20. Januar 2008

Irene Mokka: Jedes Gedicht ein Hilferuf

Vor kurzem erschien im Verlag AT Edition, Berlin, ein umfangreiches Tagebuch, das die rumäniendeutsche Schriftstellerin und Lyrikerin Irene Mokka in den Jahren 1948-1973 geschrieben hat. In den Aufzeichnungen werden nicht nur poetische Stimmungen und Gefühle festgehalten und der Nachwelt mitgeteilt, sondern auch Einsichten in die literarische Arena jener Jahre. Viele Notate entstanden in Siebenbürgen, wo sich die Autorin immer wieder aufgehalten hat.
„Ich bin verdrießlich. Ich komme aus der Sit­zung der Schriftsteller. Das bedrückt mich immer. Ich kann so nicht denken, wie dort gedacht wird. Ich habe überhaupt nie dran gedacht, dass das Leben so aussieht. Warum habe ich nicht mehr meinen ungehemmten Glauben an das Leben? Ich kann nicht mehr denken wie ehedem. Über­all dämmt mich etwas ein. Nicht, dass ich an Träumerei und verliebte Sentimentalität dächte. Ich kann nicht mehr schreiben, was aus mir quillt“, notierte Irene Mokka am 27. Mai 1952 (S. 69). Und nach langem Schweigen, heißt es dann elf Monate später, am 21. April 1953: „Beethovens 9. Symphonie! Es ist doch etwas anderes, wenn man sie wirklich hört, feierlich, im Raum mit vielen Menschen, die den Wunsch und das Bedürfnis haben, Musik zu erleben, und nicht nur von Schallplatten. Gern opfert man etwas von der vollkommenen Wiedergabe. Das gewaltige des ‚Seid umschlungen Millionen‘ hat mich tief ergriffen, wenn auch die fremde Spra­che gestört hat. ‚Alle Menschen werden Brüder‘. Ja, so sollten sie es werden und nicht wie der Sozialismus es heute will. Beethoven war wohl ein tiefer Kommunist, schon damals.“ (S. 73.).

Irene Mokka. Titelbild des 2007 erschienenen ...
Irene Mokka. Titelbild des 2007 erschienenen Ta­ge­buchs.
Es gibt, soweit bisher bekannt, keinen rumäniendeutschen Schriftsteller dieser Generation, der in jenen Jahren den Mut aufbrachte, solche Worte niederzuschreiben – in einer Zeit der allgemeinen Unsicherheit und Aussichtslosigkeit, wo sich manch ein Zeitgenosse, Autor oder bildender Künstler mit den neuen Verhältnissen in irgendeiner Weise zu arrangieren versuchte. So sind die Tagebucheintragungen dieser sensiblen und klarsichtigen Dichterin, wo oft Ratlosigkeit und Verzweifelung aufscheinen und persönliche Erlebnisse und Zeitinformationen einander er­gänzen, ein seltenes Zeitdokument. Irene Mokka hatte bereits am 4. Juni 1933 begonnen, ihre Gedanken, Begegnungen und Erlebnisse aufzuzeichnen, und heute liegen nun 17 Hefte vor, in denen der letzte Eintrag am 10. Februar 1973, zwei Tage vor ihrem Ableben, erfolgte.

In dieser Zeitspanne von 40 Jahren widerspie­gelt sich – wenn auch mit einigen Lücken – das Leben einer deutschen Schriftstellerin in Rumä­nien vor dem Hintergrund zweier Diktaturen, der faschistischen, vor 1945, und der kommunistischen, nach 1948. Ihre Aufzeichnungen, 1933-1973, sind faszinierende und bedeutsame Belege für kreative Bemühungen in den wechselvollen Jahren des 20. Jahrhunderts. Und sie sind auch von großem Interesse für den heutigen Leser, „weil sie durch ihren intimen Charakter ausschließen, dass man sie der kollektiven Nivel­lierung unterwarf“, schreibt der Herausgeber und Sohn der Dichterin, der in Tübingen lebende Germanist und Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Horst Fassel.

