25. Januar 2010

Vier Bücher über Hans Bergel: Vorläufiges Fazit einer Persönlichkeit

Mit dem Buch „Hans Bergel – Minderheitendasein Schriftstellerexistenz und politische Systeme. Eine Untersuchung zu Leben und Werk“ (175 Seiten) hatte die Wiener Germanistin Elisabeth Martschini 2005 den Anfang einer Reihe einschlägiger Buchveröffentlichungen über den 1925 in Siebenbürgen geborenen Autor gemacht. Gleich vier Bücher erschienen nun innerhalb der letzten Monate über Hans Bergel.
1) Die Bukarester Germanistin Raluca Rădulescu veröffentlichte ihre Werkanalyse „Europäertum eines Inseldaseins. Identitäts- und Alteritätsbewusstsein im Werk Hans Bergels“ (290 Seiten); die Berliner Historikerin und Germanistin Renate Windisch-Middendorf schrieb unter dem Titel „Der Mann ohne Vaterland. Hans Bergel – Leben und Werk“ die erste Bergel-Biografie, die 2) in einer Ausgabe der Rumänischen Akademie in Klausenburg (160 Seiten) und 3) – in Text und Bild ergänzt – in einer Ausgabe des Berliner Frank & Timme-Verlags für wissenschaftliche Literatur (170 Seiten) erschien; 4) gab der Leiter des Bukarester Germanistik-Lehrstuhls George Guțu den repräsentativen Band „‘…dass ich in der Welt zu Hause bin.‘ Hans Bergels Werk in sekundärliterarischem Querschnitt“ (430 Seiten) heraus.
Ungewollt ergänzen sich die vier Bücher. Während E. Martschini ihre Untersuchung vor den wechselnden politischen Zeithintergrund bis 1968, dem Jahr der Emigration Bergels aus Rumänien, und der Jahrzehnte in Deutschland bis 2005 stellt, widmet sich R. Rădulescu dem beherrschenden europäischen Gedanken in Bergels Romanen. R. Windisch-Middendorf sieht in der streckenweise abenteuerhaften Vita des Autors eine Einheit im Zeichen permanent bewusster Kulturverantwortung. G. Guțu zog anhand einer Fülle von Arbeiten über Bergel ein Fazit des bisherigen Schriftstellerlebens. Unter Mitarbeit seiner Lehrkräfte an der Bukarester Universität Prof. Dr. Mariana Lăzărescu und Dr. Raluca Rădulescu stellte er ausgewählte Arbeiten erstrangier Kenner zu einem umfangreichen Band zusammen.

Im Einzelnen bieten sich die Bücher wie folgt dar:

E. Martschinis der Universität Wien vorgelegte Untersuchung ist ein Skriptum, das sich minutiös vor allem dem Biografischen widmet. In chronologischer Reihung erfährt der Leser Ausgänge, Stationen, Bildungs- und Umwelteinflüsse, die sowohl den Menschen als auch den Autor bestimmten. Die Gründlichkeit der Darlegung überzeugt vor allem in den Kapiteln, in denen der Schriftsteller in den Zwängen des Minderheitendaseins porträtiert wird. Martschinis ausgedehnter Briefwechsel mit Bergel sicherte in den Details eine bemerkenswerte Dichte und erhellt bisher nicht oder kaum bekannte Lebensaspekte des in diesem Jahr Fünfundachtzigjährigen. (Von derselben Autorin ist auch in Guțus Sammelband eine Studie zum Thema der NS-Aufarbeitung in Bergels Roman „Die Wiederkehr der Wölfe“ zu lesen.)

