24. Mai 2009

Der Coetus an siebenbürgisch-sächsischen Schulen

Der Coetus war eine auf die Schulordnung des Honterus von 1543 des Kronstädter Gymnasiums zurückgehende Institution einer sehr weitgehenden Schülermitverantwortung, die von den anderen sächsischen Gymnasien in Hermannstadt, Bistritz, Schäßburg und Mediasch übernommen und in zeitbedingten Abwandlungen an den Oberklassen der Höheren Schulen bis 1940 praktiziert wurde und die Schule zu einer Schule der Gemeinschaftsverantwortung machte.
Die Schülerschaft konstituierte sich als „Coetus“ in der Form eines „kleinen Staatswesens“ und bestimmte die Beamten des „Schüler-Magistrats“ durch Wahl selbst. Sie übernahmen selbstverantwortlich Aufgaben im Schulalltag und bei Schulfesten, entwickelten organisatorische Initiativen und gaben den jüngeren Schülern Hilfestellung.

Pädagogisches Ziel war die Selbsterziehung der Schüler zur mitverantwortlichen Beteiligung am gesellschaftlichen Leben. Auf diese Weise wurden Verhaltensformen eingeübt, die später im öffentlichen Leben zur Leitung eines genossenschaftlichen Gemeinwesens nötig waren.

Im Laufe der 400 Jahre gab es Krisen (auch Konflikte) und zeitbedingte Änderungen. Ab etwa 1870 kam der Coetus unter den Einfluss der deutschen Burschenschaften. Burschenschaftliche Bräuche und Verhaltensformen wurden übernommen: Das Leibherr-Fuchs-Verhältnis, Initiationsriten wie die Fuchstaufe, Kneipen, Fechten als Sport, aber ohne Mensur. Selbsterziehung und Gemeinschaftsverantwortung blieben Leitziele. Statt der mittelalterlichen Toga trugen die Coetisten nun bei festlichen Anlässen einen schwarzen, samtenen, verschnürten Festrock, den Flaus, lange schwarze oder weiße Hosen, die bunte Schülermütze in den Farben der Schule, bei besonderen Gelegenheiten das Couleurband und die „Beamten“ eine breite Schleife. Die Coeten unterschieden sich durch die Farben der Mütze mit bestimmter Litze, durch den Wahlspruch und den „Zirkel“, das einem Monogramm ähnliche kreisförmige Symbol des betreffenden Coetus.
Der Coetus Honteri beim Aufmarsch zum rumänischen ...
Der Coetus Honteri beim Aufmarsch zum rumänischen Nationalfeiertag am 10. Mai 1930.
Nach drei Jahrzehnten, die in der Rückerinnerung bei manchen Coetisten als Blütezeit erschienen, geriet der Coetus um die Jahrhundertwende in eine Krise: Zahlreiche „Missbräuche“ besonders „die unreife Nachahmung studentischen Verbindungswesens und studentischer Trinksitten“führten dazu, dass einige Schulkonferenzen den Coetus auflösten. „Deshalb bemühte man sich allenthalben, die alten zum Teil auch geheim fortbestehenden Formen mit neuen Inhalten zu füllen.“

Dies Neue waren sogenannte „Bildungsvereine“ oder „Kränzchen“ innerhalb der Coeten (heute würde man sagen „Arbeitsgemeinschaften“), die von Coetisten unter Beratung von Professoren (selten von Professoren selbst) geleitet wurden. Ab etwa 1907 finden wir sie in den Bereichen Musik, Turnen und Sport, Literatur und Kunst in allen Coeten.

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen bemühte man sich unter dem Einfluss der pädagogischen Reformbewegungen weiter um eine innere Erneuerung des Coetus.

Der Coetus in der Zwischenkriegszeit

Um welche Coeten und coetusähnlichen Einrichtungen handelt es sich in dieser Zeit?

