12. November 2009

Si tacuisses …!

Auf Herta Müllers Kritik (siehe Bericht in der Siebenbürgischen Zeitung) erwidert Prof. Dr. Paul Philippi im Folgenden.
„Wenn du geschwiegen hättest“, so zitierten unsere Alten, „hättest du auch weiterhin als Philosoph gegolten“. Nun aber hast du etwas gesagt (so wird der Gedanke weiter gesponnen), und das ist diesem Ruf nicht bekommen. Diese Weisheit gilt nicht nur für den Ruf als Philosoph. Auch Nobelpreisträger können irren. Das ist menschlich und verzeihlich. Wenn der lancierte Irrtum freilich zur Verleumdung Dritter geworden ist, sollten auch Nobelpreisträger von ihren Aussagen zurück rudern können.

Herta Müller hat bei einem feierlichen Anlass an geschichtsträchtiger Stätte die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Rumäniens von 1989 deutlich und „erschüttert“ der Komplizenschaft mit der Securitate der rumänischen kommunistischen Partei bezichtigt. Sie tat es nicht wörtlich, aber so deutlich und dramatisch, dass an dieser Beschuldigung kein Zweifel aufkommen kann. Sie tat es, indem sie anlässlich der Entgegennahme des Franz-Werfel-Preises eine telefonische Botschaft verlas, die der damalige Bischof dieser evangelischen Kirche, Albert Klein, im März 1989 an den deutschen Bischof Heubach gerichtet hatte. Die Botschaft ist echt und kann voll bestätigt werden. Ihr Inhalt war längst bekannt. Hat die Nobelpreisträgerin nicht Verdacht geschöpft, als sie das Dokument eben jetzt (und anonym?) „im Briefkasten“ fand? Verdacht, dass sich jemand ihrer Stimme, ihrer Autorität(!) missbräuchlich bedienen will? Wem (wozu?) sollte es dienen? Die dramatische Neuauflage der Botschaft von 1989 im Jahre 2009 und deren Auslegung, die Herta Müller durch den Kontext liefert, sind freilich ganz ihr eigenes Opus. Dieses deckt sich zwar nicht mit dem Inhalt, wohl aber mit ihrem schriftstellerischen Lebensthema: Mit dem Trauma von dem überall hineinwirkenden rumänischen Geheimdienst, der Securitate. Und sie folgert daraus unmissverständlich und anklagend, ohne dem Hörer für Zweifel an ihrer Interpretation Raum zu lassen, dass der Inhalt der Bischofsbotschaft das Ergebnis einer Kooperation von Kirchenleitung und Securitate sei.

Was steht in der „erschütternden“ Briefbotschaft des Bischofs Albert Klein? Dort steht, dass man im März des Jahres 1989 in der Hermannstädter Kirchenleitung erfahren hatte, beim Berliner Kirchentag im Herbst des gleichen Jahres solle ein „Rumänienforum“ stattfinden. (Herta Müller spitzt zu: „ein Forum über die Zustände in der rumänischen Diktatur“.) An diesem Forum sollten, so habe man in Hermannstadt erfahren, außer kirchlichen Vertretern auch die aus dem Banat ausgewanderten Eheleute Richard Wagner und Herta Müller zu Wort kommen, die zwar „keinerlei Beziehungen zur christlichen Kirche zu erkennen gegeben“ hätten, wohl aber „über die Medien durch schärfste Kritik der Verhältnisse in Rumänien bekannt geworden“ waren. Durch deren Teilnahme an diesem Forum sei, so meinte Bischof Albert Klein in seinem Schreiben, „die Anprangerung Rumäniens vorauszusehen“. (Gegen die Richtigkeit dieser Voraussicht hat Herta Müller vermutlich nichts einzuwenden.) Nun aber, meint die Kirchenleitung, würde das „von den ebenfalls zum Forum geladenen Vertretern der Rumänischen Botschaft als Einmischung in innere Angelegenheiten Rumäniens bezeichnet und der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) zur Last gelegt werden.“ (Auch diese Annahme dürfte Herta Müller teilen.) Ja, selbst darüber dürfte Einigkeit bestehen, dass die Vertreter des rumänischen Staates zwischen Kirchentag einerseits und EKD andererseits nicht würden unterscheiden können. Folglich, sagte man in Hermannstadt, würden die Beziehungen der evangelischen Kirche Rumäniens zur EKD „schwer belastet und die weitere Zusammenarbeit in Frage gestellt werden“.

So weit die Befürchtungen der Hermannstädter Kirchenleitung. Die Botschaft war im Übrigen nicht an die Leitung des Kirchentags gerichtet, wie Herta Müller behauptet, sondern an Bischof Heubach, der nicht zur Kirchentagsleitung gehörte, aber für die Verbindung der EKD zur Evangelischen Kirche Rumäniens zuständig und mit Bischof Klein befreundet war.

