29. Juni 2008

Georg Meyndt: "Kut, mer sängen int"

Nach in den letzten Jahrzehnten in Deutschland erschienenen Publikationen mit siebenbürgischen Volksliedern, volkstümlichen Liedern, Kunstliedern, Chorliedern und Chorkompositionen - "Siebenbürgen, Land des Segens", herausgegeben von Erich Phleps im Wort-und-Welt-Verlag Innsbruck (vier Auflagen), "De Astern uch ander Liedcher", "Der Owend kit erun uch ander Liedcher" und "Wat u menjem Wiej gebläht" mit Liedern von Grete Lienert-Zultner, GIMA-Musikverlag Stadtallendorf bzw. Selbstverlag, "Frühe Lieder", "100 Kanons" und "Zehn schlichte Gesänge" von Horst Gehann, "Kinderlieder" von Anneliese Barthmes, Gehann-Musik-Verlag Kludenbach, "Siebenbürgisches Chorbuch" (Wort-und-Welt-Verlag) und "Lieder siebenbürgischer Komponisten" (drei Bände, Gehann-Musik-Verlag) herausgegeben von Karl Teutsch, oder "Golden flimmernde Tage" mit Liedern von Rosa Kraus, Gehann-Musik-Verlag - ist jüngst im Johannis-Reeg-Verlag in Heilbronn ein Buch mit Liedern von Georg Meyndt (1852-1903) erschienen, herausgegeben und in der Bearbeitung von Heinz Acker.
Das Liederbuch schließt in mehrfacher Hinsicht Lücken in der Meyndt-Lieder-Rezeption. Zum einen kann man diese Ausgabe als vollständige Publikation der Lieder von Meyndt betrachten, es sind keine weiteren Lieder von ihm überliefert. Gesammelt und aufgeschrieben wurde ein Großteil dieser im Volkston erfundenen Mundartlieder ursprünglich von Carl Reich (1872-1953), selbst Autor volkstümlicher Lieder. Meyndt war ein echter Volkssänger, der seine Lieder nach eigenen Texten, der Noten unkundig, improvisierend zur Laute sang. Reich, zuerst Lehrer, dann Pfarrer in der Gemeinde Reichesdorf (bei Schäßburg/Sighisoara, heute Richis), wo Meyndt als Notar lebte, hat die Lieder Meyndts - sie waren in Familien- und Freundeskreisen und darüber hinaus schon bekannt - wohl nach Gehör und aus dem Gedächtnis 1899 niedergeschrieben. Zu den ursprünglich 19 von Reich zweistimmig notierten Liedern kamen elf von anonymen Schreibern hinzu. Reich veröffentlichte alle 30 Lieder 1914 in Hermannstadt unter dem Titel "Kut, mer sängen int vun den Liedern des Georg Meyndt" (Kommt, wir singen eines von den Liedern des Georg Meyndt). Die Ausgabe Reichs ist längst vergriffen.

Die anthologischen Liederbücher einer späteren Zeit enthalten nur wenige Lieder von Meyndt: In "Siebenbürgen, Land des Segens" (1951, 1973, 1986) sind es immerhin noch neun, in "Lieder der Heimat" (Hg. Norbert Petri, Kronstadt, o.J.) und im Siebenbürgischen Chorbuch (1983) nur noch je zwei, in "Deutsches Liedgut" (Hg. Andreas Porfetye, Bukarest 1972) findet sich nur eins. So macht also die Neuausgabe Ackers wieder alle Meyndt-Lieder zugänglich und bietet Möglichkeiten der Auswahl für den eigenen Gebrauch oder für Darbietungen.

Eine weitere Lücke wird dadurch geschlossen, dass Acker es nicht bei der einstimmigen oder der traditionell zweistimmigen Wiedergabe der Lieder belässt, sondern verschiedene Sätze anbietet. Etwa ein Drittel der Lieder präsentieren sich in zwei unterschiedlichen Bearbeitungen: als vom Klavier begleitete Sololieder und als Chorsätze. 18 Lieder erscheinen nur in der Bearbeitung für Gesang und Klavier. Das begleitende Klavier beginnt allein mit einem zwei- bis sechstaktigen Vorspiel, worauf die Melodie Meyndts als Solostimme hinzukommt, am Ende schließt sich ein kurzes Nachspiel des Klaviers an. Der Klaviersatz zeigt Einfühlungsvermögen in die Liederwelt Meyndts, gleichzeitig auch kunstmusikalischen Anspruch in Anlehnung an die Musik des 19. Jahrhunderts, aus der Meyndt selbst manche Elemente der melodischen Gestaltung übernahm. Die für gemischten Chor eingerichteten Lieder sind zum Großteil vierstimmig, nur zwei sind dreistimmig gesetzt.

