5. September 2023

Ein leuchtendes Vorbild für die Siebenbürger Sachsen: Trauerrede für Julius Henning

Julius Henning, Träger der Pro-Meritis-Medaille des Verbandes für besondere Verdienste auf kulturellem Gebiet (2013), ist am 13. August 2023 im Alter von 97 Jahren in Pforzheim gestorben. Rund zweihundert Siebenbürger Sachsen und Freunde erwiesen ihm die letzte Ehre bei der Trauerfeier am 22. August auf dem Hauptfriedhof Pforzheim. Beim Tränenbrot nach der Beerdigung würdigte Rainer Lehni, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., den verstorbenen Schäßburger als „leuchtendes Vorbild, das sich mit viel Herzblut und Sachverstand für unsere sächsische Gemeinschaft eingesetzt hat“. Die Rede wird leicht gekürzt wiedergegeben.
Liebe Icke, werte Trauergäste, ein Urgestein des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland hat uns verlassen. Julius Henning war in der Tat eines dieser Urgesteine in unserer Gemeinschaft, wie es heute nicht mehr viele gibt. Sein Herz schlug bis zuletzt für diesen Verband, der für ihn, wie für viele von uns, eine richtige Schicksalsgemeinschaft von Siebenbürger Sachsen bedeutete, ein Verband, der uns in unserer neuen Heimat zusammengeführt hat und uns Zeit unseres Lebens prägt. Hier hat Julius Henning jahrzehntelang vorbildhaft mitgewirkt.

„Hier ist der Henning, der mit den CDs“, so meldete sich Julius vor vielen Jahren telefonisch bei mir – dieser Satz ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben. Und sagt gleichzeitig das aus, wofür ihn zahlreiche Landsleute kannten und schätzten. Zu einem Zeitpunkt, zu dem sich viele andere bereits in den verdienten Ruhestand verabschiedet hatten, legte Julius erst richtig los. Selbst musikalisch gut bewandert und seit seiner Schulzeit in Schäßburg mit einer guten Sängerstimme gesegnet, brachte er zwischen 2008 und 2016 sechs CDs und eine DVD in Eigenregie heraus. Diese verschiedenen Reisen in die Musikwelt der Siebenbürger Sachsen – weltliche wie geistliche Musik gleichermaßen, wurden über 16 000 Mal an den Mann und an die Frau gebracht. Und Julius kümmerte sich nicht nur um die Sammlung und Erstellung dieser Tonträger, sondern auch um die Werbung und den Versand. Bei den Landesgruppen und Kreisgruppen unseres Verbandes fand er die Basis für eine gute Verbreitung dieser Tonträger, die einen reißenden Absatz und dankbare Abnehmer fanden. Mit dem Reingewinn dieser Aktionen unterstützte er u.a. die digitale Öffentlichkeitsarbeit unseres Verbandes und unser Sozialwerk, aber auch das Hilfskomitee, die Siebenbürgische Bibliothek oder die Renovierung des abgebrannten Bistritzer Kirchturms. Sein Verdienst ist, dass er nicht nur viele Projekte der Siebenbürger Sachen ganz uneigennützig damit gefördert hat, sondern mit der Veröffentlichung auch einen wertvollen Beitrag zum Erhalt unserer siebenbürgisch-sächsischen Kultur geleistet hat. Auch wenn Julius jetzt nicht mehr unter uns weilt, die Musik wird weiterleben, und wenn wir diese Lieder hören, werden wir uns immer dankbar an ihn erinnern.

Sein Einsatz für unseren Verband beginnt aber viel früher. Nach der Aussiedlung aus Siebenbürgen 1984 gemeinsam mit seiner lieben Gattin wurden die beiden hier in Pforzheim sesshaft. Bald engagierte sich Julius in der Kreisgruppe Pforzheim-Enzkreis, dessen Vorstand er auch bald für fast vier Jahrzehnte als Schriftführer, Pressereferent und Sozialreferent angehören sollte. Viele Landsleute hier aus dem Raum Pforzheim werden sich sicher dankbar an die Unterstützung von Julius erinnern, die ihnen ein rasches Heimischwerden in der neuen Heimat erleichtert hat.

