18. Januar 2009
Oskar Pastior: Ritualisierte Ehrerbietung
Am 4. Oktober 2006 verstarb während der Frankfurter Buchmesse der aus Hermannstadt stammende Oskar Pastior, dessen Werk in der Tradition der konkreten experimentellen Poesie der Wiener Gruppe ihm eine herausragende Stellung innerhalb der deutschen Dichtung unserer Zeit sichert. Das Berliner Colloquium und die OULIPO-Schriftstellergruppe und nicht zuletzt die Siebenbürger Sachsen – hat sich Pastior in seiner Sprachvirtuosität doch stets zu seiner Herkunft bekannt – zählen den in die Ewigkeit gegangenen Dichter zu den Ihren.
Im Namen der Familie überreichte der Bruder des Verstorbenen, Peter Pastior, anlässlich des Neujahresempfangs des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrates am 10. Januar 2009 die Totenmaske von Oskar Pastior den siebenbürgischen Institutionen auf Schloss Horneck. Dr. Ulrich Wien, Vorsitzender des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, der das Abbild des Dichterantlitzes in Empfang nahm, stellte sich dem Ritual u. a. auch als Theologe, der im Gegenstand das Sinnbild eines im Lebensvollzug auf die christliche Heilsgewissheit ausgerichteten Dichterlebens würdigte. Die Totenmaske Pastiors werde in der Siebenbürgischen Bibliothek einen Ehrenplatz einnehmen.
Eine Würdigung des Verstorbenen nahm der Germanist Prof. Dr. Horst Schuller vor. (Die Gedenkrede wird in der nächsten Ausgabe dieser Zeitung veröffentlicht.) Er dankte den Familienangehörigen, die ihre wohl vorhandene Scheu hätten überwinden müssen, um der Nachwelt neben allen anderen Lebenszeugnissen ihres Lieben auch dieses Zeichen körperlichen Hinscheidens zu erhalten. Und doch: „Die Totenmaske … kann wohl kaum allein das geistige Erbe eines Verstorbenen als schlüssiges Siegel festhalten. Das Erbe ist im überdauernden Werk selbst zu finden“, so Prof. Schuller. In seiner Würdigung nannte Schuller die vielen Ehrungen und Preise, die dem Dichtenden noch zu Lebzeiten zuteil geworden waren. Der wohl Bedeutendste, der Georg-Büchner-Preis, wurde Pastior 2006 zuerkannt, aber er konnte ihn nicht mehr persönlich entgegennehmen. Wohl hat er noch im Angesicht des Todes die Dankesrede fertig gestellt, vorgelesen wurde sie in Darmstadt von seinem Verleger Michael Krüger: „Und dann reden die Leute von Spielerei. Sie wissen nichts von Sprachnot, Denkverzweifelung, Erkenntnisdrangsal …“
Eine kurze Filmdokumentation mit Oskar Pastior in Hermannstadt, in seinem Elternhause aus seinen Gedichten vortragend, hatte der junge Film- und Medienfachmann Michael Duldner, Ludwigsburg, aus einem Beitrag zusammengestellt und überarbeitet, den Christel Ungar-Țopescu für das rumänische Fernsehen gedreht hatte. Die Dokumentation vergegenwärtigte unter den Gästen des Neujahrsempfangs einen lebendigen Oskar Pastior, dessen „viele Kulturen durchschreitende Dichtung dem Leser und Hörer Mehrsprachigkeit, Verwandlungsbereitschaft, Belesenheit und Hellhörigkeit abverlangt“ (Schuller), und zugleich die Person Oskar Pastior in seiner, einer höheren Ironie zugeneigten Künstlerpersönlichkeit empfand: „Nie Erstrebtes, nie Bezwecktes, nie Vermisstes wird einem mit einem Mal zuteil – ein Gefühl wie ‚Eukalyptus‘.“ (Pastior).
Werner Sedler
Schlagwörter: Pastior, Literatur
14 Bewertungen:
Noch keine Kommmentare zum Artikel.
Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.