Landsberg gibt es seit 1878, es zählt zu den ältesten Bürgertheatern mit regelmäßigem Spielbetrieb. Meine erste Zusammenarbeit mit der Landsberger Bühne, die mit Sicherheit ein Geschenk für diese Stadt ist, war 1998 Nicolo Machiavellis Theaterstück „Mandragola“, wo die christliche Moral ebenfalls schwer hinterfragt wird. Besonders schön ist es jetzt, mit einigen zu arbeiten, die damals auch schon dabei waren.

Wann ist Premiere – und wie sieht der weitere Spielplan aus?

Am 12. Januar 2024 ist Premiere, Spieltermine usw. siehe Plakat.

Welche weiteren Projekte treiben dich um? Du bist nun nicht gerade einer, der sich „einfach so“ zur Ruhe setzt.

Am 29. April 2024 wird in den Antikensammlungen München am Königsplatz Platons „Gastmahl“ Premiere haben und fünf Mal die Woche bis Ende Mai zu sehen sein. Was man schon immer über Eros wissen wollte, kann man bei einem gemeinsamen Umtrunk, von prominenten Männern der Antike und der wunderbaren Diotima, erfahren.

Vielen Dank für das Gespräch.


Nathan der Weise am Stadttheater Landsberg (Schlossergasse 381, 86899 Landsberg am Lech; Webseite: https://stadttheater-landsberg.de/): Premiere am Freitag, den 12. Januar 2024, 20.00 Uhr; weitere Vorstellungen am 13., 19., 20., 26. und 27. Januar 2024, jeweils um 20.00 Uhr; Abendkasse jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn; E-Mail-Adresse des Theaterbüros: Kartenverkauf[ät]landsberg.de.


Stationen einer eindrucksvollen Regie-Karriere
Theatermacher aus Kronstadt: Ioan C. Toma 70


Ioan C. Toma ...
Ioan C. Toma
Geboren am 12. Dezember 1953 in Kronstadt; Kindergarten in einer gewesenen Freimaurerloge; Honterusschule; Sportgymnasium; Nationalmannschaft im Modernen Fünfkampf; Brukenthal-Gymnasium
1972-76 Theaterstudium in Bukarest; 1976 Ausreise
Lebt mit der aus Schäßburg stammenden Kostümbildnerin Bonnie Tillemann, die bei vielen seiner Projekte für die Ausstattung verantwortlich zeichnet, im Fuchstal bei Landsberg am Lech

Feste Engagements: 1978-81 Stadttheater Bern; 1981-84 Theater der Stadt Essen; 1986-92 Haus-Regisseur am Landestheater Linz; 1992-95 Oberspielleiter am Landestheater St. Gallen; danach Freie Regietätigkeit u.a. am TAT in Frankfurt am Main, Stadttheater Klagenfurt, Gasteig, Münchner Volkstheater, Prinzregententheater, Lustspielhaus, Lach- und Schieß-Gesellschaft, Theater des Kindes/Linz, (u.a. mit Stücken seiner Tochter Luise Toma), Tiroler Landestheater, Schauspielhaus Salzburg, Theater Phönix/Linz, Theater an der Rott, Stadttheater Landsberg; Sommerspiele Perchtoldsdorf/Wien: Cervantes „Don Quijote“, Goethe „Faust I&II“, Shakespeare „Hamlet“ , Aristophanes „Lysistrate“; Reithalle München: Platon „Die Akte Sokrates“, Goethe „Satyros“, „Faust die Frauen und das Wasser“ und das eigene Projekt „Ballade der Mädchen vergangener Zeit“ u.a. mit Texten seiner Mutter Bettina Schuller; Theaterspiele Glyptothek/ München: Sophokles „König Ödipus“, Shakespeare „Der Sturm“.

Weitere Inszenierungen: u.a. Jarry „Ubu Roi“, Kornfeld „Jud Süß“, Albee „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, Büchner „Leonce und Lena“, Goldoni „Krach in Chiozza“, Gozzi „Turandot“, Molière „Der Bürger als Edelmann“, Dorst „Merlin“, Canetti „Die Befristeten“, Valentin „Orchesterprobe“ und „Ritter Unkenstein“, Lorca „Yerma“, Ibsen „Gespenster“, Goethe „Götz von Berlichingen“ und „Faust“, Barlow „Der Messias“, Shakespeare „Macbeth“ und „Romeo und Julia“

Bearbeitungen u.a. von: Gogol „Tagebuch eines Wahnsinnigen“, Kafka „Beschreibung eines Kampfes“ (Uraufführung 1987, Akademie der bildenden Künste München), Caroll „Alice im Wunderland“, Baricco „Oceano Mare“, Cervantes „Don Quijote“, Platon „Akte Sokrates“, Goethe „Faust die Frauen und das Wasser“, Shakespeare „Die Achse des Bösen – Richard & Macbeth“ und „Mit der Vespa durch Shakespeares Italien“

„Tomas Arbeiten stehen für ein vitales, sinnliches, virtuoses Theatererleben, für phantasievolle, intelligente Bilder, für eine kreative Philosophie, die den Widrigkeiten des Lebens mit einem oft skurrilen, überzeichnenden, ironischen und geistvollen Humor begegnet. Freude an der Improvisation und am Experiment motivieren den Regisseur, dem das Engagement für die freie Theaterszene, das Kabarett eingeschlossen, als wichtiger Schwerpunkt neben der Arbeit an etablierten Häusern gilt.“ (Quelle: Theaterlexikon der Schweiz) Besonderes Highlight: PROMENADE 39 Landestheater Linz 1803-2003:
„Ein Ereignis von besonderer Bedeutung ging im April 1989 in Szene: die österreichische Erstaufführung von Paul Kornfelds ‚Jud Süß‘. Ioan Toma als ungemein bildmächtiger und fantasievoller Regisseur besorgte eine erstklassige Inszenierung, Günter Gräfenberg brillierte in der Titelrolle – diese künstlerische Partnerschaft führte noch zu herausragenden Theatererlebnissen: Alfred Jarrys „König Ubu“ (November 1988), die in Spiel- und Raumkonzeption grandiose Umsetzung von Gogols ‚Tagebuch eines Wahnsinnigen‘ (November 1989) und wohl als geistreichstes Toma-Projekt die Uraufführung von ‚Sokrates und die Hebammenkunst‘ (März 1991 in den Kammerspielen), Tomas Einfühlungsvermögen und Theaterpranke für die Commedia dell`Arte vollendete sich schließlich in dem Molière-Projekt ‚Commedia Commedia‘ (Mai 1991, Kammerspiele) und einer hinreißenden Inszenierung von Goldonis ‚Krach in Chiozza‘ (Jänner 1992 im Großen Haus)‘.“ (Beitrag von Franz Schwabeneder)

Schlagwörter: Interview, Toma, Kronstadt, Theater, Jubilar

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