Als sehr anspruchsvoll in der Beschreibung der geistigen Spannweite der Romane Bergels ist Dr. Raluca Rădulescus Arbeit zu bezeichnen. Reich facettiert stellt sich schon die mit den Mitteln moderner Literaturwissenschaft argumentierende Einführung dar. Auf mehreren Ebenen finden Werkannäherung und -deutung statt: Identitätsbehauptung, Interkulturalität, Europäertum, Landschaft als Realität und Vision, Symbolgehalte, Schlüsselmetaphern, Archetyoik, philosophische Horizonte etc.: Klug aufgefächert bringt all das Struktur und Transparenz in die Beleuchtung des vielschichtigen Werks dieses Autors. Die mit wissenschaftlichen Vorträgen zu Bergels Werk wiederholte Male in Erscheinung getretene junge Bukaresterin – wie z.B. über den Humanismusgedanken oder den magischen Realismus Bergels – war der Weite und Tiefe des untersuchten Opus nicht überall gewachsen. So erfahren z.B. in ihrer gut durchdachten Analyse Bergels Hintersinnigkeiten, sein ironisch überlegener Umgang mit historischen Daten, seine Charakterzeichnungen des südosteuropäischen Nationenuniversums gelegentlich missverständliche Deutungen. Dennoch ist das Buch eine äußerst achtbare, aufschlussreiche Arbeit.

Renate Windisch-Middendorf entnahm den Titel ihrer gleich zweimal erschienenen - in der Berliner Fassung geglückteren -, reich bebilderten Biografie dem bei Bergels dritter Verhaftung (1959) konfiszierten und nicht wieder aufgetauchten Romanmanuskript „Der Mann ohne Vaterland“. An ihrem Buch bestechen Prägnanz der Aus- und Beweisführung, Elan und Eleganz des sprachlichen Ausdrucks, Eindeutigkeit auch an jenen Stellen, die mit Verhaftung und Verurteilung Bergels 1959 zusammenhängen und vormals über die siebenbürgische Öffentlichkeit hinaus wenig informierte Aufgeregtheiten und Äußerungen hervorriefen. Ihr Buch ist auf komplexe Erfassung der vielschichtigen und vielgesichtigen Persönlichkeit Bergels angelegt und wird diesem Anspruch auch gerecht. Spannend ihre Auseinandersetzung mit dem politischen Publizisten Bergel und ihre umfangreiche Deutung der Romane - der Germanistin kommt hier die Historikerin zu Hilfe und umgekehrt. Dass sie zusätzlich zum Buchautor und Journalisten den kulturellen Sachwalter und geschichtlich denkenden Zeitbeobachter sieht, gibt ihrem Buch die besondere Reife. Ein Vorteil liegt auch darin, dass sie als Bundesdeutsche die Distanz zum Südosteuropäischen hat, dieses aber von Gastdozenturen an der Klausenburger Universität her kennt. Ihre Bergel-Bio- und Monografie macht das Wagnis eines ungewöhnlichen Schriftstellerlebens eindrucksvoll sichtbar.

Letztendlich sei die Riesenarbeit gewürdigt, die sich Rumäniens heute bekanntester Germanist Prof. Dr. George Guțu und seine Mitarbeiterinnen – die Kronstädterin M. Lăzărescu und die Bukaresterin R. Rădulescu – mit Auswahl und Anordnung der in einigen Jahrzehnten über Bergel veröffentlichten Texte machten. Literaturgeschichte, Kulturanalyse, Kunst-, Musikwissenschaft, Lyrik, Formtheorie u.a.m. waren die Positionen, von denen aus Fachkenner über Bergels Werk schrieben. Guțu selektierte aus dem großen Angebot. Beispiele: Der Literaturwissenschaftler Peter Motzan bewegt sich in einer Untersuchung Bergels als Theoretiker und praktischer Beherrscher der pretentiösen Novellenform auf hohem Niveau. Der israelische Dichter Manfred Winkler spürt lyrische Exkurse und Grundtöne in Bergels Prosa auf. Der schwedische Musikologe Lothar Rü(uu)degast – ein Freund des verstorbenen Dirigentenbruders Erich Bergel – deutet die Präsenz der Musik in Bergel-Texten. M. Lăzărescu schreibt über Bergels moderne Kulturtheorie, der Literaturhistoriker Stefan Sienerth über die Kunst der Landschaftsschilderung als wesentliches Element Bergelscher Epik usw. Erwähnenswert die von Guțu getroffene Auswahl der Interviews, die Bergel im Laufe der Jahre gab. Aus rund 100 Presse-, Funk und TV-Interviews ausgesucht, sind sie Zeitzeugenberichte mit Dokumentationswert, hält man sich z. B. das Gespräch mit Dieter Drotleff über „Das Jahrhundert, an dem ich Teil hatte“ (1995) vor Augen. Das gilt auch für das Free-Europe-Interview mit Dr. Jacob Popper über dir „Obsession der Herkunft“ (1978), mit dem Redakteur des Bayerischen Rundfunks Hans Ulrich Engel über „Geschichte und Literatur“ (1983), mit der Jerusalemer Zeitschrift „Mosaik“ „Ich habe die Dinge meines Lebens niemals passiv hingenommen“ (1998) oder mit der Siebenbürgischen Zeitung über Leben und Kunst (2005) – das sind durchwegs fulminante Selbstzeugnisse. Abschließend sei auf die aus über 700 ausgewählten rund 30 Besprechungen etlicher Bücher Bergels hingewiesen: Markus Fischers monumentale Besprechung des Romans „Die Wiederkehr der Wölfe“, 2006, George Stanomirs profunde Durchleuchtung des Romans „Der Tanz in Ketten“, 1977, Horst Fassels feinnervige Deutung der Novelle „Das Venusherz“, 1987, u.v.a.

