11. Juli 2007

Rumäniendeutsche in der Waffen-SS

Die hier zu besprechende Arbeit von Paul Milata ist die erste monographische Untersuchung über Rumäniendeutsche in der Waffen-SS, wenn man von der nicht veröffentlichten Magisterarbeit von Hans-Werner Schuster absieht. Milatas Monographie stützt sich auf eine kritische Auswertung des einschlägigen Schrifttums und auf das Studium eines umfangreichen Quellenmaterials in Archiven von Rumänien, Deutschland, den USA und in Prag sowie der Presse der Zeit. Der Großteil des zitierten Archivmaterials wurde erstmals eingesehen. Die Arbeit bietet aufgrund der umfangreichen Dokumentation neue Erkenntnisse und zahlreiche bisher unbekannte Fakten und Daten zum Geschehen. Der Historiker Milata hat mit dieser Arbeit an der Humboldt-Universität Berlin promoviert. Das Buch bietet trotz seines wissenschaftlichen Charakters eine für ein breites Publikum gut lesbare Lektüre.
Im einleitenden Kapitel wird die Situation der Rumäniendeutschen als rumänische Staatsbürger in den Jahren 1918-1939 im Überblick präsentiert. Es folgen Kapitel über die nationalsozialistisch gleichgeschaltete deutsche Volksgruppe und die so genannte „1000-Mann-Aktion“ (1940), über die verbotenen Eintritte in die Waffen-SS in den Jahren 1940-1943 sowie über die SS-Rekrutierungen in Nordsiebenbürgen, unter den deutschen Umsiedlern aus der Bukowina, Bessarabien und der Dobrudscha sowie unter anderen Volksdeutschen. Die Schwerpunkte der Arbeit bilden die reichsdeutsch-rumänischen Verhandlungen von 1943 zur legalen Einbeziehung der wehrfähigen rumäniendeutschen Männer in die Waffen-SS, der Abschluss des Waffen-SS-Abkommens und dessen Inhalt, die Massenrekrutierung, der Abtransport der Rekrutierten nach Deutschland, ihre Ausbildung und ihr Fronteinsatz.

Wir werden aus der umfangreichen Dissertation bloß auf einige Fragen eingehen, die uns wesentlich erscheinen und Gegenstand von unterschiedlichen Meinungen und Einschätzungen waren oder noch sind.

Buch online bestellen! ...
Buch online bestellen!
Im einleitenden Überblick „Rumänien und seine Deutschen“ weist Milata darauf hin, dass die nationalistische Politik Bukarests in der Zwischenkriegszeit zu einem gewissen Vertrauensverlust der Rumäniendeutschen gegenüber ihrem Vaterland geführt und dazu beigetragen habe, dass sie für die Erhaltung ihres Deutschtums Unterstützung in Deutschland gesucht habe. Dadurch habe die nationalsozialistische „Erneuerungsbewegung“ Auftrieb erhalten, die schließlich die politische Führung übernommen habe. 1938 erfolgte die nationalsozialistische Gleichschaltung aller politischen Organisationen der Rumäniendeutschen und 1940 die Unterstellung der Deutschen Volksgruppe gegenüber Berlin. Der von der Volksdeutschen Mittelstelle (Berlin) ernannte Volksgruppenführer Andreas Schmidt betrachtete das Auslandsdeutschtum als ein Teil des Deutschen Reiches. Diese Politik führte zu einer Abschwächung der Staatsloyalität der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen gegenüber Rumänien und zu einer verstärkten Bindung an das Dritte Reich.

Die ersten Einzeleintritte von Rumäniendeutschen in die Waffen-SS erfolgten 1937-1939, am 1. Mai 1940 sollen es bereits insgesamt 110 Mann gewesen sein. Die „1000-Mann-Aktion“ im Juni 1940 umfasste 1060 Jugendliche. Sie gilt als das „Bravourstück“ von Andreas Schmidt und erwies sich – so Milata – als allgemeines Pilotprojekt für die spätere Rekrutierung von Volksdeutschen in die Waffen-SS, die von nun an in erhöhter Zahl einbezogen wurden. Gegen Ende des Krieges bestand die Waffen-SS zu 56 Prozent (510 000 von 910 000) aus fremden Staatsbürgern.

„Eintrittsmotivation“ differenziert dargestellt

Von September 1940 bis März 1943 erfolgte, wie sich der Verfasser ausdrückt, eine „diskrete“ und zugleich verbotene SS-Rekrutierung von etwa 6 000 Männern, die zu SS-Einheiten überliefen. Sie galten als Deserteure. Nach der Katastrophe von Stalingrad erfolgte die Fahnenflucht einiger Tausend versprengter Rumäniendeutschen (die Angaben schwanken von 5 000 bis 10 000) aus dem rumänischen Heer zur deutschen Armee.