Ausgeschieden ist Julius aus dem Kreisgruppenvorstand erst vor wenigen Monaten bei der letzten Kreisgruppenwahl. Der Verstorbene war mit Sicherheit viele Jahre das mit Abstand älteste aktive Vorstandsmitglied in einer unserer fast 100 Kreisgruppen bundesweit. Hier war Julius uns allen ein leuchtendes Vorbild, das sich mit viel Herzblut und Sachverstand für unsere sächsische Gemeinschaft eingesetzt hat. Mit der Redaktion der Siebenbürgischen Zeitung war Julius in einem lebhaften und regen Kontakt, manch einen Leserbrief konnten wir in der Zeitung lesen. Und auch die Verbindungen der Siebenbürger Sachsen nach Luxemburg, einem Teil unserer Urheimat, haben ihn sehr beschäftigt. Noch vor drei Jahren hat er seine „Gedanken über Siebenbürgen und über die Siebenbürger Sachsen auf ihrem Weg zu Weltbürgern“ in einer bemerkenswerten Publikation veröffentlicht.

Julius und seine Frau Icke waren Stammgäste bei unseren Heimattagen in Dinkelsbühl. Bei den letzten beiden war er nicht mehr dabei. „Das Alter und die Gesundheit machen nicht mehr so mit“, hatte er mir gesagt. Die Begegnungen mit ihm gerade in Dinkelsbühl werde ich vermissen. Und ich bin froh, dass ich an seinem 97. Geburtstag mit ihm telefonisch sprechen konnte und er sich sehr über meinen Anruf gefreut hat.
Treue, langjährige Besucher des Heimattages der ...
Treue, langjährige Besucher des Heimattages der Siebenbürger Sachsen 2017 nach dem Pfingstgottesdienst, von links: Julius Henning (91), der Ehrenobmann aus Österreich, Dr. Fritz Frank (93), und der Ehrenvorsitzende des Verbands in Deutschland, Dr. Wolfgang Bonfert (86). Foto: Herwart Licker
Der Verband der Siebenbürger Sachsen wird Julius Henning ein ehrendes Andenken bewahren. Seinen Einsatz für unsere Landsleute hat unser Verband mit dem Silbernen und dem Goldenen Ehrenwappen sowie der Medaille Pro Meritis (2013) gewürdigt. Julius möge ein Vorbild für uns alle sein, dessen Werk wir alle und überall fortsetzen können. Treffender konnte der Spruch auf der Todesparte daher nicht sein: „Wir dürfen nicht traurig sein, dass wir ihn verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir ihn gehabt haben.“ Lieber Julius, du wirst oben vom Himmel sicher auf uns niederschauen und deine Freude mit uns und an uns haben. Ruhe wohl in Frieden. Danke.

Rainer Lehni, Bundesvorsitzender

Vielseitig für die Gemeinschaft tätig: Nachruf auf Julius Henning

„Ein guter, edler Mensch, der mit uns gelebt, kann uns nicht genommen werden, er lässt eine leuchtende Spur zurück gleich jenen erloschenen Sternen, deren Bild noch nach Jahrhunderten die Erdbewohner sehen.“ Dieser Ausspruch des schottischen Schriftstellers Thomas Carlyle (1795-1881), ein Zeitgenosse Goethes, hat bis heute seinen Aussagewert nicht verloren, denn „unser Jul“ hat durch seine vielfältige Tätigkeit ebenso bleibende Spuren hinterlassen.

Julius Henning wurde am 18. März 1926 in Schäßburg als sechstes Kind der Familie Henning geboren. Sein Vater Wilhelm Henning, Jurist, war Bezirksanwalt und Oberstuhlsrichter von Schäßburg, zeitweise auch von Agnetheln und somit für einen großen Wirkungskreis verantwortlich. Seine Mutter Irene Emilie geb. Abraham stammte aus dem Haus eines Ökonomen. Die Großmutter Abraham stammte aus dem Repser Land. Der Großvater war ein begehrter und künstlerisch begabter Kupferschmied. Die Kuppel des Stundturms in Schäßburg (1,30 m), die es auch heute noch gibt, war sein Werk.