Es sind dies zunächst einmal die traditionellen Coeten an den alten humanistischen Gymnasien:

  • am Kronstädter Gymnasium der „Coetus Honteri“;
  • am Hermannstädter Gymnasium (nach dem endgültigen Zusammenschluss der zeitweilig getrennten Coeten der Realschule und des Gymnasiums 1928) der „Coetus Arminia Cibiniensis“;
  • am Schäßburger Gymnasium der „Coetus Chlamydatorum Schaessburgiensis“;
  • am Mediascher Gymnasium der „Coetus Carpatia Mediensis“;
  • am Bistritzer Gymnasium der „Coetus Bistritia“.
Hinzu kommen die beiden (nach der zeitlichen Gründung so genannten) „Sekundärcoeten“:
  • Nach der Konzentration der Lehrerbildung am Hermannstädter Landeskirchenseminar der „Coetus Seminarii“ und
  • der 1900 zunächst als Geheimcoetus der deutschen Schüler an der ungarischen Handelsmittelschule gegründete „Coetus Mercurii“, jetzt an der neu entstandenen Höheren Handelsschule in Kronstadt.
Als Mitte der zwanziger Jahre die Hermannstädter Höhere Mädchen- und Handelsschule in ein Lyzeum umgewandelt wurde, kam es hier zur Gründung des „Coetus Brukenthalia“.

Nach dem Muster der Gymnasial-Coeten entstanden Coeten oder coetusähnliche Einrichtungen an den Gremial-Handelsschulen und Gewerbeschulen in Hermannstadt, Kronstadt, Schäßburg und Bistritz.
Der Coetus Seminarii beim Hermannstädter Maifest ...
Der Coetus Seminarii beim Hermannstädter Maifest 1939, dem letzten Fest dieser Art.
Beeinflusst durch den Coetus, vor allem aber durch die reformpädagogische Diskussion der Zwischenkriegszeit wurden am Lehrerinnenseminar in Schäßburg und an der Kindergärtnerinnenbildungsanstalt in Kronstadt coetusähnliche „Schulgemeinden“ gegründet.

In kleineren Städten, ohne Höhere Schulen, schlossen sich die Coetisten in den Ferien zu „Ferialverbindungen“ zusammen – so in Sächsisch-Regen, Mühlbach und Zeiden. Alle diese Verbindungen hatten klangvolle lateinische Namen.

Die sieben sogenannten Primär- und Sekundärcoeten hatten eine exklusive Stellung. 1926 schlossen sie und die Ferial-Verbindung „Transilvania“ aus Sächsisch-Regen sich in dem „Bund ostdeutscher Mittelschulverbindungen“ zusammen, dem ab 1930 der Verein „Unser Heim“ des deutschen Lyzeums in Tarutino angehörte.

Die gleichberechtigte Aufnahme des Coetus „Brukenthalia“ des Hermannstädter Mädchenlyzeums wurde nicht erwogen.

Im Jahr 1925 erhielt der Coetus neue Satzungen, die im Zusammenhang mit der „Schulordnung für die Schülerinnen und Schüler der Sekundarschulen der Ev. Kirche A. B. in Siebenbürgen“ vom Unterrichtsministerium genehmigt wurden. Die Entwicklung hin zu Arbeitsgemeinschaften („Selbstbildungskreisen“) wurde nun verstärkt und durch die Schulordnung sanktioniert.

Die Satzungen der einzelnen Coeten waren nicht deckungsgleich, stimmten aber im Grundsätzlichen überein.

Die „Würdenträger“ (manchmal heißen sie auch „Beamte“) waren
  • der Präfekt (in Schäßburg der Rex) von den Schülern gewählt und vom Schulleiter bestätigt,
  • der Propräfekt als Stellvertreter,
  • der Fuchsmajor,
  • der Primus musikus
und dazu kamen in einigen Coeten Amtsträger wie Klassenvertreter (oder Obmänner der einzelnen Klassen), Bibliothekar, Inspektor, Fahnenträger u. a.

Die Struktur des Coetus, die Entscheidungsprozesse und die Rechte und Pflichten des einzelnen Mitglieds sowie die Strafen waren genau festgelegt.

Die Vollversammlung (auch Konvent genannt) beriet und beschloss alle wichtigen Angelegenheiten – meist nach Vorbereitung in kleineren Gremien.