Denn aus Tagebüchern wie aus Briefen „lässt sich sehr viel mehr an Symptomatischem über die letzten 80 bis 100 Jahre erfahren, als dies aus den uns bekannten literarischen Paradebei­spielen möglich war und ist“. Vorliegender Band, mit einem Bild Irene Mokkas auf der Umschlag­seite, vereint nun die Eintragungen der Hefte 16 (10. April 1938 – 30. August 1972) und 17 (11. September 1972 – 10. Februar 1973). Ein um­fassendes Register mit zahlreichen Namen von Personen und Orten bereichert den dokumentarisch-informativen Wert des Buches.

Irene Mokka wurde 1915 in Temeswar geboren, wo sie die meisten Jahre ihres Lebens verbrachte, wobei sie sich zwischendurch auch häufig in Siebenbürgen aufhielt, so in Schäß­burg, Kronstadt, Rosenau, Tartlau, Tuschnad, Michelsberg und besonders in Hermannstadt, Mitte und Ende 1972. Ihr Großvater mütterlicherseits, Eduard Hermann, stammte übrigens aus Broos. Er gründete im 19. Jahrhundert in Temeswar die erste Waagenfabrik, während sein Bruder in Chicago eine Panzerschrankfabrik besaß. Unter ihrem Mädchennamen, Irene Albert, war sie schon in jungen Jahren eine bekannte Klavierinterpretin. Ihr Ehemann, der Gymnasiallehrer Stefan Fassel, fiel 1944 auf der Krim; vier Jahre später heiratete sie den Kam­mersänger und Schriftsteller Hans Mokka. Als 1959 in Kronstadt, dem damaligen Stalinstadt, die „Deutsche Spielgruppe für Lieder und Tänze“ gegründet wurde, wirkten Irene und Hans Mok­ka 1959 bei der „Fidelio“-Aufführung mit, die Norbert Petri dirigierte.

Doch es waren nicht nur ihre siebenbürgischen Wurzeln, die sie mit dieser Kulturlandschaft ver­ban­den, sondern auch vielfältige enge freundschaftliche und geistige Beziehungen zur Elite sie­benbürgisch-sächsischer Schriftsteller und Künstler jener Zeit. So sind Aufzeichnungen zu finden über Wolf von Aichel­burg, Harald Kras­ser, Georg Scherg, Ursula Bed­ners, Andreas Birk­ner, Oskar Pastior, Klaus Kessler, Astrid Con­nerth-Wiesenmeyer, Norbert Petri, Mar­tha Kessler, Franz Xaver Dressler, Viktor Bicke­rich und Gustav Borger.

In der Spätphase ihrer Aufzeichnungen geht es dann der Dichterin oft um „das Ich als Kunst­schaffende und Kunst Reflektierende“, wie Horst Fassel in seinen ausführlichen Vorbemerkungen (S. 7-29) feststellt, und so wird das Tagebuch eine Sammelstelle poetischer Ansätze zu Wort­kunstwerken, im Suchen nach einem adäquaten sprachlichen Ausdruck und im Nachdenken über ästhetische Werte. Denn es finden sich hier auch komprimierte „Werkstattberichte“, prägnante Notate und Erkenntnisse, wie z.B. im Eintrag vom 12. Juli 1970: „Wer hungert nicht aus dieser individuellen Einsamkeit heraus nach Echo? Jedes Gedicht ist ein Hilferuf. Jedes Wort ein Pochen zu einem Du in dieser Einzelwelt.“

Der lesenswerte Band Irene Mokka: Tagebuch 1948-1973, herausgegeben und mit einem Vor­wort von Horst Fassel, AT Edition, Berlin, 2007, 347 Seiten, 15,90 Euro, ISBN 978-3-89781-128-7, kann in jeder Buchhandlung bestellt werden.

Claus Stephani

Schlagwörter: Rezension, Tagebuch, Banat

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