Julius wuchs im Kreise vieler Geschwister auf, und es ist leicht vorstellbar, dass in einer Großfamilie immer Bewegung herrschte und immer etwas los war. In den großen kinderreichen Familien kam es vor, dass die älteren Geschwister Taufpaten der jüngeren wurden, was damals nicht unüblich und wie die Matrikeldaten belegen, auch bei Hennings der Fall war. In ihrem Haus kehrte auch Thusnelda Henning geb. Hermann, die Ehefrau von Julius‘ Großonkel Carl Henning ein. Sie war die Verfasserin des kulturhistorischen Romans „Der hölzerne Flug“, der teils auch in Schäßburg spielte. Julius konnte sich gut an die Begegnungen mit ihr erinnern. Auf dem Burgplatz Nr. 8, wo die Familie zu Hause war, gab es für die Kinder in den verwinkelten Gässchen der Burg genügend Bewegungsfreiheit. Hier besuchte er auch die Grundschule. Den Konfirmandenunterricht erteilte Stadtpfarrer Dr. Wilhelm Wagner, der am 25. Mai 1941 auch die Konfirmation vollzog. Zum damaligen „Bischof-Teutsch Gymnasium“, bekannt auch als Bergschule, die im vergangenen Jahr ihr 500. Jubiläum gefeiert hat, war kein weiter Weg zurückzulegen. Da musste man allein die Schülertreppe erklimmen oder den gepflasterten Umweg benutzen, um in die Schule zu kommen. Im Gymnasium verbrachte Julius eine schöne Schulzeit, Er war Sprecher der Schülerschaft und zeitweise auch von 1943-1944 Dirigent – genannt Primus Musicus – der Schüler-Blasmusik.

Doch der Zweite Weltkrieg warf seine Schatten auf den Jahrgang der Abiturienten, die 18-jährig, kurz vor ihrem Schulende zu den Soldaten gingen. Diese unruhige Zeit hat Julius gut überstanden. Erspart blieb ihm jedoch nicht, nach seiner Heimkehr, unter den neuen Verhältnissen einen sechs Monate langen Strafarbeitsdienst zu leisten und sein Abitur in rumänischer Sprache abzulegen. Danach konnte er sein angestrebtes Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kronstadt aufnehmen und es mit dem in Bukarest abgelegten Staatsexamen als Diplomökonom abschließen.

Er fand Beschäftigung in einem größeren Industriebetrieb in Schäßburg als Abteilungsleiter des Rechnungswesens und setzte seine wirtschaftlichen Kenntnisse so ein, wie sein Vater es ihm vorgelebt hatte. Neben seinem Beruf war Julius auch ehrenamtlich bei der evangelischen Kirche im Presbyterium tätig. In seinem Privatleben widmete er sich aber meist dem Chorgesang, wobei er auch als Gesangsolist auftrat. Der Schäßburger Chor war bekannt durch seine musikalischen Leistungen, zu denen Julius sehr viel beigetragen hat. Zum Sonnenschein in seinem Leben wurde hier Icke mit ihrem freundlichen, offenen Wesen, die er 1975 heiratete und die mit ihm die Freude am Singen teilte. Wie ein Herz und eine Seele kamen sie zusammen und wurden ein schönes, unzertrennliches, liebenswertes Paar. Im Schäßburger Kulturhaus, dem „Sander“, trat der Chor öfters auch für Region übergreifende Veranstaltungen auf. Kamen Gäste aus anderen Städten zu Vorträgen nach Schäßburg, wurden sie im Kulturhaus immer auch mit Chorgesang begrüßt, so wie ich es selbst erlebt habe. Julius und Icke waren immer dabei.

Als Jüngster von sechs Geschwistern kam Julius nach altem Brauch die Aufgabe zu, für die Eltern in ihrem Alter zu sorgen. Dieses geschah im Elternhaus, wo man zusammen unter einem Dach wohnte und wo Julius für beide Eltern bis zu deren Tod Sorge trug. Anschließende Ausreisebemühungen wurden wegen „Unabkömmlichkeit aus dem Betrieb“ von höchster Stelle abgewiesen. Nach vielen Mühen gelang es, 1984 auszureisen. In Deutschland führte sie der Weg nach Pforzheim, wo Julius eine Schwester hatte. Er fand Beschäftigung bei der Verwaltung der Stadt Pforzheim, wo er gegen Ende mit reduziertem Deputat bis zu seinem 80. Lebensjahr tätig war. Icke fand von Anfang an eine Volltagsbeschäftigung. Beide setzten hier auch ihre musikalische Tätigkeit fort und fanden bald besten gesellschaftlichen Anschluss. Unterhaltung, Musik und Tanz waren dabei nicht ausgeschlossen. Julius hatte auch die Möglichkeit, im Stadttheater Pforzheim mit Operettengesang aufzutreten.