Der Fuchsunterricht, die Einweisung der „Füchse“ (der Fünftklässler der Höheren Schulen) war Aufgabe des Fuchsmajors. Er umfasste Coetussatzungen, das Leben im Coetus, einen Grundstock von Liedern, Einführung in die siebenbürgisch-sächsische Geschichte und Anfang der dreißiger Jahre Einführung in die Geschichte der Deutschen in Großrumänien, Umgangsformen in der Gesellschaft, sexuelle Aufklärung „durch eine dazu berufene Persönlichkeit“ und gemeinsame Lektüre pädagogisch wertvoller Schriften – eine schwierige Aufgabe für den Fuchsmajor. Nach zwei Semestern (meist im Mai) folgte die Fuchsprüfung und nach bestandener Prüfung und der „Fuchstaufe“ die endgültige Aufnahme in den Coetus mit Stimmrecht in der Vollversammlung. Der Fuchs erhielt nun einen Leibherrn, einen „Alten“. Das Leibherr-Fuchs-Verhältnis, vorher oft zu Dienstleistungen ausgenutzt, wurde mehr und mehr zur Patenschaft. Bestimmte öffentliche „regelmäßige Veranstaltungen“ waren in einigen Coeten in der Satzung festgelegt: bestimmte Feste, Coetusabende, Theateraufführungen, Literatur- und Musikabende mit Programmen, die von Schülern geplant, einstudiert und geleitet wurden. Dabei zeigten sich oft frühe Begabungen, die gefördert werden konnten. Die Veranstaltungen waren Teil des kulturellen Lebens einer Stadt, und die Einkünfte wurden zur Mitfinanzierung der großen Maturareisen verwendet.

Durch die Veranstaltung von Schülerolympiaden wurde versucht, dem Coetus neuen Inhalt und neue Anstöße zu geben. Ab 1928 sollten alle zwei Jahre jeweils in einer anderen Stadt Schülerolympiaden stattfinden, auf deren Programm neben sportlichen auch kulturelle Wettbewerbe in Musik, Kunst und Wissenschaft standen. Die Schülerolympiaden wurden unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zu Höhepunkten im Leben des Coetus. Über sie wird in einem eigenen Beitrag zu berichten sein.

Bis etwa 1936/37 war es den Coeten gelungen, Distanz zur (Partei)Politik zu halten – nach der Schulordnung war es den Schülern verboten, sich politisch zu betätigen und außerschulischen Vereinigungen anzugehören. Danach machte sich die Politisierung des außerschulischen Lebens, der Einfluss der Erneuerungsbewegung und die Fernwirkung der politischen Entwicklung in Deutschland auch im Coetus immer mehr bemerkbar. In den Coeten gab es heftige Diskussionen um „Standesbewusstsein“ und die Überreste von „Burschenschaftsgehabe“ zwischen „Traditionalisten“, „Reformern“ und „Radikalen“, die eine Eingliederung in die politischen Jugendverbände forderten. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges brachen diese Diskussionen abrupt ab.

Die Auflösung der Coeten vollzog sich in Etappen, in den einzelnen Coeten nicht ganz zeitgleich. Das Schuljahr 1938/39 war das letzte reguläre Coetusjahr, in der zweiten Hälfte des Schuljahres traten die Coeten zum letzten Mal im Flaus auf. Als Andreas Schmidt am 15. Oktober 1940, kurz nach seiner Einsetzung als „Volksgruppenführer“, die „Jugenddienstpflicht“ in der DJ (Deutsche Jugend) deklarierte, hatten sich die Coeten praktisch schon aufgelöst: Sie waren von der politischen Entwicklung überrollt worden.
Beim Festzug des Heimattages 2008 in Dinkelsbühl ...
Beim Festzug des Heimattages 2008 in Dinkelsbühl wurde erstmals an die Existenz des Coetus in Siebenbürgen erinnert. Foto: Petra Reiner
Was ist das Besondere der siebenbürgisch-sächsischen Coeten? Wie erklärt es sich, dass diese „demokratisch“ verfasste Schülerorganisation mit zeitbedingten Änderungen über vier Jahrhunderte bestanden hat?

Das Besondere, Charakteristische des Coetus

1. Der Coetus war eine eigenständige und doch in die Schule voll integrierte, in der Schulordnung verankerte Schülerorganisation. In ihm waren alle Schüler der Oberstufe der Gymnasien und später der Höheren Handelsschule und des Seminars zusammengefasst. Neben dem Direktor als verantwortlicher Leiter repräsentierte der Coetus in seiner Gesamtheit das Erscheinungsbild der Schule in der Öffentlichkeit. Wenn der „Coetus Honteri“ auftrat, war das „die Honterusschule“.

