9. April 2006

Die Dobrudschadeutschen und ihre 100-jährige Siedlungsgeschichte

Die Dobrudscha ist eine Landschaft zwischen dem Unterlauf der Donau und dem Schwarzen Meer, deren nördlicher Teil in Südostrumänien (Landkreise Tulcea und Constanta) und der südliche Teil in Nordostbulgarien (Kreise Silistra und Dobrich) liegt. Etwa 840 000 Einwohner leben heute in diesem bulgarisch-rumänischen Grenzgebiet mit einer Fläche von 23 262 Quadratkilometern in der Gesamtdobrudscha, laut Wikipedia-Enzyklopädie. Im rumänischen Teil leben 482 000 Einwohner auf 15 553 qkm.
Die Dobrudscha ist eine lößbedeckte, fruchtbare Steppentafel, leicht hügelig und teilweise bewaldet zum Landesinneren hin. Schon in der Antike gab es an dieser Meeresküste blühende griechische Kolonien, befestigte Städte, wie Tomis (Konstanza), Callatis (Mangalia) und Histria. Die Römer eroberten dieses Gebiet und behielten es 200 Jahre. Einfälle von Steppenvölkern vernichteten die blühenden Siedlungen. Seit 1396 osmanisch besetzt, mit Türken und Tataren besiedelt, ging nach dem Unabhängigkeitskrieg von 1877-1878 der größere Teil der Dobrudscha an das junge unabhängige Rumänien (ab1881 Königreich).

Die ersten deutschen Kolonisten kamen als Bauern ab 1841 in Ansiedlungswellen aus den Gouvernements Bessarabien und Cherson im russischen Zarenreich in die Dobrudscha und gründeten eine Reihe von deutschen Dörfern. Unter größten Mühen rodeten sie den zugewiesenen Wald und entwickelten eine später blühende Landwirtschaft. Sie lebten inmitten einer ethnisch gemischten Bevölkerung bestehend aus Bulgaren, Rumänen, Türken und Minderheiten von Gagausen, Krimtataren, Griechen u.a. Die erste deutsche Siedlung war 1843 Malkotsch (Malcoci) bei Tultscha (Tulcea), gegründet von katholischen Bauern aus Bessarabien. 1848 wurde die rein deutsche, evangelische Siedlung Atmadscha (Atmagea) gegründet. Die größte Siedlung war Karamurat, heute Mihail Kogălniceanu bei Konstanza. Im Laufe der knapp einhundertjährigen Siedlungsgeschichte dieser Kolonisten bildete sich die Volksgruppe der Dobrudschadeutschen. Sie haben erst unter türkischer, dann unter rumänischer Herrschaft gelebt und als Bauern mit kinderreichen Familien immer neues Land besiedelt und landwirtschaftlich erschlossen. Den bulgarischen Südteil der Dobrudscha annektierte Rumänien 1913, musste dieses Gebiet 1940 aber wieder an Bulgarien abtreten. Es gibt ein aufschlussreiches Werk "Bilder aus der Dobrudscha 1916 - 1918", 1918 in Konstanza von der deutschen Etappen-Verwaltung in der Dobrudscha herausgegeben, das die Forschungsarbeit deutscher Wissenschaftler in Offiziersrängen während des 1. Weltkrieges bekannt macht.

Die evangelischen Gemeinden der Dobrudscha und des rumänischen Altreichs (Königreichs) waren bis zum Ende des 1. Weltkriegs im "Synodalverband der deutsch-evangelischen Kirchengemeinden an der unteren Donau" zusammengefasst und unterstanden geistlich und verwaltungsmäßig dem Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin. Infolge des nach dem 1. Weltkrieg entstandenen Großrumänien schlossen sich die deutschen evangelischen Gemeinden der Dobrudscha (auch des Kreises Kaliakra in Bulgarien), der Bukowina, Bessarabiens und des Banat im Bukarester Kirchenbezirk innerhalb der "Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien" zusammen. Die deutschen Katholiken der Dobrudscha waren dem Erzbischof von Bukarest unterstellt. Zwischen den beiden Weltkriegen sind die rund 40 Ortschaften mit deutscher Bevölkerung der Dobrudscha landwirtschaftlich gewachsen. Das soziale und kulturelle Leben entfaltete eine Blütezeit.

Über 14 000 deutsche Einwohner zuzüglich 65 Familien aus der Gesamtdobrudscha sind im November 1940 von der Deutschen Mittelstelle in Berlin in deutsche Gaue umgesiedelt worden, meist in den Warthegau. Die Zwangsumsiedlung erfolgte auf Grund eines Abkommens zwischen der rumänischen und der deutschen Regierung. Im Januar 1945 mussten sich die Neusiedler des Warthegaues, darunter zahlreiche Wolhyniendeutsche und Dobrudschadeutsche, erneut als Flüchtlinge vor der heranrückenden Roten Armee in den großen, westwärts ziehenden Strom Entwurzelter einreihen. Nach Kriegsende sammelten sich die ehemaligen Dobrudschadeutschen im damaligen Westdeutschland unter der aktiven Patenschaft der Stadt Heilbronn und veranstalteten hier ihre gut besuchten Pfingsttreffen. Der von Pastor Herbert Hahn herausgegebene "Rundbrief der Dobrudscha-Deutschen" und vor allem das von 1956 bis 1977 erschienene "Jahrbuch der Dobrudscha-Deutschen" von Otto Klett haben den Zusammenhalt dieser Volksgruppe dokumentiert und wesentlich gefördert. Gemäß dem (2004 im Central-Verlag Mediasch erschienenen) Lehrbuch für die 6. und 7. Klasse der Schulen mit deutscher Unterrichtssprache "Geschichte und Traditionen der deutschen Minderheit in Rumänien" von Hannelore Baier, Martin Bottesch, Dieter Nowak, Alfred Wiecken und Winfried Ziegler lebten 1977 noch 750 Deutsche in der Dobrudscha. Die Volkszählung von 2002 hat rund 400 Deutsche erfasst (etwa 300 im Kreis Konstanza und knapp 100 im Kreis Tulcea).

Walter Klemm

Schlagwörter: Dobrudscha, Zeitgeschichte

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