Als Vorstandsmitglied der Kreisgruppe Pforzheim – Enzkreis engagierte sich Julius Henning auch bei der Eingliederung der Aussiedler aus Siebenbürgen. Die soziale Tätigkeit weitete er auf vielen Gebieten aus, sei es für die Kreisgruppe oder die Heimatortgemeinschaft (HOG) Schäßburg, die ihm sehr am Herzen lag.

Julius gehörte zu den fleißigsten Mitarbeitern der HOG-Zeitschrift Schäßburger Nachrichten, für die er gerne aus der Geschichte Schäßburgs schrieb und oft auch Ereignisse oder Mitteilungen festhielt, die mancher für belanglos hielt und die doch wie Mosaiksteinchen manche Sichtweisen änderten oder vervollständigten. Da kamen viele Fragen zusammen, die zu lösen waren, seien es Informationen zu Schäßburger Ereignissen, zu Personen und ihrer Bedeutung im Leben der Stadt, Erkennen von Schäßburgern auf alten Fotos, zu stadtspezifischen Festen, Wissenswertes zu Gebäuden, Straßen, zur Umgebung der Stadt – Julius konnte diese Fragen immer beantworten. Seine Antworten waren dank seines umfassenden kulturgeschichtlichen Wissens über Schäßburg, Siebenbürgen und andere Bereiche immer zutreffend und wertvoll.

Er schrieb aus Freude und im Bewusstsein, möglichst viel Wissen festzuhalten und weiterzugeben, sozusagen auf Vorrat, wie er selbst sagte. Fiel ihm ein gutes, mitteilungswertes Thema ein, brachte er es gleich zu Papier. Dafür gebührt ihm nach so vielen Jahren auch über seinen Tod hinaus ein ganz besonderer Dank und Respekt. „Werdet ihr meine Beiträge auch veröffentlichen, wenn ich gestorben bin?“, fragte er einmal. Wir bejahten das. Es waren immer interessante Beiträge zu Schäßburgs Geschichte, die wert waren, festgehalten und veröffentlicht zu werden. Auch außerhalb der Schäßburger Nachrichten hatte er für alle Fragen und Probleme der Heimatortgemeinschaft Schäßburg immer ein offenes Ohr.

Dank seiner musikalischen Fähigkeiten, der Kenntnis eines umfassenden Liedgutes und anderer musikalischer Werke hat er auf eigene Kosten sechs CDs und eine DVD mit unterschiedlichen Musikstücken herausgegeben. Der Reinerlös ging an verschiedene sächsische Organisationen. Außer der Liedforschung lagen ihm die historischen Zusammenhänge zwischen der Sprache der Luxemburger und jener der Siebenbürger Sachsen am Herzen, so dass er auch in dieser Richtung Forschungen unternahm und 2019 ein Buch mit CD veröffentlichte. Dabei waren ihm vergleichende Untersuchungen besonders wichtig.

Als die Krankheit immer mehr ihre Schatten warf, war Icke seine beste, einfühlsame, geduldige und liebevolle Pflegerin, die ihn vorbildlich bis zu seinem letzten Atemzug umsorgt hat. Seit den Anfängen in Schäßburg verbrachten sie 48 gemeinsame harmonische, schöne und inhaltvolle Jahre.

Blickt man auf die vielseitige Tätigkeit von Julius Henning, zurück, wird deutlich, dass er in seinem beinahe ein Jahrhundert währenden Leben viele Spuren hinterlassen hat, die lange sichtbar bleiben werden, sei das durch Gedanken und Schrift oder in wichtigen, durchgeführten Projekten sowie in die Gesellschaft eingebundene Tätigkeiten.

Erika Schneider

Schlagwörter: Nachruf, Julius Henning, Schäßburg, Pforzheim

Bewerten:

25 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.