Werkverzeichnis und eine umfassende Vita-Zeittafel beschließen den Band. Was darin fehlt, ist eine systematische Abhandlung über den Homo politicus Hans Bergel. Denn dieser stellte mutiger als jeder andere während der Jahrzehnte vor der Wende 1989/90 in der Auseinandersetzung mit Bukarest die siebenbürgische Frage der menschenrechtlichen Forderungen, man denke an seine Rede vor dem Kölner Dom 1982. Störend an dem intelligent gegliederten, inhaltsreichen Buch sind einige Druckfehler. Eine Malaise mancher Computerdruckprodukte?

Die Vielfalt der im oben vorgestellten Bücherquartett mitgeteilten Daten ermöglicht vor allem eins: Die Wahrnehmung einer Persönlichkeit, deren Wirkungsradius größer ist als mancher von uns ahnte. Bisher kannte man aus Einzeluntersuchungen bestimmte Facetten: Den Erzähler, den Kultur- und Politikjournalisten, den Essayisten mit kunsthistorischem und philosophischem Fundus, den Literaturkenner, den Formanalytiker. Doch erst in dieser Rundumbeleuchtung – die in konzentrierter Form auch Windisch-Middendorf vornimmt – wird die erstaunliche Multivalenz dieses „gelehrten Polyhistors“ (Markus Fischer) und dynamischen Rastlosen sichtbar, auf den ein Wort des kürzlich verstorbenen Lords Ralf Dahrendorf passt: „Mich kann nichts aus der Unruhe bringen.“ Rechnet man zu diesen Buchpublikationen Bergels eigene zwei Veröffentlichungen im Jahr 2009 hinzu, den Band „Wegkreuzungen. Dreizehn Lebensbilder“ und die Blandiana-Übersetzungen „Die Versteigerung der Ideen“, beide im Bamberger Johannis Reeg Verlag, so wird der bald 85-Jährige von einem fruchtbaren Jahr sprechen dürfen.

W. Sch.



Elisabeth Martschini: Hans Bergel - Minderheitendasein, Schriftstellerexistenz und politische Systeme. Eine Untersuchung zu Leben und Werk, Verlag der Bukarester Universität 2005, 175 Seiten, ISBN 9737371072

Raluca Rădulescu: Europäertum eines Inseldaseins. Identitäts- und Alteritätsbewusstsein im Werk Hans Bergels. Verlag der Bukarester Universität und Verlag Paideia, 2009, 290 Seiten, ISSN 1843-0058

Renate Windisch-Middendorf: Der Mann ohne Vaterland. Hans Bergel Leben und Werk. Frank & Timme-Verlag für wissenschaftliche Literatur, Berlin, 2010, 170 Seiten. 24,80 Euro, ISBN 978-3-86596-275-1. Und: Titel wie oben. Verlag Rumänische Akademie, Klausenburg, Zentrum für Siebenbürgische Studien. 160 Seiten, ISBN 978-973-7784-46-9

George Guțu (Herausgeber): „... dass ich in der Welt zu Hause bin. Hans Bergels Werk in sekundäre literarischem Querschnitt. Verlag der Universität Bukarest und Verlag Paideia, 2009, 480 Seiten, ISSN 1843-0058

Schlagwörter: Rezension, Bergel, Literatur, Burzenland

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