28. August 2008

Enthusiasmus für die deutsche Sprache und Literatur

Die Geschichte der Germanistik in Rumänien – die im alten Königreich Rumänien mit dem am 5. November 1905 an der Univer­sität Bukarest eingerichteten Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur beginnt – böte mit ihren Höhen und Tiefen, ihren Leistungen und Krisen einem Romanautor Stoff in Überfülle für eine spannende, streckenweise sogar dramatische Erzäh­lung. Europaweit geschätzte Gelehrte wie der nach Studien in Wien und Berlin in Gießen zum Dr. phil., in Paris zum Dr. jur. promovierte Philosoph, Kulturkritiker und Politiker Titu Liviu Maiorescu (1840-1917) und der nach Studien in Frankreich, Deutschland und Italien aus Leip­zig mit dem Dr. phil. nach Rumänien zurückgekehrte Historiker und Politiker Nicolae Iorga (1871-1940) hatten an der Gründungsveranstaltung teilgenommen.
Im Laufe des seither verstrichenen Jahrhun­derts gehörten zu den Leitern des Lehrstuhls Professoren vom Format eines Simion Mândres­cu, 1905-1938, Jean Livescu, 1955-1976, oder – bis 1984 – der als „titanische Renaissancegestalt“ bezeichnete Dr. phil der Universität Tübingen Mihai Isbășescu. Kriege, Diktaturen, politisch verordnete Kultureinschnitte, die Auswanderung der an allen Germanistik-Lehrstühlen des Lan­des ehemals hervorragend präsenten rumänien­deutschen Studenten, Entzug und Wiedererlan­gung der Lehrstuhlautonomie u.v.a. markieren einen Weg der Auf- und Abschwünge und immer neuen Herausforderungen für die Verantwortli­chen.

In einem Land, dessen Intellektuelle sich seit rund zwei Jahrhunderten weitgehend als frankophil verstehen, in dem alle Fremdsprachen während der kommunistischen Diktatur 1945-1989 durch das vom Staat verordnete – ungeliebte – Russische an die Wand gedrängt waren und in das seit 1989/90 das zurzeit als Weltspra­che dominierende Englische einströmt, hat das Deutsche – einst die Handelssprache in Osteuro­pa – keinen leichten Stand. Umso bemerkenswer­ter und aus deutscher Sicht unterstützungswürdiger ist die Arbeit der Germanisten Rumäniens. Ihr herausragender Vertreter unserer Zeit ist der 1944 im Donauhaufen Galatz geborene, 1964-1969 in Leipzig ausgebildete, 1977 ebendort promovierte und seit 1993 als ordentlicher Pro­fessor, seit 1998 als Lehrstuhlleiter in Bukarest tätige Dr. George Guțu. Über den Hochschulleh­rerberuf hinaus machte er sich als Gründer germanistischer Gesellschaften bzw. Forschungs­einrichtungen und Initiator wie Organisator grenzübergreifender wissenschaftlicher Begeg­nungen auch im Ausland einen Namen.
George Guțu veranstaltete und führte nicht nur internationale Germanistenkongresse im Land durch – Neptun 1994, Sinaia 1997, Jassy 2000, Hermannstadt 2003, Temeswar 2006 –, zu denen sich Fachleute aus der halben Welt ein­fanden. Hatte er in „bewusster Fortführung der germanistischen Tradition seines Heimatlandes“ (Südostdeutsche Vierteljahresblätter 2/2004) schon 1990 die „Gesellschaft der Germanisten Rumäniens“ gegründet, so rief er 1992 auch deren Zeitschrift der Germanisten Rumäniens ins Leben. Er ist seither ihr Chefredakteur.

Die Zeitschrift nimmt unter den vielfältigen Tätigkeiten des „mit lateinischem Esprit und preußischer Genauigkeit“ (idem) agierenden Mannes aus mehrfachem Grund eine besondere Stellung ein. Allein die beiden letzten (Doppel-) „Hefte“ zählen insgesamt 1305 Seiten. Das sind keine Hefte mehr, sondern umfangreiche Bände mit summa summarum rund 160 Beiträgen, für die fast ebenso viele Verfasser zeichnen: Litera­tur- und Sprachwissenschaftler, -historiker und -kritiker, Lexikographen und Mundartforscher, Semantiker und Archivare, Literaturpädagogen und -didaktiker, Lehrbuchautoren und wissenschaftliche Rezensenten, nicht zuletzt Schrift­steller aller Gattungen von der Lyrik bis zum Essay, von der Studie bis zur Memorialistik, von der Erzählprosa bis zur Aphoristik.