Aus Nordsiebenbürgen (Bistritzer, Reener und Sathmargebiet), das seit dem Wiener Schiedsspruch zu Ungarn gehörte, wurden 1942 vertragsmäßig etwa 3 200 Männer für die Waffen- SS rekrutiert. Am Ende des Krieges sollen es 8 000-9 000 gewesen sein.

Im Zusammenhang mit dem zwischen Rumänien und Deutschland am 12. Mai 1943 abgeschlossenen Waffen-SS-Abkommen sei auf die Bestimmung hingewiesen, nach der die Einreihung in die deutschen Armeeeinheiten freiwillig erfolgen sollte. Die Volksgruppenführung gab in ihren Aufrufen, wie Milata unterstreicht, die Rekrutierung jedoch nicht als eine feiwillige Meldung aus, sondern als eine allgemeine Aushebung der „wehrfähigen Männer der deutschen Volksgruppe“. Dem Aspekt der „Eintrittsmotivation“ gewährt die Arbeit besondere Aufmerksamkeit und bemüht sich um eine differenzierte Darstellung: „Der Eintritt in die SS lässt sich weder auf Zwang noch auf den ‚Ruf des Blutes‘ reduzieren, sondern war das Ergebnis multikausaler, individueller Abwägung für und wider die Waffen-SS.“ Vor die Alternative gestellt, in die wegen ihres schlechten Rufes bekannte rumänische „armată“ oder die besser ausgestattete deutsche Armee eingezogen zu werden, entschloss sich die Mehrheit der wehrfähigen Deutschen für Letztere, zumal man annahm, dass deren Todesrate an der Front geringer sei als bei den Rumänen. Als weitere „Argumente pro Waffen-SS“ zählt der Verfasser auf
  • die von reichsdeutscher Seite in Aussicht gestellte Unterstützung der Familienangehörigen der Einberufenen, während beim rumänischen Militär bloß ein kleiner Sold gewährt wurde,
  • den Kampf gegen den Bolschewismus,
  • den Deutschland-Mythos der Rumäniendeutschen und ihre kritiklose, verklärte Bewunderung Deutschlands sowie ihr Dank für den Schutz des Deutschtums durch das Mutterland,
  • den Einfluss der nationalsozialistischen Propaganda vor allem unter den Jugendlichen und damit verbunden Abenteuerlust sowie die Verherrlichung der Waffen-SS als Elite-Truppe,
  • die Rumänisierungspolitik Bukarests und die vielfache Benachteiligung der nationalen Minderheiten,
  • das Einverständnis und kooperative Verhalten des rumänischen Staates zum Eintritt in die Waffen-SS und damit im Zusammenhang die Überlegung der in Frage kommenden wehrfähigen Männer, dass es angesichts des reichsdeutsch-rumänischen Waffenbündnisses kein staatsbürgerlicher Verstoß sei, in der befreundeten deutschen Armee gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen,
  • den innergemeinschaftlichen Druck gegenüber Verweigerern, aus der Volksgruppe ausgeschlossen zu werden; der Druck ging zwar von der Volksgruppenführung aus, griff dann aber auf einen Großteil der Volksgruppe gegenüber „Drückebergern“ über.
Angesichts der erwähnten Umstände haben sich die meisten wehrfähigen Männer freiwillig gestellt, wodurch keinesfalls die Zwangslage, in der sie sich befanden, und der auf sie ausgeübte Druck übersehen werden sollten. Die Aushebungen ergaben etwa 50 000 Rekruten. Am Ende des Krieges dienten etwa 63 000 in der Waffen-SS und Wehrmacht. Dazu vermerkt Milata in der Zusammenfassung am Ende seines Buches: „Die Mehrheit der 63 000 rumäniendeutschen Waffen-SS-Männer meldete sich feiwillig zu den ‚Deutschen‘. Ihr Eintritt war aber weniger ein politisch-kulturell bedingter Rausch, sondern das Ergebnis einer nüchternen Berücksichtigung der möglichen und bekannten Alternativen im dreifachen Spannungsfeld zwischen Berlin, Moskau und Bukarest. Der rumäniendeutsche Eintritt in die Waffen-SS war nicht nur eine Geste der Unterstützung NS-Deutschlands – trotz oder wegen Hitler – sondern auch eine Reaktion auf das nationalistische System Rumäniens ab 1918 und ein deutliches Zeugnis gegen die Sowjetunion stalinistischer Prägung“. Daher der Buchtitel „Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu“.

Todesrate – höher als bisher angenommen

Nach einer Nachmusterung in Wien und einer dreimonatigen Ausbildung erfolgte der Einsatz in praktisch allen SS-Einheiten – von den Felddivisionen, Konzentrationslagern und Verwaltungseinheiten bis hin zu Sicherheitsdienstgruppen und Sonderkommandos. Auf diese Zuteilungen hatten die Rekruten keinen Einfluss. So gelangten nachweislich 336 zu den KZ-Wachmannschaften, darunter einige auch im Rang von Unterführern und Führern. Ihre Zahl war aber viel größer. Aufgrund verschiedener Quellen rechnet Milata mit 2 000 KZ-Wachmännern. Entsprechend ihrem Rang in der SS-Hierarchie waren sie laut Darstellung des Verfassers in das Geschehen in den Konzentrationslagern impliziert. Einige wurden nach dem Krieg verurteilt, der Arzt Fritz Klein zum Tode und der Apotheker Victor Capesius zu neun Jahren Haft. Etwa 46 000 rumäniendeutsche Angehörige der Waffen-SS überlebten den Krieg, davon kehrten aber nur etwa 7 bis 33 Prozent in die Heimat zurück.