Zwei Lieder (Der Fieldschätz/Der Feldschütze [Wächter] und Ech hun dech läw/Ich hab dich lieb) bearbeitet Acker als Duett mit Klavierbegleitung, das Broktlied (Brautlied) als Chorlied mit Sopransolo und Klavier. Acker notiert genaue Tempovorschriften (Metronomangaben) und Angaben zur Charaktergestaltung in siebenbürgisch-sächsischer Mundart am Beginn jeder Partitur. Im laufenden Notentext bestimmen minuziös eingetragene Vortragsbezeichnungen die Wiedergabe. Als Manko könnte vielleicht gelten, dass einfache Akkordangaben für Gitarren- oder Lautenbegleitungen, wie sie in Liederbüchern auch üblich sind, fehlen. Aber Acker ging es vornehmlich darum, aus der rein volksmäßigen Singpraxis herauszutreten. Ihm gelingt es mit dieser Ausgabe vor allem, einen Mittelweg zwischen kunst- und volksmäßigem Musizieren zu finden und aufzuzeigen, dass sich beides gegenseitig nicht auszuschließen braucht. Die Solovarianten und insbesondere die Bearbeitungen für Chor sind für die aktuelle Liedpflege besonders wertvoll, da auch Volkslieder heute fast ausschließlich in und von Chören oder als begleiteter Sologesang aus dem so genannten zweiten Dasein des Liedguts gesungen und rezipiert werden. Somit stellt diese Bearbeitungsweise ein Angebot dar, wovon nicht nur Laien, Liebhaber des Volkslieds oder Jugendliche, sondern durchaus auch professionelle Musiker Gebrauch machen können.

Acker schließt mit dieser Ausgabe der Meyndt-Lieder eine Lücke für das heutige Singen auch indem er am Ende des Bandes eine Übertragung der Mundarttexte ins Hochdeutsche bringt. So wird es der jüngeren Generation der Siebenbürger Sachsen, in der die Mundart nur noch selten gesprochen wird, künftigen Generationen, bei denen der siebenbürgisch-sächsische Dialekt wohl ganz verschwunden sein wird oder anderen deutschsprachigen Menschen möglich sein, diese Lieder zu singen.

Georg Meyndt (1852-1903) und seine Lieder markieren den Beginn einer intensiven Lied- und Singbewegung, die seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ganz Siebenbürgen und alle sächsischen Bevölkerungsschichten erfasste und bis in die jüngste Vergangenheit hineinwirkte, auch außerhalb von Siebenbürgen überallhin, wo Siebenbürger Sachsen leben. Meyndt und Hermann Kirchner (1861-1928) waren die ersten, die volkstümliche Lieder in der Mundart schufen, gefolgt von Rudolf Lassel, Heinrich Bretz, Anna Schuller-Schullerus, Carl Reich, Andreas Nikolaus, Hans Mild, Fritz Schuller, Grete Lienert-Zultner, um nur die Bedeutendsten zu nennen, deren Lieder in kurzer Zeit und anhaltend zu wahren Volksliedern wurden. Der von Meyndt begründete Liedstil, der sich seinerseits auf das tradierte deutsche Volkslied und das klassich-romantische Kunstlied stützt, entwickelte sich in Ausdrucksweise, Gefühlsgehalt und Melodiestruktur zu einem in mancher Hinsicht charakteristischen, "siebenbürgisch" geprägten und unverwechselbaren volkstümlichen Genre. Ob in ihrem Ausgang intuitiv erspürt oder bewusst gestaltet, nehmen wir die kleinen, schlichten, eingängigen Lieder Meyndts als formvollendete, organisch gewachsene, kunstvolle und urwüchsige Gebilde wahr.

Dass dieses verdienstvolle Liederbuch im DIN-A-4-Format auch mit einem vorbildlich klaren und schönen Notensatz, ansprechenden Scherenschnittillustrationen von Sieglinde Bottesch und buchtechnisch gediegener Aufmachung aufwartet, soll zum Schluss nicht unerwähnt bleiben. Der Johannis-Reeg-Verlag hat es sich auch diesmal nicht nehmen lassen, hervorragende Qualität zu liefern.

Karl Teutsch

Heinz Acker: Georg Meyndt - Lieder, Johannis Reeg Verlag, Heilbronn 2008, Preis: 20,00 Euro, ISBN 978-3-937320-35-9, Bestelladresse: Johannis Reeg Verlag, Augustenstraße 14, 96047 Bamberg, Telefon: (09 51) 9 17 84 83, Fax: (09 51) 91 70 82 84, im Internet unter www.siebenbuerger.de/shop/buchjrv.html oder über jede Buchhandlung.

Schlagwörter: Lieder, Rezension

Bewerten:

12 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.