Beachtlich wie die Mannigfaltigkeit der Texte ist der länder- und nationenübergreifende Ehr­geiz der Zeitschrift. Einen breiten Raum nimmt dabei das so genannte „rumäniendeutsche“ Schrifttum ein – deutsch schreibende Autoren, die in Rumänien leben oder aus Rumänien stam­men und im Ausland heimisch wurden –, handle es sich um Verstorbene oder Lebende. Die Na­men Anemone Latzina, Rose Ausländer, Carmen Elisabeth Puchianu, Paul Celan, Hans Weresch, Manfred Winkler, Stefan Sienerth, Peter Motzan u. a. tauchen z. T. als Untersuchungsgegenstand, z. T. als Verfasser auf. Zugleich richtet sich das literaturhistorische und -wissenschaftliche, das übersetzerische und analytische Interesse der Zeitschrift auf rumänische, österreichische, bun­desdeutsche, deutsch-israelische oder andere Namen. Dazu zählen intertextuelle, komparatistische Studien zum Beispiel über Thomas Mann und James Joyce, Franz Kafka und Mircea Căr­tărescu, Friedrich Nietzsche und Émile Cioran, aber auch Lucian Blaga, Tudor Arghezi und Alfred Margul-Sperber. Ebenso stehen Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Goethe, Hölderlin, Georg Trakl, Ingeborg Bachmann, Heinrich Heine, Hannah Arendt, Joseph Roth und eine Reihe weiterer literarischer Größen im Mittelpunkt untersuchender Ausführungen der unterschiedlichsten Art.

Nicht minder umfangreich ist die Liste wissen­schaftlicher Autoren der Germanistik sowohl aus dem europäischen als auch aus dem außereuropäischen Bereich, die wir in den beiden letz­ten Heften der Bukarester Zeitschrift als Ver­fasser von Beiträgen finden. Die Liste enthält Dutzende von Namen aus fast ebenso vielen Län­dern, unter denen sich Deutschland, Österreich, Italien, Spanien, Frankreich, Jordanien, Kana­da, Slowakei, Slowenien, die Republik Moldau, Ungarn, Niederlande, Ukraine, Griechenland, Polen u.a. befinden – Repräsentanten berühmter Universitäten oder Forschungsinstitute in Paris und Tübingen, Rom, Wien und Berlin, Göttingen, Warschau, Amsterdam, Sevilla, Madrid etc. Der Themenreichtum, den die Zeitschrift solcherart anzubieten hat, ist für den Laien verwirrend, für den Fachmann eine Fund­grube von Spezial­abhandlungen, die er nur hier findet.

So schreibt z.B. Raluca Rădulescu, Universität Bukarest, über „Die rumäniendeutsche Litera­tur. Sonderstatus und Wertungsproblematik“; Larissa Cybenco, Universität Lemberg, Ukraine, über die „Musik als grenzübergreifendes Thema bei Ingeborg Bachmann: Der Fall Malina“; Martine Dalmas, Sorbonne, Paris, über „Ausruf – Beschimpfung – Fluch. Zum kommunikativen Status kurzer Exklamationen“; Alfonso Corba­cho, Universität Extremadura, Spanien, über „,Ein schöner Spruch im Gedächtnis ist wie ein Stück Geld im Kasten.‘ Zu den Sprichwörtern im Bereich der Wirtschaft“; Jeroen Dewulf, Univer­sität Porto, Portugal, über das Thema „Vom ,Gu­ten Wilden‘ zum ,Guten Zivilisierten‘. Zu Felix Speisers Ethnographie ,Im Düster des brasilianischen Urwalds‘, 1926“; Anita-Andrea Széll, Universität Klausenburg, über die „Übersetzung als ,Tanz in Ketten‘. Aspekte der Übertragung des Romans von Hans Bergel ins Rumänische“; oder Gabriel Jarnea, Universität Tübingen/Kul­turinstitut Berlin, eine kulturanamnetische Be­trachtung über „Die Geburt der deutsch-rumänischen Perzeptionsbarrieren aus dem Geiste der interkulturellen Missdeutung“; etc.