Die Todesrate wird in der Literatur meistens mit 15 Prozent als sehr hoch angegeben. Milata errechnet aber einen viel höheren Anteil, nämlich 27,5 Prozent. Es ist aber eine nicht haltbare Unterstellung, landsmannschaftliche Kreise hätten absichtlich die Verluste geringer angesetzt, um einerseits ihr Versagen und ihre Schuld als ehemalige Volksgruppenfunktionäre im Zusammenhang mit der Waffen-SS zu kaschieren und um andererseits die Deportation der arbeitsfähigen Frauen und Männer zu Zwangsarbeit in die Sowjetunion als das gewichtigere Verbrechen präsentieren zu können. Die Todesrate von 15 Prozent, erstmals 1957 in der „Dokumentation der Vertreibung“ angegeben und nachher immer wieder übernommen, stützt sich nämlich auf Schätzungen kirchlicher Kreise Siebenbürgens, die Hans Schwarz in seiner im Manuskript überlieferten Dokumentation „Betrachtungen zur Lage der Siebenbürger Sachsen im Frühsommer 1947“ wiedergibt. Schwarz gehörte als Gegner des Nationalsozialismus zu dem Kreis um Hans Otto Roth und hatte sicher kein Interesse, die Zahl der SS-Gefallenen zu reduzieren. Die 15 Prozent kann man also nicht den Landsmannschaften in Deutschland und Österreich oder den aus Rumänien stammenden Historikern in der Bundesrepublik als beabsichtigte Fälschung anlasten. In dieser Frage argumentiert Milata weniger differenziert und beargwöhnt allgemein die Landsmannschaften.

Über die Situation der Rumäniendeutschen nach dem Frontwechsel Rumäniens vom 23. August 1944 scheint der Verfasser falsch informiert zu sein, wenn er wörtlich schreibt: „Je mehr sowjetische Soldaten auf den Straßen des Landes patrouillierten, um so deutschlandfreundlicher wurde die rumänische öffentliche Meinung und um so besser behandelten die rumänischen Behörden die deutsche Bevölkerung, die von Angst und Ungewissheit geplagt der Zukunft entgegen bangte.“ In Wirklichkeit setzte eine bis dahin nicht gekannte antideutsche Hysterie ein, die alles, was deutsch war, als „faschistisch“ und „hitleristisch“ betrachtete, es begann eine allgemeine Verfolgung; Diskriminierung, Enteignung und Unterdrückung der Deutschen, ohne nach dem Maß der individuellen Schuld zu fragen und als Höhepunkt die von den Sowjets erzwungene Deportation der arbeitsfähigen Männer und Frauen in die Sowjetunion. Und es hat seitens rumänischer Partei- und Regierungskreise, entgegen der Behauptung Milatas, auch die Absicht bestanden, die Deutschen umzusiedeln oder zu vertreiben.

Zu wenig ausgewogen ist sodann die ursächliche Erklärung der rumäniendeutschen Aussiedlung. Die im Westen verbliebenen Gefangenen der Waffen-SS haben zwar eine Familienzusammenführung ausgelöst, es war aber kein „Schneeballeffekt“, der die anschließende Aussiedlung und den Exodus der Rumäniendeutschen bewirkt hat. Diese waren vielmehr die Folge anderer Faktoren und hatten andere Ursachen, angefangen von dem weiteren Vertrauensverlust gegenüber Rumänien über die kommunistische Diktatur und die Reaktion auf die Rumänisierungspolitik, die unter dem sozialistischen Regime verstärkt fortgesetzt wurde, ja noch 1990 hohe Wellen schlug, bis hin zu dem Wunsch, ein Leben in Freiheit zu leben unter Deutschen und in einem Wohlfahrtsstaat.

Trotz dieser Anmerkungen ist die Monographie Milatas ein wichtiger Beitrag über ein unrühmliches Kapitel der rumäniendeutschen Geschichte.

Michael Kroner


Paul Milata: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS (= Studia Transylvanica). Im Auftrag des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, herausgegeben von Harald Roth und Ulrich A. Wien), Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2007, 450 Seiten, ISBN 978-3-412-13806-6, Preis 37,90 Euro. Zu bestellen beim Siebenbürgen-Institut, Schloss Horneck, 74831 Gundelsheim, oder direkt online in unserem Shop-Portal.

Schlagwörter: Nationalsozialismus, Vergangenheitsbewältigung, Rezension, Zeitgeschichte, Dissertation

Bewerten:

40 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.