Waren die Befürchtungen der Hermannstädter nicht berechtigt? Herta Müller müsste die Befürchtungen von ihren Erfahrungen her bestätigen können, und zwar gerade dann, wenn die Verfasser des von ihr inkriminierten Dokuments nicht auf Seiten der Securitate standen, sondern auf der Gegenseite! Anders freilich als die Schriftsteller, die sich dem Druck der Securitate durch Auswanderung entzogen hatten, trat diese Kirchenleitung auch 1989 noch für das Überleben der evangelischen Kirche im kommunistischen Staat ein (und für das ihres Kirchenvolkes, das seit 1944 als deutsche Minderheit besonders gefährdet war!) – um nicht zu sagen: es ging ihr darum, den kommunistischen Staat zu überleben! Zu den politischen Absicherungen dieses Überlebens gehörte die Aufrechterhaltung der Beziehungen zur EKD. So war die Sorge absolut begründet, dass das so und nicht anders geplante Kirchentagsforum eine Gefährdung dieser Absicherung zur Folge haben würde. Man bat also den für die Beziehungen der EKD zur evangelischen Kirche Rumäniens zuständigen Bischof Heubach, er möge erstens erreichen, dass die Leitung des Kirchentages die Abhaltung des geplanten Rumänienforums überprüfe. Sollte das Forum dennoch stattfinden, wurden die Personen der EKD, über die deren Kontakt zur evangelischen Kirche Rumäniens lief, gebeten, am Forum nicht teilzunehmen. Man wollte sie also aus der „Schusslinie“ heraushalten. Und drittens wurde als Vorsichtsmaßnahme angekündigt, dass die zum Kirchentag delegierten Pfarrer der evangelischen Kirche Rumäniens am Forum nicht teilnehmen würden, falls dieses in der geplanten Weise stattfinde.

Natürlich darf man „erschüttert“ sein, dass im kommunistischen Rumänien solche Rücksichtnahmen erfolgten. Erfolgen mussten? Die Auswanderer, die solche Rücksichtnahmen hinter sich gelassen hatten, schwammen damals und schwimmen heute auf der Welle der Anerkennung der „freien Welt“. Sie mögen es genießen. Sie haben, bevor sie den Franz Werfel-Preis annahmen, auch andere Preise angenommen, wie z. B. den des Zentralkomittees des kommunistischen Jugendverbandes Rumäniens. Was ihnen nicht vorgeworfen wird. Dass sie nun aber jene anderen, die sich damals noch (schon!) getrauten, für das Überleben im Kommunismus einzutreten, heute der Kollaboration mit der Securitate zeihen – und zwar nicht aufgrund von vorhandenen Indizien, sondern aufgrund des Generalverdachtes, den sie als damals Ausgewanderte an die Gebliebenen herantragen, das ist mehr als nur kurz geschlossen: Wo geht aus dem Brief der Hermannstädter Kirchenleitung hervor, dass sie auf Druck der rumänischen Regierung gehandelt hat? Gewiss: Man lebte generell unter dem Druck der Verhältnisse, für deren schriftstellerische Darstellung Herta Müller ausgezeichnet worden ist. Die Kirche hat weder eine Widerstandsbewegung organisiert, noch drängte man sich ins Martyrium – es sei denn, der Wille, in diesen Verhältnissen als Kirche und Kirchenvolk nicht aufzugeben, kann bereits als eine Martyria gelten, als ein Zeugnis für die Gewissheit, dass der Machtapparat dieses Staates nicht das letzte Wort behalten wird.

Das von Herta Müller verlesene Dokument spricht für sich selbst. Mutig oder verzagt: Es spricht von der Verantwortung für das Überleben eines Kirchenvolkes. Die Interpretation der Trägerin des Franz-Werfel-Preises, die die Kirchenleitung als Werkzeug der Securitate erscheinen lässt, ist nicht aus dem Dokument herausgelesen, sie ist ins Dokument hineingelesen – von der bekannten und von der Welt respektierten Generalperspektive der Nobelpreisträgerin aus. Doch dass Herta Müller die bischöfliche Briefbotschaft vom 16. März 1989 ganz eindeutig mit einer Verfilzung der evangelischen Kirche in die Dienste der Securitate gleichsetzt und sie heute, im Herbst 2009, in der Paulskirche anprangert, ist verleumderisch. Dass sie dabei den Text als Beleg für ihre Anklage versteht, ist dilettantisch und trifft daneben. Dies hatte sie nicht nötig. Sie ist als Literatin ausgezeichnet worden, nicht als Detektivin.

Es ist im Übrigen durchaus wünschenswert, sich mit den „Beziehungen“ zu befassen, in denen „man“ auch als Kirche im kommunistischen Rumänien mit dem Geheimdienst lebte. Dazu mag Herta Müllers Vorstoß ein Anlass werden. Heran, ihr Forscher, die ihr für diese Aufarbeitung ausgebildet seid und Kräfte frei habt! Eure Aufklärungsarbeit ist erwünscht. Nicht weniger wünschenswert ist es jedoch, auch die Wertungen der Jahre vor und nach 1989 aus der Perspektive derer zu beurteilen, die sich die Heimat trotz Kommunismus und Unterdrückung erhalten wollten. Vielleicht kann die Nobelpreisträgerin nach ihrem Pastior-Roman „Atemschaukel“ auch zu dieser Umorientierung der Perspektive beitragen.

Paul Philippi

Schlagwörter: Kirche und Heimat, Herta Müller

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  • 12.11.2009, 16:42 Uhr von Schreiber: Philippi mahnt nicht Schweigen zum Sachverhalt sondern nur hinsichtlich des eigenen "Opus", der ... [weiter]

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