Neben den wissenschaftlichen Autoren sind solche belletristischer Texte in der Zeitschrift vertreten. In den hier zur Diskussion stehenden beiden Heften Wulf Kirsten, Michael Astner, Hugo Loetscher, Klaus Demus, Manfred Winkler u. a. Aufschlussreich auf bestem Niveau sind die an analytische Kurzstudien oder -essays heranreichenden Buchbesprechungen, gleichviel ob Markus Fischer, Universität Heidelberg, Georg Aeschts Übersetzung der „Rückkehr des Hooli­gan. Ein Selbstporträt von Noman Manea“, Mar­tin A. Hainz den von M. Fonta und Gh. Stefanov herausgegebenen Band „Ludwig Wittgenstein in der Philosophie des 20. Jahrhunderts“ untersucht oder Grete Tartler sich zu der von Iulia Karin Patrut, George Guțu und Herbert Uerlings editierten Anthologie „Fremde Arme – arme Fremde: ,Zigeuner‘ in Literaturen Mittel- und Osteuropas“ äußert; usw. Hinzu kommen schließlich die kritischen Berichte über einschlä­gige Tagungen, Symposien, Kolloquien oder Kur­se – durchwegs informationsreiche Reportagen über den internationalen Ideen-, Themen- und Erfahrungsverkehr zwischen germanistischen Fachleuten aller Wissenschaftsrichtungen.

Die Zeitschrift der Germanisten Rumäniens ist allerdings nicht allein als publizistisches Er­eignis losgelöst vom Entstehungsumfeld zu werten. Sie ist viel mehr! Sie ist ein Spiegelbild und zugleich ein Zeugnis der Hingabe, Leidenschaft und Liebe zur deutschen Sprache und Literatur, wie sie unter Rumäniens Germanisten und deren Studenten lebendig sind. Schon allein die Tatsa­che, dass die umfangreichen Bände mit der er­staunlichen Materialfülle und -vielfalt von ihrem Chefredakteur und wenigen Helfern aus dem Kreis seines Lehrstuhls ehrenamtlich: aus En­thusiasmus für die Sache gemacht werden, be­legt die Feststellung. Das, was eine Bukarester Germanistin 1928 – dreiundzwanzig Jahre nach der Gründung des Lehrstuhls – im Rückblick auf geleistete Lehr- und Forschungsarbeit anmerkte, gilt trotz aller Wandlungen in Auffassung, Lehrmethode und Zielrichtung, die der Fachbe­reich der Germanistik seither durchmachte, unverändert bis heute. „Jahr für Jahr“, schrieb Maria Immaculata, „zogen sie an uns vorbei: die großen Dichter und bedeutenden Strömungen der deutschen Nationalliteratur (...) mochten sie dem blühenden Zeitalter des Minnesanges oder des Klassizismus angehören, mochten sie der Ausdruck romantischer Überschwänglich­keit oder realistischer Weltanschauung sein.“

Es ist kein Zufall, dass Rumäniens Germanis­tik nicht nur die beste in Südosteuropa, sondern eine der besten überhaupt außerhalb des deutschen Sprachraums in Europa ist. Wer ihre Vertreter z. B. bei internationalen Tagungen hört – wie jüngst in Bad Kissingen (siehe Siebenbür­gische Zeitung vom 30. März 2008, S. 7) –, gewinnt einen Maßstab des Vergleichs zu ihren Gunsten. Die Anstrengungen und die Erfolge, die George Guțu und sein Lehrkörper allen Widernissen zum Trotz fortführen und buchen, äußern sich nicht zuletzt in Aufmachung und Inhalt der Zeitschrift der Germanisten Rumä­niens. Den Persönlichkeiten, die von Bukarest aus nicht allein germanistische Universität- und Forschungsarbeit, sondern auch Publizistik betreiben, wie dies im besonderen seit 1992 die hier vorgestellte Zeitschrift tut, gebühren Aner­kennung und Respekt.

Hans Bergel

Schlagwörter: Rezension, Germanistik, Bukarest

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Neueste Kommentare

  • 01.09.2008, 07:12 Uhr von bankban: Zitat: "Deutsch ist immer noch die Sprache der Philosophie" so Don Carlos. Ansichtssache - finde ... [weiter]
  • 31.08.2008, 12:06 Uhr von Don Carlos: Deutsch ist immer noch die Sprache der Philosophie - und Deutsch, das leider keine UNO-Sprache ist, ... [weiter]
  • 31.08.2008, 11:49 Uhr von rio: Nö pedimed, an Deutsch ist eigentlich nichts negativ, nicht mal die "komplizierten" Artikel. ... [weiter]

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