2. Die innere Struktur des Coetus entsprach dem genossenschaftlichen Prinzip, das das Gemeinwesen der Siebenbürger Sachsen in allen Teilen bestimmte und als ihr Kennzeichen galt.

3. Der Coetus ergänzte den Bildungsauftrag der Schule durch eine Erziehungsaufgabe: Im Coetus wurde der junge Mann zum überzeugten und verantwortlich handelnden Mitglied der sächsischen Bürgergesellschaft erzogen.

4. Die siebenbürgisch-sächsischen Höheren Schulen hatten durch Tradition und durch das Fehlen einer eigenen Universität eine Zwischenstellung zwischen Schule und Universität. Ihre Schüler galten als „Studenten“ und Angehörige der künftigen Führungsschicht. Sie trugen zum kulturellen Leben der Städte maßgeblich bei.

5. Tatsächlich waren die Höheren Schulen für die Siebenbürger Sachsen von existenzieller Bedeutung. Das Bewusstsein dieser Bedeutung führte zur charakteristischen Identifikation der Siebenbürger Sachsen mit „ihren Schulen“. Dementsprechend stand auch der Coetus im Blickfeld der Öffentlichkeit, seine „Beamten“ hatten sozusagen ein öffentliches Amt, wurden von der Öffentlichkeit ernst genommen und nahmen dadurch ihrerseits ihre Aufgabe ernst. Die Gemeinschaft hegte hohe Erwartungen, und die Schüler erhöhten demgemäß ihr Anspruchsniveau.

Es macht nachdenklich, wie viele bedeutende Persönlichkeiten der Siebenbürger Sachsen in ihrer Schulzeit Präfekten (oder Rex) ihres Coetus waren: In Schäßburg die Bischöfe Georg Paul Binder, Friedrich Teutsch, Friedrich Müller, dann der Pädagoge und Sammler von Märchen und Volkspoesie Josef Haltrich, der Volkswirtschaftler und Politiker Karl Wolff und der Politiker und Landeskirchenkurator Hans Otto Roth; in Kronstadt der Schriftsteller Heinrich Zillich, der Bischof Wilhelm Staedel; in Hermannstadt (in einem Triumvirat) Bischof Friedrich Müller (Langenthal); in Mediasch der Historiker und Kulturpolitiker Richard Csaki (zuletzt Direktor des Deutschen Auslandsinstituts in Stuttgart) u.a.

Bemerkenswert ist, dass im Spätherbst 1946 (nachdem das deutsche Schulwesen der Ev. Landeskirche A.B. 1944 zurückgegeben worden war) der Coetus an den Höheren Schulen wieder belebt werden und bis 1948 tätig sein konnte. Nach der Wahl ihrer Beamten begannen die Coeten mit der Arbeit. Sie erstreckte sich auf die kulturellen Bereiche Musik und Theater, auf das Handballspiel, die soziale Fürsorge und auf verschiedene Interessengebiete, die nicht unmittelbar zu den Aufgaben der Schulen gehörten, aber den Interessen der Schüler und Schülerinnen entsprachen. Diese meist selbstständigen Tätigkeiten banden Kräfte zu sinnvollem Tun in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft.

Über Aufführungen und Veranstaltungen in ihrem Coetus berichteten in den Nachkriegsjahren die trotz widrigster Umstände erscheinenden drei Coetus-Zeitungen: „GAUDEAMUS“ des Coetus Honteri, „SOLL UND HABEN“ des Coetus Mercurii und nicht zuletzt das „BCB“ Brukenthal-Coetusblatt.

Walter König


Eine detaillierte Darstellung der „Endphase des Coetus an siebenbürgisch-sächsischen Schulen (1920-1940)“ mit Literatur- und Quellenhinweisen findet sich in: Walter König: Schola seminarium rei publicae. Aufsätze zu Geschichte und Gegenwart des Schulwesens in Siebenbürgen und Rumänien. Köln/Weimar/ Wien 1995, S. 154-175. Ein Aufsatz über „Die Neugründung des Coetus an den siebenbürgisch-sächsischen Schulen 1946-1948“ von Hermann Schmidt in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde, 28. (99.) Jg. (2005), S. 139-149.

Schlagwörter: Schulgeschichte

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